Psilotricha viridis - Zoochlorellen mit Augenfleck

Begonnen von Martin Kreutz, April 21, 2015, 20:41:54 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

in meinem vor kurzem eingestellten Beitrag zu Bryometopus viridis (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?PHPSESSID=2ne6e2qmuh6jsuroirhjvo5lh4&topic=22858.0) habe ich das Thema Zoochlorellen kurz gestreift und darauf hingewiesen, dass die Zusammensetzung und Identität der symbiontischen Algen in den meisten grünen Ciliaten unbekannt ist. Ein weites Feld für deren Erforschung ergibt sich hier, auch für Amateure. Vor einigen Jahren habe ich mich mit den Zoochlorellen des hypotrichen Ciliaten Psilotricha viridis beschäftigt, die ganz außergewöhnlich sind. Leider ist Psilotricha viridis nicht sehr häufig zu finden. Die Art wurde zuletzt von Kahl (1935) beschrieben. In seiner kurzen Beschreibung erwähnt er auch, dass die Zoochlorellen einen Augenfleck (Stigma) haben sollen. Durch meine etwas paranoide Angewohnheit, ,,abgegraste" Proben in einem 10 l Aquarium zu sammeln, statt sie wegzugießen (man könnte ja was übersehen haben), hatte ich das Glück, Psilotricha viridis nach 70 Jahren ohne dokumentierten Nachweis wiederzufinden. In dem begrenzten Ökosystem Aquarium kommt es zyklisch zu Massenentwicklungen mit immer unterschiedlichen Artenspektren, besonders, wenn man von Zeit zu Zeit eine handvoll trockenes Laub vom Fundort hinzugibt. Ich konnte einen weiteren Zyklus induzieren, als ich das Aquarium bei drohendem Frost vom Balkon auf meinen Schreibtisch transferierte, wo sich innerhalb von 48 h eine große Population von Psilotricha viridis bildete, welche bereits nach weiteren 48 h wieder völlig zusammenbrach. Das Psilotricha viridis bevorzugt im Winter auftritt, deckt sich mit den Angaben von Kahl, der für diese Jahreszeit die größte Häufigkeit angibt. Psilotricha scheint somit psychrophil (kälteliebend) zu sein. Die gesamte Population sammelte sich auf der dem Licht zugewandten Scheibe des Aquariums. Dieses positiv phototaktische Verhalten ist in Anbetracht der zahlreichen Zoochlorellen dieser Art zu erwarten gewesen. Die Form und Fortbewegung von Psilotricha viridis erinnern an Euplotes affinis. Meine Population hatte eine durchschnittliche Körperlänge von 90 µm (83 – 95 µm, n = 6) und war damit ca. 35 % größer als von Kahl angegeben (45 – 50 µm). Auffälligstes Merkmal sind jedoch die Zoochlorellen, die in einem ungequetschten Exemplar nur schemenhaft zu erkennen sind und erst einmal unspezifisch blieben:


AZM = adorale Membranellenzone
UM = undulierende Membran

Die flach gewölbte Dorsalseite weist 3 deutliche Rippen auf, die nicht hoch jedoch scharf sind, wie Kahl sie beschreibt. Während die beiden marginalen Rippen recht gerade verlaufen und vom vorderen Drittel bis zum Hinterende laufen, scheint die mittlere Rippe erst am Zelläquator zu beginnen und biegt zudem im hinteren Drittel nach links ab, bevor Sie am Hinterende mündet. Zwischen den Rippen und an den dorsalen linken und rechten Rändern verlaufen longitudinale Reihen von ca. 8 µm langen, borstenartigen Cilien


RP = Rippen
DB = dorsale Borsten

Auf der ventralen Seite verläuft die adorale Membranellenzone am linken Körperrand zur Mundöffnung, welche fast am Zelläquator sitzt.


