Botanik: Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare ein Wurzelunkraut *

Begonnen von Hans-Jürgen Koch, Juli 29, 2016, 14:14:11 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Hans-Jürgen Koch

Liebe Pflanzenfreunde,

die Gewöhnliche Kratzdistel findet man an Wegen und auf Schuttplätzen ebenso wie auf Weiden, an Ufern und an ganz lichten Waldstellen. Sie braucht nährstoffreichen, vor allem an Stickstoffsalzen reichen Boden. Diese Pflanze zeigt Nitratreichtum an.
Cirsium vulgare ist verbreitet in ganz Europa, der Türkei, dem Kaukasus, dem Norden des Irans, Westsibirien (bis zum Jenissei), Zentralasien und Nordwest-Afrika und ist in Nordamerika, Zentralamerika und Australien.
Die Gewöhnliche Kratzdistel ist eine einjährige Pflanze und erreicht eine Wuchshöhe von 50 bis 350 Zentimetern. Die Laubblätter sind wechselständig, die Blattform ist oval bis lanzettlich. Die Blätter sind doppelt fiederspaltig und am Stängel herablaufend. Die Blattoberseite ist stachelig-steifhaarig, die Unterseite kurzhaarig bis weißfilzig. Alle Fiederabschnitte sind dornig gezähnt und laufen in einem langen gelben Dorn aus.

01 Habitus von Cirsium vulgare

Bildquelle: H.-J_Koch   

Für Landwirte überall in Europa ist die Distel ein verhasstes Unkraut, das trotz der Bekämpfung durch Herbizide noch immer eine erhebliche und zuweilen fatale Rolle spielt.
Die Distel besitzt tiefgehende Pfahlwurzeln, die vom Pflug nicht völlig erfasst und vernichtet werden können und ihre Samen überleben im Boden bis zu 20 Jahre.
Ein anderer Versuch des Menschen, in die Natur einzugreifen, scheint von Erfolg gekrönt: In Spanien sollen zwei Biomasse-Elektrizitätswerke jährlich 100.000 Disteln verbrennen und so rund 90 Gigawatt Strom produzieren. Verwendet wird dafür eine gentechnisch veränderte, besonders widerstandsfähige Distelart, Cynara cardunculus, die bis zu drei Meter hoch wird.
Quelle: (Marie-Therese Gudenus, DER STANDARD, Printausgabe vom 2./3.2003)
Die Gewöhnliche Kratzdistel hat besonders große Blütenkörbchen und ist für Insekten eine wichtige Nahrungsquelle. Der Nektar in den langen Blütenröhren kann nur von langrüsseligen Insekten erreicht werden, wie von dem Zitronenfalter und dem Kleinen Heufalter.

Bild 02 Blütenkopf der "Gewöhnlichen Kratzdistel"

Bildquelle: H.-J_Koch

Die Blütenkörbe haben einen Durchmesser von bis zu 4 Zentimetern. Während der Blüte ist der Korb in der Höhe der Blüten fast doppelt so breit wie der oberste Teil der Korbhülle. Die Korbhülle hat keinen Wollfilz. Die Blüten sind purpurfarben. Blütezeit ist von Juli bis Oktober. Die Achänenfrüchte haben eine abgeflacht-zylindrische Form. Der Pappus besteht aus langen, federartig behaarten Strahlen.
Cirsium vulgare wurde bereits von dem italienischen Botaniker Gaetano Savi (* 13. Juni 1769 in Florenz; † 28. April 1844) beschrieben und benannt, aber erst 1836 von Michele Tenore (* 11. Mai 1780 in Neapel; † 19. Juli 1861) in die heute gültige Systematik eingeordnet.

Systematik:
Ordnung: Asternartige (Asterales)
Familie: Korbblütler (Asteraceae)
Unterfamilie: Carduoideae
Tribus: Cynareae
Gattung: Kratzdisteln (Cirsium)
Art: Gewöhnliche Kratzdistel
Wissenschaftlicher Name: Cirsium vulgare
Volkstümliche Bezeichnung: Lanzett-Kratzdistel
Englischer Name: boar thistle

Bild 03 Blattrosette der Gewöhnlichen Kratzdistel

Bildquelle: H.-J_Koch
Die im zweiten Jahr gebildete Blattrosette ist sehr regelmäßig aufgebaut.

Bild 04 Schnittstellen, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare

Bildquelle: H.-J_Koch

Spross Blattstiel, Querschnitt, Schnittdicke: 25 Mikrometer

Bild 05 Ungefärbter Schnitt, Leitbündel, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare


Leitbündel (Faszikel) sind für den Ferntransport von Wasser, gelösten Stoffen und organischen Substanzen (Assimilaten, hauptsächlich Zucker) im Spross, im Blatt sowie in der Wurzel von höheren Pflanzen (Gefäßpflanzen) verantwortlich.

