Leitz Stereomikroskop, Paralleleinblick

Begonnen von geohill, Dezember 09, 2020, 11:14:18 VORMITTAG

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geohill

Hallo
Ich habe vor eineiger Zeit ein Leitz Stereomikroskop aus dem Jahre 1939 erstanden. Wie (fast?) alle Stereomikroskope dieser Zeit handelt es sich um einen Greenough-Typ. Bisher habe ich alle diese Mikroskope nur mit einen schrägen (gewinkelten) Einblick gefunden. Nun hat mein Mikroskop einen parallelen Einblick, was den Arbeits-Komfort vergrössert. Offensichtlich ist dieses Gerät eine Ausnahme. Im Übrigen ist dieses Mikroskop in unglaublich tollem Zustand, praktisch neuwertig, ohne die geringste Gebrauchsspur, es ist ein Genuss, damit zu arbeiten.
Kann jemand etwas dazu sagen?
Danke!

Mikroman

Hallo,
ein wirklich schickes Teilchen - und so gut erhalten. Nach der Seriennummer zu urteilen stammt es wohl von 1939. Damals war wohl der gerade Tubus gängig, siehe auch mal hier: https://www.uni-flensburg.de/fileadmin/content/abteilungen/physik/bilder-und-dokumente-aktuell/6-forschung/material-culture/mercier-michelle-das-greenough-stereomikroskop-57163.-eine-objektbiografie.pdf

Gruß
Peter
Zu sehr auf sich selbst zu beharren,
ist ein unvernünftiges Vergeuden der Weltsubstanz (Juarroz, 9. Vertikale Poesie,1)

ortholux

#2
Zitat von: geohill in Dezember 09, 2020, 11:14:18 VORMITTAG
Kann jemand etwas dazu sagen?

Ja. Nämlich daß ich neidisch bin  ;).

Also, lieber George,

wie du bereits geschrieben hast, handelt es sich um ein "Greenough" mit parallelem Einblick. Im Katalog von 1939 findet sich eine Abbildung dazu. Kommentarlos.



Das Gerät gab es schon in den 20ern. Ich besaß mal eins vom 19.1.1929



Es hatte auch noch das typische 20er-Jahre-Design. Vernickelte statt verchromte Teile und der nach vorn spitz werdende Fuß.

Da ich erst ab den 30er-Jahren sammle, hielt ich es als Interrimsgerät so lange in der Sammlung, bis ich ein passendes ab 1930 fand. Glücklicherweise war das dann auch noch eine (Nach-)kriegsausführung, die aus Resten zusammengebastelt wurde.

Die Lackierung des Prismenkastens deutet auf 20er-Jahre hin, das Stativ ist das modernere aus den 40er Jahren. Es hat noch nicht mal eine Seriennummer. Das wiederum kann darauf hinweisen, daß es kein "offizielles" Gerät war, sondern von einem Mitarbeiter aus der "Restekiste" zusammengeschraubt wurde.

Hier beide im Vergleich:






Der Prismenkasten diente auch als Basis für dieses ungewöhnliche Kapillarmikroskop, das der Leitz Entwicklungsabteilung entstammt und so nie in Serie ging.



Warum Leitz diese Parallel-Variante so stiefmütterlich behandelt hat, weiß ich nicht. War der ergonomische Vorteil doch nicht so hoch, um zu rechtfertigen, eine zweite Produktlinie am Leben zu halten?
Zusammenfassend kann ich sagen, daß diese Ausführung sehr selten ist, was aber am Gebrauchtpreis nichts ändert, da das da draussen außer mich niemanden interessiert. Freu Dich, wenn's gut in Schuß ist und funktioniert!

Wolfgang

geohill

Wunderbar, ich danke euch für all diese Hinweise, die mich, zumindest in diesem Bereich, schlauer machen.

geohill

Hier noch zwei Bilder zu diesem Mikroskop.

Die Schilder auf dem Kasten zeigen den Lieferanten und den Einsatzort des Mikroskops.
Laut Leica-Support: Herstellung 1939, Auslieferung nach der Schweiz: 11. Mai 1940.

Importeur für die Schweiz: Margot & Jeannet S.A. Sanitaria , c/o médico-chirurgicaux, Ch. de Renens 52, 1004 Lausanne (1939 – 2001).
Auslieferung an: Eidgenössische Versuchs- und Kontrollstelle für Saatgut in Mont-Calme, Lausanne.



Holger x

Hallo George,

ich arbeite auch regelmäßig mit einem Stereomikroskop von Leitz, allerdings mit schrägen Einblick und frage mich warum der gerade Einblick komfortabler sein sollte. Eigentlich kommt der schräge Einblick, dem Betrachten nahe bei den Augen liegender Gegenstände bezüglich der Sehachse näher. Zusätzlich erscheint mir der abgewinkelte Tubus beim sitzenden Arbeiten am Tisch gleichfalls günsttiger. Hab ich da etwas übersehen?

MfG
Holger

geohill

Hallo Holger

Wissenschaftlich kann ich das nicht erklären (ich bin kein Augenarzt), vielleicht ist das bei mir nur Einbildung.
Könnte es eventuell damit zusammenhängen, dass das In-die-Ferne-blicken entspannend für die Augen ist, weil die Augen dann geradeaus (parallel) schauen, die Augenmuskeln dann entspannt sind, im Gegensatz zum In-die-Nähe-blicken, wo die Augen gezwungen sind, leicht nach innen zu schielen, und damit die Augenmuskeln angespannt sind? Beim Paralleleinblick ins Mikroskop schauen die Augen entspannt geradeaus, während sie beim Schrägeinblick leicht nach innen schielen müssen.
Aber wie gesagt, das sind reine unwissenschaftliche Vermutungen. Vielleicht weiss jemand mehr fundiertes darüber?

MfG
George

ortholux

Hallo Holger,

die geknickten Tubi kamen erst später (1935). Das ist natürlich komfortabler, mußte aber halt erst entwickelt werden.
Die Idee des parallelen Einblicks ist, wie George schreibt, die, daß man nach unendlich fokussiert und somit parallele Blickachsen natürlich sind.

Einen stereoskopischen Effekt bekommt man bekanntlich nur, wenn man mit 2 Augen schaut. So auch beim Mikroskop. Allerdings nicht beim "normalen" Mikroskop mit Binotubus. Hier schauen wir ja nur durch ein Objektiv. Wir brauchen also 2 getrennte Objektive. Um mit diesen das selbe kleine Objekt zu betrachten, müssen die beiden Strahlengänge konvergent sein. Also, von ca. 6cm Augenabstand auf einen kleinen Punkt von wenigen mm zusammenlaufen.

Daher der bekannte konvergente Einblick. Warum sich der parallele nicht durchgesetzt hat, weiß ich auch nicht.

Wolfgang