MO Mundöffnung
RP = linke dorsale Rippe

Außerdem ist auf der Ventralseite die Bewimperung aus ca. 30 µm langen Cirren sichtbar, mit dessen Hilfe sich Psilotricha viridis wie auf Stelzen auf dem Untergrund fortbewegt. Durch dieses hochbeinige staksen scheint der durch die adorale Membranellenzone erzeugte Wasserstrom nicht dem ,,abgrasen" des Substrates zu dienen, sondern eher um oberflächennahes Wasser zu filtrieren. Soweit man es ohne Silberimprägnierung beurteilen kann, befinden sich an den linken und rechten Rändern der Ventralseite je eine Reihe von 4 - 5 marginalen Cirren und zwei von vorne links nach hinten rechts schräg verlaufende Reihen von je 5 - 6 Cirren (s. Pfeilköpfe):


MC = marginale Cirren

Der innere Aufbau von Psilotricha viridis ist bei einem frei beweglichen Exemplar durch die dicht gepackten Zoochlorellen schwierig zu interpretieren. In Exemplaren mit etwas weniger Zoochlorellen, lässt sich jedoch die kontraktile Vakuole identifizieren, welche dorsal in der Zellmitte lokalisiert ist und sich über die Mundöffnung nach außen entleert:


MO = sorry, sollte KV heißen = kontraktile Vakuole
DB = dorsale Borsten

Um weitere Details zu erkennen, muss man den Ciliaten flach pressen. Im leicht gequetschten Zustand erkennt man zwei runde, bis breit ovale Makronuklei (Durchmesser 20 – 22 µm), welche an einem zentralen Mikronukleus angelagert sind (Durchmesser 5 – 7 µm):


Mi = Mikronukleus
Ma = Makronukleus

Dieser Befund widerspricht der Beschreibung von Kahl, welcher 2 Mikronuklei angibt, jeweils einen pro Makronukleus angelagert. Um diese Abweichung von der Originalbeschreibung zu verifizieren, habe ich 9 weitere Exemplare auf ihre Kernverhältnisse hin untersucht und alle Exemplare hatten 2 Makronuklei und 1 Mikronukleus.

Um schließlich die interessanten Zoochlorellen zu untersuchen, muss man die Exemplare stark quetschen: 


FZ = farblose Zellen
ZO = Zoochlorellen

Sie sind ganz außergewöhnlich, denn sie scheinen nicht vom sonst verbreiteten Chlorella-Typus zu sein, da sie größtenteils länglich oval sind und einen deutlichen, orangeroten Augenfleck besitzen, der seitlich lokalisiert ist, wie es von Penard (1922) und Kahl (1935) auch schon beschrieben wurde. Man fragt sich, von welcher Gattung diese Algen ursprünglich abstammen, bevor sie ein Symbiontenverhältnis mit Psilotricha eingegangen sind. Der Augenfleck lässt vermuten, dass es sich um eine volvocale oder tetrasporale Alge handelt, evtl. um eine Chlamydomonas. Kahl beschreibt auch 4-zellige Teilungsstadien, die ich trotz intensiver Suche nicht finden konnte. In 9 untersuchten Exemplaren von Psilotricha viridis fand ich pro Zelle 22 – 60 Zoochlorellen, mit auffälligen Größen- und Formunterschieden. Ingesamt ließen sich nach meinen Beobachtungen 4 Typen von Zoochlorellen unterscheiden, die ich in folgender Abbildung sortiert habe:


Typ I (A – F): Länglich ovale  Zoochlorellen (L = 7 – 13 µm) mit Augenfleck (AF) und oft mit einer hyalinen Papille (PA), E und F stellen evtl. Teilungsstadien dar.

Typ II (G – I):  Ovale, sehr große Zoochlorellen (L = 14 – 20 µm), welche nur selten einen Augenfleck aufwiesen aber oft mit einer Papille versehen waren.

Typ III (J – L): Kugelförmige  Zoochlorellen (Ø = 5 – 23), gelegentlich mit Augenfleck und einem becherförmigen Chloroplasten (L).

Typ IV (M – P): Fast farblose, ovale bis spindelförmige Zoochlorellen mit Augenfleck (L = 14 – 22 µm), N und P mit rudimentären Resten des Chloroplasten. Viele dieser entfärbten Zellen zeigten eine Papille. Eventuell handelt es sich um Zoochlorellen, welche der Phagocytose zugeführt wurden (Populationskontrolle). 

