Botanik: Sankt Martins Gansfuß - Chenopodium album *

Begonnen von Fahrenheit, November 11, 2018, 12:18:01 NACHMITTAGS

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Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

rechtzeitig zu Sankt Martin was zur Gans! Für einen Botaniker nicht ganz einfach, aber es gibt ja die Gattung der Gänsefüße (Chenopodium) und der Weiße Gänsefuß ist als Ruderalpflanze recht häufig, und steht bei uns - den Wetterkapriolen sei Dank - sogar noch in voller Blüte. Außerdem hat er auch sonst noch einiges zu bieten, was wir uns nacheinander anschauen werden.

Sicher erinnert Ihr Euch: Hans-Jürgen hat uns Anfang September die Garten-Melde (Atriplex hortensis) vorgestellt. Ob der dort diskutierten Besonderheiten habe ich versucht, die Pflanze ebenfalls zu finden, leider erfolglos. Daher muss nun der Weiße Gänsefuß her halten.

Wie immer zunächst einige Informationen zur Pflanze selbst!

Der Weiße Gänsefuß (Chenopodium album), auch Weiß-Gänsefuß genannt, ist eine Pflanzenart aus der Gattung Gänsefuß (Chenopodium) in der Familie der Fuchsschwanzgewächse (Amaranthaceae). In Mitteleuropa meist als landwirtschaftliches Unkraut betrachtet, dient er in anderen Regionen als Gemüse, Pseudogetreide oder Futterpflanze. Die Erstbeschreibung von Chenopodium album erfolgte 1753 durch Carl von Linné in Species Plantarum.

Weitere Trivialnamen sind Ackermelde, Melde oder Falsche-Melde. Umgangssprachlich verbreitet sind ob seines Geruchs auch Dreckmelde, Mistmelde, Saumelde oder auch Schissmelle, Schissmehl, Schiissmalter und Hundsschiss, sowie Burket (Chur), Gösche (Altmark), Heimkuhkraut (Tirol im Pongau), Lusenmellen (Unterweser), Mell (Altmark), Mellen (Unterweser), Messmal (Altmark), Messmill (Pommern), Mistmilten, Wild Molten, Säumelde (Eifel), Schissmalter (St. Gallen), Schissmelde, Schissmell (Eifel) und Schissmölten (Schlesien).

Bild 1: Der Weiße Gänsefuß auf einem schmalen Ruderalstreifen zwischen einem Zaun und einem Weg. Ein typischer Standort.


Der Weiße Gänsefuß ist heute nahezu weltweit verbreitet, vor allem in den gemäßigten bis subtropischen Zonen, und spaltet sich in zahlreiche regionale Formen auf. In Amerika gilt er als eingeführte Art. Die Ausdehnung des natürlichen Verbreitungsgebietes in Eurasien ist unklar, als Ursprungsgebiet wird aber das Himalaja-Gebiet vermutet. In Pakistan erreicht er Höhenlagen bis 4300 m.
Der Weiße Gänsefuß kommt im gesamten Europa als Archaeophyt oder eventuell einheimische Art vor, nur im äußersten Norden (Island, Spitzbergen) ist er erst in neuerer Zeit eingeführt worden.
Man findet ihn in Mitteleuropa verbreitet in Ruderalvegetation und Unkrautfluren, vor allem als Erstbesiedler auf Schuttplätzen, an Wegen, in Äckern und Gärten, auch an Ufern und in Schlägen. Er gedeiht auf allen ausreichend nährstoffreichen Böden. Seit der jüngeren Steinzeit ist er ein Kulturbegleiter.

Bild 2: hier wird deutlich, woher der Name Gänsefuß kommt


Im System der Pflanzensoziologie ist er eine Klassencharakterart (Zeigerpflanze) der Ruderalgesellschaften und der Acker- und Garten-Beikraut-Gesellschaften (Chenopodietea).

