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Blutdiagnose

Begonnen von EdwinLahme, Mai 23, 2015, 11:50:15 VORMITTAG

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Peter V.

#30
Hallo Robert,

Zitat von: Robert Götz in Mai 25, 2015, 10:57:08 VORMITTAG
Falls hier diese OT Frage gestattet ist:
Was ist denn der Sinn solcher "Diagnosen"? Es kann doch eigentlich nur darum gehen, dem verängstigten Patienten eine teure
"Therapie" aufzureden.
Wäre das dann nicht eher ein Fall für den Staatsanwalt?

Gruß
Robert

wieso sollte DAS ein Fall für den Staatsanwalt sein? Alle paramedizinischen Diagnosen (und größtenteils auch Behandlungsmethoden) sind Unfug. Enderlein ist nicht "schlechter" oder verwerflicher als Irisdiagnostik, Kirlianfotografie und was es da nicht alles gibt. Nahezu die gesamte "Heilpraktikerei" fußt darauf, ebenso ist fast der gesamte Kanon der Behandlungsverfahren Kokolores. Man denke nur an Homöopathie als wohl bekanntestes Beispiel. Und jeder hat das Recht, sich derart "diagnostizieren" und "behandeln" zu lassen, genau so, wie er das Recht hat, nach Elektrosmog, Erdstrahlen und Wasseradern suchen oder seine Wohnung nach Feng Shui einrichten zu lassen. Mittlerweile gibt es die kuriosesten Methoden und Apparate, mit denen man den Leuten das Geld aus der Tasche zieht, teilweise sehr "wissenschaftlich" aussehende Apparate mit Elektroden, die irgendeinen "Vitalstatus" oder so ähnlich mit schönen Kurven, Tabellen etc. ausdrucken, u.a. auch die gerne für alles Möglichke verantwortlich gemachten "Belastungen" (Allergene, Schwermetall etc.)  Aber das ist nun einmal erlaubt.

https://www.psiram.com/ge/index.php/Vega-Test

http://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/vegatest-was-der-heilpraktiker-diagnostiziert-a-1014713.html

Wobei ich durchaus zugebe, dass Heilpraktiker und Naturheilkundler Erfolge haben, in bestimmten Situationen sogar eher als der Arzt. Das liegt aber nicht an den Methoden an sich, sondern am bekannten Placebo-Effekt oder der "Droge Arzt", die man allgemein wohl besser "Droge Behandler" nennen würde. Diese Effekt ist nicht zu unterschätzen. Ich kann mich an eine Passage in einem renommierten Lehrbuch der Dermatologie aus den 80er erinnern, in der sinngemäß stand, dass die wirkungsvollste Therapie von gewöhnlichen Warzen das "Besprechen" sei.Das Wesentliche ist oft einfach die Zeit, zuzuhören, die Zuwendung, das "Anfassen" des Patienten (wer wird heute noch beim Schreibtisch-Hausarzt mit direktem "Körperkontakt" untersucht?). All das bieten Heilpraktiker und Naturheilmediziner. Ärzte mit übervollen Praxen, die dank grandioser Fehlentwicklungen der Gesundheitspolitik nur noch Honorar für bürokratische Dokumentationsakte und den Einsatz von teuren Apparaten bekommen, jedoch keinen Cent für's Zuhören und Sprechen, können so etwas schon lange nicht mehr leisten. Und bei vielen (psychosomatischen) Krankheiten, Wehwehchen, Zipperlein und seelischen Nöten wäre Zuwendung wesentlich hilfreicher und zielführender.



Wie erfolgreich der Placebo-Effekt sein kann, zeigte die große deutsche Akupunkturstudie, die 2007 abgeschlossen wurde. Das Ergebnis ist beeindruckend:

Zitat aus Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/German_Acupuncture_Trials
ZitatDie Hauptergebnisse wurden sechs Monate nach Therapiebeginn erhoben.