Bild 06 Ungefärbter Schnitt, Leitbündel, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare


Bild 07 Vergrößerung, ungefärbter Schnitt, Abschlussgewebe, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare


3A-Färbung nach Wacker (Acridinrot-Acriflavin-Astrablau)
Arbeitsablauf :
1. Schnitte  liegen in 30 % Ethanol.
2. Aqua dest. 3x wechseln je 1 Minute.
3. Vorfärbung Acridinrotlösung  8 Min.
4. 1x auswaschen mit Aqua dest. .
5. Acriflavinlösung (differenzieren bis gerade keine Farbwolken mehr abgehen - Lupenkontrolle) ca. 15 Sekunden !!!.
6. 2 x auswaschen mit Aqua dest.
7. Nachfärbung Astrablaulösung  1 Minuten, 30 Sekunden.
Bei der Nachfärbung mit Astrablau eine Mischung aus Astrablau und Acriflavin im Verhältnis  4 : 1 verwendet (blau + gelb = grün).
8. Auswaschen mit Aqua dest. bis keine Farbstoffreste auf dem Objektträger verbleiben.
9. Entwässern mit 2x gewechseltem Isopropylalkohol ( 99,9 % ).
10. Als letzte Stufe vor dem Eindecken Xylol einsetzen.
11. Einschluss in Entellan

Ergebnis:
Zellwände blaugrün bis grün, verholzte Zellwände leuchtend rot, Zellwände der äußeren Hypodermis orangerot, Cuticula gelb, Zellwände der innenliegenden Hypodermis tiefrot.
Fotos: Nikon D5500

Bild 08 Übersicht, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare


Bild 09 Übersicht mit schwarzem Hintergrund, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare


Bild 10 Vergrößerung aus der Übersicht mit Beschriftung, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare

MP = Markparenchym, PXY = Protoxylem, XY = Xylem, PH = Phloem, SK = Sklerenchym, RP = Rindenparenchym, CU = Cuticula, EP = Epidermis, T = Trichom

Bild 11 Leitbündel, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare


Bild 12 Leitbündel, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare


Bild 13 Leitbündel, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare


Bild 14 Trichom, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare


Bild 15 Geschlossenes Leitbündel mit Beschriftung, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare

SK = Sklerenchym, PH = Phloem, XY = Xylem, PXY = Protoxylem, RP = Rindenparenchym

Rechts neben dem "H" ist eine Siebplatte angeschnitten, neben den Siebröhren erkennt man die schmal-rechteckigen Geleitzellen.
Da die Kraztdistel eine Dicotyle (Zweikeimblättrige Pflanze) ist, müsste es sich hier um ein offenes Leitbündel handeln, aber ich kann kein Kambium entdecken.
Möglicherweise ist das Dickenwachstum einfach abgeschlossen

Bild 16 Leitbüdeltypen


Ist ein Kambrium zwischen Phloem und Xylem, nennt man das Leitbündel ,,offen" (bei vielen Dikotylen) - Zweikeimblättrige Pflanzen.
Fehlt das Kambium, nennt man es ,,geschlossen" (bei Monokotylen) - Einkeimblättrige Pflanzen.

Bild 17 Vergrößerung, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare


Bild 18 Drei Leitbündel, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare


Bild 19 Dunkelfeld,  Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare


Bild 20 Auflicht – Fluoreszenzaufnahme, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare

Fluoreszenzaufnahmen mit Anregungswellenlänge RoyalBlue mit 455 nm, 3 Watt LED, Sperrfilter LP 520, Erregerfilter BP 436/10

Bild 21 Auflicht – Fluoreszenzaufnahme, Gewöhnliche Kratzdistel Cirsium vulgare

Fluoreszenzaufnahmen mit Anregungswellenlänge RoyalBlue mit 455 nm, 3 Watt LED, Sperrfilter LP 520, Erregerfilter BP 436/10

Danke an Detlef Kramer für seine Erklärung zu den Leitbündeln.

Quellenangaben und verwendete Literatur:

Aichele/Schwegler ,,Der Kosmos-Pflanzenführer", ISBN 3-86047-394-8
Dietmar Aichele ,,Was blüht denn da ?", 1991
Rita Lüder ,,Grundkurs Pflanzenbestimmung", ISBN 3-494-01418-3
,,Was blüht denn da ?",  ISBB 978-3-440-11379-0
,,Der neue Kosmos Tier- und Pflanzenführer", ISBN 3-440-07286-X

Mit freundlichem Gruß

Hans-Jürgen

Plants are the true rulers - Pflanzen sind die wahren Herrscher.

<a href="http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=2650.0" target="_blank">Hier geht es zur Vorstellung</a>

Gerne per "Du"

Detlef Kramer

Lieber Hans-Jürgen,

Deine Schnittstellen zeigen: Du hast Blattstiele geschnitten. Da findest Du natürlich mit großer Wahrscheinlichkeit geschlossene Leitbündel. Im Spross sollte es anders aussehen!