Bild 3: Der Spross mit seiner charakteristischen Streifung, die ihre Entsprechung in der Anatomie der Pflanze hat


Der Weiße Gänsefuß ist eine einjährige krautige Pflanze, die Wuchshöhen zwischen 10 und 150 (selten bis 300) cm erreicht und bis zu 1 Meter tief wurzelt. Der meist aufrechte Stängel ist gelblich grün, grün gestreift, vor allem im Herbst auch rötlich überlaufen oder mit roten Flecken in den Blattachseln und ist besonders im Blütenstand stark durch Blasenhaare mehlig bestäubt. Er ist oft stark verzweigt, im unteren Teil mit bogig aufsteigenden, im oberen Teil mit aufrechten Seitenzweigen.

Bild 4: Die Blattform von Chenopodium album ist sehr variabel

Von links nach rechts: ein Blatt aus dem Blütenstand, eines knapp unterhalb des Blütenstandes, ein kleines und ein voll ausgebildetes Laubblatt.

Die wechselständigen Laubblätter sind 1 bis 2,5 cm lang gestielt. Die unterseits bemehlte, oberseits meist kahle Blattspreite mit einer Länge von 2 bis 6 (bis 10) cm und einer Breite bis 5 cm ist sehr vielgestaltig: meist rhombisch-eiförmig bis breit lanzettlich, manchmal schwach dreilappig, länger als breit, mit keilförmiger Basis. Der Blattrand ist meist unregelmäßig bogig gezähnt, schwach gesägt oder auch ganzrandig. Die oberen Blätter sind lanzettlich und meist ganzrandig. Der bemehlte Eindruck entsteht durch dicht sitzende Blasenhaare, die der Ausscheidung nicht benötigter oder für die Pflanze schädlicher Salze dienen.

Bild 5: Die Rückseiten der vier Blattformen


Bild 6: Ein Blick durch die Lube zeigt die Blasenhaare auf der Blattunterseite


Die Blütezeit reicht in Mitteleuropa von Juli bis Oktober, die Bestäubung der Blüten erfolgt in der Regel durch den Wind. Die Blütenstände sind endständige oder in den oberen Blattachseln entspringende, verzweigte ährenartige Rispen. Die zwittrigen Blüten sitzen in Knäueln von 3 bis 4 mm Durchmesser zusammen, Vorblätter fehlen. Die Blütenhülle besteht aus fünf bis fast zur Basis getrennten Tepalen von 1 mm Länge und Breite, die stumpf eiförmig, bemehlt, hautrandig und auf dem Rücken gekielt sind. Die Blüten enthalten fünf Staubblätter mit herausragenden Staubbeuteln und einen Fruchtknoten mit zwei Narben.

Bild 7: Ein Blick auf den Blütenstand des Weißen Gänsefußes


Bild 8: Auch die Details der Blüten sind nur unter der Lupe zu erkennen. Auch hier wieder die beschriebenen Blasenhaare

Bild 6 und 8 sind mit dem NexYZ von Celestron und dem Mobiltelefon an einer kleinen Präparationslupe entstanden.

Zur Reifezeit wird die flach-eiförmige Frucht größtenteils von der Blütenhülle bedeckt und fällt zusammen mit dieser ab. Die dünne Fruchtwand liegt dem linsenförmigen Samen mehr oder weniger an. Dieser erreicht einen  Durchmesser von 1 bis 1,5 mm und enthält reichlich Nährgewebe. Die schwarze Samenschale ist glatt und glänzend oder weist schwache radiale Streifen auf.

Die Ausbreitung der Diasporen erfolgt als Wind- und Tierstreuer, auch Selbstausstreuer und (bei Sturm) ein Ballonflieger, außerdem Bearbeitungsausbreitung durch Sperlinge. Es wurde berechnet, dass eine große Pflanze bis zu 1,5 Millionen Samen produziert. Vielfach finden sich deshalb im Boden reichlich Samen dieser Art, die dazu noch sehr langlebig sind und bis zu 1700 Jahre erhalten bleiben. Die Samen können in mesophil betriebenen (30 °C bis 35 °C) Biogasanlagen bis zu 3 Wochen im Substrat überstehen.

