Einige Beobachtungen an lebenden Diatomeen der Nordsee

Begonnen von Ole Riemann, Oktober 21, 2019, 17:11:27 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Diatomeen-Freunde,

auch in diesem Sommer waren wir wieder mit Studenten für einige Tage an der Biologischen Anstalt Helgoland auf meeresbiologischer Exkursion. Während dieser Tage versuche ich immer, parallel zum Kursgeschehen ein kleines eigenes Projekt zu verfolgen. Für dieses Jahr hatte ich mir vorgenommen, mal wieder lebende Diatomeen in unterschiedlichen Lebensräumen zu mikroskopieren und zu dokumentieren.

Viele Mitglieder im Forum bearbeiten Schalenpräparate von Diatomeen; ich fühle mich insbesondere zu den lebenden Kieselalgen im Frischpräparat hingezogen.

Im Folgenden zeige ich drei Beispiele für das Vorkommen lebender, mariner Diatomeen um Helgoland. Die mikroskopischen Aufnahmen habe ich mit einem Olympus BH2-BHT, ausgestattet mit SPlan Achromaten, im Hellfeld, Differentialinterferenz- und Phasenkontrast gemacht.


1. Koloniale Diatomeen in Gallertschläuchen

Im Spülsaum des Südstrands auf der Helgoländer Düne fand ich zahlreiche abgerundete Steine, auf denen einer dichter Bewuchs von Algen und größeren Tangen zu finden war. Dieser Bewuchs abgekratzt und in eine Glasschale überführt sah so aus:



Neben schlauchförmigen grünen Algen aus der Enteromorpha-Verwandtschaft und einem großen Braunalgen-Tang sieht man ein zarteres Geflecht bräunlicher Fäden (Pfeilspitzen). Hierbei handelt es sich nicht etwa um fädige Braunalgen, sondern um Diatomeen, die in gallertigen Schläuchen leben und zu Tausenden einen kolonialen Verbund bilden. Vor einiger Zeit hatte ich im Forum schon mal einen ähnlichen Fall, allerdings bei Süßwasserdiatomeen aus dem Main, gezeigt: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=28598.0

Bei schwacher Vergrößerung erhält man das folgende Bild - der Pfeil verweist auf eine Verzweigung im Gallertschlauch:



Höhere Vergrößerungen lassen dann die einzelnen Zellen in den charakteristischen Gallertschläuchen erkennen:



Die Begrenzungen der Gallertröhren sind durch Pfeilspitzen markiert; die Diatomeen zeigen dem Betrachter teils die Schalen- (Sa), teils die Gürtelbandansicht (Ga):



In manchen Abschnitten der Gallertschläuche findet man dicht aneinander liegende Zellen, die sich gemeinsam – wie in Reih und Glied – in eine Richtung bewegen und den Eindruck erwecken, ihr Verhalten werde durch eine übergeordnete Instanz gesteuert. Es ist sicherlich nicht ganz trivial, wie es die einzelnen Zellen schaffen, ihr individuelles Verhalten zu einer größeren Einheit zu integrieren:



Eine schöne Zusammenstellung über marine, Gallertröhren bewohnende Diatomeen liegt durch P. M. Houpt vor (Houpt PM (1994) Marine tube-dwelling diatoms and their occurrence in the Netherlands. Netherlands Journal of Aquatic Ecology 28(1), 77-84). Auf der Grundlage dieser Arbeit vermute ich, dass es sich bei meinem Fund um die häufige Art Parlibellus berkeleyi oder eine nahe verwandte Art handelt. Die Gattung Parlibellus wurde von E. J. Cox etabliert und umfasst eine Gruppe von Arten, die früher zur Gattung Navicula gezählt wurden (siehe Eintrag in der AlgaeBase, https://www.algaebase.org/search/species/detail/?species_id=i51a1f75108f44d67).


2. Diatomeen des Planktons

Natürlich gehört ein Planktonzug zum festen Programm jeder meeresbiologischen Exkursion. Dabei findet man schöne planktische Diatomeen, von denen ich hier nur einige Beispiele zeige.

