Warum Tubusauszug bei historischen Mikroskopen?

Begonnen von Lupus, November 07, 2014, 23:45:43 NACHMITTAGS

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Gunther Chmela

Hallo lieber Dünnschliffbohrer (kann man Dich eigentlich auch mit - irgendeinem! - Namen ansprechen?),

ich wollte Dir ja gar nicht widersprechen. Natürlich bietet der ausziehbare Tubus eine sehr einfache Möglichkeit, die Bauhöhe des Revolvers auszugleichen. Es könnte sogar sein, daß nur solche Mikroskope diesen von mir erwähnten Ring hatten, die eben nicht mit Auszugstubus ausgestattet waren. Ich kann das nicht nachprüfen.

Grüße
Gunther

P.S.: Ich heiße übrigens Gunther, nicht Günther.

Lupus

Hallo,

die Korrektur der Bildfehler aufgrund falscher Deckglasdicke durch Tubuslängenanpassung wird in der historischen und "halbhistorischen" Literatur, wie u.a. in den Beiträgen beschrieben, gelegentlich erwähnt. Hat denn jemand wirklich Erfahrung damit?

Ich habe an der allgemeinen Wirksamkeit meine Zweifel wenn ich das Funktionsprinzip betrachte:
Die abweichende Deckglasdicke verursacht durch die Brechung an der Planplatte andere virtuelle, vom Einfallswinkel abhängige Gegenstandsweiten, als beim Objektivdesign zugrunde lagen. Und dadurch unterschiedliche Bildweiten ähnlich der spärischen Aberration (und noch weitere Fehler). Die Korrektur-Idee besteht darin, dass man durch Veränderung der Tubuslänge (= Bildweite) bewusst einen ähnlichen Bildfehler in die Gegenrichtung erzeugt, da auch durch eine falsche Gegenstandsweite am Objektiv ein vom Einfallswinkel abhängiger Öffnungsfehler entsteht. Im Idealfall heben sich die Effekte auf. Inwieweit das funktioniert, insbesondere über das ganze Bildfeld, hängt aber m.E. sehr stark vom jeweiligen Design des Objektives ab.

Hubert

Klaus Henkel

#17
Werte, kommende Tubuslängenspezialisten!

Wie sollte jemand der jetzigen Generation mit der seit 50 Jahren obsoleten Tubuslängenverstellung zwecks Ausgleich fehlerhafter Deckglasdicke damit Erfahrung haben. Eventuell neunzigjährige Mikroskopiker, die noch immer darauf bestehen, mit ihrem alten Messinginstrument aus den Zwanzigern zu arbeiten. Ich fürchte, daß es von denen nur noch wenige gibt. Andere tun sich so einen Tort doch wirklich nicht an.

Mich frustriert, daß ich in dieser Diskussion mehrmals ungültige Argumente habe lesen müssen. Zum Beispiel: Ich glaube oder ich glaube nicht sind keine zulässigen Argumente in einer sachlogischen Diskussion. Wer etwas glaubt oder nicht, ist irrelevant. Ich bitte alle Diskutanten, rein sachlogische Argumente zu verwenden, sogenannte Tatsachen.

Doch ist, wie überall, auch eine bestimmte Glaubenssache erlaubt: Wer glaubt, daß tausende Mikroskopiker, deren Wissen und einfache Versuchsanordnungen in die umfangreiche mikr. Fachliteratur eines ganzen Jahrhunderts eingeflossen sind, und daß man jenen Fachoptikern diesbezüglich ruhig erst einmal glauben kann, wird im Regelfall nicht gänzlich falsch liegen.

Nichts für ungut.
Und einen schönen Abend.
KH

Gunther Chmela

Lieber Herr Henkel,

ich schließe mich Ihren Ausführungen ausdrücklich an! Auch ich wundere mich über die Art, wie z.T. über eine Technik geurteilt wird, die immerhin einige Jahrzehnte "Stand der Technik" im Mikroskopbau gewesen ist.

Aber zusätzlich noch dies: Ich bin zwar noch keine neunzig, habe aber trotzdem gewisse Erfahrungen mit den diskutierten Auszugtuben. Ich besaß lange Zeit ein schwarzes Winkel-Zeiss mit so einem Tubus. Ich habe die Möglichkeit der Veränderung der Tubuslänge vor allem dazu benützt, am gleichen Stativ Zeiss- und Leitz-Objektive zu verwenden. Doch auch die Kompensation der sphärischen Aberration durch falsche Deckglasdicke bei hochaperturigen Objektiven ließ sich damit hervorragend erreichen (im Göke steht genau, wie das zu machen ist). Ich glaube also nicht, ich weiß!

