Analyse des Schwimmverhaltens von Einzellern

Begonnen von Sebastian Hess, Oktober 09, 2014, 23:07:55 NACHMITTAGS

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Sebastian Hess

Liebe Freunde der Mikroskopie,

ich möchte mit Hilfe von Video-Mikroskopie das Schwimmverhalten eines Flagellaten analysieren. Messungen von Schwimmgeschwindigkeit und Rotationsfrequenz sind recht einfach zu messen. Die Flüssigkeitsströmungen, die zu der sehr eigenartigen Fortbewegung des noch unbeschriebenen Wesens führen, sind weniger einfach zu beobachten/zu verstehen. Zwei Strategien habe ich mir überlegt:

1) Ich würde gerne kleine, aber mikroskopisch bei 160x noch auflösbare Partikel einsetzen, um die Strömungen im Video sichtbar zu machen (sog. particle tracking). Gibt es jemanden, der Erfahrungen auf diesem Gebiet hat? Auch über Vorschläge für geeignete Partikel freue ich mich (sie müssen suspendierbar und kontrastreich sein).

2) Darüber hinaus möchte ich gerne die Bewegung der (stark vereinfachten) Zelle mittels numerischer Strömungsmechanik (Computational Fluid Dynamics) unter den gegebenen Parametern (kleine Reynolds-Zahl) simulieren und diese Ergebnisse mit den Lebendbeobachtungen vergleichen. Wer kennt sich hier aus?

Als Biologe habe ich beim Verständnis der Grundlagen ein paar Fortschritte gemacht, Erfahrung und Software-Empfehlungen fehlen mir allerdings. Gibt es jemanden, der mir hier weiterhelfen kann? Ich würde mich über Hilfe aus unserem technisch und wissenschaftlich sehr versierten Mikroskopie-Forum sehr freuen.

Beste Grüße,

      Sebastian Hess

Klaus Henkel

Zitat von: Sebastian Hess in Oktober 09, 2014, 23:07:55 NACHMITTAGS

Lieber Herr Hess!

Nachtigall hat im Mikrokosmos eine interessante physikal. Berechnung veröffentlicht (ich weiß nicht mehr wann), derzufolge für einen Einzeller die Viskosität vergleichbar ist, als wenn wir Menschen uns in Honig mittlerer Viskosität bewegen würden.

Das müßte wohl in solche Vergleiche mit eingehen?

Grüße!
KH

piu58

#2
> 2) Darüber hinaus möchte ich gerne die Bewegung der (stark vereinfachten) Zelle mittels numerischer Strömungsmechanik (Computational Fluid Dynamics) unter den gegebenen Parametern (kleine Reynolds-Zahl) simulieren und diese Ergebnisse mit den Lebendbeobachtungen vergleichen. Wer kennt sich hier aus?

Ich, ein wenig. Es gibt eine CFD-Freeware namens Foam. Diese arbeitet ganz gut, ich habe vor ein paar Jahren einmal ein paar einfache Modelle gerechnet.

Bei der Simulation partieller Differentialgleichungen des Kontinuums mit "Hausmitteln" kommt es vor allem darauf an, das Problem zu vereinfachen. Also keinesfalls ein Gebiet mit mehreren Zellen simulieren, auch eine ganze Zelle in 3D kann zuviel sein. Man kann die Simlationen teilen, und verschiedene Untersuchungen zusammensetzen. Zum Beispiel am groben Umriss der Zelle die Vorwärtsbewegung an sich studieren und die Bewegung der Geißeln getrennt berechnen (einfach eine Geißel an einer Ebene). Ich würde mit zweidimensionalen Untersuchungen beginnen.

Da ich nicht glaube, dass hier Turbulenzen auftreten (diese Art von Energieverlust kann sich die Natur nicht leisten), kann man mit den mathematische viel einfacheren Potentialansätzen arbeiten. Dort bekommt man die relative Verteilung der Zielgrößen (Druck und Geschwindigkeit) heraus. Absolut kalibrieren kann man sie über Reynolds/Prandtl-Zahlen.
Bleibt dran, am Okular.
--
Uwe

Sebastian Hess

Lieber Herr Henkel, das stimmt. Organismen dieser Größe leben in einer Welt, die von Viskositätskräften dominiert ist, während Trägheitskräfte vernachlässigbar sind (das beschreibt die Reynolds-Zahl). Würde man eine ähnliche Situation im Makrokosmos erzeugen wollen, müsste man die Viskosität des Fluids erhöhen (diese steht im Nenner der Gleichung).

Lieber pui58, danke für die Hinweise. Ja, an OpenFoam habe ich auch gedacht. Soweit ich das sehe, ist es eine Software für Linux und recht kompliziert, oder? Wenn ich wüsste, dass ich damit einigermaßen umgehen kann/zum Ziel komme würde ich mir dafür ja Linux installieren.

Das Problem kann ich stark vereinfachen, indem ich den Zellumriss als 2D Objekt beschreibe. De Geißel steht bei der Bewegung übrigens still, zumindest relativ zum Zellkörper. Es ist lediglich eine Rotation nötig.