Zwei Arten der Gattung Odontella (vermutlich O. sinenis und regia), jeweils zwei Zellen, die über ihre auf der Schalenseite ansetzenden Fortsätze locker miteinander verbunden sind:




Immer wieder sehr beeindruckend die großen Coscinodiscus-Scheiben mit ihren hexagonalen Schalenskulpturen und den zahlreichen, linsenförmigen Chlorplasten unmittelbar unterhalb der Schale:



Für mich ein Erstfund – die kettenbildende zentrische Diatomee Lithodesmium undulatum:



Zwei Zellen der markanten Ditylum brightwelli offenbar kurz nach einer Teilung und Regeneration der fehlenden Zellhälften:



Und eine sternförmige, an die limnische Asterionella formosa erinnernde Kolonie von Thalassionema nitzschioides – deutlich zu sehen ist, wie die Zellen an ihrer Basis durch ein gemeinsames Gallertpolster aneinander haften:




3. Epiphytische Diatomeen

Direkt gegenüber dem Laborgebäude der Biologischen Anstalt liegt ein kleiner Hafen für Sportsegelschiffe. Zu den Booten kommt man auf schwimmenden Pontons, deren Unterseiten dicht mit kleinen Algen und zahlreichen kolonialen wirbellosen Tieren besetzt sind. Dazwischen schwimmen kleine Fische und durchsichtige Garnelen – bei genauerer Betrachtung ein naturkundliches Paradies.

Zupft man mit der Pinzette ein wenig Algenwatte ab und überführt sie in ein kleines Rollrandgläschen, zeigt sich – durch ein 100mm Makroobjektiv freihändig aufgenommen – der folgende Anblick:



Manche der Algenthalli – hier die Rotalge Ceramium rubrum – sind üppig bewachsen mit wattigen Epiphytenbeständen (Pfeile), die praktisch ausschließlich aus Diatomeen bestehen. Ein wenig Material davon abgezupft bietet Material für ausgiebige Sessions am Mikroskop. Hier als Beispiel eine besonders hübsche Kolonie von Licmophora, vermutlich L. flabellina. Wie ein Blütenköpfchen sitzen die keilförmigen Zellen auf einem gemeinsamen Gallerstielchen; Verzweigungen der Kolonie treten ebenso auf wie unmittelbar an der Hauptachse sitzende Zellen:



Grünalgen aus der Verwandtschaft von Enteromorpha sind häufig von besonders artenreichen epiphytischen Diatomeen-Gemeinschaften bewachsen:



An lebenden Kieselalgen lassen sich Einzelheiten der zellulären Organisation erkennen, die die toten Schalenpräparate naturgemäß nicht mehr zeigen. Hierzu gehören die Kern- und Chloroplastenverhältnisse. Im folgenden Bild – vermutlich eine Synedra-Art – erkennt man bei allen Zellen die zahlreichen linsenförmigen Chloroplasten und den Kernbereich (dünner Pfeil, nur bei der untersten Zelle markiert) und innerhalb eines der Kerne rundliche Strukturen (Pfeilspitzen), die vermutlich Nukleoli darstellen:



Hier noch ein Beispiel für eine interessante Chloroplastenmorphologie (die aber möglicherweise nicht den typischen Zustand im Leben der Zelle, sondern eine Degenerationserscheinung zeigt):



Beste Grüße

Ole











A. Büschlen

Hallo Ole,

wunderschöne Bildfolge!
Warum ist das Meer so weit entfernt?

Viele Grüsse

Arnold
Schwerpunkt z.Z.:
- Laub- und Lebermoose.
- Ascomyceten als Bryoparasiten.
- Nikon Optiphot I mit HF, DIC.
- Nikon Microphot mit HF, Pol.
- Zeiss Standard Universal mit HF, Ph, Pol.
- Wild M3Z mit Ergotubus.
- Nikon SMZ-U Zoom 1:10 mit ED Plan Apo 1x.

ds0511

Vielen Dank Ole,

für den interessanten Beitrag und die tollen Bilder.

Viele Grüße,
Detlef

anne

Hallo Ole,
ganz, ganz toll👏👏👏👏.
Besonders die Licmophora, ein toller Fund.
Lg
Anne

Peter V.