Herzliche Grüße
Gunther Chmela


treinisch

Hallo Herr Henkel,

Zitat von: Klaus Henkel in November 10, 2014, 18:02:41 NACHMITTAGS
Mich frustriert, daß ich in dieser Diskussion mehrmals ungültige Argumente habe lesen müssen. Zum Beispiel: Ich glaube oder ich glaube nicht sind keine zulässigen Argumente in einer sachlogischen Diskussion.

da ist nun mein Fachgebiet berührt und ich möchte feststellen, dass diese Feststellung leider en gros und en Detail fehl geht.

Zunächsteinmal entscheiden die Diskutanten über den Modus einer Diskussion. Völlig selbstverständlich ist, dass sehr wohl auch sachliche Themen im Rahmen von Auffassungen diskutiert werden können. Ob die Teilnehmer eine sachlogische Diskussion wünschen, oder nicht, bleibt ihnen selbst überlassen. In aller Regel wird man keine sachlogische Diskussion wünschen, da sich fast alle Themen einer solchen entziehen und in aller Regel der wirkliche zwischenmenschliche Gewinn gerade aus dem Austausch von Ansichten, Erfahrungen und Deutungen ergibt.

Gerade das Vorkommen von Indikatoren wie ,,¡ch glaube" zeigt an, dass eine rein sachlogische Erörterung eben nicht gewünscht ist. Der umgekehrte Schluss ist logisch unzulässig.

Selbstverständlich wird ein Argument auch nicht dadurch ungültig, dass es nicht auf einer unumstößlichen Tatsache beruht, ich denke, diese Ansicht ist mal gepflegt 1000 Jahre älter als der älteste Ausziehtubus.

Zu den einzelnen Fundstellen:

1. ,,die Mikrofibel gab es damals, glaube ich, noch nicht"

Trivial offensichtlich eine Tatsache. ,,Glaube ich" dient hier nicht zum Ausdruck einer Meinung sondern als Stilmittel zur Bekräftigung.

2. ,,Ich glaube nicht das diese alten Mikroskope mit Trinos verwendet wurden."

Trivial offensichtlich eine Tatsache. ,,Glaube ich" dient hier als Modulationspartikel um den Vertreter einer vermutlich irrsinnigen Meinung nicht zu düpieren.

3. ,,Ich glaube, das ist Johannes Frage, oder?"

In diesem Fall ist die Phrase ,,ich glaube" ebenfalls ein Modulationspartikel. Modulation ist unter freundlichen Menschen beim spekulieren über fremde Intentionen zwingen vorgeschrieben.



Das waren auch schon alle Fundstellen. Gang normaler zwischenmenschlicher Umgang, kein einziges ,,ich glaube" in zentralen Argumenten.

Befund offensichtlich diskutieren hier keine Androiden, ein Befund, der eigentlich höchstens Androiden frustrieren sollte.

Mit herzlichen Grüßen

Timm Reinisch

Gerne per Du!

Meine Vorstellung.

Lupus

Sehr geehrter Herr Henkel,

ich finde Ihren letzten Beitrag doch bemerkenswert. Ich habe in meiner kritischen Anmerkung über die Deckglaskorrektur den Begriff "ich glaube" zwar nicht verwendet, vermute aber dennoch dass der gesamte Beitrag sich auf mich bezieht (ich vermeide jetzt das Wort glaube  ;D). Ich habe da durchaus "sachlogische Argumente" verwendet; nur die Schlussfolgerung war erkennbar eine Vermutung - auch um eine Sachdiskussion zu diesem Thema zu provozieren.  ;)

Ihre Meinung, die jetzige Generation könne mangels Mikroskope mit Tubusverlängerung keine Erfahrung mehr damit sammeln, halte ich für falsch. Denn gerade heute, wo viele Mikroskopiker mit Fotoaufsätzen arbeiten und die Bildweite in weiten Grenzen einstellen können, liegen Experimente damit geradezu auf der Hand.

Ich bin da eben wissenschaftlich orientiert und ziehe Nachweise und fundierte Begründungen einschließlich der damit verbundenen Diskussion vor. Daher bin ich auch dankbar für die qualifizierten historischen Literaturnachweise von Timm und Jon. Hingegen war Ihre Antwort "Da er skaliert war, diente er dazu, die gewünschte Tubuslänge einzustellen. Es obliegt Ihrer Fantasie sich die unterschiedlichen Gründe einfallen zu lassen..." - sehr vorsichtig formuliert -ziemlich trivial und auch wenig hilfreich.

