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Foren => Mikroskopie-Forum => Thema gestartet von: Klaus Henkel in Mai 27, 2012, 18:01:53 NACHMITTAGS

Titel: Mikroskopobjektive, Konstruktionsmerkmal
Beitrag von: Klaus Henkel in Mai 27, 2012, 18:01:53 NACHMITTAGS
Mikroskopobkektive sind Retrofokuskonstruktionen. - Was'n das?

Mikroskopobjektive und Retrofokusobjektive von Fotokameras


In der populären Fotoliteratur wird nicht selten jedes Objektiv längerer Brennweite "Teleobjektiv" genannt. Aber der Objektivkonstrukteur bezeichnet nur dann ein Objektiv so, wenn die Schnittweite (der Abstand der Hinterlinse vom Film oder Chip) durch Einfügen eines rückwärtigen, zerstreuenden Linsengliedes kürzer ist als die Brennweite. Auf diese Weise lassen sich langbrennweitige Objektive kurz und handlich bauen. Es ist jedoch nicht richtig, daß eine solche Tele-Bauweise immer optisch vorteilhafter ist als ein Fernobjektiv normaler Baulänge, oder daß man mit einem kurz gebauten Teleobjektiv bei Aufnahmen aus freier Hand  besser vor Verwackelung geschützt wäre.

Weitwinkelobjektive für Spiegelreflexkameras hingegen baut man meist so, daß die Schnittweite länger ist als die Brennweite. Diese Bauweise wählt man, weil die Hinterlinse nicht so weit an den Film angenähert werden kann wie es der Brennweite nach sein müßte, denn den Platz dort braucht der Schwingspiegel der Kamera. Solche Weitwinkelobjektive heißen Retrofokus-Objektiv .
(Die Bezeichnung Retrofokus-Objektiv hat nichts zu tun mit der Retrostellung (Umkehrung) eines Objektivs bei Makroaufnahmen.) Die früheren Weitwinkelobjektive für die Leica und Leica M oder die Contax von Zeiss-Ikon waren recht kurze und flache Dinger mit kleinen Frontlinsen. Retrofokuskonstruktionen hingegen sind lang gebaute, klotzige Dinger mit im Verhältnis zur kurzen Brennweite riesigen Frontlinsen. Solche Retrofokusobjektive sind völlig asysymmetrisch aufgebaut (im Längsschnitt der Linsenkombination) und eignen sich absolut nicht für Makro- oder gar Lupenfotografie.

Makrofotografen wissen, daß man ein Objekt dann größer abbilden kann, wenn man nahe "ran" geht. Das kann man nur mit Objektiven kurzer Brennweite. Bei Lupenobkjektiven wie den Luminaren von Carl Zeiss oder den Mirotaren von CZJ, den Photaren von Leitz/Leica oder deren älteren Milaren, oder den "Mikro-Tessar" von Bausch & Lomb, mit denen man sich dem Objekt extrem weit nähern kann, muß man keine kunstvollen Konstruktionstricks anwenden, um so ein Objektiv erfolgreich zu errechnen. Der objektseitige Bildwinkel ist nur klein, das einfallende Lichtbüschel nur eng, da genügen manchmal sogar schon drei einzelne Linsen (Cookesches Triplett) oder dessen modifizierter vierlinsiger Taylor-Typ vom Typus Zeiss Tessar, Leitz Elmar, Schneider Xenar usw. Manche Firmen ziehen jedoch für alle Brennweiten die beinahe symmetrische Bauform des Doppel-Gaußtyps vor (Beispiele Leica Summicron, Zeiss Biogon, Schneider Xenon, Rodenstock Heligon); so z. B. bei den Photar-Objektiven von Leitz.

Außerdem wissen Makrofotografen durch ihre Tätigkeit am Balgengerät ö. Ä., daß der Balgenauszug immer länger werden muß, je weiter man das Objektiv dem Objekt nähert. Und genau das kann man beim Mikroskop nicht wegen der notwendig stabilen Bauweise des Mikroskops: der Abstand zur "Filmebene" bzw. zum Auge muß immer konstant sein. Deshalb muß das Objekt stets in der berechneten objektseitigen Brennweite des Objektivs liegen; nur dort ist es "scharf". Anders als beim Lupenobjektiv (Makro) braucht man aber für ein Mikroskopobjektiv eine viel höhere Detailauflösung, also eine weitaus höhere numerische Apertur (~ "Lichtstärke"), damit die Lichtstrahlen vom Objekt im großen Winkel einfallen können. Extreme Annäherung ans Objekt ist auch deshalb notwendig, damit ohne viel Kurbelei die Scharstellung mit dem Fokussiertrieb gelingt. So wie auch bei der Fotokamera das Objektiv bei Scharfstellung im Vergleich zum viele Meter entfernt liegenden Objekt nur minimale Verschiebung benötigt.

Tatsächlich ähneln die Linsenschnitte von Mikroskopobjektiven stark denjenigen von Retrofokus-Weitwinkelobjektiven der SLR-kamera "in Retrostellung".

K.H.