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Holospora in Paramecium

Begonnen von Martin Kreutz, Februar 06, 2014, 21:34:47 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

ich möchte hier im Forum über den Befall von Paramecium caudatum mit dem parasitisch lebenden Bakterium Holospora elegans berichten. Für viele Forumsteilnehmer ist Paramecium sicher ein alt bekanntes Haustier und beliebtes Untersuchungsobjekt. Der innere Aufbau der Parameciumzelle dürfte dem Großteil des Forums bekannt sein. Manchmal findet man aber auch unerwartetes.
Alles begann 2011 bei der Durchforstung eines 10 l Aquariums, in dass ich immer meine alten Proben gieße. In dieser türkischen Mischung wächst manchmal noch interessantes heran. Diesmal schien ich jedoch Pech gehabt zu haben, denn außer großen Mengen Paramecium caudatum an der Wasseroberfläche, war da nicht viel zu holen. Einige dieser Paramecien enthielten jedoch hochbrechende Körper, die ich zuerst für Nahrungsvakuolen gehalten habe, die mit Bakterien gefüllt sind:


HV = hochbrechende "Vakuole"

Gleich mal so ein Vieh herauspipettiert und genauer betrachtet:


HV = hochbrechende "Vakuole"
Ma = Makronukleus

Man erkennt, dass scheinbar an dem Makronukleus angelagert eine ca. 15 µm große, hochbrechende Kugel liegt, die offensichtlich dicht mit Bakterien gefüllt ist:


Ma = Makronukleus

Interessanter Weise schien der Mikronukleus zu fehlen. Unter Deckglasdruck brachte ich das Exemplar zum Auslaufen, um die Bakterien mal genauer zu betrachten:



Es waren bis zu 20 µm lange Stäbchen mit zugespitzten Enden. Etwas Recherche brachte an den Tag, dass es sich um Holospora elegans handelt, einem parasitischen Bakterium, welches den Mikronukleus von Paramecium befällt. Meine Paramecium-Population war zu 20-30 % damit durchseucht. Eine ideale Ausgangslage, den Lebenszyklus von Holospora zu betrachten.

Die Infektion beginnt für Paramecium mit der Aufnahme von infektiösen Zellen von H. elegans mit der Nahrung. In der Nahrungsvakuole entgeht Holospora der sofortigen Verdauung durch ein ,,umprogrammieren" der Membranproteine der Nahrungsvakuole, wodurch das fusionieren mit Lysosomen aus dem umgebenden Plasma mit der Nahrungsvakuole verhindert wird. Diese spezifische Fähigkeit lässt auf eine evolutionär alte Wirt/Parasit Beziehung schließen, welche durch den Verlauf des restlichen Lebenszyklus bestätigt wird. Die Nahrungsvakuole wird nun zum Tarnmantel und Transportvehikel für Holospora. Dazu verlässt Holospora die Nahrungsvakuole und migriert  ins Plasma. Bei diesem Vorgang kleidet sich das Bakterium mit einer Hülle der ehemaligen Vakuolenmembran ein. So als Vakuole getarnt, wandert Holospora über das Aktin-Myosin-Gerüst der Zelle zum Mikronukleus. Dieser Transport wird von Holospora aktiv eingeleitet, in dem sich an einem Ende des Bakteriums ein spezielles Protein bildet, welche die Aktinpolymerisation/-depolymerisation beeinflusst. Am Mikronukleus angekommen, verschmilzt die Vakuolenmembran mit der Kernhülle des Mikronukleus und Holospora gelangt in den Kern. Ich hatte das Glück, diese Stadium des Mikronukleus sehen zu können, wenn sich das erste Bakterium dort eingenistet hat:


HE = Holospora elegans im Mikronukleus von Paramecium caudatum
Ma = Makronukleus
Mi = Mikronukleus