Erläutern Sie mir bitte wenigstens, woher ich wissen soll, dass früher tausende Mikroskopiker die Tubuslänge zur Korrektur einer falschen Deckglasdicke verwendet haben. Und vielleicht auch, woher Sie das so genau wissen. Es wäre Ihnen ja schließlich problemlos möglich, weitere Informationen (wie z.B. der gefallene Hinweis auf den "Göke") hier preiszugeben. Meine eigene wissenschaftliche Lebenserfahrung sagt mir nämlich, dass Literaturzitate noch lange nichts über die Praktikabilität und Verbreitung von Techniken aussagen. Und manchmal sind sogar Fehler enthalten, wie z.B. bei der im Kapitel "Deckglasdicke messen" der Mikrofibel zitierten Formel über die geänderte Objektivvergrößerung bei Tubusauszug. Und ich muss mich auch wundern, dass Sie die Methode plötzlich so verteidigen, wo Sie dort doch kritisch schreiben: "Eine Tubuslängenänderung von 12.8 mm kann aber das Bild eines ordentlich korrigierten Objektivs mit hoher numerischer Apertur völlig verderben."  ???

Hubert

the_playstation

#21
Hallo.
Meine persönliche Vermutungen:
1.) Heutige Optiken sind sehr exakt berechnet. Auf eine sehr exakte Tubuslänge, einem exakten Objektiv - Objekt - Abstand, berechneten Kondensorsystemen, ...
2.) Frühere Optiken sind wahrscheinlich einfacher, fehlerhafter, ... so daß die Vorteile einer Tubuslängenveränderung mögliche Nachteile einer Verfälschung der berechneten Optik überwiegen.
3.) Mögliche Gründe währen z.B. Transportvorteile, ein Dioptrinausgleich, Korrekturen nicht nur von Deckgläsern sondern div. Schichtarten über oder im Objektweg (z.B. bei Planktonuntersuchungen).
Die Möglichkeit eines stufenlosen Zooms sind auch nicht zu verachten.

Ganz früh, vor dem Einsatz von gerechneten Objektiven wäre auch der Einsatz gepröbelter Objektive mit völlig unterschiedlichen Daten möglich. Ich frage mich. Warum nicht. Heute, mit den sehr exakt berechneten Linsensystemen macht es keinen Sinn mehr, da dadurch das Bild unnötige Bildfehler aufweisen würde. Aber diese extrem exakten Optiken gab es nicht immer. Auch heute gibt es noch Kindermikroskope oder gebastelte Mikroskope mit variabler Tubuslänge. Auch bei Ihnen überwiegen die Vorteile einer Tubuslängenveränderung.

Das soll jetzt nicht heißen, daß die Optik der gezeigten Mikroskope schlecht war. Aber wahrscheinlich auch nicht so gut wie die eines hochmodernen Plan-Apo-Objektives, ...

Meiner Meinung müßte ein praktischer Test Aufschluß darüber geben, wie gut eine Verstellung der Tubuslänge funktioniert. Manchmal ist die Praxis besser als 1000 Vermutungen, Glaubensarten oder theoretischen Betrachtungen.

EDIT: Balgengeräte waren früher auch sehr beliebt. ;)

Liebe Grüße Jorrit.
Die Realität wird bestimmt durch den Betrachter.

Dypsis

Hallo,

man kann das auch von der praktischen Seite betrachten.
RMS-Gewinde und andere Objektivgewinde wurden über Jahrzehnte nebeneinander angeboten (und daraus resultierend unterschiedliche Baulängen). Selbst innerhalb des Sortiments eines Anbieters wurde lange Zeit zweigleisig gefahren (z.B. bei Leitz. Hier wurde in Deutschland noch das hartnacksche Innengewinde angeboten, für den Export wurde das RMS-Gewinde im Tubus verwendet).
Seibert hatte wieder andere Gewinde. Auch von Zeiss gab es erstaunlich lange Zeit Objektive, die noch über ein hartnacksches Gewinde verfügten, mit einem aufgeschraubten RMS-Adapter.
Die Baulängen waren natürlich stark unterschiedlich. Auch war es üblicher, die Objektive verschiedener Hersteller einzusetzen (Immersionsobjektive z.B. entstanden ja erst so nach und nach, bei ziemlich unterschiedlichen Qualitäten) Ob mit Revolver oder ohne, mit Zangenwechsler etc. war auch deutlich gemischter als heute.
Es war für einen Anwender mit Sicherheit nicht so eindeutig zu erkennen, wohin die Reise geht. Hersteller stellten ihre Tubuslängen um, man musste zwischen verschiedenen Herstellern wechseln, Objektivbauweisen änderten sich, es war also sicher sinnvoll sich in Sachen Tubuslänge nicht festzulegen.

Das allleine würde mir als Grund mehr als ausreichend erscheinen warum es einen Tubusauszug gab bzw. warum dieser lange Zeit Standard war.

Grüße
Thomas
Ich bevorzuge das forumsübliche Du!

