Mikro-Forum

Foren => Mikrofoto-Forum => Thema gestartet von: Heiko in November 02, 2014, 23:34:57 NACHMITTAGS

Titel: Realgar
Beitrag von: Heiko in November 02, 2014, 23:34:57 NACHMITTAGS

Hallo,

Realgar-Kristalle machen ihrer Farbe und Transparenz wegen durchaus etwas her – unter dem Mikroskop – denn zumindest meine Stufe enthält lediglich ,,Kriställchen". Die folgende Aufnahme wurde mit dem 10er gemacht und dann nachvergrößert:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/159502_20763167.jpg) (http://www.directupload.net)

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/159502_30039675.jpg) (http://www.directupload.net)

Dem in der Literatur beschriebenen ,,Diamantglanz" habe ich hier etwas nachgeholfen:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/159502_37726172.jpg) (http://www.directupload.net)

Aber wie ist das mit der Streifung auf den beiden ersten Aufnahmen? Ist mit einfachen Worten zu erklären, wie es dazu kommt?

Viele Grüße,
Heiko
Titel: Re: Realgar
Beitrag von: olaf.med in November 03, 2014, 09:23:25 VORMITTAG
Lieber Heiko,

schöner Realgar, aber Du hebst ihn hoffentlich im Dunklen auf, da er sonst zerfällt.

Ja, das mit der Flächenstreifung kann man einfach erklären, am besten siehst Du mal hier nach, da ist es zusätzlich schön illustriert:

http://www.mineralogische-sammlungen.de/Pyrit-gestreift.htm

Oft ist die Flächenstreifung (oder Vizinalstreifung) ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel, z.B. beim Erkennen von Turmalin. Beim Pyrit, dem in dem Link gezeigten Beispiel, ist sie besonders lehrreich, da sie unmittelbar die für einen kubischen Kristall niedrige Symmetrie zeigt.

Herzliche Grüße,

Olaf
Titel: Re: Realgar
Beitrag von: Heiko in November 03, 2014, 21:17:42 NACHMITTAGS
Lieber Olaf,

Flächen-, Vinzinal- oder Kombinationsstreifung wird hervorgerufen durch alternierendes Flächenwachstum zweier Kristalle – wir schauen demnach auf einen Zwilling?

Danke für den Hinweis auf den Zerfall – habe sofort alle Glühlampen im Haus heraus gedreht und arbeite nun bei Kerzenlicht.  :D 
Aber im Ernst, Auripigment ist auf der Stufe schon vorhanden. Und wenn ich Dich nun schon einmal an der ,,Strippe" habe, erlaube doch bitte noch eine Frage hierzu: Liegen frische Zerfallsprodukte dann kristallin vor, oder habe ich mir ein ,,amorphes" Pulver vorzustellen?
Der (un)heimliche Grund meiner Frage – wie sieht alpha-Zinn unter dem Mikroskop aus? Leider habe ich mich bisher zu dusselig angestellt, die Umwandlung zu bewerkstelligen ...


Viele Grüße,
Heiko
Titel: Re: Realgar
Beitrag von: olaf.med in November 04, 2014, 09:21:42 VORMITTAG
Lieber Heiko,

nein, nein, dies sind keine Zwillinge, obwohl sie einspringende Winkel haben, sondern wirklich nur Einkristalle mit besonderem Wachstum.

Realgar zerfällt tatsächlich in ein erdiges, gelbes, mehrphasiges Pulver, also nicht in schöne Auripigment-Kristalle.

Die Zinnpest habe ich auch noch nicht im Mikroskop gesehen, aber vielleicht wird der nächste Winter ja doch kalt.... ;D.

Herzliche Grüße,

Olaf
Titel: Re: Realgar
Beitrag von: Klaus Herrmann in November 04, 2014, 12:15:42 NACHMITTAGS
Lieber Heiko,

der Olaf sagt natürlich nüchtern "schöner Realgar", diese vornehme Zurückhaltung in der Begeisterung kann nur verstehen, wer mal in seine Sammlung geschaut hat, da wird dem "Normalo" schon leicht schwummrig vor den Augen! ;)

Ich als besagter "Normalo" beneide dich um diesen schönen Kristall mit beidseitig ausgeprägten Endflächen! Durch die Sprödigkeit des Realgars platzt schnell mal was ab, wenn man ihn scharf anschaut!