Es beginnt eine schnelle Vermehrungsphase im Mikronukleus, wobei sich jedoch wesentlich kleinere Zellen bilden. Diese Umwandlung der äußeren Form in Anhängigkeit des Infektionsstadiums nennt man Dimorphismus. Die kleineren Zellen sind oval und nur ca. 2 µm lang (zu sehen im 4. Bild, Teilungszustand = 4,7 µm). Es handelt sich hier um die reproduktiven Formen, welche einen aktiven Stoffwechsel besitzen und sich schnell vermehren. Nur ein Teil der neu gebildeten Holosporazellen wandelt sich in die großen, bis zu 20 µm langen, infektiösen Formen um. Während der  Wachstumsphase kann der Mikronukleus von Paramecium um das 10fache seiner ursprünglichen Größe anschwellen. Dabei wird das genetische Material von Paramecium aber offensichtlich nicht geschädigt. Die von mir beobachteten, befallenen Paramecien schwammen schnell und zeigten keine "Verhaltensanomalien".

So weit, so gut, aber wie kommt Holospora wieder aus Paramecium wieder heraus und kann weitere Wirte befallen? Dieses Kunststück erfolgt bei einer einsetzenden Zellteilung von Paramecium. Dann bildet sich innerhalb des Mikronukleus eine Mitosespindel aus. Es werden dann jedoch nicht nur die Chromosomen geordnet und separiert, sondern auch die Holospora Zellen! Diese Fähigkeit ist wahrscheinlich auch auf die Fähigkeit von Holospora zurückzuführen, in den Aktin-Myosin Stoffwechsel der Wirtszelle einzugreifen. Dabei werden sehr selektiv die reproduktiven (kleinen) Formen zu den Polen der Mitosespindel gezogen, während sich die großen, infektiösen Formen in der Äquatorialebene des Mikronukleus sammeln. Dies kann man mikroskopisch auch sehr gut erkennen:


P1, P2 = Pole der Mitosespindel
RF = reproduktive Formen von Holospora elegans
IF = infektiöse Formen von Holospora elegans

Beim weiteren auseinanderdriften der neu gebildeten Tochterkerne verbleibt zwischen ihnen ein sogenannter Zwischenkörper, welcher angefüllt ist mit den infektiösen (langen) Formen von Holospora:


Ma1, Ma 2 = Makronuklei
Mi1, Mi2 = Mikronuklei
ZK = Zwischenkörper
KV = kontraktile Vakuole

Dieser Zwischenkörper wird schließlich im Plasma separiert und durch die Pellikula ausgeschleust.  Mit diesem ausgeklügelten Mechanismus schafft es Holospora, sowohl in die beiden Tochterzellen nach der Teilung zu gelangen, als auch neue, infektiöse Formen in die Umwelt zu entlassen, um Neuinfektionen zu ermöglichen.

Diesen fast unglaublichen Lebenszyklus mal live zu sehen ist wirklich spannend und interessant. Das war ein besonderer Fund, an dem ich mich ziemlich festgebissen habe.

Wer mehr über den interessanten Lebenszyklus von Holospora wissen will, den möchte ich auf meinen Artikel im Mikrokosmos 2011, Heft 3, S. 129 verweisen (s. unten).

Als wenn diese Paramecium Population in dem 10 l Aquarium mit Holospora elegans nicht schon gestraft genug wäre, zeigten einige Exemplare eine weitere Auffälligkeit. Bei genauerer Betrachtung konnte ich hochbrechende ,,Stäbchen" im Plasma entdecken. Isolierte man diese Exemplare, war auch zu sehen, dass der Makronukleus deformiert aussah, mit kraterförmigen Vertiefungen. Im Vergleich zu unbefallenen Paramecien, schienen die befallenen auch etwas kleiner geraten zu sein (rechtes Bild unten):


Ma = Makronukleus
BAK? = stäbchenförmige Bakterien?