Neben dem Augenfleck ist auch die farblose Papille ein Merkmal der Volvococcales. Bei den Zellen vom Typ I konnte ich feststellen, dass diese eine abgeflachte und eine leicht gewölbte Körperseite besitzen. An der gewölbten Seite ist auch der Augenfleck lokalisiert. In manchen Zoochlorellen vom Typ II und III konnte ich einen Augenfleck erkennen, an anderen jedoch nicht. Es war für mich nicht zu klären, ob dieser Typ Algen ebenfalls einen Symbionten darstellt oder als Nahrung ingestiert wurden. Besonders merkwürdig finde ich den Typ IV mit stark verblassten Chloroplasten oder sogar farblosen Zellen. Trotzdem war in diesen farblosen Zellen der Augenfleck noch deutlich zu erkennen war. Diese farblose Spezies zeigte oft auffällig zugespitzten Enden, wodurch sie spindelförmig erschienen. Diesen Befund interpretiere ich so, dass Psilotricha viridis einen Mechanismus entwickelt hat, der die Zahl der ovalen Zoochlorellen reguliert, sobald diese eine kritische Zellgröße erreicht haben, nämlich die vom Typ II. Farblose Zoochlorellen mit den Abmessungen von Typ I waren nicht zu finden, was ich damit erkläre, dass diese Tochterzellen ,,geschont" werden um den Zoochlorellenbestand zu verjüngen und aufzustocken. Eventuell wird die umhüllende Membran der Zoochlorellen durch eine chemische Signalkette zur Nahrungsvakuole ,,umprogrammiert", sobald ein gewisser Bestand Zoochlorellen vom Typ II herangewachsen ist. Sollte diese Erklärung zutreffen, dann wäre dieser Regulationsmechanismus bei Psilotricha viridis besonders schön zu studieren. Farblose oder verblasste Exemplare der runden Typ III Zoochlorellen waren nie zu finden. Insgesamt scheint die Zoochlorellen-Population in Psilotricha viridis sehr komplex zusammengesetzt zu sein und bietet sicher noch viel Raum für weitere Untersuchungen. Unten habe ich noch etwas Literatur angehängt.

Allen einen schönen Abend

Martin

Literatur

Esteban, G. F., Olmo, J. L., Finlay, B. J.: Redescription of Psilotricha acuminata STEIN, 1859 and Revision of the Genera Psilotricha and Urospinulina (Ciliophora, Hypotrichida). J. Eukaryot. Microbiol. 48(3), 280 – 292 (2001).

Foissner, W.: Morphologie und Morphogenese von Psilotricha succisa (O. F.
MÜLLER, 1786) nov. comb. (Ciliophora, Hypotrichida). Protistologica 19, 479 – 493 (1983).

Kahl, A.: Urtiere oder Protozoa (Infusoria). In: Dahl, F. (Hrsg.): Die Tierwelt Deutschlands, Gustav Fischer Verlag, Jena 1935.

Penard, E.: Études sur les Infusoires d'eau douce. Georg & Cie, Genève 1922.



Carsten Wieczorrek

Für's grobe : GSZ 1
Zum Durchsehen : Amplival Hellfeld, Dunkelfeld, INKO, Phasenkontrast
Zum Draufsehen : Vertival Hellfeld, Dunkelfeld
Zum Polarisieren : Amplival Pol u Auf-/Durchlicht
Für psychedelische Farben : Fluoval 2 Auflichtfluoreszenz
Für farbige Streifen : Epival Interphako

JB

Hallo Martin,

Tolle Dokumentation! Beeindruckend, wie viel Ausdauer es erfordert solche Arten wiederzufinden und noch erstaunlicher, wie Pennard und Karl sie damals ueberhaupt entdeckt hatten.

Die Identitaet der Chlorellen wird sich ja mit DNA barcoding bestimmen lassen  ;)

Beste Gruesse, Jon

Michael L.

Hallo Martin,

Eine tolle Publikation!

Viele Grüße

Michael