Bild 9: Illustration zu Chenopodium album

Aus Wikipedia von Carl Axel Magnus Lindman - «Bilder ur Nordens Flora» Stockholm, ca. 1926, gemeinfrei

Der Weiße Gänsefuß ist eine Nahrungspflanze für die Raupen zahlreicher Schmetterlingsarten. In der HOSTS-Datenbank sind dazu 69 Einträge aufgeführt. Die Samen sind eine wichtige Nahrungsquelle für zahlreiche Vögel während der Herbst- und Wintermonate, insbesondere für Sperlinge. Die Blätter werden vom Vieh und Rehwild gefressen.
Aber nicht nur Tiere mögen die Pflanze: aus den Blättern und den Blütenständen lässt sich ein schmackhaftes Gemüse zubereiten. man sollte nur darauf achten, dass die Pflanzen dazu nicht zu nah an den üblichen Hunderennstrecken wachsen ... ;)

Chenopodium album ist eine äußerst formenreiche Art, daher ist ihre Systematik noch nicht abschließend wissenschaftlich behandelt. Zum Chenopodium-album-Aggregat gehören hunderte Kleinarten, Unterarten, Varietäten oder Formen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Weiße Gänsefuß mit verwandten Arten Hybriden bildet.
Einer der Trivialnamen lautet Ackermelde oder Falsche Melde. Dies beziegt sich auf die Garten-Melde (Atriplex hortensis), die dem Weißen Gänsefuß recht ähnlich sieht.
Da sich der beschriebene Gestank (siehe weitere Trivialnamen) nicht einstellen wollte, nehme ich an, auch eine Hybride erwischt zu haben ...

quelle Wikipedia

Bild 10: Eine weitere schöne Illustration, die ich euch nicht vorenthalten möchte

Aus Wikipedia von Jacob Sturm – Zeichnung aus Deutschlands Flora in Abbildungen, Quelle  http://www.biolib.de


Zur Präparation:

Geschnitten habe ich die frischen Pflanzenteile: Spross und Wurzel freistehend und das Blatt in Möhreneinbettung auf dem Handzylindermikrotom mit Leica Einmalklingen im SHK Halter.
Die Schnittdicke beträgt je etwa 50 µm.
Diesmal kam eine von Bob entwickelte kleine Schneidehilfe zum Einsatz, die es erlaubt, die Probe beim Schnitt gegen das Messer abzustützen. Das Kunststoffplättchen mit vielen praktischen Kerbungen für unterschiedlich starke Proben oder auch ein Möhrenklötzchen geht auf Rainer Täubners Praxis zurück, seine Schnitte mit zwei übereinander gelegten Objektträgern abzustützen. Somit wird ein kleiner Nachteil des SHK Halters aufgefangen, der ja wegen des Teflon-Gleiters deutlich oberhalb der Glasplatte eines Handzylindermikrotoms schneidet.

Nachtrag: mehr zu Bobs Schneidehilfe findet sich auf der Webseite des MKB: http://www.mikroskopie-bonn.de/bibliothek/botanische_mikrotechnik/282.html

Bild 11: Die Schneidehilfe von Bob


Nach einer Schnittfixierung in AFE für ca. 24 Stunden wurden die Schnitte gut mit Aqua dest. ausgespült. Eine Bleiche z.B. mit Chloralhydrat war nicht notwendig.

Gefärbt habe ich mit frisch angesetztem W3Asim I nach Rolf-Dieter Müller für 7 Minuten mit einmaligem kurzen Erwärmen bis kurz vor den Siedepunkt.s
Eine Beschreibung der Färbung findet Ihr hier: W3Asim II im Vergleich auf der Seite des MKB.
Nach der Färbung wurden die Schnitte in Aqua dest. für weitere 24 Stunden mit mehrmaligem Wechsel sanft differenziert.

Eingedeckt sind die Schnitte - nach gründlichem Entwässern in reinem Isopropanol - wie immer in Euparal.