#4
Lieber Ole,

was soll man dazu sagen!? Nicht nur ein interessanter Beitrag, sondern (auch aus künstlerisch-ästhetischer Sicht!) Wahnsinnsbilder! Allesamt!

Herzlichen Glückwunsch dazu!

Peter

Dieses Post wurde CO2-neutral erstellt und ist vegan. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Wutsdorff Peter

Hallo Ole,
ich erstarre vor Ehrfurcht.  Glückwunsch zu diesen tollen Bildern!!
Gruß von Peter, der bisher nur bot. Schnitte erstellt

cabo

Hallo Ole

Da wären gleich mehrere Kandidaten für das FdM dabei, wenn es dies denn noch gäbe. Mir gefällt am besten die Licmophora-Kolonie.

Gruß


Christian

Manfred Melcher

Hallo Ole,

vielen Dank für diesen ausgezeichneten Beitrag.  Ganz großes Kino!

Liebe Grüße
Manfred

Peter V.

Hallo,

woran erinnern mich die Fotos nur....?


http://www.tura-bremen.de/files/angebote/kanu/KanuSchleuseMeck-Vor.jpg


Herzliche Grüße
Peter

PS: In der Tat: Gäbe es das FdM noch, gäbe es hier mehrere Kandidaten - genau das ging mir heute auch schon durch den Kopf. Also, ich hätte nicht gedacht, dass das mit einem Olympus DIK allein so einfach geht... ;)
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Ulf Titze

Lieber Ole,

ich halte mich ja gewöhnlich zurück mit digitalen Jubelstürmen. Aber diese Bildfolge in Kombination mit Deiner Beschreibung ist ja m.E. sowas von instruktiv! Wer bekommt da nicht Lust, selbst zu experimentieren?

Vielen Dank und herzliche Grüße

Ulf

P.S.: Gestern bin ich 2,8 km mit der coolsten denkbaren Laufpartnerin gelaufen: meiner Tochter  8) ;D
"Do not worry about your problems with mathematics, I assure you mine are far greater." (A. Einstein)

"Komm wir essen Opi!" - Satzzeichen können Leben retten!!!

Peter Reil

Hallo Ole,

toller Beitrag mit schönen Bildern! Und das quasi "nebenbei".  ;D

Freundliche Grüße
Peter
Meine Arbeitsgeräte: Olympus BHS, Olympus CHK, Olympus SZ 30

Fahrenheit

Lieber Ole,

fantastische Aufnahmen und schöne Beschreibungen! Nun fuchst es mich noch mehr, dass ich vor zwei Wochen auf Romo keine Mikroskop dabei hatte.

Herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Peter V.

#12
Liebe Ole,

noch eine Anmerkung: Auch wenn der DIK heute unverzichtbar erscheint und in der Mikrofotografie quasi das Maß der Dinge ist, zeigst Du mit dem Foto der ephphytischen Lebensgemeinschaft, dass nach wie vor ein gelungenes Hellfeldbild äußerst attraktiv sein kann. Ich habe selten einen Beitrag gefunden, bei dem ich mich bei so vielen Bilder einfach nicht entscheiden konnte, welches das schönste ist.

Hezrliche Grüße
Peter
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sushidelic

Hallo Ole,

da kann ich allen Vorschreibern nur beipflichten, ich habe wirklich selten so viele tolle Bilder in einem Beitrag gesehen, und noch dazu äusserst informativ, danke!

LG Michael

Siegfried

Hallo Ole
Auch bei mir, Begeisterung pur.
Vor Allem die Vielfalt deines Beitrages und die Naturbelassenheit faszinieren mich. Hat eben Alles seinen Reiz, vom lebenden Organismus bis hin zu den  schönen Skeletten.
Besonders gefällt mir als vorwiegender Hellfeld und Phasenkontrast Hobbyfotograf die Grünalgen und Diatomeengemeinschaft. " ein gelungenes Hellfeldbild kann auch äußerst attraktiv sein "
DIK ist für mich leider noch nicht möglich, aber Träume können ja noch wahr werden.
  Gruß von Siegfried aus Thüringen