Strömungslehre an Frontonia

Begonnen von Martin Kreutz, Februar 09, 2014, 20:57:02 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

heute möchte ich hier ein Video von der Funktion der kontraktilen Vakuole in Frontonia leucas zeigen, welches ich heute aufgenommen habe. Die Idee kam mir heute Vormittag ziemlich spontan, als ich mehrere von den Burschen in meinen Proben fand. Es geht speziell um den Effekt der Entleerung der KV. Normaler Weise registriert man als Mikroskopiker nur, dass die Vakuole pulsiert, aber man sieht nie das ausströmende Wasser. Man kann es jedoch indirekt beobachten, wenn man genau auf die Oberfläche (Pellikula) von Frotonia fokussiert und die ,,flatternden" Cilien beobachtet, welche durch das auströmende Wasser bewegt werden. Obwohl ich diesen Vorgang schon sehr oft beobachtet habe, findet ich ihn immer wieder faszinierend. Für alle, die es noch nicht gesehen haben, soll dass folgendes Video auch eine Motivation sein, es selbst mal zu versuchen. Das Video ist als HD Video mit meiner Olympus E-P1 aufgenommen wurde, hat aber beim komprimieren schon etwas eingebüßt:

http://www.youtube.com/watch?v=elHt-1T8nSM

Ein ähnliches Video hatte ich schon am 19.12.2007 im alten Forum eingestellt unter dem Titel ,,Einsichten in Frontonia". Da der ursprüngliche Webspace schon lange nicht mehr existiert, war es jahrelang nicht mehr sichtbar. Ich selbst habe es mir heute, nach 7 Jahren, auch mal wieder angesehen. Da kommen schon fast nostalgische Gefühle auf! Dieses Video wurde mit einer Casio Exilim Z1050 Konsumer Kamera aufgenommen, bei der ich mit einer sehr simplen Adaption das Bild des Projektives aufgenommen habe (s. http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=18799.msg143547#msg143547). Ich konnte nur über das Display der Kamera navigieren und fokussieren, und die Kamera hatte auch nur 640 X 480 Pixel. Das Video ist aber trotzdem noch ,,sehenswert" und ich hänge es hier mit an.

http://www.youtube.com/watch?v=WveI2RmO7BA

Die Funktion der kontraktilen Vakuole wurde später auch noch Mal an Paramecium caudatum von Christian Linkenheld gefilmt. Sein Video ist sogar noch aktiv und ich habe hier mal den link zu seinem Beitrag ins alte Forum gelegt:

http://www.mikroskopie.de/mikforum/read.php?2,40415,40415#msg-40415

Ich wünsche allen viel Spass beim anschauen und selber schauen!

Martin

Heiko

Danke Martin,
für diese ,,Blockbuster", wie man neudeutsch wohl sagen würde.

Und über das ,,Wie" des Funktionierens dieser Pori sind keine Einzelheiten bekannt?
Ob sich eine Analogie zu einem Kochtopfdeckel herstellen lässt, der sich bei übergroßem Dampfdruck kurzzeitig anhebt?

Dank auch für Deine Erklärung bezüglich der Schalenamöben.

Grüße, Heiko

Eckhard

Hallo Heiko,

ZitatUnd über das ,,Wie" des Funktionierens dieser Pori sind keine Einzelheiten bekannt?

natürlich ist die Funktion der kontraktilen Vakuolen intensiv erforscht worden. Da die Ciliaten die am höchsten entwickelten Einzeller sind, ist bei Ciliaten auch das Vakuolensystem recht komplex. Bei den Ciliaten ist das Vakuolensystem in Parametium besonders ausgefeilt.

Das Cytoplasma der Ciliaten ist durchsetzt von einem schwammartigen Netzwerk aus Mikrotubuli, dem Spongiom. Das Spongiom ist mit Sammelkanälen verbunden, die in Martins Video schön zu sehen sind. Der Mechanismus, durch den Wassser in das Spongiom gelangt, ist nicht wirklich geklärt. Die Hypothese ist, dass ein Ionengradient aufgebaut wird, so dass durch Osmose Wasser in das Spongiom und die Sammelkanäle gelangt (Ionenpumpe). Bei Paramecium sind zwischen den Sammelkanälen und der Vakuole noch sogenannte Ampullen als Zwischenspeicher im Spiel. Von den Sammelkanälen bzw. den Ampullen gelangt das Wasser in die Vakuole. Bei den meisten Einzellern wie z.b. Amöben fusioniert die Vakuole mit der Plasmamembran, um sich zu entleeren. Bei Ciliaten geht das aufgrund der komplexen Struktur der Oberfläche nicht. Deswegen sind bei Ciliaten stationäre Poren vorhanden. Der Mechanismus der Porenöffnung ist, soweit ich weiss, nicht bekannt.