   Bei chronischem Gonarthroseschmerz sind ca. 11 Akupunkturbehandlungen innerhalb von 6 Wochen einer 6-monatigen konventionellen Standardtherapie mit täglicher Medikamenteneinnahme von schmerz- und entzündungshemmenden Mitteln um ca. den Faktor 3 überlegen.[11]

   Bei chronischem Kreuzschmerz sind ca. 12 Akupunkturbehandlungen innerhalb von 6 Wochen der konventionellen Standardtherapie ca. 1,7-fach überlegen; akupunktierte Patienten nahmen im Vergleich deutlich weniger Medikamente ein.[12]

   In der Prophylaxe bei chronischer Migräne sind ca. 11 Akupunkturbehandlungen innerhalb von 6 Wochen mindestens so wirksam wie die tägliche Einnahme von Betablockern über 6 Monate.[13]

   Bei Spannungskopfschmerz reduzierte die Akupunktur die Anzahl der Kopfschmerztage pro Monat um mindestens 50 %. Der Vergleich mit der Standardtherapie musste abgebrochen werden, da zu wenige Patienten bereit waren Amitriptylin über Monate einzunehmen.[14]

   Ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Akupunkturformen Verum ("kunstgerechte Akupunktur") und Sham (Scheinakupunktur) konnte in keiner der Studien gezeigt werden.


   Die Akupunktur ist ein vergleichbar sicheres medizinisches Verfahren. Unerwünschte schwere Wirkungen (Nebenwirkungen) der Akupunktur sind vernachlässigbar gering.

Jedoch konnte für keine der Indikationen eine Wirkung über Placebo nachgewiesen werden.

Das heißt: Akupunkturbehandlungen sind wirksam, sogar so wirksam, dass sie in den Leistungskatalog der Krankenkassen übernommen wurden. Aber es ist völlig gleichgültig, ob man die Akupunktur nach ihrer Lehre kunstgerecht einsetzt und die "Meridiane" trifft oder die Nadeln zufällig und willkürlich einfach irgendwo platziert. Allein die Tatsache, dass "etwas passiert" und sich jemand die Zeit nimmt, es zu tun, wirkt. Solche Erfahrungen macht jeder Arzt nahezu täglich in seiner Praxis und setzt sicher hin und wieder auch gezielt diesen Placebo-Effekt ein. Wenn der Patient eine "Spritze" erwartet, hilft diese fast immer besser als eine Tablette, die einen echten Wirkstoff enthält, auch, wenn die Spritze nur wirkungslose Kochsalzlösung gefüllt ist.

Ich möchte allerdings noch einmal deutlich unterscheiden zwischen paramedizinischer Diagnostik und naturheilkundlicher Therapie unterscheiden. Letztere hat (seriös betrieben) durchaus Erfolge und ist sicher in vielen Fällen sinnvoll. Pseudo-Diagnoseverfahren wie Enderlein, Irisdiagnostik, Mesdsungen und Interpretation irgendwelcher ominösen Ströme und Co. sind in meinen Augen legaler Betrug und teilweise sicher auch gefährlich. Aber eben nicht verboten.

Herzliche Grüße
Peter

PS: Wo wird gerade so schön beim Thema sind: genau so wie einen Placebo-Effekt gibt es auch das Gegenteil, den "Nocebo-Effekt".
Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Florian Stellmacher

Zitat von: Robert Götz in Mai 25, 2015, 10:57:08 VORMITTAG
Falls hier diese OT Frage gestattet ist:
Was ist denn der Sinn solcher "Diagnosen"? Es kann doch eigentlich nur darum gehen, dem verängstigten Patienten eine teure
"Therapie" aufzureden.
Wäre das dann nicht eher ein Fall für den Staatsanwalt?