Bilder 12a-c: Die Schneidehilfe im Einsatz an meinem "Tempelchen"





Zur verwendeten Technik:

Die Aufnahmen sind auf dem Leica DMLS mit dem 5x NPlan, den 10x, 20x und 40x PlanApos und dem 100x PlanFluotar entstanden. Die Kamera ist eine Panasonic GX7, die am Trinotubus des Mikroskops ohne Zwischenoptik direkt adaptiert ist. Die Steuerung der Kamera erfolgt durch einen elektronischen Fernauslöser. Die notwendigen Einstellungen zur Verschlusszeit und den Weißabgleich führe ich vor den Aufnahmeserien direkt an der Kamera durch. Der Vorschub erfolgt manuell anhand der Skala am Feintrieb des DMLS.

Alle Mikroaufnahmen sind mit Zerene Stacker V1.04 (64bit) gestackt. Die anschließende Nachbereitung beschränkt sich auf die Normalisierung und ein leichtes Nachschärfen nach dem Verkleinern auf die 1024er Auflösung (alles mit XNView in der aktuellen Version). Bei stärker verrauschten Aufnahmen lasse ich aber auch mal Neat Image ran.

Mal wieder zu lang! ich muss auftrennen, gleich geht es weiter ... :)
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Fahrenheit

#1
Und weiter geht's! :)

Nun zu den Schnitten 

Beginnen möchte ich mit dem Spross, der eine Besonderheit aufweist, die uns schon bei der Gartenmelde beschäftigt hat und von Detlef mit dem Verweis auf die ANATOMY OF THE DICOTYLEDONS, VOLUMES I AND II, von C. R. Metcalfe und L. Chalk aufgeklärt wurde. Aber immer der Reihe nach!

Bilder 13a-f: Sprossquerschnitt in der Übersicht, Bilder 13a-d von einem recht dünnen Sprossstück (a&b frisch, c&d gefärbt), Bilder 13e&f von einem dickeren gefärbten Stück. Bilder 13b,d&f mit Beschriftung; alle Aufnahmen gestapelt






Auf den ersten Blick erkennen wir den typischen Sprossaufbau einer krautigen Pflanze: von Außen nach Innen finden wir an den Ecken des polyedrischen Sprossquerschnitts ausgeprägte Kantenkollenchyme zur Stabilisierung der Struktur. Dazwischen finden wir, in den frischen Schnitten schön zu sehen, Felder, deren Zellen viele Chloroplasten enthalten (daher hier als AP gekennzeichnet). Darunter folgt ein Rindenparenchym, in das eine Vielzahl von Calciumoxalatdrusen eingebettet ist. Dann - teils unterbrochen - ein feiner Ring wenig lignifizierter Sklerenchymfasern. Darunter dann der Leitbündelring und das Markparenchym, das ebenfalls einige Calciumoxalatdrusen enthält.
Schaut man aber genauer hin, wird klar, dass der Leitbündelring nicht ganz so klassisch aufgebaut ist. Wir sehen einen recht dünnen Phloemring, in dem Gruppen von Sieb- und Geleitzellen in einem Phloemparenchym eingebettet sind. Dahinter liegt - ohne erkennbares Cambium - ein Xylemring mit Tracheen und Tracheiden. Soweit so gut.  An einigen Stellen folgt nun aber in der Form eines eigenständigen Leitbündels eine Phloeminsel und ein weiteres Xylem. Die Phloeminsel macht die Struktur auffällig: so etwas ist recht selten uznd war hier im Forum bisher nur bei der Gartenmelde von Hans-Jürgen zu sehen. 
Informationen zu den Abkürzungen in den beschrifteten Bildern 13b,d&f sowie den folgenden beschrifteten Bildern findet Ihr wie immer auf der Webseite des MKB: Tabelle mit den Kürzeln und den zugehörigen allgemeinen Erläuterungen.

Bild 14: Aus ANATOMY OF THE DICOTYLEDONS, VOLUMES I AND II, von C. R. Metcalfe und L. Chalk

Die Autoren schreiben dazu: "The apparent medullary vascular strands (Fig ...) which are visible in some species are said, in most instances, to be leaf traces."

