Ein Mikroskop von Carl Kellner

Begonnen von Urs 123, Januar 23, 2016, 16:25:12 NACHMITTAGS

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Urs 123

Liebes Forum,
ohne Erfahrung mit ,,Messing-Geräten" zu besitzen, habe ich kürzlich aus purer Neugier zwei alte Instrumente über eine schweizerische, eher regional beachtete Auktionsplattform erworben. Das eine Instrument, das ich an dieser Stelle vorstellen möchte, wurde von einem Trödler im Grossraum Zürich mit ,,Alte Wetzlar Mikroskop" beworben, und auch die Bilder, die der Händler eingestellt hatte, erlaubten es nicht sicher auf den Hersteller zu schliessen. Nach Durchsicht von Herrn Timo Mappes virtuellem ,,Museum optischer Instrumente" (http://www.musoptin.com/kellner_87.html) kam mir allerdings ein Verdacht, aus welcher Ecke das Gerät stammen könnte; ein Verdacht, den zu hegen mir absurd und vermessen schien, der sich jedoch bestätigte: Es handelte es sich um ein Mikroskop von Carl Kellner und trägt die Nummer 79. Herr Rolf Beck, langjähriger Unternehmensarchivar der Leica Microsystems GmbH, bestätigte mir, dass es sich um das kleine Stativ Kellners handle und dass das Gerät 1854 gebaut worden sei. Herr Dr. Ulrich Eisenbach vom Hessischen Wirtschaftsarchiv, an das mich Herr Beck für weitere Informationen verwiesen hatte, teilte mir mit, dass gemäss den Geschäftsbüchern des Kellnerschen Optischen Instituts das Mikroskop am 3. Juli 1854 an Prof. Dr. Wernher in Giessen versandt worden sei, dass es 50 Taler und 10 Silbergroschen gekostet habe und dass offenbar Deckgläser von der Stärke von 1/12-1/13 Zoll mitgeliefert worden seien. Bei Prof. Dr. Wernher dürfte es sich um den Chirurgen Adolf Wernher (1809-1883) gehandelt haben (die folgenden Angaben entstammen der Onlinefassung der deutschen Biographie unter http://www.deutsche-biographie.de/pnd118631578.html). Wernher war ab 1837 Ordinarius und Direktor der Giessener chirurgischen Klinik und ab 1848 Professor der pathologischen Anatomie und Direktor der pathologisch-anatomischen Sammlung. Dieses Amt gab ihm laut Deutscher Biographie ,,Anlass, sich mit allem Eifer auch mit pathologisch-anatomischen Studien, namentlich der mikroscopischen Untersuchung krankhafter Geschwülste, die damals bei den Chirurgen noch wenig üblich war, zu beschäftigen".
Das Mikroskop ist rund 31 cm hoch. Die grobe Einstellung erfolgt durch Verschiebung des gesamten Tubus in der Tubusaufnahme, die Feineinstellung über eine Mikrometerschraube, welche eine dreikantige, federnd gelagerte Stange nach oben hin frei gibt beziehungsweise zurückhält. Zum Gerät gehören zwei nicht näher bezeichnete Objektive sowie ein mit einer römischen III bezeichnetes Okular. Das Gerät ist auf der einen Seite der Tubusaufnahme signiert mit:
C. KELLNER IN WETZLAR
N=79
Die andere Seite der Tubusaufnahme trägt keine Signatur. In den Tubus ist eine kleine 18 eingeschlagen, wohl, wie Herr Timo Mappes bei der Beschreibung seines Instruments Nr. 87 schreibt, als Markierung innerhalb eines Fabrikationsloses. Weitere Schlagzahlen finden sich, im Gegensatz zu Herrn Mappes Instrument, beim hier vorgestellten Mikroskop Nr. 79 jedoch nicht.
Der Hohlspiegel ist stellenweise erblindet, aber noch funktionstüchtig. Als weiteres Element der beleuchtenden Optik findet sich unter dem Tisch eine einfache runde Revolverscheibe mit vier Lochblenden.
Das Gerät lässt sich zerlegt in einer Schatulle versorgen. Im Behältnis befanden sich in einem Fach noch zahlreiche Objektträger unterschiedlicher Grösse und Dicke sowie vier nicht näher bezeichnete Dauerpräparate.
Die folgenden Bilder mögen einen besseren Eindruck des Mikroskops vermitteln, als ich es hier beschreiben kann.
Ich möchte an dieser Stelle Herrn Rolf Beck und Herrn Dr. Ulrich Eisenbach für die wertvollen Informationen danken.

Mit herzlichen Grüssen
Urs

Hier nun die Bilder:

1. Das Mikroskop in der Schatulle.


2. Das ausgepackte Mikroskop.


3 und 4. Die Signatur auf der Tubusaufnahme.



5. Die in den Tubus eingeschlagene 18.


6. Die Objektive.


7. Das Okular Nr. III.


8. Fuss, Spiegel und Lochblendenrevolver.


9. Die verschiedenen Objektträger.


10 bis 14. Die vier Dauerpräparate. Wer weiss, um was für Präparate es sich handeln könnte? Gesteinsschliffe mit Mikrofossilien drin? Oder etwas völlig anderes? Die Aufnahmen entstanden mit einem Lupenobjektiv 3,5:1.