Herzliche Grüße
Detlef
Dr. Detlef Kramer, gerne per DU

Vorstellung: Hier klicken

koestlfr

#2
Moin Hans-Jürgen!

Schöne Bilder, wie immer sehr aufwändig - schöne Doku!

Meine Anregung, sieh dir auch einmal - mikroskopisch - die Dornen an!

Ich habe einmal den Dorn von Dispacus fullonum geschnitten und möchte, wenn du nichts dagegen hast, das Bild zeigen (W3A und Fluo)



Liebe Grüße
Franz

PS: ich bin irritiert, wie das Bild beim Hochladen an Qualität einbusst!
Liebe Grüße
Franz

Hans-Jürgen Koch

Lieber Detlef,

ich habe tatsächlich einen Blattstiel geschnitten.

Hallo Franz,

der Schnitt durch den Dorn ist super. Von dieser Pflanze (Die Wilde Karde) habe ich noch nichts gehört oder gelesen.
Danke fürs Zeigen.

Mit freundlichem Gruß
Hans-Jürgen
Plants are the true rulers - Pflanzen sind die wahren Herrscher.

<a href="http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=2650.0" target="_blank">Hier geht es zur Vorstellung</a>

Gerne per "Du"

Klaus Herrmann

Lieber Jürgen,

eine schöne Dokumetation diese "Unkrauts". Man sieht sie zur Zeit wirklich oft. Ich habe auf einer Wanderung auf der Schwäbischen Alb vor ein paar Tagen "wunderschöne" Aufnahmen mit einem Schmetterling drauf gemacht. Allerdings kann ich mit dem Handy noch keine guten Nahaufnahmen machen, hab sie alle rausgeworfen. Aber auf der selben Wanderung ist mir wenigstens ein Bild der Kardendistel mit Hummel gelungen. Im Herbst stehen sie braun vertrocknet. Interessant ist die Verwendung der trockenen Fruchtstände in früheren Zeiten von den Tuchmachern, Webern und Färbern zum Aufrauhen von Geweben: https://de.wikipedia.org/wiki/Weber-Karde





# Franz, dein Dorn ist auch wunderbar getroffen
Vor Jahren habe ich bei einem Inzigkofenkurs einen Schnitt gefärbt hier mit Astrablau/Chrysoidin, auf dem ein Dorn der Kardendiestel nicht ganz so schön getroffen ist.

Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


Vorstellung: hier klicken

limno

#5
Lieber Hans-Jürgen, Detlef, Klaus und Franz,
botanisch korrekt müsste man wohl von Stacheln sprechen, da diese "Dornen" ja keine sind, sondern Emergenzen der Blattepidermis und keine umgebildeten Blätter, wie bei echten Dornen!
Grüße vom Kakteenfreund
Heinrich
So blickt man klar, wie selten nur,
Ins innre Walten der Natur.

Klaus Herrmann

Recht hast du Heinrich: deshalb ja auch das Sprichwort "keine Rose ohne Stachel" :D
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


Vorstellung: hier klicken

koestlfr

Hallo Heinrich und Kollegen!

Danke für die Korrektur!

Ja, der Irrtum hält sich dann beständig und ich überlege jedes Mal!

Liebe Grüße
Franz

PS: wir pfropfen da Bilder in Hans-Jürgens tolle Beschreibung - Sorry, entschuldige bitte!
Liebe Grüße
Franz

Hans-Jürgen Koch

Liebe Pflanzenfreunde,

danke für Euer Feedback.

PS: Ich habe keine Probleme mit ergänzenden Bildern, die zum Thema passen.

Gruß
Hans-Jürgen
Plants are the true rulers - Pflanzen sind die wahren Herrscher.

<a href="http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=2650.0" target="_blank">Hier geht es zur Vorstellung</a>

Gerne per "Du"

koestlfr

Lieber Hans-Jürgen!

Die Karde wächst im Wienerwald praktisch an jeder Ecke.....

Da du nichts dagegen hast möchte ich auch noch ein Bild vom Stachel in Pol zeigen...



Liebe Grüße
Franz
Liebe Grüße
Franz

Fahrenheit

Lieber Hans-Jürgen,

sehr schöne Schnitte vom Blattstiel! Die färbung finde ich ausnehmend gut gelungen.
Die Frage zum fehlenden Cambium hat Detlef ja schon beantwortet.

Herzliche Grüße
Jörg

p.s. Unter Kratzdistel gelistet.
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Hans-Jürgen Koch

Lieber Jörg,

auch Dir danke für Dein Feedback.

Gruß
Hans-Jürgen
Plants are the true rulers - Pflanzen sind die wahren Herrscher.

<a href="http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=2650.0" target="_blank">Hier geht es zur Vorstellung</a>

Gerne per "Du"