Bei den hinter dem "klassischen" Leitbündelring im Mark ("medullary") liegenden Leitbündeln handelt es sich somit mit hoher Wahrscheinlichkeit um Blattspuren, die weiter oberhalb (apical) den Leitbündelring durchbrechen um dann über den Blattstiel ein Blatt zu versorgen.
Ein Beweis - zumindest in Bildform - steht noch aus: ich hatte nicht erwartet, beim Gänsefuß auf diese Struktur zu stoßen und war beim Blick auf die Schnitte etwas überrascht.

Schauen wir uns nun die einzelnen Strukturen noch einmal im Detail an.

Das Kantenkollenchym an den Sprossecken

Bilder 15a-e: Kantenkollenchym am dünnen Spross (apical), Bilder 15a-c vom frischen Schnitt, Bilder 15d&e gefärbt, Bild 15c im Polarisationskontrast. Bilder 15b&e mit Beschriftung; alle Aufnahmen gestapelt






Bilder 16a-d: Kantenkollenchym am dicken Spross (basal), Bilder 15a&b vom frischen Schnitt, Bilder 15c&d gefärbt, Bilder 15b&d mit Beschriftung; alle Aufnahmen gestapelt





In beiden Situationen zeigt sich ein ausgeprägtes Kantenkollenchym, das hier zur Stabilisierung den eher schwach ausgeprägten Xylemring unterstützen muss. Der Stängel vom Weißen Gänsefuß ist übrigens erstaunlich zäh und kann nicht einfach durchgebrochen werden. Insbesondere in den Bildern 16 finden wir wieder die schon weiter oben besprochenen Leitbündel im Markparenchym mit der auffälligen Phloeminsel. Diese schauen wir uns nun noch einmal etwas genauer an.

Bilder 17a-i: Impressionen von den Leitgeweben im Spross des Weißen Gänsefußes, Bilder 16a&b vom frischen Schnitt, alle anderen Aufnahmen gefärbt. Bilder 17b,d,f&h mit Beschriftung; alle Aufnahmen gestapelt









In den oben gezeigten Bildern wird die außergewöhnliche Abfolge Phloem - Xylem - Phloem - Xylem noch einmal an verschiedenen Beispielen deutlich. Spannend finde ich, dass es im Phloemring nur sehr kleine Flächen mit Sieb- und Geleitzellen zu geben scheint, während die Phloeminseln der Blattspuren doch recht stark ausgeprägt sind.

In Bild 17d indes lauert eine kleine Falle, die ich mit SP? für Siebplatte gekennzeichnet habe. Aber sehen wir hier wirklich Siebplatten? Fluchs mal etwas Öl auf die Linse und ...

Bilder 18a,b: Phloemgewebe im gefärbten Präparat, Bild 18b mit Beschriftung, Aufnahme gestapelt


Die stärkere Vergrößerung bringt es an den Tag: nix is mit Siebplatten, es handelt sich um ein Artefakt - sprich Schmodder - über den Zellen, wie an der mit dem roten Pfeil gekennzeichneten Stelle deutlich wird. Außerdem sind Sieb- und Geleitzellen gleichermaßen betroffen. Hier hat sich das genaue Hinsehen gelohnt, obwohl ich schon etwas enttäuscht war.

Bevor wir den Spross verlassen, noch ein Blick auf das Assimilationsparenchym, dass eingegrenzt von den Kollenchymen zwischen Rindenparenchym und Epidermis liegt. Hier finden wir die Ursache für die makroskopisch beschriebene Streifung des Sprosses (siehe Bild 3). Die helleren Streifen gehen dabei auf das unter der Epidermis liegende chloroplastenlose Kollenchym zurück, die dunkleren auf das kräftig grüne Assimilationsparenchym.

Bilder 19a-d: Assimilationsparenchym des Sprosses, Bilder 18a&b vom frischen Schnitt, Bilder 19b&d mit Beschriftung, alle Aufnahmen gestapelt




Im Gegensatz zum Rindenparenchym sitzen die Chloroplasten in den kleineren Zellen zwischen den Kollenchymen ähnlich dicht, wie in den Assimilationsparenchymen von Blättern. 

