Botanik: Blatt der Igel-Agave (Agave stricta) *

Begonnen von Fahrenheit, Oktober 10, 2014, 17:24:53 NACHMITTAGS

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Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

Proben vom Blatt einer Igel-Agave (Agave stricta) waren im Mai das zweite Mitbringsel aus dem Botanischen Garten der TU Darmstadt am Rande der Kornrade 11. Wie schon im vorangegangenen Thread zur Großen Osterluzei bin ich erst Anfang Oktober dazu gekommen, die Schnitte und Präparate anzufertigen.

Kurz vorweg: die kleine Agave hat im Querschnitt fast runde Blätter, die letztendlich einem auf dem Kopf stehenden Dreieck mit Kielen oder Kanten an den Seiten ähneln. Nach so langer Zeit zwischen Probenahme und Präparation habe ich die beiden Dosen verwechselt und mein erster Blick auf den "Blattquerschnitt der Igel-Agave" brachte folgendes Bild zu Tage:

Bild 1: "Blattquerschnitt Igel-Agave" Makroaufnahme mit der Canon S3is


Die Leser des Threas zur Großen Osterluzei wissen: dies ist ein Sproßquerschnitt von Aristolochia gigantea. Aber man geht ja zunächst nicht unbedingt von einem Fehler wie der Verwechselung der Proben aus ...
Also habe ich angefangen zu überlegen: das Blatt der Igel-Agave ist fast rund und siehe: das ist doch der Aufbau eines Rollblattes mit der ehemaligen Mittelrippe unten links und den nach oben rechts, zur Verwachsungsstelle hin, kleiner werdenden Nebenleitbündeln. Die Stomata haben ausgeprägte Cuticularhörnchen und sind sehr klein -> Trockenanpassung, kommt hin.
Allerdings: wie alle Agaven gehört die Igel-Agave in die Familie der Spargelgewächse (Asparagaceae) und das sind Monokotyledonen. Offen kollaterale Leitbündel mit Cambium im Blatt einer Monokotyledone? Da Hobby-Botaniker eher selten Entdeckungen machen, die dann im Biologie Nobelpreis enden, war es nun also Zeit, Detlef zu fragen. Der antwortete wie immer freundlich und kompetent und hier in Kurzform wieder gegeben: Nee, da stimmt was nicht, hast 'nen Fehler gemacht.

Recht hat er und mir ist dann beim genauen Studium der seinerzeit begleitend erstellten Fotos aufgefallen, dass da ja die Kiele fehlen und das Agavenblatt eben nicht rund ist. Detlef hat das ganze aber auch keine Ruhe gelassen und da er gerade in Darmstadt zu tun hatte, hat er dankenswerter Weise gleich eine neue Probe vom Blatt der Igel-Agave genommen und Bilder von Schnitten des unfixierten Frischmaterials gemacht.
Da hatte ich also meine Lektion in Sorgfalt - danke Dir Detlef! Und außerdem können wir uns hier dank Detlefs Fleiß auch Bilder vom Frischmaterial im Vergleich zu den Bildern der gefärbten Schnitte ansehen.

Warum schreibe ich das hier? Ich finde, man lernt auch und vielleicht sogar besonders viel aus seinen Fehlern, gerade, wenn man in der Diskussion mit einem Freund darauf hingewiesen wird.


So, nun aber wie gewohnt, zunächst was zur Igel-Agave selbst:

Agave stricta ist eine Pflanzenart aus der Gattung der Agaven (Agave) in der Familie der Spargelgewächse (Asparagaceae). Ein englischer Trivialname lautet ,,Hedgehog Agave" - weshalb ich die Pflanze hier im Deutschen Igel-Agave genannt habe. Die Erstbeschreibung durch Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck ist 1859 veröffentlicht worden. Synonyme sind Agave striata var. stricta Baker und Agave striata subsp. stricta B.Ullrich.
Agave stricta ist ein Vertreter der Gruppe Striatae. Die Art ist verwandt mit Agave striata, von der sie sich in der Wuchsform und der Blatt- und Blütenstruktur nur gering unterscheidet.

Die Igel-Agave wächst in semiariden Regionen in Mexiko in den Bundesstaaten Puebla und Oaxaca an kalkhaltigen Hängen und erreicht dabei Regionen in Höhen bis zu 1850 m. Sie ist vergesellschaftet mit zahlreichen Kakteen- und Sukkulentenarten. Sie kann bei trockenem Stand kurze Frostperioden bis minus 4 °C vertragen.