Die Reynoldszahl möchte ich gerne nach meinen Messungen am lebenden Organismus ermitteln (Größe, Geschwindigkeit).
Dazu habe ich auch noch eine Frage: Die Zelle rotiert um die eigene Achse und bewegt sich dabei seitlich fort. Die Oberfläche der Zelle bewegt sich also zur Fortbewegungsrichtung in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Die Formeln zur Reynoldszahl beziehen sich auf eine sich durch ein Fluid bewegende Kugel. Kann und Sollte man diese Differenz (Bewegungsgeschwindigkeit, Geschwindigkeit an der Zelloberfläche) berücksichtigen, oder ist es für die Größe der Reynoldszahl ohne großen Belang?

Bin für jede Form der Hilfe sehr dankbar. Beste Grüße,

     Sebastian Hess

piu58

#4
> Software für Linux und recht kompliziert, oder?
Es gibt eine Windows-Portierung. Falls sich diese nicht mehr finden lässt: Irgendwo in meinem CD-Archiv habe ich eine mehrere alte Jahre Kopie.

> Die Formeln zur Reynoldszahl beziehen sich auf eine sich durch ein Fluid bewegende Kugel.

Reynolds hat Rohrströmungen untersucht. Die charakteristische Länge war der Rohrdurchmesser. Wenn man dies auf andere Geometrien übertragen will, muss man eine charakteristische Länge annehmen. Bei Kugeln ist das einfach. Bei einem Auto z.B. kann man die gesamte Karosse heranziehen (entstehen hier Turbulenzen? Hoffentlich nicht!) oder den Spiegel (hier können schon eher einmal Turbulenzen entstehen).

> Die Zelle rotiert um die eigene Achse und bewegt sich dabei seitlich fort... berücksichtigen, oder ist es für die Größe der Reynoldszahl ohne großen Belang?

Nach meinem Verständnis ist die Rotation zumindest bei einer laminaren Bewegung ohne Belang. Laminar heißt: Sowohl die Forwärtsbewegung als auch die Rotation liegen deutlich unter der Turbulenzgrenze. Eine rotierende Kugel oder ein Ellipsoid bewegen sich im konservativen Feld rotierend und nicht rotierend genau gleich.
Bleibt dran, am Okular.
--
Uwe

Johannes Kropiunig

#5
Hallo Sebastian,

Zitat1) Ich würde gerne kleine, aber mikroskopisch bei 160x noch auflösbare Partikel einsetzen, um die Strömungen im Video sichtbar zu machen (sog. particle tracking). Gibt es jemanden, der Erfahrungen auf diesem Gebiet hat? Auch über Vorschläge für geeignete Partikel freue ich mich (sie müssen suspendierbar und kontrastreich sein).

Nur so eine Idee, vielleicht gäbe es da ja etwas passendes für diesen Zweck ?
https://www.boesner.at/farben/pigmente

Da ist noch etwas zu deren Korngrößen:
http://kremer-pigmente.de/de/Info/korngroessen

Viele Grüße,
Johannes
Biologische Mikroskop: Zeiss Standard 16
Stereomikroskop: Lomo MBS 10
Kameras:  EOS 1100D, EOS 1000D, EOS 1000Da, und EOS 350Da Peltier gekühlt

Sag es mir - und ich werde es vergessen. Zeige es mir - und ich werde mich daran erinnern. Beteilige mich - und ich werde es verstehen.
Laotse

Sebastian Hess

Liebe Leute,

zu den Partikeln: Mit Tusche bin ich nicht zufrieden, die Partikelgrößen sind sehr unterschiedlich und es gibt auch Aggregate. Ich denke, dass dies auch bei Farbstoffen der Fall sein kann. Ein guter Bekannter hat mir einen denkbar einfachen Tipp gegebenen: Man suche sich ein passendes (kokkales) Bakterium aus. So kann man sich seine Partikel unbegrenzt nachzüchten und sie sind im DIK bestens sichtbar, sonst muss man die Bakkis vorher anfärben. Bei hygienischen/gesundheitlichen Bedenken kann man die Bakterien vor der Anwendung pasteurisieren/autoklavieren.

Das Thema Software/Simulation scheint schon anspruchsvoller zu sein. Ich werde mal schauen, ob jemand im Raum Köln/Bonn bzw. NRW mit Computational Fluid Dynamics arbeitet und mich mal zugucken lässt. Sonst müsste ich mich selber in OpenFoam o.ä. einarbeiten. Ich hätte aber gerne erst einmal die Anwendung gesehen, um ein paar Abschätzungen zu machen, ob die Methode bei meiner Frage zielführend ist.


Besten Dank schon einmal.
Weiterhin offen für Ideen,

Sebastian

Klaus Henkel

Zitat von: Sebastian Hess in Oktober 12, 2014, 09:39:13 VORMITTAG
Liebe Leute,
zu den Partikeln: Mit Tusche bin ich nicht zufrieden, die Partikelgrößen sind sehr unterschiedlich und es gibt auch Aggregate.
Sebastian

Lieber Herr Hess!
Die kleinsten und regelmäßigsten Partikel hat Chinesische Tusche - am Stück. Man muß sie reiben und umrühren bis eine gleichmäßige Suspension entstanden ist. Man bekommt sie nicht im Schreibwarengeschäft, sondern beim "Künstlerbedarf".

"Die Alten" machten es immer so.

Beste Grüße!
KH