Die folgende Aufnahme von einem gefärbten Schnitt im Polarisationskontrast zeigt noch einmal den Ring von Calciumoxalatdrusen im Rindenparenchym unterhalb des Kollenchyms bzw. Assimilationsparenchyms:

Bild 20: Äußere Sprossgewebe im Polarisationskontrast


Werfen wir nun einen schnellen Blick auf das Blatt! Die Schnitte hier sind nicht so schön geworden, sondern vielfach ausgerissen. Und das hat einen Grund.

Bilder 21a-h: Frische und gefärbte Querschnitte vom Blatt des Weißen Gänsefußes, Bilder 21b,d,f&h mit Beschriftung; alle Aufnahmen gestapelt








Wir finden ein klassisches bifaziales Blatt mit Assimilationsparenchym und Schwammparenchym in der Blattspreite. Die Mittelrippe ist auf der Blattunterseite erhaben und wird oben und unten von kleinen Kollenchymen stabilisiert. Insbesondere in der Blattspreite gibt es wieder jede Menge Calciumoxalatdrusen. Und die führen mit ihrer außergewöhnlichen Größe zum Ausreißen der Schnitte, da sie vom Messer oft nicht zerteilt sondern mit geschoben werden:

Bild 22: Ausgemessene Calciumoxalatdrusen in der Blattspreite von Chenopodium album

Die Drusen haben einen Durchmesser von gut 0,1 Millimeter. In dieser Größe habe ich sie noch nicht gesehen.

Nun bleibt uns noch die Wurzel dieser auch mikroskopisch sehr ergiebigen Probepflanze. Und auch dort gibt es etwas ungewöhnliches zu entdecken.

Bilder 23a-d: Wurzel des Weißen Gänsefußes im Querschnitt, Bilder 23b&d mit Beschriftung. Alle Aufnahmen gestapelt




Interessant die unterschiedliche Farbwirkung der Aufnahmen. Die Bilder 23c&d sind direkt nach der Färbung in Wasser entstanden, die Bilder 23a&b stammen von Präparaten in Euparal. Beide Male Schnitte aus dem selben Färbegang. Wirklich spannen ist hier aber die wechselnde Abfolge mehrerer Ringe von Xylem und Phloem und der insgesamt sehr verflochtene Verlauf der Leitgewebe. Ich habe recht weit oben geschnitten, um einen möglichst großen Durchmesser zu erfassen und denke, dass die Schnitte zumindest Teile des Übergangs ins Hypocotyl zeigen.

Bilder 24a,b: eine Seitenwurzel zweigt ab, Bild 24b mit Beschriftung; Aufnahme gestapelt


Leider ist der Schnitt durch und an der Seitenwurzel etwas dick geraten, aber die Anbindung an die Gewebe der Hauptwurzel ist trotzdem gut zu erkennen.

Zum Abschluss geht es noch etwqas näher heran. Die verdrehten Tracheen haben einen ganz eigenen Reiz und da gibt es noch Kristalle, die im polarisierten Licht nicht aufleuchten ...

Bilder 25a-c: Details mit Tracheen, Tüpfeln und Kristalleinlagerungen im Xylemparenchym, Bild 245 mit Beschriftung; alle Aufnahmen gestapelt



Die gewundenen Tracheen zeigen schön ihre Tüpfelfelder und in einigen Zellen des Xylemparenchyms stecken rautenförmige Kristalle, die im polarisierten licht nicht aufleuchten. Auch wenn die rhomboedrische Form stark an Calciumoxalat erinnert: was könnte das sein?

Vielen Dank fürs Lesen, Anregung und Kritik sind wie immer willkommen.

Herzliche Grüße
Jörg
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wejo

Hallo Jörg,
Deine Frage kann ich leider nicht beantworten, doch möchte ich mich für Deine tollen Bilder mit  den interessanten Erklärungen bedanken! Einfach toll!!
Herzliche Grüße
Werner

Klaus Herrmann

Zitatrautenförmige Kristalle, die im polarisierten licht nicht aufleuchten.

