Warum Tubusauszug bei historischen Mikroskopen?

Begonnen von Lupus, November 07, 2014, 23:45:43 NACHMITTAGS

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Klaus Henkel

Zitat von: Jürgen H. in November 11, 2014, 14:04:43 NACHMITTAGS

In der Broschüre ist auch vermerkt, dass "gegenwärtig" Deckgläser von beliebiger Dicke leicht zu haben seien und daher "dieser Umstand" (schöne Doppeldeutigkeit) bedeutend an Gewicht verloren habe.

In der Tat, ich würde die Richtigkeit dieser Angaben ja sofort an meinem alten Leitz ausprobieren. Aber wo bekomme ich ein entsprechendes Deckglas Dicke 12 mm her?

Jürgen

Die bekommt man bei der Firma Hecht in Sondheim in der Rhön, Marke Assistent in beliebiger Dicke.

Das "gegenwärtig" klingt sehr euphemistisch! Nämlich:

5.3.7     Was von Deckgläsern sonst noch wissenswert ist
Deckgläser werden übrigens erst seit einigen Jahrzehnten als Flachglas maschinell gewalzt und gezogen, das Verfahren wurde von Johannes RÖDER im Institut für angewandte Silikatforschung der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin entwickelt (Patent 1955). Die Glashütte in Ilmenau wandte das Verfahren zuerst an. Davor wurden Deckgläser mit der Glasmacherpfeife am Mund geblasen. Der Glasmacher entnahm mit ihr einen Glasklumpen aus dem Schmelzofen, blies ihn zu einer Kugel von fast einem Meter Durchmesser auf und rollierte die Pfeife, so daß eine flache Halbkugel entstand, von der nur der ,,ebene" Boden als Deckgläschenglas verwendet werden konnte. Er wurde herausgeschlagen und zerfiel in unterschiedlich große Flächen, die auf Schneidbrettern mit dem Diamanten in die entsprechenden Größen geschnitten wurden.

Es ist bei dieser Technik nicht verwunderlich, daß manche Deckgläser alles andere als plan waren. Da konnte es schon passieren, daß ein Präparat je nach Wölbung des Deckglases an der einen Stelle scharf und kontrastreich im Bild erschien, an der anderen aber weniger, weil dort erheblich mehr Kanadabalsam darunter war.

Bei dem geringen Preis für Deckgläser sollte man nur neue verwenden. Bei alten kann, je nach früherer Lagerung, das Glas bereits verwittert sein, so daß sie auch durch Putzen nicht mehr klar werden. Alte Deckglasschächtelchen aus Pappe sollte man deshalb höchstens als Erinnerungsstücke aufheben, aber die alten Gläser nicht mehr verwenden. (Mikrofibel)

KH

Jürgen H.

Hallo Jon und Herr Henkel,

Neugierige Frage: Wozu dienen denn dies enormen Abweichungen (wenn nicht zum Test der alten Tubusverlängerungsmöglichkeiten?)

Schöne Grüße

Jürgen

the_playstation

Hallo Jürgen,
Ist denn eine derart starke Tubuslängenänderung bei entsprechenden Deckglasunterschieden notwendig? Gibt es da eine Formel (bei bestimmten Objektiven)? Beispiel: Pro 0,1mm Deckglasdickenunterschied 1cm Tubuslängenveränderung? Mir erscheint die Tubusdifferenz recht groß zu sein.

Ich würde weitere, andere Begründungen daher nicht ausschließen wollen. Es erscheint mir riskant, die Tubuslängenänderung an einem einzigen Parameter (Deckglasdicke) festzumachen. Ich vermisse beim gezeigten Mikroskop eine passende Skala.

Z.B. Vergrößerungsfaktor oder Deckglasdicke (wie Sie bei div. Objektiven mit Deckglaskorrektur zu finden ist).
Stattdessen ist scheinbar einfach die Tubuslänge angegeben.

Liebe Grüße Jorrit.
Die Realität wird bestimmt durch den Betrachter.

JB

Zitat von: Jürgen H. in November 11, 2014, 14:45:19 NACHMITTAGS
Neugierige Frage: Wozu dienen denn dies enormen Abweichungen (wenn nicht zum Test der alten Tubusverlängerungsmöglichkeiten?)

