Heliomorpha mutans - ein Gestaltwandler

Begonnen von RainerM, April 18, 2018, 09:28:43 VORMITTAG

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

RainerM

Liebe Mikroskopikerinnen und Mikroskopiker,

vor einigen Wochen hat Ole an dieser Stelle mit Ciliophrys infusionum einen merkwürdigen Einzeller vorgestellt, der sein Erscheinungsbild verändern und wechselweise die Gestalt eines Sonnentiers, einer Amöbe oder eines Flagellaten annehmen kann.

Ich möchte auf einen analogen Fall hinweisen, bei dem diese Wandlungsfähigkeit (die hier allerdings nur zwei Formen umfasst, die des Sonnentiers und die des Flagellaten) sogar zur Namensgebung geführt hat: Heliomorpha mutans (= Dimorpha mutans). Lange Zeit wurde die Gattung unter die Heliozoen eingereiht, nach elektronenmikroskopischen Untersuchungen jedoch, die deutliche Unterschiede in der Bauweise der Axopodien zeigten, neuerdings zu den Cercozoa gestellt. Obwohl dieser interessante Einzeller nicht selten ist, wird er nicht häufig gezeigt, was auch damit zusammenhängen könnte, dass er nicht ganz einfach zu fotografieren ist. ?Die untersuchte Probe stammt aus dem Birkensee, einem kleinen Waldweiher auf dem unterfränkischen Schwanberg, sie wurde von der Wasseroberfläche abgeschöpft.

Heliomorpha mutans ist mit einem Zelldurchmesser von ca. 14-20 µm recht klein und zeigt sich meist in seiner Heliozoenform. In dieser scheint es im Gegensatz zu den ,,echten" Heliozoen stationär an Ort und Stelle zu verweilen.



In der Flagellatenform ist die Zelle kleiner, weist keine Axopodien, jedoch zwei Geißeln auf, mit deren Hilfe sie rasch im Wasser umherschwimmen kann.



Der Zellkörper der Heliozoenform ist eiförmig bis rund, mitunter auch birnenförmig bis amorph. Die kontraktilen Axopodien, die viele und kräftig ausgeprägte Extrosomen aufweisen, sind zwar radiär angeordnet, sparen dabei jedoch das apikale Zellende meist aus, in dessen Mitte der Centroplast liegt, von dem die Axoneme strahlenförmig ausgehen (siehe dazu und zum Folgenden die Fotos weiter unten). Hier liegt auch die Basis der apikalen Geißel, die die Zelle durch eine kragenförmige Austrittsöffnung verlässt und im Heliozoenstadium meist schnurgerade verläuft und nicht bewegt wird, sodass sie an einen Stiel erinnert. Die Schleimhülle, in die sie lt. Literatur eingebettet ist, konnte ich nicht beobachten. Die laterale Geißel ist meist schwieriger zu sehen, auch sie ist im Heliozoenstadium kaum in Bewegung.



Bei plötzlichen Bewegungen des umgebenden Mediums schwingen die Axopodien mitunter synchron hin und her, was an die anmutige Bewegung einer Seeanemone erinnert.



Heliomorpha ist sehr gefräßig; ich konnte beobachten, wie ein Exemplar in weniger als fünf Minuten vier Chrysophyceen verschlang. Die Opfer verfielen jeweils unmittelbar nach Berührung eines Axopodiums zunächst in eine Phase zitternder Bewegung, der völlige Bewegungslosigkeit folgte, die wie eine Lähmung wirkte. Anschließend wurden sie sehr schnell in den Zellkörper von Heliomorpha aufgenommen, indem dieser sich an der dem Opfer benachbarten Stelle öffnete, sich an den Rändern der Öffnung eine Art Plasmawulst vorschob, die Beute "ergriff" und ins Zellinnere zog.



Eine kurze Sequenz mag das Geschehen veranschaulichen, sie dauerte nicht länger als ca. 20 Sekunden:






Ebenso schnell wie der Beutefang erfolgte anschließend die Ausscheidung der unverdauten Reste, die wie bei der Aufnahme einzeln und hintereinander exkrementiert wurden. Gleichzeitig mit diesem Vorgang wurden die Axopodien eingeschmolzen (vielleicht, weil sie jetzt nicht mehr zum Beutefang benötigt wurden), und die Zelle wandelte sich in die Flagellatenform um. Auch dieser Prozess dauerte nur wenige Minuten:









Auf einigen Bildern ist der Kern zu erkennen, der dem Centroplast leicht gebogen gegenüberliegt. Der manchmal entstehende Eindruck, er sei fragmentiert, ist darauf zurückzuführen, dass einige der am Centroplasten entspringenden Axopodien in Kanälen durch ihn hindurchführen.