Die Stäbchen selber waren bis zu 17 µm lang und 2-4 µm breit und schienen sich in einer Vakuole zu befinden (Pfeile):




Soweit ich erkennen konnte, waren in dem befallenen Paramecien ca. 5 – 10 dieser Stäbchen zu erkennen, aber interessanter Weise konnte ich nie Exemplare finden, die von Holospora und den Stäbchen gleichzeitig befallen waren. Die Natur dieser Stäbchen blieb auch mysteriös. Ich nahm erst an, dass es sich ebenfalls um parasitische Bakterien handelt, die im Plasma lebten. Jedoch konnte ich nie Teilungszustände finden. Zudem waren diese Stäbchen innen völlig homogen. Bei starkem Deckglasdruck schienen Sie zu ,,brechen", wobei eine auffällige Bruchform zu erkennen war:



Diese Befunde ließen mich an der Bakterionversion etwas zweifeln. Evtl. handelt es sich auch um einen Virenbefall des Makronukleus, welche die Zelle dazu veranlassen, kristalline Stoffwechselprodukte zu synthetisieren oder dass es sich um Virenkristalle handelt. Bis heute weiß ich nicht, was ich hier beobachtet habe. Ich habe meinen Fund auch nach Sergei Fokin in St. Petersburg geschickt, der mir geantwortet hat:

"Actually, such big bacteria in the cytoplasm of P. caudatum were found twice by J. Dieckmann and by my colleagues in St.Pete. The last one I also have found,
but many years ago."

Er ist also der Ansicht, dass es sich um Bakterien handelt. Weiter kamen wir dann nicht mehr, denn er hat nach Lebendproben zur Identifizierung per Genanalyse verlangt, aber meine Population war inzwischen zusammengebrochen und ich habe diese Art von Bakterien auch nicht mehr gefunden.

Dieser kleine Beitrag soll zeigen, dass man auch bei vermeintlich alltäglichen Objekten die Augen offen halten sollte und vielleicht doch das nicht alltägliche zu finden.

Viel Spass beim lesen und anschauen

Martin

Lit.:

Kreutz, M. (2011): Das Bakterium Holospora im Ciliaten Paramecium – Symbiont oder Parasit. Mikrokosmos, 100: 129 – 135.



rhamvossen

Hallo Martin,

Sehr interessante Dokumentation. Was die Stäbchen angeht, die sehen mir nicht so aus wie Bakterien. Das sieht eher wie Kristalle aus. Beste Grüsse,

Rolf

Oecoprotonucli

Hallo Martin,

toller Beitrag, Danke! Und was für gut aufgelöste, scharfe Bilder!

Schade, dass Du keine Proben zur Weiteruntersuchung mehr hast! ich denke auch, dass man mit weiteren Methoden hätte ansetzen müssen, um da bei der Identifikation der "großen Stäbchen" weiterzukommen. Elektronenmikroskopie, Immunfluoreszenz (falls man überhaupt passende Antikörper hat), und eben Genanalyse...

Besten Gruß

Sebastian
Ich benutze privat:
Leitz SM-Lux mit (LED-) Durchlicht und Phaco-Ausrüstung (ca. 1975-77)
Hensoldt Wetzlar Stereomikroskop DIAMAL (1950er Jahre)

Manfred Melcher

Hallo Martin,

vielen Dank für diesen spannenden Beitrag. Ich hätte diese Besonderheiten bei der Betrachtung der Paramecien gar nicht "gesehen". Immer wieder erstaunlich, welche Mechanismen die Parasiten entwickeln um ihre Art zu vermehren, ohne den Wirt zu schädigen. Was allerdings nicht immer gelingt.
Ich freue mich auf weitere Beiträge!

Liebe Grüße

Manfred

Jan Kros

Hallo Martin
schoene Beitrag ueber ein interessantes Organismus
auch sehr schoene Bilder
ich habe alles mit viel Interesse gelesen.
Gruss
Jan

Jürgen H.

Lieber Martin,

ein ganz phantastischer Beitrag! Herzlichen Dank für Deine Mühe, ihn zu formulieren und hier hereinzustellen.