;D Das Frage ich mich auch. Die duenneren Glaeser sind fuer Histologen interessant, wenn die Schnitte auf Objekttraeger aufgezogen werden, um die Dicke des Eindeckmittels auszugleichen (je nach Viskositaet: Deckglas + Balsam = 0.17 mm).

Jon

Jürgen H.

Hallo Jorrit,

ich möchte vermuten, dass die erforderlichen Tubuskorrekturen für jedes verwendete Objektiv unterschiedlich sein dürften, da die Bildfehler durch falsche Deckgläser sich mit höheren Aperturen vergrößern. Eine Maßtabelle müsste demnach alle Objektive zumindest des Mikroskopherstellers umfassen.

Hallo Jon,

an die elende dicke Balsamschmiererei auf manchen früheren Präparaten habe ich auch schon gedacht :-)

Schöne Grüße

Jürgen

the_playstation

Hallo Jürgen.
Das ist mir klar. Ein Beispiel würde mir schon genügen um eine grobe Abschätzung machen zu können.
Liebe Grüße Jorrit.
Die Realität wird bestimmt durch den Betrachter.

Klaus Henkel

Zitat von: Lupus in November 07, 2014, 23:45:43 NACHMITTAGS

War der Grund vielleicht die mögliche Verwendung von Fremdobjektiven oder von älteren eigenen Modellen mit anderen Tubuslängen? Diese Bauweise gab es ja offensichtlich kurz vor der Zeit, zu der (teilweise) einheitliche Abgleichlängen eingeführt wurden?

Hubert

Zitate aus der Mikrofibel:

Kapitel 1.2.3

Die einzige wichtige Norm stammt von 1980. Es ist DIN 58887. Sie definiert aber keine Qualitätsbedingungen für Objektive oder deren Anschlußmaße, sondern die mechanische Tubuslänge mit 160 mm sowie die Abgleichlängen von Objektiven mit 45 mm und Okularen mit 10 mm. Weiter nichts.

Daneben existieren noch DIN 58881, worin lediglich die Maße für die üblichen Steckfassungen der Okulare beschrieben sind (23,2, 30 und 34 mm) und Normblatt DIN 58888, welches das RMSS-Gewinde (,,Royal Microscopical Society Standard") beschreibt.
Ende Zitat

Vor 1979/1980 gab es keine Normungen für Mikroskope, nirgends auf dieser Welt. "Einheitliche Abgleichlängen" gab es vorher dementsprechend ebenfalls nicht.

Klaus Henkel

Zitat von: Jürgen H. in November 11, 2014, 16:01:47 NACHMITTAGS

Hallo Jon,
an die elende dicke Balsamschmiererei auf manchen früheren Präparaten habe ich auch schon gedacht :-)
Jürgen

Hallo Jürgen H.!
Lassen Sie mit-denken: Was sind das: (manche) früheren Präparate? ca. 1960, 1946, 1930, 1910, 1890, 1870 ? Ohne ungefähren Zeitrahmen, weiß man ja nicht, was Sie meinen.

MfG
KH

Jürgen H.

#38
Liebe Tubuslängeninteressierte,

Versuch macht kluch.

Mein Mikroskop Leitz Anfang der zwanziger Jahre besitzt einen Auszugstubus. Also kann ich testen. Wenn auch äußerst behelfsmäßig. Als Testpräparat habe ich eines meiner eben vorgestellten Wespenpräparate genommen. Ich habe eine korrekte Köhlersche Beleuchtung eingestellt. Leider habe ich kein höheraperturiges Trockenobjektiv als ein 40/65. Das ist  zudem von einem Fremdhersteller von Anfang 2000 (Wetzlar über Göke bezogen). Das Okular ist  ein moderneres Leitz Periplan mit Gewinde, damit ich die Nikon Coolpix 4500 anschließen kann.

Das Präparat liegt auf einem OT 1mm ist mit 4 µ geschnitten, entparaffiniert, in Depex eingebettet, mit einem Deckglas 0,16 mm.