Klaus Herrmann

Gratuliere Urs,

das ist ein schöner Fund! Gut recherchiert bei den einschägigen Experten, Die 4 Präparate dürften tatsächlich Gesteinsdünnschliffe sein. Aber der Zustand (oder die Aufnahmen) machen es schwer etwas Verlässliches zu sagen.
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


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martin_hu

Hallo Urs
Danke fürs zeigen, ein sorgfältig recherchierter Bericht!
Freue mich immer über solche Berichte.

Gruss Martin

Urs 123

Lieber Klaus,
herzlichen Dank für die Rückmeldung. Die Bilder habe ich mit der einfachen ToupTec-Okularkamera gemacht. Das muss nicht schlecht sein, aber mit den Präparaten hatte ich unabhängig von der Kamera reichlich Probleme. Stellenweise sind sie extrem dicht, sodass kaum Licht durchdringen kann, stellenweise sehr durchsichtig; ich vermute, dass sie nicht dünn genug geschliffen wurden. Die Beleuchtung habe ich mit einem anderen Präparat eingestellt, dann das Präparat gewechselt und soviel Licht gegeben, dass ein einigermassen ausgeglichenes Bild resultierte. Auch wenn ich wirklich kein Foto-Krack bin, glaube ich, dass die Probleme in diesem Fall weniger bei mir, denn bei den Präparaten liegen.
Herzliche Grüsse
Urs

Klaus Herrmann

Hallo Urs,

Zitatdass die Probleme in diesem Fall weniger bei mir, denn bei den Präparaten liegen.

wir sagen immer: aus einer alten Kuh kanst du kein Kalbschnitzel machen  ;)
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


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Alfons Renz

Hallo Urs,

Ein toller Fund, zu dem ich herzlich  gratuliere!

Und sehr schön dokumentiert, so dass die Sammlung der heute noch nachweisbaren Kellner-Mikroskope erfreulich erweitert wurde!

Ich hoffe, Du gestattest, dass ich diese Gelegenheit für eine Vermissten-Anzeige nutze:

In Tübingen wurde bis nach dem 2. Weltkrieg ein großes Mikroskop von Carl Kellner aufbewahrt, das Hugo von Mohl 1854 erworben hatte:



Dieses Mikroskop trägt die Nummer 122 und die handschriftliche Signatur "BJ 39", d.h.  Botanisches Institut, Inv.-Nr. 39. Abgebildet ist es in der Festschrift 'Ernst Leitz, 1849-1949" auf Seite 32.

Der Botaniker Hugo v. Mohl gehörte - neben dem Tübinger Physiker Nörrenberg - zu den Ersten, die das neue 'orthoskopische' Okular von Kellner - er an einem Amici-Mikroskop - getestet und hoch gelobt hatten.

Im Alten Tübinger Botanischen Institut wurden die v. Mohlschen Mikroskope in Ehren gehalten und in einer Vitrine ausgestellt, bis zum Umzug ins neue Institut im Jahr 1968. Danach verliert sich die Spur und heute ist das Kellner-Mikroskop - und auch das Mikroskop von Amici! - weder in Tübingen noch in der Sammlung der Leitz (Leica)-Werke in Wetzlar nachweisbar.

Es ist unwahrscheinlich, dass dieses schöne Instrument weggeworfen wurde, nachdem es alle Buntmetall-Sammlungen des 1. und 2. Weltkriegs überstanden hatte. Deshalb besteht Hoffnung, dass es heute noch existiert.

Über ein 'Lebenszeichen' würde ich mich für den Fundus Tübinger Wissenschaftsgeschichte sehr freuen!

Mit herzlichen Grüßen aus Tübingen,

Alfons Renz

Urs 123

Lieber Alfons,

ich wünsche Dir viel Glück bei der Suche nach den vermissten Geräten. Vielleicht mag es noch existieren, vielleicht auch nicht. Institutsumzüge sind so eine Sache... Ich habe selber einen Anfang der 1990er-Jahre erlebt. Auch wenn er eigentlich gut geplant war, verlief er dann doch recht chaotisch; dies weil wir den Aufwand total unterschätzt hatten, der die Beseitigung der Hinterlassenschaften von diversen Doktorandengenerationen mit sich brachte. Da wurde mit Einverständnis der Institutsleitung dann schnell verhökert oder landete auf dem Müll, was man nicht direkt selber brauchte oder was man als nicht mehr zeitgemäss ansah (z.B. nahezu alles, was schwarz lackiert war).

Du schreibst, dass die Nr. 79 "die Sammlung der heute noch nachweisbaren Kellner-Mikroskope erfreulich erweitert" habe. Hast Du da einen Ueberblick? Da Kellner selber nur zwischen 1851 und 1855 Mikroskope baute, dürfte es eine überschaubare Zahl sein. Timo Mappes (http://www.musoptin.com/kellner_87.html) erwähnt zwei unnumerierte (also frühe) Geräte, eins bei Leica in Wetzlar und eines, das 2005 in London versteigert wurde, die Nr. 86 im Deutschen Museum in München, seine eigene Nr. 87 sowie die 91 wieder bei Leica in Wetzlar. Kennst Du noch weitere, abgesehen von Deiner verschollenen 122?

Mit herzlichen Grüssen
Urs

Alfons Renz

Lieber Urs,

Ich weiss von Bemühungen, eine solche Liste zu erstellen. Da sich die Mikroskope heute zumeist in persönlichem Besitz befinden, ist eine Veröffentlichung nicht angebracht. Näheres gerne per PN.

Herzliche Mikrogrüße,

Alfons