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Foren => Mikroskopie-Forum => Thema gestartet von: ortholux in Juni 25, 2012, 15:27:40 NACHMITTAGS

Titel: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: ortholux in Juni 25, 2012, 15:27:40 NACHMITTAGS
Liebes Forum,

durch den Beitrag zum Thema Brennhaare, drängte sich mir die Frage auf, wozu diese überhaupt da sind.

In der Wüste ist es einleuchtend, wenn eine hochsukkulente Pflanze als einziger Wasserspeicher weit und breit sich mittels Stacheln, Dornen, brennendem Milchsaft oder Gift zu wehren versucht. Bei der Häufigkeit und Anspruchslosigkeit einer Brennessel scheint eine solche Bewaffnung überflüssig - oder?

Viele Grüße
Wolfgang
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: Dieter Stoffels in Juni 25, 2012, 17:45:31 NACHMITTAGS
Hallo Wolfgang,

wenn man Deine Frage beantworten möchte, so darf man sicher nicht von der Einzelpflanze ausgehen. Die Brennnessel gehört zu den zweihäusigen Pflanzen, so dass männliche von weibliche Pflanzen unterschieden werden müsen. Die Bestäubung erfolgt im Wesentlichen durch den Wind, wobei es von großem Vorteil ist, wenn beide Geschlechter in dichtem Bestand nebeneinander stehen.

Wie bereits beschrieben enthalten die Brennhaare u. a. Ameisensäure, die sehr stark nesselnd wirkt und  bei Kontakt, vor allem mit freiligenden Schleimhäuten (Mundraum, Nase, Augen, After), starke Schmerzen verursachen kann. Für ein (fell- oder borstentragendes) Wildtier, stellt die reine Passage eines Brennnesselfeldes sicher kein Problem dar. Anders verhält es sich aber wenn ein vermeindlicher Freßfeind sich den Brennnesseln nähert. In einem solchen Fall können die Brennhaare ihre eigentliche Funktion entfalten und so einen teil- oder großflächigen Abfraß  des "Feldes" vermeiden. Bei einem stark genesseltem Wildtier wird die Brennessel einen prägenden Eindruck hinterlassen. Handelt es sich jedoch um ein Tier, das sich adaptiert hat (z. B. durch ein verhorntes Plattenepithel im Mundraum), verliert auch die Brennnessel seine abschreckende Wirkung.

In der Summe scheint die Strategie der Brennnessel aufzugehen. Wer selbst einmal vor einem Feld der großen Brennnessel gestanden hat, wird immer versuchen, einen alternativen Weg zu finden, um einen Brennnesselkontakt zu vermeiden.

Herzliche Grüße!

Dieter
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: Rolf-Dieter Müller in Juni 25, 2012, 20:43:28 NACHMITTAGS
Zitat von: ortholux in Juni 25, 2012, 15:27:40 NACHMITTAGS
...
Bei der Häufigkeit und Anspruchslosigkeit einer Brennessel scheint eine solche Bewaffnung überflüssig - oder?
...

Hallo Wolfgang,

eine schöne Frage hast Du eingestellt, die von Dieter schon so interessant beantwortet wurde.

Ich möchte aber zu der Häufigkeit meine (unmaßgebliche Meinung, eher Vermutung) ergänzen.

Brennesseln sind heute aus bestimmten Gründen häufig anzutreffen. Wenn ich zum Beispiel gut gewachsene Brennesseln für Schnitte benötige, werde ich immer am Anfang von Waldwegen fündig, die von Wanderparkplätzen ausgehen. Größere Brennesselfelder findet man auch in höheren Lagen des Mittelgebirges in lichten Waldbeständen. Das hat viel mit unnatürlich belastenden Einflüssen zu tun wie Feinstaubeinbringung und Freizeitverhalten.

In einer Zeit wo sich die Wehrhaftigkeit der eigentlich schönen und prinzipiell genießbaren Pflanze ausgebildet hat, waren die ihr zuträglichen Bedingungen vielleicht nicht so vorhanden und sie musste sich eher einzeln und/oder in kleinen Beständen durchsetzen.

Viele Mikrogrüße
Rolf-Dieter
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: reblaus in Juni 25, 2012, 23:19:15 NACHMITTAGS
Hallo an alle -

das ist wieder eine nette Diskussion - seit Darwin im Bewusstsein der Biologen verankert ist, sucht man (ich nicht ausgenommen) bei allen auffälligen Merkmalen instinktiv nach dem Selektionsvorteil.

