Das Beck Economic Microscope - eine schlichte Schönheit

Begonnen von Florian Stellmacher, September 12, 2013, 14:53:25 NACHMITTAGS

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Florian Stellmacher

Liebe Freunde historischer Mikroskope,

heute möchte ich ein Mikroskop vorstellen, dessen schlichte Form mir besonders gut gefällt. Hierbei handelt es sich um das Economic Microscope der traditionsreichen Firma BECK. Gebaut wurde es, soweit sich dies über die Seriennummer eingrenzen lässt, 1882 oder 1883.

Die Firma Beck wurde 1865 als Smith & Beck, später Smith, Beck und Beck gegründet. Man muss wohl bereits eingangs erwähnen, dass es diese Firma - ganz im Gegensatz zu manch anderen englischen Herstellern, die auf Manufakturproduktion und traditionelle Vertriebswege beharrten, - frühzeitig verstanden hat, sich den Herausforderungen des sich ändernden Marktes zu stellen. So erkannte Beck schon früh das Potential des wachsenden U.S.-amerikanischen Marktes und errichtete schon 1870 eine Vertriebsagentur in Philadelphia. Beck produzierte zunächst neben Mikroskopen allerhand andere naturwissenschaftliche Instrumente in Handarbeit. Viele dieser frühen Modelle weisen hochinteressante konstruktive Merkmale auf, und die Mikroskope zählen zu den schönsten Beispielen englischer Mikroskopbaukunst, die wir kennen. Die Firma prosperierte und wurde zu einem der auch wirtschaftlich bedeutendsten britische Optikhersteller. 1894 wurde die Firma in die R & J Beck Ltd überführt. In den nächsten Jahrzehnten ließ Beck sich von dem kontinentaleuropäischen, insbesondere deutschen Design inspireren, und so finden wir um die Jahrhundertwende Mikroskope von Beck, die Instrumenten von Zeiss oder Leitz recht ähnlich sehen. Diese sind kompakter gebaut, verfügen über einen unter dem Tisch verbauten mehrlinsigen Kondensor (sog. substage), der den bules eye Kondensor ablöste, und sie standen auf einem flachen, typisch kontinentaleuropäschen hufeisenförmigen Fuß. Die Produktion dieser Mikroskope ließ sich nach deutscher Vorlange in Massenfertigung günstiger bewerkstelligen, ohne Rückschritte in der Qualität inkauf zu nehmen. 1960 wurde Beck von Griffin & George Ltd komplett übernommen, die ihrerseits 1968 von der Ealing Corporation, USA geschluckt wurde. Zunächst wurde noch Stereomikroskope unter dem Label Beck produziert, in den 70er Jahren verschwand diese Firma jedoch vom Markt. [1] Mit der deutsche Firma Beck, Kassel hat R & J Beck London & Philadelphia nichts zu tun.

Das Economic Microscope ist laut Einteilung von Carpenter (1891) [2] ein Fourth-class Microscope. Es handelt sich also, wie der Name bereits suggeriert, nicht um ein teueres universell auszustattendes Mikroskop für betuchte Kunden, sondern es ist explizit als Arbeitsgerät für die Ausbildung, also als Kursmikrskop konzipiert worden. Diese Klasse von Mikroskopen sollte lt. Carpenter über eine Grobfokussierung mit Zahn und Trieb und eine Mikrometerschraube verfügen. Carpenter schreibt zum Beck Economic Microscoe selbst: "The present editor can speak highly of this instrument for elementary class work ..." Carpenter zieht Parallelen zu dem "Star" desselbe Herstellers, ein einfacher gehaltenes Kursmikroskop, das tatsächlich, abgesehen von dem dreieckigen Fuß, deutliche Ähnlichkeit aufweist (bei mir stehen beide Mikroskope dicht beieinander im Regal). Dem "Economic" würde ich jedoch jederzeit den Vorzug lassen.


aus Carpenter, 1891

Auffällig ist an diesem Mikroskop zunächst der Fuß, der eine reduktionistische Weiterentwicklung des typisch englichen claw foot darstellt, hier jedoch fast eine dreieckige oder kleeblattartige Form angenommen hat. Der hintere Ausleger, der die Gravur trägt, ist jedoch etwas länger. Auf diesem Fuß ruht eine Stativsäule mit Gelenk. Dieses Konstruktionsprinzip war nicht wirklich neu (es leitet sich in gewisser Weise auch vom zumsammenlegbaren Fuß der deutlich früheren "Most Improved Microscopes" ab), Beck machte es jedoch populärer denn je, und es wurde, zumal in den USA, gerne kopiert. Der übrige Teil des Stativs erscheint hingegen absolut unauffällig. Der Tubs wird nach klassischem Lister Limb-Prinzip von einem Messingausleger getragen und ist mit einem ausziehbaren Innentubus versehen. Die Grobeinstellung erfolgt über Zahn und Trieb, die Feineinstellung ist als Prismenschraube ausgelegt. Der Tisch ist nicht gebeizt. Mein Mikroskop verfügt ferner über einen exzellent gearbeiteten und sauber einrastenden Zweifachrevolver, bestückt mit zwei RMS-Objektiven Beck 1 In und Beck 1/6 In. Das Okular ist nicht bezeichnet, sein Einsteckdurchmesser beträgt 25 mm (also nicht zu heutigen Tuben kompatibel). Einen optischen Kondensor gibt es nicht, das Mikroskop besitzt lediglich einen Einschub mit einer mittelweiten Lochblende und entsprechend einen Hohlspiegel. Alles ist vollständig aus Messing gefertigt, wodurch das Mikroskop ein überraschend hohes Gewicht aufweist. Der Lack ist weitgehend sehr gut erhalten. Tisch und Innentubus weisen die üblichen Gebrauchsspuren auf. Die tadellose Erhatung des Mikroskops lässt vermuten, dass ihm ein harter Einsatz in der Ausbildung nicht zugemutet wurde. Ich denke, dass es für den privaten Gebrauch angeschafft und entsprechend pfleglich behandelt wurde. Weiters Zubehör, wie man es im Carpenter abgebildet findet, lag dem Mikroskop nicht bei.