Gruß
Robert

Lieber Robert,

ich denke, dass sich hier ein Paralleluniversum entwickelt hat, in dem zumindest ein großer Teil der Dunkelfelddiagnostiker als auch ihrer Patienten tatsächlich an das glauben, was sie tun. Und wenn dem so sein sollte, dann wäre es trotz allem zu weit geschossen, die Anbieter dieses "diagnostischen" Verfahrens (was es definitiv nicht ist) zu kriminalisieren. Über die dahinter steckende Logik kann man natürlich trefflich debattieren. Für mich immer wieder verblüffend ist es z.B., wenn Enderleins Anhänger einerseits z.B. basale Einsichten der Genetik negieren, indem sie kritiklos akzeptieren, dass sich aus Eiweißen des Blutes Viren, daraus binnen Tagen oder Wochen Bakterien, später dann sogar Pilze entwickeln sollen, und dass sich dieser Prozess durch die Einnahme z.B. von Pilzen in geringer Dosis umkehren ließe, und das Ganze noch unter mikroskopischer Kontrolle; andererseits sind dieselben Leute Experten in Sachen Gentechnik und meinen zu wissen, dass sich z.B. durch eine gentechnisch und nicht durch Züchtung bewirkte Amplifikation von Wachstrumsfaktoren in einer Pflanze völlig neue Proteine entwickeln, die dann toxisch auf den menschlichen Organismus wirken. Man sollte sich aber hüten, die Patienten, die bereit sind, für eine entsprechend Dunkelfelduntersuchung ihres Blutes Geld zu bezahlen, für komplett blöde zu halten. Tatsächlich - zumindest soweit ich informiert bin - entstammen diese Leute eher dem Bildungsbürgertum, häufig handelt es sich um Leher oder andere Akademiker, wohl häufiger Frauen als Männer. Allerdings überschreitet die DF-Mikroskopie nach Enderlein hier den, ich möchte sagen: branchenüblichen Rahmen insofern, als dass ein morphologisches Verfahren Anwendung findet. Wer heilt, hat bekanntlich recht. D.h. solange eine Therapie anschlägt, kann es dem Patienten rechtschaffen egal sein, warum sie wirkt. Wenn Pflanzenextrakte (die z.B., wie jeder weiß, hochgradig wirksam sein können - man denke nur an Fingerhut, Tollrrische oder Johanniskraut) vom Heilpraktiker helfen, warum soll man dem Patienten deshalb einen Vogel zeigen? Aber vor dem Monitor sitzen und etwas sehen, was nicht sein kann, halte ich persönlich - sorry! - für eines gebildeten Menschen unwürdig und mich betrübt dies zutiefst. Da kann ich nicht über meinen Schatten.

Übrigens werden entsprechende Einsichten des zahlenden Patientenkollektivs mitunter mit verblüffendem Selbstvertrauen vorgetragen. Ein entfernt bekannter ehemaliger Klempner züchtete z.B. in seinem Gartenteich Algen, die er dann verteilte, da sie gut gegen Sodbrennen helfen sollten. Mag ja sein, ich hab's nie ausprobiert, denn ich weiß, dass Omeprazol besser ist als Ranitidin, und dieses viel viel besser als z.B. Magaldrat, und für die Algen gab es keine Daten. Aber er erklärte mir, dass dieses Zeug direkt auf den Hypothalamus ("Hüpotalaaamus") wirken sollte - und zeigte dabei energisch auf seine Schilddrüse!  ;D Ich denke, eine halbwegs fundierte Bildung sollte einen weitgehend davor schützen, sich derart lächerlich zu machen (ich habe natürlich versucht, ihm zu erkären, dass der Hypothalamus eine ganze Etage weiter oben liegt, allein, es half nichts).

Es ist übrigens ein Irrglaube anzunehmen, dass sich die Schulmedizin gerunsätzlich gegen Konzepte der Alternativmedizin abgrenzen wolle. Nur gibt es hier die Forderung, dass eine Wirksamkeit auch bewiesen werden muss und dass der Patient einen Anspruch auf die Therapie hat, die ihm mutmaßlich am besten hilft.