Was machen all die armen Pflanzenwesen, die sich ohne Brennhaare (Nessel) oder ohne scheußliche Kontaktgifte (poison ivy) durch ihr Leben schlagen müssen?

Auch nett, welch elegante Umschreibung ("Freizeitverhalten") Rolf-Dieter für die Stickstoffüberdüngung von Wanderparkplätzen gefunden hat  ;D.

Viele Grüße

Rolf
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: ruhop in Juni 26, 2012, 10:34:47 VORMITTAG
Hallo, Diskutanten.

Jetzt mal ohne Ironie von einem Nebenfachbotaniker:

Die Frage nach dem "warum" der Brennhaare ist nicht ganz korrekt gestellt. Sie muß lauten: Warum hat sich die Ausbildung von Brennhaaren für das Überleben der Brennessel bewährt? Und die anderen Pflanzen ohne derartige "Waffen"? Hier lautet doch die Frage: Welche Eigenschaften haben sie entwickelt, damit sie überleben? Massenvermehrung und / oder übler Geschmack gegen Freßfeinde (um nur eine Möglichkeit zu nennen)? Euryökie (breites Spektrum der Anpassung an das jeweilige Biotop)? Das sind ja nun nur ein paar der Möglichkeiten. Aber ich glaube für viele Arten sind die entsprechenden Faktoren schon bekannt.

Schönen Gruß aus dem Hintertaunus und einem Minigarten mit ein paar sorgsam gehegten Brennesseln (wg. Schmetterlingen)

Holger
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: ortholux in Juni 26, 2012, 11:12:16 VORMITTAG
Liebe "Rolf + Dieters", lieber Holger,

faßt man das bisher erwähnte zusammen, so haben wir
- Windbestäubung
- Standort, wie Waldlichtungen und -wege
- Bodenbeschaffenheit (Ruderalpflanze, bzw. Stickstoffzeiger)

Zu Zeiten als Hermann die Römer verhauen hat, gab es bekanntermaßen nicht so viele Wanderwege, derer die Römer sich hätten bedienen können. Und auch nicht so viele gerodete Stellen auf denen sie nicht im Morast versunken wären, ganz zu schweigen von Wanderparkplätzen und Waldrändern, die später durch Land- und Viehwirtschaft - und dem damit erhöhtem Stickstoffeintrag - entstanden sind. Somit war der Lebensraum der Brennessel deutlich eingeschränkt im Vergleich zu heutigen Verhältnissen. Und dann noch windbestäubt... Also könnte eine Wehrhaftigkeit tatsächlich ein Vorteil (gewesen) sein.

Wolfgang




Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: Werner in Juni 26, 2012, 13:25:49 NACHMITTAGS

... Das Waldweg-Brennnessel-Phänomen kommt auch davon, daß die Männer dort immer hinschiffen. Die Frauen bevorzugen die Waldmitte.

Zitat aus Wiki:
"Ein starker Brennnesselwuchs gilt allgemein als Zeiger für einen stickstoffreichen Boden und bildet sich oft als Ruderalpflanze auf früher besiedelten Stellen aus. Eine große Anzahl Brennnesseln in einem Gebiet erlaubt es somit, auch ohne chemische Untersuchungen, Rückschlüsse auf die Bodenbeschaffenheit zu ziehen."

Gruß   -   Werner
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: Herne in Juni 26, 2012, 17:55:53 NACHMITTAGS
Hallo Werner,
DANN sind die Brennhaare als Vermeidungsstrategie ja wieder überaus sinvoll ...  ;D

Merke : Gebranntes Kind scheut´s Feuer. Oder : Wer wird schon gerne angep...t?

m.f.G.
Herbert
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: Werner in Juni 26, 2012, 18:03:13 NACHMITTAGS
Nee, Herbert

... die wollen doch Stickstoff / Harnstoff
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: Herne in Juni 26, 2012, 21:25:12 NACHMITTAGS
Ach, meine ganze, schöne Theorie: Zusammengesackt wie ein Denkmal aus Hefe bei einem Temperatursturz. ;)

m.f.G.
Herbert
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: Fahrenheit in Juni 26, 2012, 22:37:12 NACHMITTAGS
Lieber Freunde,

aber das liegt doch auf der Hand: die Brennnesseln schützen sich so vor dem Zugriff des gemeinen Hobbymikroskopikers. Das ist bei einem so hübschen Sprossquerschnitt auch sinnvoll:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures003/96211_48835636.jpg) (http://www.fotos-hochladen.net)

;D
Jörg

p.s.
Sorry, could not resist ...
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: Werner in Juni 26, 2012, 22:41:52 NACHMITTAGS
Herbert, Deine Theorie ist doch gar nicht so schlecht!