Bild 2: Agave stricta im Gewächshaus der Botanischen Gartens der TU Darmstadt


Agave stricta bildet mit der Zeit 1 bis 2 m lange Stämme aus, die sich verzweigen. So entstehen im Alter kugelförmige, mehrköpfige Rosetten. Die linealisch bis lanzettförmigen und leicht sukkulenten grünen Blätter sind 25 bis 50 cm lang und werden bei einem leicht dreieckigen Querschnitt 0,8 cm breit. Die hellgelben Blattränder sind angeraut und fein gezahnt. Der nadelartige graue Enddorn wird 1 bis 2 cm lang.

Bild 3: Etwas näher heran ...


Der ährige, gerade bis gebogene Blütenstand wird 1,5 bis 2,5 m hoch und trägt rote bis purpurfarbenen Blüten. Diese sind 25 bis 30 mm lang und erscheinen paarig an kurzen Stielen. Die trichterförmige Blütenröhre ist 8 bis 10 mm lang. Die Blütezeit reicht von Juni bis August.

Nach der Blüte bildet die Pflanze eiförmige dreikammerigen Kapselfrüchte mit einer Länge von 12 bis 14 mm bei einer Breite von etwa 10 mm aus. Diese enthalten viele ovalige schwarze Samen mit einer Größe von etwa 3 * 3 * 4 mm.


Kurz zur Präparation:

Geschnitten habe ich das in AFE fixierten Blatt freistehend auf dem Zylindermikrotom mit Leica Einmalklingen im SHK-Klingenhalter. Die Schnittdicke der hier gezeigten Querschnitte beträgt ca. 50 µm.

Gefärbt habe ich mit W3Asim II nach einem Rezept von Rolf-Dieter Müller. Entsprechende Arbeitsblätter können im Downloadbereich der MKB-Webseite herunter geladen werden. Eine ausführliche Beschreibung der Färbung findet sich hier.

Eingedeckt sind die Schnitte - nach gründlichem Entwässern in reinem Isopropanol - in Euparal.


Und noch ein wenig zur Technik:

Alle Aufnahmen auf dem Leica DME mit den 5x und 40x NPlanen sowie den 10x und 20x PlanApos. Die Kamera ist eine Canon Powershot A520 mit Herrmannscher Okularadaption. Zur Zeit nutze ich ein Zeiss KPL 10x, das mit den Leica-Objektiven sehr gut harmoniert. Die Steuerung der Kamera erfolgt am PC mit PSRemote und der Vorschub manuell anhand der Skala am Feintrieb des DME.

Alle Mikroaufnahmen sind mit Zerene Stacker V1.04 (64bit) gestackt. Die anschließende Nachbereitung beschränkt sich auf die Normalisierung und ein leichtes Nachschärfen nach dem Verkleinern auf die 1024er Auflösung (alles mit XNView in der aktuellen Version). Bei stärker verrauschten Aufnahmen lasse ich aber auch mal Neat Image ran.


Jetzt zu den Schnitten!

Das sieht doch gleich ganz anders aus! Der Blattquerschnitt in der Übersicht:

Bild 4: Makroaufnahme vom gefärbten Präparat (Blattquerschnitt Agave stricta), Canon S3is


Gar nicht so ungewöhnlich für eine Agave und Monokotyledone. Im Umfangreichen Parenchym (Sukkulenz) liegen Leitbündel mit großen Sklerenchymkappen regelmäßig verteilt. Der Durchmesser beträgt etwa 3,5 mm. Schön sind die Blattkanten zu erkennen, in denen je ein Leitbündel mit besonders großer Sklerenchymkappe sitzt.
Auch immer wieder interessant: die unterschiedliche Farbwirkung des gleichen Färbeprozesses bei unterschiedlichen Pflanzen, hier im Vergleich der Bilder 1 und 4.

Schauen wir zunächst nach dem Aufbau im Zentrum und am Rand des Blattes.

Bild 5a,b: Zentrale Leitbündel und Parenchym, Bild 5b mit Beschriftung; Vergrößerung 50x, Stapel aus je 11 Bildern


Informationen zu den Abkürzungen in den Bildern 9a und b sowie den folgenden beschrifteten Bildern findet Ihr wie immer auf der Webseite des MKB: Tabelle mit den Kürzeln und den zugehörigen allgemeinen Erläuterungen.

Bild 6a,b: Abschlussgewebe und randständige Leitbündel, Bild 6b mit Beschriftung; Vergrößerung 100x, Stapel aus je 13 Bildern


Unterhalb des in der Bildmitte oben gelegenen Leitbündels zeigt sich eine längs angeschnittene Querverbindung. Durch diese ist sicher gestellt, dass alle Blattteile auch nach einer lokalen Verletzung eines Leitbündels noch gut versorgt werden können.
Am oberen Blattrand erkennt man die Epidermis mit der dicken Cuticula auf einer einreihigen Hypodermis. Darunter folgt das Parenchym, in das die Leitbündel eingebettet sind.
Rechts und links des mittleren Leitbündels sind auch zwei Stoma zu sehen.