Schöne Grüße

Jürgen

Peter V.

Lieber Martin,

vielen Dank für diese schönen Beitrag und die hervorragenden Bilder!

Herzliche Grüße
Peter

Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

ImperatorRex

Phantastisch! Deinen Beitrag habe ich "verschlungen" und sofort als pdf archiviert. Bin mal gespannt ob ich jemals sowas beobachten kann.

vielen Dank

Jochen

Kambiz

Hallo Martin,

Bilder und Beitrag sind sehr beeindruckend.

Veilen Dank!

Kambiz

beamish

Hallo Martin,

Tümpeln ist eigentlich nicht meine Baustelle. Ich habe deinen Beitrag dennoch "verschlungen"!
Grandios!
Herrzlich
(auch) Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

Eckhard

Hallo Martin,

vielen Dank für diesen schönen Beitrag. Kannst Du netterweise die Mikrokosmos Ausgabe noch mal überprüfen? Ich finde den Artikel nicht :(

Ich habe bisher nur Fotos von Holospora obtusa, die den Makronukleus von P. caudatum bewohnen, gesehen. Die sehen aber auch anders aus als die von Dir im Cytoplasma gefundenen Bakterien.

Herzliche Grüsse
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

Martin Kreutz

Hallo zusammen,

danke für diese Reaktionen! Der Befall von Protozoen mit Parasitien (also Einzeller parasitieren Einzeller) finde ich besonders interessant und immer wenn ich so etwas finde, versuche ich möglichst viel festzuhalten. Das gleiche gilt für symbiotische Beziehungen.

@Eckard: Tsja, wenn man die Kenndaten seiner eigenen Artikel nicht kennt! Hier das korrekte Zitat:

Kreutz, M.: Das Bakterium Holospora im Ciliaten Paramecium - Symbiont oder Parasit. Mikrokosmos 100, 129-135 (2011).

Ich hoffe, Du findest den Artikel, sonst bitte noch Mal melden! Holospora obtusa habe ich selbst noch nicht gefunden, aber ich hoffe, es ergibt sich mal eine Gelegenheit. Hast Du H. obtusa in "Wildfängen" gefunden oder in einer Kultur (alte Probe)?

Allen einen schönen Abend!

Martin

Bernhard Kaiser

Hallo Herr Eckhard,

ZitatIch finde den Artikel nicht

verstehe ich nicht?
über Jahr und Seite müßten Sie nach beiden Angaben fündig werden!

Mikrokosmos 2011, Heft 3, S. 129   Zitat hier im Beitrag.
Mikrokosmos 100, 129-135 (2011)  Korrektes Zitat.

Freundliche Grüße
Bernhard Kaiser

Martin Kreutz

Hallo Herr Kaiser,

ich glaube dieses Verwirrung habe ich gestiftet! Nachdem Eckard mich auf die falsche Angabe in meinem Beitrag hingewiesen hatte (ich habe versehentlich 2012 geschrieben), habe ich dies im Beitrag selbst korrigiert und das korrekte Zitat dann auch noch in der Antwort an Eckard mitgeteilt. Dies habe ich deshalb gemacht, damit Leser, die sich nicht den ganzen thread durchlesen, das korrekte Zitat sehen. Sorry, hätte ich in der Antwort an Eckard erwähnen sollen!

Schönen Abend!

Martin

plaenerdd

Hallo Martin,
sehr spannende Sache! Hast Du Dir die großen Stäbchen mal zwischen gekreuzten Pol-Filtern angesehen, wegen der vermuteten Kristall-Natur? Vielleicht sind sie ja doppelbrechend.
Beste Grüße
Gerd
Fossilien, Gesteine und Tümpeln mit
Durchlicht: Olympus VANOX mit DIC, Ph, DF und BF; etliche Zeiss-Jena-Geräte,
Auflicht: CZJ "VERTIVAL", Stemi: MBS-10, CZJ SMXX;
Inverses: Willovert mit Ph