Jeder stellt sich nicht direkt VOR, sondern NEBEN die Brennnesseln! - Auf diese Weise können sie sich LÄNGS des Weges wegen guter Bedingungen ausbreiten!
Jetzt machen die Brennhaare wieder Sinn!

Ist das nun eigentlich Off Topic ?? - oder doch nicht ?

@ Jörg: Sagenhaft schöne Aufnahme !!!   - Ist das echt Brennnessel - oder gehäkelt ?

Gruß   -   Werner
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: Fahrenheit in Juni 27, 2012, 08:33:49 VORMITTAG
Lieber Werner,

nein, nein, das ist nicht gehäkelt - dazu bin ich im Häkeln viel zu schlecht.  ;D

Wenn Du magst, kannst Du hier (http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=10516.0) nachlesen, da gibt es eine Linkliste zu den verschiedenen Brennnessel-Threads hier im Forum und natürlich auch noch mehr Bilder vom "alten" Brennnesselspross, der ein wenig "untypisch" ist.  ;)

Von wegen off topic: ich denke auch, dass Dieter es getroffen hat: die Brennhaare, die insbesondere auf Schleimhäuten sehr effektiv sind, dienen wohl als Schutz vor der Abweidung durch diverse Großsäuger. Da diese meist Fell tragen, dürfte ihnen das Durchqueren eines Brennnesselfeldes allerdings nicht viel ausmachen.

Und hier noch eine Zugabe für die haarlosen Großsäuger: beim Erhitzen werden die Brennhaare zerstört und es bleibt auch kein übler Nachgeschmack von der enthaltenen Ameisensäure. Brennnessellasagne ist sehr lecker! Einfach in einem Rezept für Spinatlasagne den Spinat durch Nesselblätter ersetzen.  ;D
Und noch ein Tipp von Mila: die leicht gerösteten Samen sind sehr lecker auf Salat.

Herzliche Grüße
Jörg
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: Dieter Stoffels in Juni 27, 2012, 09:08:40 VORMITTAG
Hallo Jörg,

vielleicht noch eine kleine Ergänzung zu Deinem Rezeptvorschlag. Ameisensäure ist eines der effektivsten Lösungsmittel für polyamide und polyurethane Verbindungen. Neben der Verkieselungsreaktion ist die separate Speicherung dieser organischen Säure sicher ein weiteres Meisterstück der Haarzelle der Brennnessel (das gilt aber auch für die Ameise), zumal Biomembranen in der Regel (angreifbare) Membranproteine enthalten. In Bezug auf Dein Rezept wirkt die Ameisensäure vorverdauend, so dass ein höherer Anteil an Brennhaaren, aber auch an Ameisen nicht schadet!

Herzliche Grüße!

Dieter
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: ortholux in Juni 27, 2012, 09:57:45 VORMITTAG
Zitat von: Fahrenheit in Juni 27, 2012, 08:33:49 VORMITTAG

Und noch ein Tipp von Mila: die leicht gerösteten Samen sind sehr lecker auf Salat.

...und die ganz jungen Triebspitzen brennen noch nicht tödlich, diese schmecken "in roh" beim Wandern aufs Käsebrot (gepaart mit behaartem Schaumkraut ist's noch besser) oder im Salat.

Ergänzende Grüße
Wolfgang
Titel: Re: Nochmal Brennessel - wozu Brennhaare?
Beitrag von: Fahrenheit in Juni 27, 2012, 10:04:57 VORMITTAG
Lieber Dieter, lieber Wolfgang,

da haben sich ja wieder die Feinschmecker versammelt.   ;)

Danke für den Tipp mit den jungen Trieben, den kannte ich noch nicht. Ach ja, vielleicht sollte man seine Nesseln nicht gerade an den von Rolf-Dieter benannten Plätzen der praktischen Auslebung des aktuellen Freizeitverhaltens sammeln.  ;D

Herzliche Grüße
Jörg