Eine Frage zum Fundort: Ist der aus den Binntal?  Die Matrix sieht so nach dem "zuckrigen" Calzit aus!
Titel: Re: Realgar
Beitrag von: Bernhard Lebeda in November 04, 2014, 15:11:18 NACHMITTAGS
Zitat von: olaf.med in November 04, 2014, 09:21:42 VORMITTAG


nein, nein, dies sind keine Zwillinge, obwohl sie einspringende Winkel haben, sondern wirklich nur Einkristalle mit besonderem Wachstum.


Hallo Olaf

nur noch mal für mich zum Verständnis: ist das dann beim Realgar anders als beim Pyrit? In dem gerade von mir erwähnten Katalog aus der Essener Ausstellung "Steinreich" lese ich zum Pyrit:

" Die typische Flächenstreifung der Pyritwürfel,...,wird durch Zwillingsbildung bei alternierendem Flächenwachstum von Würfel und Pentagondodekaeder hervorgerufen."

??? ???

Und könntest Du noch mal näher drauf eingehen, wieso diese Flächenstreifung die niedrige Symmetrie besonders schön zeigt? Das habe ich auch nicht ganz mitbekommen.

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Titel: Re: Realgar
Beitrag von: olaf.med in November 04, 2014, 16:19:31 NACHMITTAGS
Lieber Bernhard,

Zitat" Die typische Flächenstreifung der Pyritwürfel,...,wird durch Zwillingsbildung bei alternierendem Flächenwachstum von Würfel und Pentagondodekaeder hervorgerufen."

Das ist, schlicht und ergreifend, einfach grottenfalsch! Es sind wirklich keine Zwillinge.

Die Geschichte mit der Symmetrie geht folgendermaßen:

Es gibt zwar nur 7 Kristallsysteme aber 32  Kristallklassen mit unterschiedlicher Symmetrie, 5 davon gehören zum kubischen Kristallsystem in dem der Pyrit kristallisiert.

Dies ist ein Fluorit-Kristall mit hoher kubischer Symmetrie. Bei ihm sticht aus jeder Würfelfläche eine Drehachse mit vierzähliger Symmetrie aus (grüne Quadrate), d.h. nach Drehung um 90° wird die Fläche wieder in sich selbst überführt.

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures008/360Fluorit_zpsf23fc7b2.jpg)

Die Flächenstreifung am Pyrit zeigt, dass aus dessen Würfelflächen nur zweizählige Achsen ausstechen, das heißt nur bei Drehung um 180° wird die Fläche in sich selbst überführt.

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures008/370pyrit-gestreift_zpsb23a0ae9.jpg)

Daher gibt es beim Pyrit auch Zwillingsbildungen, die beim Fluorit z.B. unmöglich sind, die "eisernen Kreuze", die hier http://www.chemieunterricht.de/dc2/tip/12_06-03.htm (http://www.chemieunterricht.de/dc2/tip/12_06-03.htm) zu sehen sind. Hier sieht man auch, wie das funktioniert, indem man das zweite Individuum einfach um 90° dreht:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/159573_3732069.jpg)

Herzliche Grüße,

Olaf



Titel: Re: Realgar
Beitrag von: Heiko in November 04, 2014, 19:27:21 NACHMITTAGS
Danke, lieber Olaf,

da meine ,,Vorbildung" in diesen Dingen äußerst dürftig ist, bitte ich Dich zu überprüfen, ob diese Formulierung möglich ist: ein monokliner Einkristall, aus verschiedenen Formen kombiniert, und deshalb mit alternierendem Flächenwachstum, das die Streifung bedingt.

Petrus bewahre uns vor einem Zinnpest tauglichen Winter – mein Gefrierschrank hat auch nach mehrwöchigem Werkeln (unterbrochen von Biege-Exzessen meinerseits) keine Umwandlung erreicht. Ich muss es noch einmal mit Zinnblech probieren ...


Ja, lieber Klaus,

so ist das eben mit den Fachleuten, sie erkennen nur schwerlich die Mühsal des kleinen Mannes.  :D
Der Kristall ist übrigens ein Osteuropäer.


Viele Grüße,
Heiko
Titel: Re: Realgar
Beitrag von: olaf.med in November 04, 2014, 19:59:25 NACHMITTAGS
Lieber Heiko,

rein sachlich ist Deine Formulierung fast perfekt, aber das "deshalb" muß raus. Es gibt natürlich auch Formenkombinationen ohne alternierendes Wachstum und dann ohne Flächenstreifung. Im Lehrbuch liest man einfach: Prismenzone gestreift und dann weiß jeder Bescheid. Hier einmal ein Versuch Deinen Kristall graphisch darzustellen. Streng genommen müßte man die Winkel mit dem Goniometer nachmessen, aber ich glaube, ich liege mit dieser Interpretation schon ganz gut.

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures008/350Realgar_zps4f7bac7b.jpg)

Herzliche Grüße,

Olaf
Titel: Re: Realgar
Beitrag von: Bernhard Lebeda in November 04, 2014, 20:05:57 NACHMITTAGS
Zitat von: olaf.med in November 04, 2014, 16:19:31 NACHMITTAGS
Lieber Bernhard,

Zitat" Die typische Flächenstreifung der Pyritwürfel,...,wird durch Zwillingsbildung bei alternierendem Flächenwachstum von Würfel und Pentagondodekaeder hervorgerufen."

Das ist, schlicht und ergreifend, einfach grottenfalsch! Es sind wirklich keine Zwillinge.



das ist ja ein Ding! Die Autorin steht unter dem Text, ich werde beim Verlag mal nachfragen, ob das im Sinne der Ausstellung ist, mineralogische Unwahrheiten zu verbreiten. Das Thema ist für Laien kompliziert genug, da hat so was gerade noch gefehlt!

Zu Deinen Symmetrieerläuterungen: ganz herzlichen Dank!!  So genial vermittelt wird es klar!


Viele Mikrogrüße

Bernhard
Titel: Re: Realgar
Beitrag von: Heiko in November 04, 2014, 20:39:07 NACHMITTAGS
Schließe mich Bernhard an, lieber Olaf,

vielen Dank – Dein didaktisches Talent gepaart mit Engelsgeduld machen den Blinden sehend ...

Heiko
Titel: Re: Realgar
Beitrag von: treinisch in November 04, 2014, 20:54:01 NACHMITTAGS
Hallo,

wo ihr dann gerade bei den Danksagungen seid, darf ich mich bestimmt anschließen.

Kristallographie war nie mein Steckenpferd (Pflichtfach im Grundstudium), aber das hier war eine sehr interessante und lehrreiche Lektion! Danke an euch drei.

Herzliche Grüße

Timm
Titel: Re: Realgar
Beitrag von: olaf.med in November 05, 2014, 09:06:04 VORMITTAG
Lieber Bernhard,

Zitatdas ist ja ein Ding! Die Autorin steht unter dem Text, ich werde beim Verlag mal nachfragen, ob das im Sinne der Ausstellung ist, mineralogische Unwahrheiten zu verbreiten. Das Thema ist für Laien kompliziert genug, da hat so was gerade noch gefehlt!

kannst Du mir bitte per PN den Namen der Autorin nennen!

Ich selbst würde ihr keine allzu großen Vorwürfe machen. Solche Unwahrheiten, oder andere Halbwahrheiten etc. sind systembedingt und wohl viel häufiger als man denkt. Wie es hier passiert ist kann ich mir lebhaft vorstellen. Die Geographen z.B. (ein durchaus ehrenwerter Berufsstand) müssen in Bo im Grundstudium einen Grundkurs Mineralogie belegen. Dabei bekommen sie vermittelt, dass man Plagioklase an ihrer Zwillingsstreifung erkennt. Natürlich bekommen sie auch erklärt, dass es z.B. beim Turmalin eine Vizinalstreifung gibt (schönes Erlebnis: beim Nachfragen bezeichnete eine Studentin diese als Vaginalstreifung - der ganz Kurs lag unter dem Tisch und kringelte sich vor Lachen). Die Plagioklase als häufigste Minerale sind aber so prominent und werden so breit behandelt, dass bei den Absolventen eher Streifung mit Zwillingsbildung verknüpft bleibt. Muß nun ein solcher Schmalspur-Mineraloge kraft seiner Dienststellung ein Pamphlet über Mineralogie erstellen, sind die Fehler vorprogrammiert.

Ein viel schlimmeres Erlebnis hatte ich bei Wikipedia, das meine grundsätzliche Einstellung zu diesem Medium stark geprägt hat. Es ging um Inhalte aus dem Gebiet der Kristalloptik, bei denen ich mir, ganz unbescheiden, eine gewisse Expertise anmaße. Der Beitrag war unerträglich falsch und ich habe mich an den Autor gewandt mit der Bitte, dies zu korrigieren. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen Physik-Studenten aus Heidelberg handelte, mit dem ich mindestens ein Dutzend mal korrespondiert habe mit sehr ausführlichen Erläuterungen und unter Hinweis auf die entsprechende Fachliteratur. Es gipfelte darin, dass ich ihm - gegen meine Natur - zum Schluß schrieb, dass ich nicht auf Augenhöhe mit ihm diskutieren wolle, sondern ihn belehren möchte. Daraufhin beschwerte er sich empört über meinen Stil und beharrte weiterhin auf seinem Standpunkt mit dem Argument: wir haben das unter uns Physik-Studenten in der Kaffeepause diskutiert und wir haben recht!

Heute, mit etwas mehr Netz-Erfahrung, hätte ich natürlich die Inhalte selbst ändern können, aber schließlich war ich so sauer, dass ich von der ganzen Geschichte nichts mehr hören wollte. Der Mist steht weiterhin für alle verfügbar im Netz und wird wohl als der Weisheit letzter Schluß zitiert. Noch jetzt steigt mein Blutdruck wenn ich nur daran denke....

Herzliche Grüße, und Danke auch an Heiko und Timm für die netten Worte,

Olaf

Titel: Re: Realgar
Beitrag von: treinisch in November 05, 2014, 15:51:36 NACHMITTAGS
Hallo Olaf,

ein klein wenig würde ich gern Deinen ,,Gegner" in Schutz nehmen. Wer nicht als Schüler schon die Erfahrung gemacht hat, macht ja spätestens als Student die Erfahrung, dass Lehrkräfte auch öfters mal Quark reden, sich von anderen Menschen aber im Wesentlichen durch Unbeirrbarkeit unterscheiden, was zu einer gewissen Abneigung gegen Autoritätsargumente führen kann. Aber klar: Aus dieser Weisheit versprechenden Erkenntnis wird natürlich schnell Dummheit, wenn sie sich mit gewissen Mängeln in der Persönlichkeit paart.

Übrigens war dein letzter Beitrag etwas gemein! Eigentlich halte ich das Sujet: Ich weiß was ganz spannendes, verrate es aber nicht eher für eine weibliche Domäne :-)

Will sagen: Sei doch bitte so nett und verrate mir (uns) den / die Fehler im genannten Artikel. Ich gelobe auch, keine Diskussion zu fordern oder zu fördern. Ich bin sehr neugierig (abgesehen von den zahllosen sprachlichen Mängeln)!

Ist es die (ignorierte) Tatsache, dass auch Systeme mit kubischer Symmetrie (induzierte) Anisotropie aufweisen können, was vermutlich auch bei Kristallen passieren kann? Die dubiose Beschreibung des Indexellipsoids? Die exotische Konvention für die Orientierung des zirkular-polarisierten Lichts?  

Ich bin gespannt!

Herzliche Grüße

Timm
Titel: Re: Realgar
Beitrag von: olaf.med in November 05, 2014, 19:07:19 NACHMITTAGS
Hallo Timm,

großartig, wie Du mich so treffend analysiert hast. Nur die weibliche Seite war mir bisher noch fremd, und die möchte ich nun noch weiter pflegen  ;D

Gruß, Olaf