Herzliche Grüsse
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

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smashIt

#3
Zitat von: Martin Kreutz in Februar 09, 2014, 20:57:02 NACHMITTAGS
Man kann es jedoch indirekt beobachten, wenn man genau auf die Oberfläche (Pellikula) von Frotonia fokussiert und die ,,flatternden" Cilien beobachtet, welche durch das auströmende Wasser bewegt werden.

ich habe so meine zweifel das das wirklich das ausströmende wasser ist

mein verdacht wäre folgender:
dadurch das das tierchen eingeklemmt ist können sich die wimpern klarerweise nicht bewegen
wenn sich jetzt die vakuole entleert entsteht direkt über der pore ein kleiner wasserpolster der den wimpern wieder genug platz gibt um ihre normale flimmerbewegung auszuführen
bei 2:24 sieht man auch schön wie sich die zelloberfläche beim ausstossen aus der schärfeebene hinaus bewegt (allso in die zelle hineingedrückt wird)
nach 1-2 sekunden ist der wasserpolster verschwunden und die wimpern sind wieder eingeklemmt
MfG,
Chris

Bildung ist das was uns vom Tier unterscheidet.

Funtech.org

Martin Kreutz

Hallo Chris,

prinzipiell ist es absolut korrekt alle Beobachtungen und Behauptungen zu hinterfragen. Wenn deine Theorie richtig ist, dass die Wimpern einfach nur Bewegungsfreiheit bekommen, um dann wieder zu schlagen, dann ist ja in dem Moment doch Wasser aus dem Porus ausgetreten, um diese Bewegungsfreiheit zu schaffen!? Außerdem erkennt man im Video, dass die Cilien keineswegs beginnen sich wieder im synchronen Gleichschlag zu bewegen, wie sie es normaler Weise tun, sondern von einem zentralen Punkt aus (dem Exkretionsporus) radial "weggeblasen" werden. Dies kann ich nur mit einem "abblasen" von Wasser aus dem Exkretionsporus interpretieren. Dass das Bild kurz an der Stelle unscharf wird, ist ja klar, weil durch den Wasseraustritt die Zellmembran dellenförmig nach unten aus dem Fokus gelenkt wird. Das Wasser muss ja zwischen Deckglas und Zelloberfläche abfließen.

Ich habe mich bzgl. der Funktion der KV auch nochmal schlau gemacht. Das aktuellste Werk, dass mir dazu vorliegt ist:

Hausmann, K., Hülsmann, N., Radek, R.: Protistology, Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung, Berlin, Stuttgart 2003.

Wie Eckard schon geschieben hat, verästeln sich die Sammelkanäle in dem Spongiosom, einem komplexen Kanalsystem mit Mikrotubuliummantelung. In den Membranen dieser Kanälen sitzen ATP'asen, die unter ATP Verbrauch einen Protonengradienten im Kanal aufbauen. Die positive Ladung der Protonen muss ausgeglichen werden und Anionen (z.B. Carbonat oder Chlorid) wandern aus dem Plasma nach. Schließlich entsteht in den Kanälen einen höhere Ionenkonzentration als im Plasma, was dazu führt, dass schließlich Wasser in die Kanäle einwandert, um dieses Ungleichgewicht auszugleichen. Die Kanäle füllen sich und leiten dass Wasser (eigentlich Salzlösung) in die kontraktile Vakuole, bis diese sich gefüllt hat. Wenn diese gefüllt ist, fusioniert die Membran der KV mit der Membran des Porus (eine Art dünnes Fenster). Das dabei nicht die ganze Zelloberfläche des Cliaten "aufreißt" ist der "Umrandung" des Porus zu verdanken. Die Fusion geschieht nur in dem vorbestimmten Bereich. Der Trick ist jetzt das Ganze wieder zu verschließen für den neuen "re-fill" der kontraktilen Vakuole, bei der wieder Kontakt mit zuführenden Kanälen aufgenommen werden muss. Wenn ich richtig verstanden habe, ist dieser Mechanismus noch nicht geklärt.

Schönen Abend!

Martin

Heiko

Hallo,

dann begrabe ich nach den neuerlichen Erklärungen meine Deckel-Topf-Analogie und versuche es mit platzenden Blubberblasen, die bei zweckentfremdetem Strohhalmgebrauch – in der Regel durch Kinder – in diversen Getränken entstehen.
Da die Phospholipid-Moleküle sich selbst reorganisieren, ist das Verschweißen des Risses nach dem Entweichen des Wassers möglich.
Ist dieses hemdsärmelige Erklärungsmodell genehmigungsfähig?

Viele Grüße,
Heiko

Martin Kreutz

Hallo Heiko,

ja, so etwa muss man es sich vorstellen. Ich habe folgenden Vergleich, auch mit Luftblasen von Kindern. In jedem Fläschen für Luftblasen für Kinder steckt doch dieser "Blasring" um die Luftblasen aufzublasen. Angenommen, man hätte zwei davon. Den ersten tauchen wir in die Seifenlösung, blasen aber keine Blase auf. Ein Seifenfilm bleibt aber im Ring. Das soll unser Porus sein. Mit dem zweiten Blasring blasen wir eine schöne Seifenblase auf, die sich schließlich vom Ring löst. Das soll unsere kontraktile Vakuole sein. Nun versuchen wir die "freie" Seifenblase mit "Film-Ring" einzufangen. Sobald sie den Ring berührt, verschmilzt sie mit dem dort stehenden Film. Die Luft entweicht aber noch nicht. Tippt man jetzt mit dem Finger auf den flachen Film im Ring, würde sich die eingefangene Blase entleeren, aber aus ihrem eigenen Material einen neuen Film im Ring bilden. So stelle ich mir das vor. Die Frage bei Paramecium ist nur, wer tippt mit dem Finger auf den flachen Film? Das ist der Trick von Paramecium!