Nun zum Kiel:

Bild 7a,b: Kiel am Rand des Agavenblattes, Bild 7b mit Beschriftung; Vergrößerung 200x, Stapel aus je 14 Bildern


Auffällig hier die besonders ausgeprägte äußere Sklerenchymkappe. Von der Zähnung aus der Beschreibung oben ist hier im Querschnitt leider nichts zu sehen.

Zeit, beim Leitbündel mal genauer hin zu sehen! Das Bild vom Frischen Schnitt stammt von Detlef.

Bild 8a,c: Leitbündel im Blatt der Igel-Agave, Bild 8a Frischmaterial, Bild 8c mit Beschriftung; Vergrößerung in den Bildern b&c 200x, Stapel aus je 6 Bildern



Hier sehen wir ein geschlossen kollaterales Leitbündel ohne Cambium, wie es sich für eine Monokotyledone gehört.

Zum Schluss noch ein Stoma, auch mit einem Bild vom Frischmaterial aus Detlefs Hand.

Bild 9a,c: Stoma im Blatt der Igel-Agave, Bild 9a Frischmaterial, Bild 9c mit Beschriftung; Vergrößerung in den Bildern b&c 400x, Stapel aus je 12 Bildern



Die Stomata finden sich sowohl an der Blattunter- als auch an der Blattoberseite. Detlef schreibt zu seinem Bild: Spaltöffnung - Xeromorphismus par excellence! Beachte den verengten Kanal durch die dicke Cuticula! Und die dicken Amyloplasten wie Kulleraugen!
Von der Außenkante bis zur Spaltöffnung misst der Vorhof rund 27 µm, der Spalt zwischen den Schließzellen ist dagegen nur etwa 16 µm lang. Die Cuticula erreicht regulär eine Dicke von gut 10 µm. Man sieht: die Agave hat einiges getan, um die Verdunstung gering zu halten. Eine gute Anpassung an trockenes, sonnenreiches Klima an ggf. auch noch in großer Höhe liegenden Standorten.

Vielen Dank für's Ansehen, Anmerkungen und Kritik sind wie immer willkommen.

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Manfred Ulitzka

Hallo Jörg,

schön, ausführlich und informativ wie immer!
Für die Agave bin ich besonders dankbar. Die habe ich auch schon mit Schülern geschnitten und nun kann ich auf Deinen schönen Fotos auch sehen, dass das, was ich im Unterricht erzähle auch wirklich stimmt.  :)
Natürlich haben wir das nie so schön gesehen wie hier durch Deine perfekten Färbungen dargestellt.

Herzliche Grüße

Manfred.
www.thrips-iD.de    -    www.thysanoptera.de

Anatol

Hallo Jörg.

Guter Arbeit, tolle Bilder!
Vielen Dank!

Meine Präparation 2011 Jahre:


Herzliche Grüße

Anatoly

Hans-Jürgen Koch

Hallo Jörg,

Gratulation zu Deiner interessanten Arbeit.

Gruß

Hans-Jürgen
Plants are the true rulers - Pflanzen sind die wahren Herrscher.

<a href="http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=2650.0" target="_blank">Hier geht es zur Vorstellung</a>

Gerne per "Du"

Fahrenheit

Liebe Freunde,

vielen Dank für Euer Lob, schön, dass Euch die Aufnahmen und Erläuterungen gefallen.

Lieber Manfred,

wenn Du magst, kannst Du gerne auch die Bilder verwenden. Hohe Auflösung gefällig? :)

Lieber Anatoly,

schön, dass Du Deine schöne Aufnahme dazu stellst. Ich finde es immer interessant, auch andere Präparate einer Pflanze zu sehen, da es so möglich ist einen Eindruck von der anatomischen Bandbreite zu gewinnen.
Ist es eine zusammengesetzte Aufnahme oder hast Du ein Übersichtsobjektiv mit kleiner Vergrößerung (mein kleinstes ist ein 5x NPlan), das eine Totalaufnahme erlaubt?

Allen herzliche Grüße
Jörg
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Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Anatol

Zitat von: Fahrenheit in Oktober 13, 2014, 08:19:10 VORMITTAG
Ist es eine zusammengesetzte Aufnahme oder hast Du ein Übersichtsobjektiv mit kleiner Vergrößerung (mein kleinstes ist ein 5x NPlan), das eine Totalaufnahme erlaubt?

Das ist  zusammengesetzte Aufnahme, Panorama aus  6 Sektoren. Das Objektiv Planachromat 10x.
Herzliche Grüße

Anatoly