Lieber Jörg,

das kann ich nicht glaunben. Sie sind sicher nich kubisch, sollten also doppelbrechend sein und da sie wirr durcheinander liegen sollten sie auch mal eine vorteilhafte Lage haben. Gib dir Mühe! 8)

Ansonsten natürlich wie immer überwältigend!
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


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Fahrenheit

Lieber Werner, lieber Klaus,

vielen dank für Euer lob, das mich wie immer sehr freut!

Die rhomboedrischen Kristalle aus den Bildern 25 zeigen tatsächlich keine Doppelbrechung. Im Gegensatz zu den Drusen im übrigen Gewebe, wie man in den Pol-Bildern (z.B. Bild 20) gut sehen kann. Mir fällt aber auch nichts ein, was in den Wurzeln sonst noch in der Form eingelagert sein könnte.

Herzliche Grüße
Jörg
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Klaus Herrmann

Lieber Jörg,


ZitatDie rhomboedrischen Kristalle aus den Bildern 25 zeigen tatsächlich keine Doppelbrechung

Kannst du bitte mal ein Polbild zeigen von der Stelle? Sind die Kristalle dann schwarz? Und hast du die Möglichkeit noch ein Lambda (oder Cellophanfolie) nach dem Polarisator aufzulegen?
Vielleicht ist ja die Doppelbrechung klein und die Kristalle sehr dünn.
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


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Fahrenheit

Lieber Klaus,

mach ich morgen. Da gibt es wirklich keinerlei Reaktion.
Mit einem Hilfsobjekt habe ich es noch nicht probiert, auch das kommt.

Herzliche Grüße
Jörg
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Fahrenheit

Lieber Klaus, liebe Pflanzenfreunde,

heute bin ich noch einmal auf die jagt nach den Kristallen in den Parenchymzellen des Wurzelgewebes gegangen.
Hier, was ich gefunden habe:

Bilder 26a,b: Wurzelquerschnitt, gefärbt mit W3Asim I. Aufnahme der selben Stelle mit gekreuzten (26a) und parallelen Polfiltern (26b)



Hier zeigt sich aus meiner Sicht, dass die Kristalle doch doppelbrechend sind, auch wenn diese Eigenschaft von den umliegenden, gefärbten Geweben überstrahlt wird. So kam für mich in den Bilder 25 der Eindruck zustande, dass es keine Doppelbrechnung gibt. So kann man sich irren.

Bild 27: Hier eine andere Stelel aus dem Präparat, wieder bei gekreuzten Polfiltern:


Die Aufnahmen vor dunklem, sprich dünnen Hintergrund zeigen die Doppelbrechung gerade bei gekreuzten Filtern sehr schön.

Was denkt Ihr?

Herzliche Grüße
Jörg
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Wutsdorff Peter

Hallo Jörg,
wieder einmal suuupeeerr!!
Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich.
Gratulation !!
Gruß vom Laien   Peter

Klaus Herrmann

ZitatWas denkt Ihr?

Lieber Jörg "wir" denken, dass die Welt wieder im Lot ist und ich danke dir für die Mühe das Thema nun doch noch befriedigend zu lösen. Dat iss es!
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


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Fahrenheit

Lieber Peter,

vielen Dank für Dein Lob, es freut mich, dass Dir der Thread gefällt!

Lieber Klaus,

ja, so sieht es aus. Ich hatte nicht gedacht, dass in einem dicken Schnitt die Doppelbrechung bei gekreuzten Polfiltern komplett überstrahlt wird, andererseits konnte ich mir bei der Kristallform auch nichts anderes als Calciumoxalat vorstellen.

Herzliche Grüße
Jörg
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Klaus Herrmann

Zitatandererseits konnte ich mir bei der Kristallform auch nichts anderes als Calciumoxalat vorstellen.

Sach ich doch lieber Jörg: erst Mal das nächstliegende annehmen. Man könnte jetzt noch einen Färbeversuch mit Anthracengrün machen. Habe ich mal vor Jahren am Forsythienspross gemacht:
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


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Bob

Hallo Jörg,

vielen Dank für diesen tollen Beitrag. Deine Fotos mit "NexYZ von Celestron und dem Mobiltelefon an einer kleinen Präparationslupe " sind sehr gut geworden - magst Du den Aufbau mal zeigen?
Ich habe Dir eine aktualisierte Form der Schneidehilfe geschickt, diesmal mit Fingerschutz-Rippe in der Mitte, damit wir nicht als nächstes histologische Schnitte von Dir zu sehen bekommen. ::).