Die abschließenden Bilder zeigen, dass die Zelloberfläche von Heliomorpha mutans ähnlich der von Cochliopodium nicht glatt, sondern mit einer Vielzahl winziger Warzen besetzt ist. Zudem meine ich insgesamt drei Geißeln zu erkennen: die apikale (der ,,Stiel", siehe die Fotos oben) sowie zwei lateral angeordnete (siehe oberes Foto unten); in der Literatur ist hingegen nur von zwei Geißeln (der apikalen und einer lateralen) die Rede. Es gibt noch eine sehr ähnliche Gattung mit vier Geißeln - Tetradimorpha -, doch wies kein Exemplar in der untersuchten Probe diese Anzahl an Geißeln auf.




Heliomorpha mutans ist ein weiteres Beispiel dafür, wie wenig verlässlich eine taxonomische Zuordnung ist, die primär auf vermeintlich ,,typische" Kennzeichen im äußeren Erscheinungsbild setzt.

(Alle Aufnahmen bis auf die erste (400x) mit dem Plan 100x/1,25 am Zeiss Standard WL.)

Viele Grüße
Rainer

Bernhard Lebeda

Hallo Rainer

vielen Dank für diesen hammermäßigen Bericht!!

Wie bestimmt man/Du denn so ein Teil?

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Ole Riemann

Hallo Rainer,

eine traumhafte Dokumentation - ich bin Dir auch deshalb sehr dankbar, da ich nun weiß, wie dieses seltsame Wesen heißt, das ich auch in meinen aktuellen Proben häufig finde. Und wer sagts denn - der einfache Zeiss Plan Achromat Öl 100/1,25 160mm TL ...

Beste Grüße

Ole


Jürgen Boschert

Hallo Rainer,

kann mich meinen Vorschreibern nur anschließen: Tolle Dku !!

Danke !

JB
Beste Grüße !

JB

Michael

Hallo Rainer,
vielen Dank für die interessante Doku!
Bisher hatte ich die kleinen Freunde immer für ein Sonnentierchen gehalten und dann beiseite gelegt. Jetzt weiß ich, dass es sich lohnt, das nächste mal genauer hinzusehen!

Viele Grüße

Michael
Gerne per Du

Eckhard

#5
Hallo Rainer,

herzlichen Glückwunsch für die tolle Dokumentation dieses nicht einfach zu fotografierenden Protozoen. Ich kann noch ein paar ergänzende Informationen beisteuern.

Wenn im Frühling oder Herbst kleine Flüsschen über das Ufer treten und die umliegenden Wiesen überschwemmen, findet man oft massenhaft Heliomorpha mutans. Es gibt anscheinend mindestens 2 Arten, die sehr ähnlich sind. Die von Dir dokumentierte Art haben wir auch schon gefunden (Bilder sind auf www.penard.de zu sehen) und diese Art scheint mit der von Gruber beschriebenen übereinzustimmen. Es gibt mindestens noch eine andere Art, die im Heliozoenstadium das Flagellum benutzt, um sich an der Wasseroberfläche anzuheften (auch ein typisches Verhalten von Cercozoa Amöben um Clathrulina).

Typisch für Heliomorpha ist die, im Vergleich zu echten Sonnentierchen, sehr dichte Anordnung der Kinetocysten. Die von Dir geschilderte Wackelbewegung habe ich auch beobachtet, allerdings habe ich das für eine Jagd-Technik gehalten. Auf diese Weise steigt die Wahrscheinlichkeit, Beute zu erwischen. Das schnelle Fressen ist sehr auffällig.

Tetradimorpha halte ich für eine dubiose Art. Bei manchen Cercozoa Arten gibt es neben den aktiven Basalkörpern mit den beiden Flagellen noch zwei Reservebasalkörper. Steht eine Teilung bevor, werden sofort die beiden Flagellen gebildet, so dass es scheint, die Zelle hätte 4 Flagellen. Erst viel später wandern die beiden neuen Flagellen dann auf die andere Körperseite. Das hat mich auch schon gefoppt.

Lieber Bernhard, du hast bestimmt schon mal ein Bild gesehen. In der Broschüre ,,Das saubere Mikroskop" von Zeiss ist auf Seite 12 eine Phasenkontrastaufnahme von Heliomorpha zu sehen.