Dypsis

... ach ja, eines noch. Das Argument mir der Transporterleichterung, das kann man wohl getrost vergessen. In den Kisten* war mehr als reichlich Platz um das Mikroskop auch mit ausgezogenen Tubus einzustellen (ich habe so ungefähr im dreistelligen Bereich Messingstative (meist mit Schrank) hier herumstehn). "Platz"-ersparnis stand hier nie im Vordergrung (leider)

Ausnahme waren natürlich die Reisestative, doch hier war der Tubusauszug bestimmt nur praktischer Nebeneffekt.

Ich bevorzuge das forumsübliche Du!

Klaus Henkel

Die beiden wichtigsten Gründe für die Abkehr von verstellbaren Tuben waren: Die Forderung nach binokularen Mikroskopen und die Forderung der Praxis, in wiss. Veröffentlichungen nach exakten Abbildungsmaßstäben bei Mikrofotos. Deshalb mußten auch "exotische" Abbildungsmaßstäbe von Objektiven aufgegeben werden. Z. B. bei Seibert, Wetzlar, die Ölimmersionen 115:1 und das berühmte 150:1. Es setzten sich schnell geometrische und arithmetrische Reihen durch: 6,3:1, 10, 16, 25, 40, 63, 100 und bei Auflichtinstrumenten für die Metallurgie und Mineralogie 10, 20, 40, 80, 100 bzw. 6,3, 12,5, 25, 50, 100 und als Tubuslängen 250 mm.
Mit solchen, aus der wiss. Praxis kommenden Normierungsbestrebungen vertragen sich verstellbare Tuben nicht.

Gruß KH

peter-h

Hallo,

vor über 2 Jahren gab es schon einmal ein ähnliches Thema. Dass heutige Objektive recht empfindlich auf eine "falsche" Tubuslänge reagieren ist im Bildbeispiel gut zu erkennen.


Gruß
Peter

the_playstation

Hallo.
Danke Peter.
Für mich ist es auch interessant, daß das oben abgebildete Mikroskop weder Kondensor noch irgendeine Blende zu besitzen scheint! Daher wäre es schwierig, ohne köhlern, ... das max. aus der Optik zu holen. Eine Tubuslängenveränderung dürfte sich daher wesentlich weniger auf das Bild ausgewirkt haben als bei dem Beispiel von Peter. Alleine schon wegen des fehlenden, modernen Beleuchtungsapperates.

Liebe Grüße Jorrit.
Die Realität wird bestimmt durch den Betrachter.

Jürgen H.

Liebe Tubuslängenforscher,

"....der ausziehbare Tubus......dient weniger dazu, die Anzahl der Vergrößerungen zu vermehren oder die Vergrößerung auf eine bestimmte Zahl zu bringen, als zum Ausgleichendieser Deckglasunterschiede.Die Verlängerung oder Verkürzung seines Abstandes vom Objecte übt einen wesentlichen Einfluß auf die Grenzen dere Zulässigkeit von Deckgläsern verschiedener Dicke, .....Ist z.B. ein Objektiv von 2-4 mm Brennweite (Nr.8 oder 7) auf eine Deckglasdicke von 0,17 mm justiert, so können bei ...kürzerem Tubus noch Deckgläser von 0,24 mm und bei ausgezogenem Tubus noch solche bis 0,12 mm gebraucht werden."

Anleitung zum Gebrauche der Mikroskope aus der optischen Werkstätte von Ernst Leitz Wetzlar.

Wetzlar 1902

In der Broschüre ist auch vermerkt, dass "gegenwärtig" Deckgläser von beliebiger Dicke leicht zu haben seien und daher "dieser Umstand" (schöne Doppeldeutigkeit) bedeutend an Gewicht verloren habe.

In der Tat, ich würde die Richtigkeit dieser Angaben ja sofort an meinem alten Leitz ausprobieren. Aber wo bekomme ich ein entsprechendes Deckglas Dicke 12 mm her?

Nicht unwichtig erscheint mir aber auch der etwas verschämte ("weniger") Hinweis auf die Möglichkeit der Anpassung der Vergrößerung, was insbesondere für Zeichner von Interesse sein kann, auch wenn sie auf Kosten der gesehenen Bildqualität geht.
Schöne Grüße

Jürgen

Jürgen H.

#28
PS

Göke gibt als tolerable Abweichung von der Deckglasdicke plus minus 0,02 mm bei einer Apertur von 65-75 an. Das wären Deckgläser von 0,15-0,19. Soviel zur Bedeutung. Bei höheraperturigen Trockenobjektiven sieht es natürlich anders aus. (die dann ja auch heute regelmäßig mit Korrektionsring geliefert werden, wobei ich mich angesichts der Diskussion frage, ob dier nur eine Korrektur der Tubuslänge vornimmt?)

nochmals schöne Grüße

J.

JB