Viele Grüße,

Bob

Fahrenheit

#13
Lieber Klaus,

Anthracengrün habe ich nicht. Ich nehme an, Du hast das auch in Deinem Bauchladen? ;)
Wie sieht denn die Färbevorschrift aus?

Lieber Bob,

auch Dir vielen Dank für Dein Lob und auch hier noch mal für die Schneidehilfe. Den zweiten Entwurf werde ich wahrscheinlich schon am Wochenende testen können.
Histologie liegt mir nicht. Wenn ich da mal Schnitte mache, sind die meist zu dick, schmerzhaft und rot überspült ... ;)

Euch beiden herzliche Grüße
Jörg
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Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

Ihr erinnert Euch: wir haben noch das Thema mit den medullaren Leitbündeln nach Metcalfe & Chalk offen (Bilder 13 und 14). dazu bin ich heute noch mal auf die Jagt gegangen.

Typisch ist der Bau einer Gabelung: in der Blattachsel entspringt der abzweigende Spross, so wir wir es aus Bild 3 kennen, das ich hier noch einmal zeige:

Bild 28: Sprossgabel mit Blatt und Beschriftung

Im gekennzeichneten Bereich habe ich insgesamt 11 Schnittebenen gemacht. Immer 6 Schnitte a 60 µm, 200µm Vorschub und so weiter. Dazu gleich; schauen wir uns die Situation erst einmal im Längsschnitt (Auflicht) an:

Bilder 29a&b: Längsschnitt durch die Srossgabel, beide Seiten, mit Beschriftung


Anhand der hellen Streifen (Xylem) kann man den Verlauf der Leitbündel erkennen, aber die Strukturen sind für einen Beweis zu klein.

Lieber Hans-Jürgen, wenn du hier mit liest: vielleicht magst du einmal ein sauberes Präparat von solchen Längsschnitten machen und die Bilder hier zeigen, das bekommst du viel besser hin wie ich.

Lieber Bob, ich hab' dich nicht vergessen. Die Bilder 29 wurden auch mit dem Präparationsmikroskop und dem NexYZ gemacht:

Bild 30: Der Aufbau für die Bilder 29

Eine Vorstellung des NexYZ von Celestron findet sich auch auf der Webseite des MKB: Link

Nun zu den 11 Bildern des Serienschnitts. In den Bildern findet Ihr in roten Kreisen zwei prominente medullare Leitbündel, sodass sich ihr Verlauf in der Serie nachverfolgen lässt. Blau eingekreist eine Stelle, an der sich ein breiter Phloemstreifen bildet, hier trennen sich m.E. die Leitgewebe des Seitensprosses von denen des Sprosses. Grün dann die Blattspur, die zum Blattstiel führt. Diese ist sehr schräg angeschnitten, was der Lage des Blattstiels gut entspricht.

Bilder 31a-k: Die Schnittserie durch die Sprossgabel











Anhand der Serie nehme ich, dass sich unterhalb einer Sprossgabel zwei stärker ausgeprägte medullare Leitbündel zeigen, aus denen sich im Verlauf der Gabelung die dem Hauptspross zugewandte Seite des Leitbündelrings des Nebensprosses bildet, während die Blattspur aus den außen liegenden Leitgeweben des Hauptsprosses besteht aus der wiederum auch die Leitgewebe der vom Hauptspross abgewandten Seite des Nebensprosses entstehen.

Zur Zeit habe ich gut 80 Schnitte im AFE, nach der Präparation werden wir noch mal genauer hin schauen, zumindest, wenn Ihr Lust habt. :)

Bild 32: Die Serie fixiert for sich hin ... ;)


Auch hier gilt: Anregung und Kritik ist sehr willkommen!

Herzliche Grüße
Jörg
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