Herzliche Grüße,
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

Bernhard Lebeda

Zitat von: Eckhard in April 18, 2018, 17:12:39 NACHMITTAGS

Lieber Bernhard, du hast bestimmt schon mal ein Bild gesehen. In der Broschüre ,,Das saubere Mikroskop" von Zeiss ist auf Seite 12 eine Phasenkontrastaufnahme von Heliomorpha zu sehen.

Herzliche Grüße,
Eckhard

Hallo Eckhard

na ja, von einem Bild das ich mal gesehen habe beziehe ich keine Info zur Bestimmung  ;)

Meine Frage ging eher in Richtung  welche Literatur Rainer benützt!

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

RainerM

Hallo,

ich danke euch herzlich für eure Zuschriften und das positive feedback, das mich als Anfänger natürlich riesig gefreut hat.

@Bernhard: Ich habe Heliomorpha zuerst auf der Seite von Steffen und Eckhard (penard.de) "wiedererkannt". Zur genaueren und systematischen Bestimmung habe ich dann das Buch von Page/Siemensma, Nackte Rhizopoda und Heliozoa, herangezogen. Dort findet sich auch eine Tafel mit Zeichnungen zum Formwandel bei Heliomorpha.

@Eckhard: Vielen Dank für die zusätzlichen Informationen zu Heliomorpha! Hat die von dir genannte zweite Art einen eigenen Namen oder handelt es sich noch um eine Hypothese von dir/euch? Unterscheiden sich die beiden Arten nur durch das von dir genannte Verhalten oder gibt es auch morphologische Unterschiede?
Zur Schwingbewegung der Axopodien: Wenn ich mich recht erinnere, waren bei meiner Beobachtung Wasserbewegungen im Zusammenhang mit dem allmählichen Austrocknen des Präparats ursächlich dafür. Deine Erklärung wäre aber die ungleich spannendere - mal sehen, ob ich das nochmal beobachten kann!

Herzliche Grüße
Rainer

Michael Plewka

Hallo Rainer,

habe erst jetzt diesen tollen Beitrag gesehen; sehr schöne Dokumentation!

beste Grüße
Michael Plewka

Martin Kreutz

Hallo Rainer,

meinen Glückwunsch zu diesem ausgezeichneten Beitrag und der detaillierten Untersuchung einer selten gezeigten Art. In meinem Archiv hatte ich eine ähnliche Art, die ich bisher auch als Heliomorpha (Dimorpha) mutans verzeichnet hatte (s. unten). Allerdings waren meine Exemplare glatt doppelt so groß. Leider habe ich damals, als ich die Fotos machte, nicht auf die Zahl der Geißeln geachtet. Auf einigen Bildern kann man sich einbilden, es wären 4 Geißeln. Dann wäre mein Vieh evtl. Tetradimorpha tetramastix, die Eckhard für eine dubiose Art hält und deren Größe (Zellkörper) mit 35-40 µm angegeben wird (nach Page u. Siemensma). Es ist wirklich schwer zu sagen, ob das Varietäten einer Art sind, oder wirklich zwei verschiedene. Da würde wahrscheinlich wieder nur eine Kultur helfen oder die Genetik. Jedenfalls habe ich eine so kleine Heliomorpha, wie Du sie gefunden hast, bei mir im Fundort noch nicht angetroffen.

Martin

Vier Aufnahmen eines frei schwimmenden Exemplars:









Und hier die Heliozoenform



Eckhard

#10
Guten Morgen Martin,

Ich denke, Deine Aufnahmen zeigen nicht Dimorpha mutans, sondern eine Stramenopile. Schau mal in die Richtung Ciliophrys.

Herzliche Grüße,
Eckhard

PS: Ich habe noch mal in meine Literatur geschaut. Tetradimorpha scheint es wirklich zu geben. Die erste Erwähnung einer ähnlichen Form mit 4 Flagellen habe ich bei Blochmann (Zur Kenntnis von Dimorpha mutans, 1894) gefunden. Die Erstbeschreibung war 1927 (Ta-Shih Hsiung, Transactions of the American Microscopical Society Vol. 46, No. 3 (Jul., 1927), pp. 208-211) und es gibt sogar TEM Aufnahmen in Brugerolle (The Cell Characters of two Helioflagellates ... Dimoprha and Tetradimorpha, 1984).
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone