... frisst nicht nur (Kiesel-)Algen!
Hallo zusammen,
in einer Probe aus dem Gieringer Moor (bei Kitzbühel) vom 26. Juni fand ich dieses Exemplar, das ich längere Zeit beobachtete. Dabei sah ich, dass das Viech regelmäßig auch Flagellaten (Cryptomonas?) verspeist.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/156294_27233314.jpg) (http://s785.photobucket.com/user/Monsti55/media/Mikroskopie-Fotos/Gieringer%20Weiher/collothedentatagw2_zps6f138a9f.jpg.html)
In der älteren Probe existieren nicht mehr sehr viel lebende Kieselalgen, so dass dieses Verhalten möglicherweise etwas wie "In der Not frisst der Teufel Fliegen." sein könnte. Was meint Ihr?
Neugierige Grüße
Angie
Liebe Angie,
wahrscheinlich nicht nur zur Not! Über das folgende Zitat über C. edentata aus dem Voigt/Koste habe ich doch sehr gestaunt:"Kauer fehlt(?). Bei adulten ist das schwierig zu erkennen,weil die Tiere meist völlig mit Diatomeen vollgestopft sind."[Hervorhebung von mir] Bei derart harter Kost hätte ich auch keine Beisser mehr! ;D ;D ;D. Leider sind Deine Collotheca-Fotos recht klein. Hoffentlich hast Du noch ein paar Tiere in Deiner Probe übrig. Fahnde mal nach Kauern! Ob nun Diatomeen oder Flagellaten energetisch günstiger sind, wage ich nicht zu entscheiden! Aber: Diatomeen haben oft viel energiereiches Öl zur Erhaltung des Schwebezustandes. Also muss die Fangbewegung der Collotheca nur einmal ausgeführt werden um im wahrsten Sinne des Wortes "fette Beute" zu machen, bei "energiearmen"Flagellaten vielmals! Sehr interessantes Thema! Derzeit versuche ich Mikroaquarien nach NEUBERT hinzubekommen. Da lässt sich so etwas länger beobachten.
Danke für die Beobachtung !
Mit energiegeladenen Grüßen!
Heinrich(limno)
Lieber Heinrich,
diese Art heißt "edentata", weil sie in der Tat keinen Kauer besitzt. Während der Ei-Produktion schaufeln die Viecher die Kieselalgen nur so in sich hinein, d.h. schnappen genauso oft zu wie beim Vertilgen von Flagellaten.
Herzliche Grüße
Angie
Liebe Angie,
das Fragezeichen habe nicht ich gesetzt, sondern der Autor! Das 'edentata' zahnlos(d.h. ohne Mastax) heißt, war mir auch als Nichtlateiner klar. Warum Koste dennoch ein Fragezeichen macht, weiß ich nicht. Hast Du neuere Informationen als ich?
ZitatWährend der Ei-Produktion schaufeln die Viecher die Kieselalgen nur so in sich hinein, d.h. schnappen genauso oft zu wie beim Vertilgen von Flagellaten.
Da haben wir's! Typische abartige Gelüste einer (fast)Schwangeren! ;D
Frage dazu : Werden Kieselalgen nur während der Produktion von Latenzeiern(Wintereiern) vermehrt gefressen(gar ausgewählt?!)(also in der miktischen Phase), oder genauso während der "Hochsaison" wenn nur Subitaneier gelegt werden? Denn umso mehr Lipidreserven in den Latenzeiern vorhanden sind, umso länger können sie im kalten, sauerstoffärmeren Sediment überleben. (Die genaue Quelle hab' ich im Augenblick nicht.)
Hoffentlich träumst Du die Antwort heute nacht und berichtest mir dann morgen.
Bis dann
Heinrich(limno)
Lieber Heinrich,
nun, Collotheca edentata habe ich schon oft gesehen, konnte aber nie einen Kauer entdecken. Hier habe ich größere Bildausschnitte vom gestrigen Viech, kurz vor und direkt nach dem Schlucken (im Abstand von ca. 2 sec. aufgenommen):
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/156333_48190065.jpg) (http://s785.photobucket.com/user/Monsti55/media/Mikroskopie-Fotos/Gieringer%20Weiher/collothedentatagw2a_zps9f6539ae.jpg.html)
Die Nahrung wird einfach geschluckt. Das Tier schnappt auch nicht gezielt nach Diatomeen, sondern sendet einen Lockstoff aus, der die Diatomeen magisch anzieht. Diese schippern dann von selbst in den Schlund. Das Rädertier wartet, bis die Alge korrekt liegt und schluckt sie. Vor langer Zeit hatte ich hier mal ein kleines Video dazu gezeigt (Ich hoffe, es klappt)
http://vid785.photobucket.com/albums/yy137/Monsti55/Mikroskopie-Fotos/collothecaedentata.mp4
Herzliche Grüße
Angie
hallo zusammen,
@ Angie: irgendwie verstehe ich deine Frage nicht. C. edentata ist ein festsitzendes Rädertier, das auf diejenige Nahrung angewiesen ist, die um es herum im Radius der eigenen Länge verfügbar ist. Das können Kieselalgen sein, die auf dem Substrat herumkriechen (möglicherweise wählen die umherschwimmenden Juvenilformen von C.edentata den Besiedlungsort aufgrund chemischer Reize, die von den Diatomeen ausgehen, aus), aber eben auch andere Organismen. Was soll daran so ungewöhnlich sein? Eins der Viecher auf meiner website http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Collotheca%20edentata.html, das möglicherweise aus derselben Probe stammt wie deins, hat z.B. zwei Tetmemorus-Algen intus. So what ??
C. edentata hält den Trichter so auf das Substrat gesenkt, das der Weg der Aufnahme der Beutesrganismen sehr gering ist. Ob und und welche Rolle die Cilien des Trichters dabei spielen, kann ich nicht beurteilen;
Zitat....sondern sendet einen Lockstoff aus, der die Diatomeen magisch anzieht.
ja: ich habe dir gesagt, dass ich vermute, dass die verdaute Nahrung als Lockstoff für mobile Organismen dienen
könnte, der evtl. über die Cilien verteilt wird, so, wie ich es auch für C. ornata schon mal hier: http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Collotheca%20ornata.html dargelegt habe. Bewiesen ist das aber nicht. Oder hast du da eine neue Quelle, die deine Behauptung belegt?
Edit: Nachtrag:
@ Heinrich:
die Latenzeier der monogononten Rädertieren haben erst einmal mit der Jahrezeit nichts zu tun, sondern sind letzlich das Resultat eines wie auch immer gearteten ,,miktischen Stimulus". Das kann die Jahreszeit sein, muss aber nicht. Nicht zuletzt deshalb halte ich den Zusammenhang mit der Nahrungspräferenz (von der ich meine, dass es sie -abgesehen von der Standortwahl- gar nicht gibt) für sehr spekulativ.
beste Grüße Michael Plewka
Hallo Michael,
eine Quelle dazu habe ich nicht. Meine Behauptung bezieht sich auf zahlreiche eigene Beobachtungen.
Navicula steuern oft aus größerer Entfernung und in Scharen direkt auf den Schlund des Rädertiers zu. Dies ist interessanterweise aber nur dann der Fall, wenn das Tier gerade Eier produziert.
ZitatC. edentata ist ein festsitzendes Rädertier, das auf diejenige Nahrung angewiesen ist, die um es herum im Radius der eigenen Länge verfügbar ist.
Was natürlich nur für die Situation im Ausgangsmilieu gelten kann. Unter dem Deckglas kann man nicht davon ausgehen, dass sich das Viech tatsächlich noch am selbst gewählten Platz befindet. Oft genug habe ich
C. dentata unter dem Deckglas an Stellen entdeckt, in deren Umkreis sich zunächst überhaupt keine
Navicula befanden. Diese stellten sich aber nach längerer Beobachtung regelmäßig ein. Sie kamen aus allen Richtungen. Wie ist dieses Phänomen anders als mit dem Aussenden eines Lockstoffs erklärbar? ???
Möglich, dass Deine Exemplare aus derselben Probe wie meine sind. Dies wäre dann aber eine Probe aus dem Gieringer Moor (Reith bei Kitzbühel) und nicht vom Pillerseemoor (Dort gibt es
Tetmemorus nicht).
Ich hoffe, dass ich noch weitere Exemplare finde ...
Herzliche Grüße
Angie
Hallo zusammen!
@ Angie: Ja, das kleine Filmchen hat wirklich magische und eine sehr suggestive Wirkung auf mich! Das sieht wirklich so aus als ob, die Kieselalgen angelockt würden. Und erst Deine Beobachtungen! Aber ein Beweis..,? Ja fast! Und auf alle Fälle nähere Untersuchungen wert!
ZitatUnter dem Deckglas kann man nicht davon ausgehen, dass sich das Viech tatsächlich noch am selbst gewählten Platz befindet.
Beim Mikroaquarium nach NEUBERT schon!(Mikrokosmos Heft 8, August 1991, S.228 - 231)Auch mit Rotatorien hat er schon Untersuchungen gemacht. Aber die Methode hat ihre Tücken, mal sehen, ob ich es diesmal besser hinbekomme. Der blaue Pfeil auf den Fotos deutet auf einen recht verkümmerten Mastax, wenn ich es recht interpretiere.
@Michael
ZitatNicht zuletzt deshalb halte ich den Zusammenhang mit der Nahrungspräferenz (von der ich meine, dass es sie -abgesehen von der Standortwahl- gar nicht gibt) für sehr spekulativ.
Ja das sehe ich ähnlich , und habe meine Spekulation mit Ausrufe- und Fragezeichen in aller Kürze zum Ausdruck bringen wollen. Aber denkbar! Einen "wissenschaftlichen" freundlich drein blickenden Spekulations -Smiley gibt's noch nicht.
In freudiger Hoffnung auf weitere Untersuchungen grüßt Euch
Heinrich(limno)
hallo Angie,
ZitatWas natürlich nur für die Situation im Ausgangsmilieu gelten kann.
Was natürlich nicht stimmt. Die ökologische Potenz (d.h. die Nahrungsansprüche) ändert sich natürlich nicht, wenn sich das Rädertier auf dem Objektträger befindet. Entweder finden sich Beuteorganismen ein, oder aber das Viech verhungert, wenn´s nicht passt.
Sei es, dass die Cilien mechanisch an der Nahrungsaufnahme beteiligt sind, und/ oder aber chemische Reize mitspielen: solange die Nahrung in den Trichter / Vestibulum passt, wird halt alles verschlungen, was nicht schnell genug wieder herauskommt, egal ob Flagellaten, Desmidiaceen, Diatomeen etc. . Dass die Viecher häufig mit Diatomeen vollgefressen sind, spiegelt ja lediglich das Nahrungsangebot wider, das zur Verfügung steht, nicht aber eine Nahrungspräferenz.
Die Viecher auf meinen Fotos stammen aus demjenigen Probengefäß vom Workshop, das mit "Pillerseemoor" gekennzeichnet war.
beste Grüße Michael Plewka
Hallo Michael,
ZitatDass die Viecher häufig mit Diatomeen vollgefressen sind, spiegelt ja lediglich das Nahrungsangebot wider, das zur Verfügung steht, nicht aber eine Nahrungspräferenz.
Das widerspricht aber meinen Beobachtungen. Während der Ei-Produktion haben alle bisher beobachteten Individuen ausschließlich Kieselalgen (
Navicula) verschlungen. Alles andere, was zufällig in das Vestibulum geriet (dies waren primär kleine Ciliaten und Flagellaten, die aktiv in den Trichter schwammen), wurde wieder hinausbefördert. Es mag natürlich sein, dass versehentlich auch mal anderes geschluckt wird. Bisher sah ich dies aber nur einmal, als eine Kieselalge zusammen mit einer Grünalge den Trichter passierte. Auch konnte ich
C. edentata bisher nur in diatomeenreichen Medien finden. M.E. spricht dies doch für eine klare Nahrungspräferenz.
Einmal sah ich auch eine andere,
C. edentata sehr ähnliche Art. Bei ihr war es genauso. In beiden Fällen bewegten sich die Cilien vor der Nahrungsaufnahme überhaupt nicht, was gegen eine mechanische Nahrungsaufnahme spricht.
Tut mir sehr leid, dass ein Probengefäß offensichtlich falsch beschriftet war. :-[ Ich bin mir ganz sicher, dass Deine Viecher dem Gieringer Moor entstammen. Im Pillerseemoor gibt es sie zwar ebenfalls, doch - wie oben schon geschrieben - fehlt dort
Tetmemorus. Glücklicherweise lässt sich sowas korrigieren. ;)
Herzliche Gutenachtgrüße
Angie
Hallo zusammen,
alles zurück und nochmals von vorn ...
In den letzten Tagen hatte ich mir mehrere C. edentata angeschaut und dabei vor allem auf den Verdauungstrakt geachtet. Und tatsächlich konnte ich bei den nicht allzu vollgestopften Kandidaten ganz klar einen Kauer entdecken:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/157432_36067801.jpg) (http://s785.photobucket.com/user/Monsti55/media/Mikroskopie-Fotos/Gieringer%20Weiher/kauer2_zps30a98ac4.jpg.html)
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/157432_59440246.jpg) (http://s785.photobucket.com/user/Monsti55/media/Mikroskopie-Fotos/Gieringer%20Weiher/Kauer1_zpsf267fb43.jpg.html)
Dank Ernst und Rupert erfuhr ich den Inhalt eines von KOSTE (1986) geschriebenen Berichts im "Mikrokosmos" zu C. edentata, in dem es genau um diese Frage ging. KOSTE lieferte u.a. diese Zeichnung, die wesentlich zur Klärung beiträgt:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures007/157432_32812829.jpg) (http://s785.photobucket.com/user/Monsti55/media/Mikroskopie-Fotos/Gieringer%20Weiher/verdauungstrakt_zps8c1a1ee6.jpg.html)
aus: KOSTE, W. (1986, S. 304)
Am lebenden Tier sieht das so aus:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/157432_51805470.jpg) (http://s785.photobucket.com/user/Monsti55/media/Mikroskopie-Fotos/Gieringer%20Weiher/collothedentatagw7_zps6bb44226.jpg.html)
Vest = Vestibulum (Vorhof), Inf =Infundibulum, Lt = Lateraltaster, Phr = Pharyngealrohr, Pro = Proventriculus (Vormagen), K = Kauer, Mg = Magen, Kl/An = Kloake/Anus
Der Magen befindet sich folglich nicht dort, wo ich ihn zunächst vermutete, sondern unterhalb des Vormagens und des Kauers. In der Bilderserie sieht man ihn sehr schön unterhalb des Kauers. Darunter befinden sich die Geschlechtsorgane, wo sich auch die Eier entwickeln. In der obigen Bilderserie erkennt man ein sich entwickelndes Ei jeweils rechts in den Fotos.
Nach der Beobachtung vieler eierlegender Weibchen in unterschiedlichen Phasen vermute ich, dass die Nahrungsaufnahme bei C. edentata primär der Produktion von Eiern dient. Ist die Eiablage abgeschlossen, verenden die Tiere (oder sie platzen, was natürlich auch auf den Druck des Deckglases auf den prall gefüllten Vormagen (KOSTE nennt ihn auch "Kropf") zurückgeführt werden könnte).
Der Kauer – das schreibt auch KOSTE – besitzt nur zarte Zähnchen, die sich nicht dazu eignen, gröbere Nahrung zu zerkleinern. Er dürfte folglich vor allem eine saugende und pumpende Funktion haben. Dies entspricht auch meinen Beobachtungen. Es wird – soweit ich erkennen konnte – ausschließlich Flüssiges dem Vormagen entnommen, vor allem das Öl aus den Kieselalgen.
Dass leere Kieselalgen wieder "ausgespuckt" werden, konnte ich noch nie beobachten. Mehrfach sah ich tote Tiere mit mehreren Eiern in der Umgebung, deren Vormagen nach wie vor mit toten und lebenden Kieselalgen gefüllt war. Einmal glaube ich auch eine Entleerung aus dem Anus beobachtet zu haben.
Damit hoffe ich, dass ich etwas zur Erhellung dieses interessanten und offensichtlich selten vorkommenden Tierchens beitragen konnte.
Herzliche Grüße
Angie
Hallo Angie,
hab' vielen Dank für die interessante Klärung! Woran konntest Du eine Präferenz für das Öl feststellen oder fiel es Dir lediglich auf?
Mit diesen Fragen geh' ich jetzt schlafen!
Allen eine gute Nacht!
Heinrich
Hallo Heinrich,
es fiel mir mehrfach auf.
Herzliche Gutenachtgrüße
Angie