Martin

Heiko

Hallo Martin,

Dein Erklärungsmodell ist plausibel – wobei mir allerdings bisher entgangen war, dass zwischen Porusmembran und Vakuolenmembran zu unterscheiden ist.

Und was spricht gegen die Annahme, dass lediglich der Wasser-Innen-Druck den temporären Membranriss auslöst?
Seifenblasen-Maschinen mit permanent-gleichmäßigem Luftstrom erzeugen ja auch relativ gleich große Blasen. Erreicht der Druckgradient im Paramecium einen bestimmten Wert, reißt die Membran – ohne besonderen Mechanismus. Ist das zu simpel gedacht?

Gruß, Heiko

smashIt

Zitat von: Martin Kreutz in Februar 10, 2014, 20:01:48 NACHMITTAGS
dann ist ja in dem Moment doch Wasser aus dem Porus ausgetreten, um diese Bewegungsfreiheit zu schaffen!?
...
Dass das Bild kurz an der Stelle unscharf wird, ist ja klar, weil durch den Wasseraustritt die Zellmembran dellenförmig nach unten aus dem Fokus gelenkt wird. Das Wasser muss ja zwischen Deckglas und Zelloberfläche abfließen.
hier sind wir einer meinung


Zitat von: Martin Kreutz in Februar 10, 2014, 20:01:48 NACHMITTAGS
Außerdem erkennt man im Video, dass die Cilien keineswegs beginnen sich wieder im synchronen Gleichschlag zu bewegen, wie sie es normaler Weise tun

ebenfalls hier

Zitat von: Martin Kreutz in Februar 10, 2014, 20:01:48 NACHMITTAGS
sondern von einem zentralen Punkt aus (dem Exkretionsporus) radial "weggeblasen" werden.

das kann ich allerdings in dem video nicht erkennen
die wimpern zeigen (jetzt bezogen auf diese stelle) vor und nach dem ausstoss immer von rechts unten nach links oben
man sieht sogar das viele wimpern im angepressten zustand unkoordiniert und mit unterschiedlicher geschwindigkeit zucken

bei 2:04 sieht man rechts unten eine weitere stelle die ohne hilfe der vakuole vom deckglas abhebt, und auch dort sieht man dieses flimmern

MfG,
Chris

Bildung ist das was uns vom Tier unterscheidet.

Funtech.org

Oecoprotonucli

Hallo Martin,

Danke für die schönen Videos!

Zitat von: Heiko in Februar 10, 2014, 22:12:59 NACHMITTAGS
Und was spricht gegen die Annahme, dass lediglich der Wasser-Innen-Druck den temporären Membranriss auslöst?
Seifenblasen-Maschinen mit permanent-gleichmäßigem Luftstrom erzeugen ja auch relativ gleich große Blasen. Erreicht der Druckgradient im Paramecium einen bestimmten Wert, reißt die Membran – ohne besonderen Mechanismus. Ist das zu simpel gedacht?

Hallo Heiko,

ja, ich denke es widerspricht dem ja bereits so weit erforschten Mechanismus, bei dem eben die zwei Membranen fusionieren:

Zitat von: Martin Kreutz in Februar 10, 2014, 20:01:48 NACHMITTAGS
Wenn diese gefüllt ist, fusioniert die Membran der KV mit der Membran des Porus (eine Art dünnes Fenster). Das dabei nicht die ganze Zelloberfläche des Cliaten "aufreißt" ist der "Umrandung" des Porus zu verdanken. Die Fusion geschieht nur in dem vorbestimmten Bereich.

Ob das etwas mit Druckverhältnissen zu tun hat, erscheint mir jetzt zweifelhaft (müsste man halt mal die angegebene Literatur auch lesen  ;) ). Nach diesem Modell kann man ja wohl auch behaupten, dass sich die Vakuolenmembran eben überhaupt erst an die Porusmembran annähert, wenn die KV fertig gefüllt ist. Und dann findet eine Exocytose statt. (Ob nach irgendeinem "typischen, klassischen" Prinzip, wie z.B. clathrin-coated vesicle oder nach einem anderen, kann ich jetzt natürlich auch nicht sagen, ohne eben die Literatur gelesen zu haben.)

Vielleicht fusionieren die Membranen grundsätzlich, wenn sie miteinander in Kontakt kommen. Nur kommen sie erst in Kontakt, wenn sich die KV entsprechend ausgedehnt hat.

Viele Grüße

Sebastian
Ich benutze privat:
Leitz SM-Lux mit (LED-) Durchlicht und Phaco-Ausrüstung (ca. 1975-77)
Hensoldt Wetzlar Stereomikroskop DIAMAL (1950er Jahre)

arturoag75

Very nice reportage Martin..thanks for sharing ;)
Arturo