Hierzu zum Abschluss nooch eine kleine Anekdote: Mein Nachbar ist Schauspieler und war vor Jahren zum Dreh in Afrika, wo er einen berühmten Arzt spielte, der dort ein Junglekrankenhaus gegründet hatte. Das Krankenhaus ist inzwischen natürlich eine deutlich westlich ausgerichtete Klinik. Mein Nachbar erzählte mir von einem Patienten, der eine durch einen Flohsbiss bewirkte Entzündung am Fuß hatte, die er in der dortigen Chirurgie operieren lassen wollte. Die Chirurgen sahen sich die Sache an. Dann sagten sie, dass sie natürlich den Fuß operieren könnten. Um ehrlich zu sein, habe allerdings der Medizinmann im weitgehend unverändert bestehenden Lepradorf eine deutlich bessere Statistik. Es endete damit, dass der Abszess mit einem frisch geschnitzten Holzmesser ohne Narkose im Bruchteil einer Sekunde vom dreieinhalbfingeriegen Medizinmann gespalten und dann mit einem mit Paketband fixierten Verband versorgt wurde, der aus zuvor vom Medizinmann genüsslich durchgekauten Blättern bestand. Noch während der Drehzeit heilte der Fuß vollständig ab.
Entzündungshemmende Verbände sind aus der Schulmedizin praktisch verschwunden, selbst die mir aus meiner relativen Jugend bekannten Leukasekegel oder ähnliches gibt es faktisch nicht mehr. In der afrikanischen Volksmedizin sind entsprechende Hemmstoffe jedoch nach wie vor gebräuchlich und erzienen offenbar Resultate, die der septischen Chirurgie, zumindest auf ein Krankenhaus im Busch bezogen, überlegen sind.
Zu Hause würde ich allerdings auf die Macht geschliffenen Stahls und ggf. ein Antibiotikum vertrauen wollen ...  ;)

Herzliche Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

Peter V.

#32
Lieber Florian,

ZitatMan sollte sich aber hüten, die Patienten, die bereit sind, für eine entsprechend Dunkelfelduntersuchung ihres Blutes Geld zu bezahlen, für komplett blöde zu halten. Tatsächlich - zumindest soweit ich informiert bin - entstammen diese Leute eher dem Bildungsbürgertum, häufig handelt es sich um Leher oder andere Akademiker, wohl häufiger Frauen als Männer.

Wohl wahr! Dem geerdeten Ruhrgebiets-Bergmann brauchst Du mit so etwas gar nicht zu kommen. Der ist absolut unanfällig für Naturheilkunde und Heilpraktiker.

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Robert Götz

#33
Hallo Peter und Florian,

vielen Dank für die ausführlichen Antworten.
Was mich an den Staatsanwalt denken ließ, ist, dass es hier nicht um die Anwendung von alternativen Heilmethoden geht,
sondern darum, dem Patienten Krankheiten einzureden, die er garnicht hat.
Ein entzündeter Fuß ist eine handfeste - oder fußfeste - Sache, aber was fängt er mit der geldrollenförmigen Lagerug
der Erythrozyten an?
Die Wirksamkeit von Naturheilverfahren will ich - schon mangels näherer Kenntnisse - nicht bestreiten. Ein mir bekannter angesehener
Internist in München hatte sogar einen Chinesen für Akkupunktur in seiner Praxis beschäftigt.
Der Placedboeffekt wird allerdings m.E. von Laien häufig überbewertet, denn schließlich wird die Wirksamkeit neuer Arzneimittel durch den Vergleich mit Placebos getestet.

Gruß
Robert

Text nachträglich geändert

Peter V.

Hallo Robert,

ZitatDer Placedboeffekt wird allerdings m.E. häufig überbewertet, denn schließlich wird die Wirksamkeit neuer Arzneimittel durch den Vergleich mit
Placebos getestet.

Da widersprichst Du Dir. Genau das zeigt ja, dass der Plaecboeffekt nicht überschätzt wird. Sonst müsste man ja nicht gegen Placebo testen, sondern gegen "keine Therapie". Da man aber weiß, dass es bereits unter Placebo deutliche Effekte gibt, muss ein Medikament beweisen, dass es signifikant besser ist als ein Placebo.

Herzliche Grüße
Peter
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rhamvossen

Hallo,

Ich denke das im Algemeinem die Anhänger von solche Methoden nicht kappieren wie Lebendiche Systemen/Organismen Funktionieren, oft durch einen fehlender Wissenschaftliche Hintergrund. Stel dir mal vor das unser Körper es akzeptieren wurde das sich Pilze oder Bakterien ins Blut begeben ohne das jemand richtig krank ist. Wenn das so wäre dan wurde das Immunsystem nix taugen. Nein, die Praxis ist anders: Jemand mit (eine Menge) Pilze oder Bakterien im Blut, der ist so Krank das er manchmal nicht weit von dem Tod entfernt ist. Beste Grüsse,

Rolf