Das Economic Microscope von Beck stellt in gewisser Weise einen Edpunkt englischen Mikroskopdesigns dar; was danach kam, war zumeist kontinentaleuropäisch und somit weitgehend austauschbar (von wohltuenden Abwechslungen z.B von Watson abgesehen). Dass man englisches Design in seiner Besonderheit auch in einem einfachen Mikroskop so perfekt verwirklichen kann, erfreut auch heute noch das Auge. Es darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich um dieses Mikroskop eine Modellfamilie rankte, die zweckoptimierte ökonomische Mikroskope für verschiedene Einsatzzwecke bereithielt. Ein Beispiel findet sich bei Hogg (1898) [3]: das "Beck's Pathological Microscope - das hätte ich auch sehr gerne!


aus Hogg 1898


Herzliche Grüße,
Florian


[1] Brian Bracegirdle: Notes on Modern Microscope Manufacturers, QMC, Hornsea 1996, S. 12 ff
[2] Willam B. Carpenter: The Microscope and its Revelations, London 1891, S. 194 ff
[3] Jabez Hogg: The Microscope, London & New York 1898, S. 96
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

ortholux

Lieber Florian,

irgendwie sind die alten ja auch schön  ;)

Ne, im Ernst, das Gezeigte finde ich recht elegant. Solche Freuden bleiben mir natürlich verwehrt, deshalb freue ich mich, wenn sie hier gezeigt werden.

Was hat das "Pathologische" denn für ein Stellrädchen hinten am Tisch?

Viele Grüße
Wolfgang

Florian Stellmacher

#2
Lieber Wolfgang,

ach hätte ich mich bei Zeiten so beschieden wie Du ...  ;D

Mir gefallen die "kleinen Schwarzen" aus Wetzlar bekanntlich auch sehr gut, aber die wunderbaren viktorianischen und edwardianischen Mikroskope aus England sind mir doch noch etwas lieber. Da kann auch gerne etwas Schwarzees dran sein, das erhöht nur die Spannung!

Beck's Pathological Microscope kenne ich nur von dieser Abbildung, daher kann ich bezüglich der hinteren Schraube nur mutmaßen, dass der Objektführer hiermit am Tisch adaptiert ist.

Viele Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

beamish

Hallo,

ist das nicht eine Art Feintrieb, mit dem der Tisch angehoben bzw. gesenkt werden kann?

Grüße

Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

ortholux

Es sieht so aus, als würde die Schraube durch den Tisch gehen und unterhalb auf ein "Blech" drücken. Auch scheint sie keine Verbindung mit dem Präparateführer zu haben. Ich hab's mal rausvergrößert.



Schönen Sonntag!
Wolfgang

Peter V.

Hallo,

http://cnum.cnam.fr/PDF/cnum_M9845.pdf

http://cnum.cnam.fr/DET/M9845.html

Könnte es sein, dass diese Schraube zur Arretierung des Kippstativs in bestimmten Winkeln dient?

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Florian Stellmacher

#6
Liebe Martin, Wolfgang und Peter,

die Schraube ist offenbar mit einer Skala versehen, sodass ich nun auch dahin tendiere, dass sie als Feinfokussierung dient. Dafür ist an der Stativsäule eine Prismenschraube/Glocke nicht eindeutig erkennbar. Das war mir bisher gar nicht aufgefallen. Eine Feinfokussierung über Kippen des Tisches wurde bei diversen Mikroskopen realisiert, bei Beck kannte ich das noch nicht.

Danke für die Links, Peter!

Herzliche Grüße,
Florian

P.S.: Es nutz wohl nichts, ich muss das Mikroskop wohl im Original auftreiben ...  ;D
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
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Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

beamish

Schaut mal hier:
http://www.biodiversitylibrary.org/item/18467#page/403/mode/1up
Da gibt es eine Variante vom pathologischen mit einer anderen TIschkonstruktion. Auch hier ist die Schraube mit der Skala zu sehen, kann mir aber keinen rechten Reim drauf machen.

Grüße

Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

beamish

Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Peter V.

Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

beamish

Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

olaf.med

...wie würde der wahre Engländer sagen:

...es ist, ist es nicht!

Herzliche Grüße,

Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Florian Stellmacher

Lieber Martin,

WOW! Das ist ja nun wirklich nicht das erste Mal, dass Du Bahnbrechendes aus dem Internet zu Tage gefördert hast! Danke!!!

Herzliche Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
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Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

Peter V.

#13
Zitat von: Florian Stellmacher in September 15, 2013, 16:01:02 NACHMITTAGS
Lieber Martin,

WOW! Das ist ja nun wirklich nicht das erste Mal, dass Du Bahnbrechendes aus dem Internet zu Tage gefördert hast! Danke!!!

Herzliche Grüße,
Florian

...und jetzt interessiert mich nur, wie lange es dauert, bis Florian das Gerät selbst aus dem Internet zu Tage (und in seine Sammlung) gefördert hat.  ;D

Herzliche Grüße
Peter
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