Mit von Leitz vorgegebener Auszugslänge ergibt sich dieses völlig unbearbeitete Bild (Übrigens erheblich kontrastärmer und unschärfer als der visuelle Eindruck)



Diesem Präparat habe ich nun ein zweites zusätzliches Deckglas verpasst, das ich mit Öl mit dem ersten verbunden habe.Die Gesamtdicke von OT Präparat ÖL und zwei Deckgläser habe ich mit der Mikrosmeterschraube mit 3,6 mm ermittelt.

Bei einer Tubuslänge von 140mm ergibt sich folgendes Bild:



150mm:



160mm



Ich habe die Kameraeinstellungen nicht verändert, ebenso nicht die Beleuchtung, insbesondere nicht die Blenden.* Da sich die Schärfeeinstellung mit der Veränderung des Auszugs ändern muss, habe ich natürlich die Schärfeeinstellung jedesmal neu vornehmen müssen. Ich habe mich bemüht, immer die beste Schärfeebene zu finden: Eine nicht unwesentliche Fehlerquelle liegt dort offen zu Tage.

Ich bin mir der Mängel dieses überhaupt nicht wissenschaftlichen Versuchs durchaus bewusst.

Lieber Herr Henkel,

wenn es Sie interessiert: Ich hatte konkrete Präparate aus den 30ern im Auge, dick mit Balsam zusammengeklebt. Sie haben jedoch Recht mit Ihrer Kritik, wenn Sie meinen allzu pauschalen Verweis auf "frühere" Präparate meinen sollten. Vermutlich war es mit der Präparateherstellung "früher" nicht besser und nicht schlechter als heute. Mein Gedanke an die dicke Balsamschmiererei war selbstverständlich ohnehin nicht ernst gemeint: Wie sollte er auch: Erst nach Belieben dicke Balsamauflage und dann das passende Deckglas suchen?

Schöne Grüße

Jürgen

* Edit: Das gilt nur für die drei letzten Bilder.

Frank D.

Hallo,

dem Buch "Einführung in die mikroskopischen Untersuchungsmethoden" von Heinz Appelt aus dem Jahre 1950 entnehme ich:

.... noch eine Frage soll in diesem Zusammenhang erörtert werden: Besteht die Möglichkeit, die Vergrößerung innerhalb der für das betreffende Objektiv-Okular-System festgesetzten Größen zu ändern? Dafür stehen 2 Wege offen, die allerdings beide nur für geringe Vergrößerungen möglich sind:

1. Änderung der Tubuslänge
Je länger der Tubus ausgezogen wird, um so höher ist die Vergrößerung. Wenn man aber Objektive höherer A als 0,65 verwendet, wird das entstehende Bild gegenüber dem Normalfall wesentlich verschlechtert. Deshalb stellen die meisten optischen Firmen heute keine Mikroskope mit Ausziehtubus mehr her. Die feststehenden Tuben haben eine Länge von 160 bis 170 mm.

2. Änderung der Linsenzusammensetzung am Objektiv
...


Ist es also möglich, dass mit Aufkommen höherer Aperturen auch der Ausziehtubus verschwand? Welche Bedeutung hatten Ausziehtuben in der Mikrofotografie oder der Projektion?

Herzliche Grüße
Frank

Lupus

Hallo Jürgen,

wenn ich das richtig verstanden habe wurde bei dem Experiment ein zusätzliches Deckglas mit einer Dicke von 0.16 mm aufmontiert? Das wäre zu viel um einen Effekt zu erkennen. Wenn man die Faustformel von Lihotzky verwendet, würde sich bei einem 40x mit typischer n.A. ein notwendiger Auszug von etwa 6.4 mm/0.01 mm Deckglasdickenabweichung ergeben, also ca. 100 mm. Da ist die Methode sicherlich nicht mehr sinnvoll anwendbar.   ;)

Hubert

Klaus Henkel

Zitat von: Jürgen H. in November 11, 2014, 20:18:19 NACHMITTAGS

Lieber Herr Henkel,
wenn es Sie interessiert: Ich hatte konkrete Präparate aus den 30ern im Auge, dick mit Balsam zusammengeklebt. Sie haben jedoch Recht mit Ihrer Kritik, wenn Sie meinen allzu pauschalen Verweis auf "frühere" Präparate meinen sollten. Vermutlich war es mit der Präparateherstellung "früher" nicht besser und nicht schlechter als heute. Mein Gedanke an die dicke Balsamschmiererei war selbstverständlich ohnehin nicht ernst gemeint: Wie sollte er auch: Erst nach Belieben dicke Balsamauflage und dann das passende Deckglas suchen?
Jürgen

Lieber Jürgen H.!
Dann wäre das ja jetzt geklärt. Wenn in den 30ern noch Balsampräparate Murks waren, dann lag das nicht an der geringen technischen Entwicklung, sondern an der geringen Kenntnis und Kunstfertigkeit des Präparators. Denn was man in dieser Beziehung heute kann, das konnte man auch damals.

Die gute "Wetzlarer Optik", die Göke verkaufte, stammte m. E. von Wenzel und auch von Seibert. Das waren gute Achromate und Planachromate, in der Regel einen Tick besser als die von PZO.

Einen Abendgruß

Klaus Henkel

Zitat von: Frank D. in November 11, 2014, 20:39:01 NACHMITTAGS
Ist es also möglich, dass mit Aufkommen höherer Aperturen auch der Ausziehtubus verschwand? Welche Bedeutung hatten Ausziehtuben in der Mikrofotografie oder der Projektion?
Herzliche Grüße
Frank

Es ist möglich, daß diese beiden Entwicklungen hier und da bei diesem oder jenem Hersteller zusammenfielen, aber sie waren nicht Ursache und Wirkung. Mit dem Übergang zu Schrägtuben oder binokularen Schrägtuben verschwanden die Ausziehtuben. Hersteller, die auch weiterhin nach 1950 noch monokulare Hufeisenmikroskope bauten, wie Hertel & Reuss, Rodenstock, Busch in Kassel, Will usw. hielten noch einige Zeit an Ausziehtuben fest, ebenso chinesische und russische Hersteller noch länger, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Tuben zu der Zeit überhaupt noch eine Skala bekamen.

Gruß
KH

Jürgen H.

Hallo Hubert,

ich hatte mir fast gedacht, dass ich mit dem zusätzlich aufgelegten Deckglas keine vernünftigen Versuchsbedingungen mehr habe, allein, ich wusste mir nicht anders eine abweichende Deckglasdicke auf die Schnelle zu beschaffen, als dadurch, ein zusätzliches Gläschen aufzumontieren. Daneben ist auch die Photoadaption viel zu schlecht um Abweichungen im Detail zu erkennen.  Zudem müsste ich wohl ein anderes Präparat verwenden, z.B. ein Diatomeenpräparat. Leitz schreibt in dem von mir bereits oben aufgeführten Prospekt, dass man die Wirkung an Pleurosigma gut studieren könne.

Die von Dir mit geteilten Lihotzkywerte erstaunen mich allerdings doch. Weit davon entfernt sie anzweifeln zu wollen wundere ich mich nur, dass im genannten Leitzprospekt aufgeführt war, dass man bei Verwendung des 7er oder 8er Objektives ein 24er Deckglas durch den Tubus noch korrigieren kann.

Schöne Grüße

Jürgen

Lupus

Hallo Jürgen,

bei einem Deckglas von 0.24 mm wären es dann ja "nur" noch 45 mm Tubusverkürzung, ein mechanisch gerade noch denkbarer Wert. Aber die zitierte Faustformel ist da mit Sicherheit nicht mehr genau, und es wurde von Leitz auch nicht gesagt wie gut die Korrektur dann überhaupt noch ist. Schließlich macht die geometrische Optik keine "Quantensprünge" sondern weist fließende Übergänge auf.

So unplausibel groß sind die Werte übrigens nicht; man muss bedenken, dass 0.01 mm zusätzliche Deckglasdicke bei einer n.A. von 0.80 eine Verschiebung des (virtuellen) Objektpunktes um 0.002 mm ergibt (das ist einfache Anwendung des Brechungsgesetzes). Bei einem 63x Objektiv wäre das etwa 3.4 mm Bildweitenverschiebung. Und die Tubuslängenkorrektur muss deutlich darüber liegen damit sie funktionieren kann.

Hubert