Liebes Forum,
gerade mal wieder die Neuzugänge sortiert und versucht zu identifizieren. Wenn ich meine Proben durchmustere heißt es oft "erst schießen, dann fragen", d.h. wenn ich etwas vermeintlich neues oder interessantes finde, halte ich erstmal drauf und mache nur einen Eintrag in mein Fotologbuch (Vergr., Fundort etc). Erst später (manchmal viel später) schaue ich mir erst an, was ich da "geschossen" habe. In diesem Fall war es eine Nacktamöbe, die mir wegen den großen Kristallen im Plasma verdächtig vorkam. Wegen den vielen Kernen mit peripheren Nukleoli-Saum habe ich erstmal auf Trichamoeba oder Chaos getippt. In Ferry's "De Nederlandse Naaktamoeben" bin ich dann unter Trichamoeba laureata fündig geworden. Alle Merkmale passten. Auf seiner homepage arcella.nl habe ich dann jedoch gesehen, dass Trichamoeba laureata jetzt zu Parachaos laureata geworden ist. Die Unterscheidung zu Chaos gelingt wohl nur elektronenmikroskopisch. Ferry schreibt "Similar to Chaos but at the ultrastructural level Parachaos can be distinguished by an amorphous cell coat without filaments and nuclei with no internal laminae." OK, dass kann ich nicht prüfen, aber hier meiner Bilder von der Amöbe, die ich für Parachaos laureata halte:
Mein Exemplar war ca. 250 µm lang
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/160223_2968956.jpg)
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/160223_42742542.jpg)
Man erkennt neben einzelnen Kernen im Plasma auch "knubbelige" Vakuolen, bei denen es sich entweder um Nahrungsvakuolen oder evtl. um Glykogenansammlungen handeln kann. Die Amaöbe floß zwar langsam vor sich hin, weigerte sich jedoch einen Uroid auszubilden, den ich gerne noch fotografiert hätte.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/160223_37970208.jpg)
Der Fokus in die Zellmitte offenbarte dann einen ganzen Satz von Kernen, alle mit einem kettenförmigen Ring von perpheren Nukleoli, wie für Parachaos beschrieben. Ich schätze, es waren 20 - 40 Kerne. Die vielen Kristalle verdichteten sich am Hinterende:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/160223_62720417.jpg)
KR = Kristalle
ZK = Zellkern
NV = Nahrungsvakuole
KV = kontraktile Vakuole
Auf die Zelloberfläche fokussiert hat es den Anschein, als wenn auch viele der ca. 5-7 µm großen Kristalle direkt unter der Zellmembran angeordnet sind. Die Form der Kristalle war oft kubisch oder "sargdeckelförmig":
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures004/160223_38954059.jpg)
Mi = Mitochondrien (wahrscheinlich)
Viele Spaß beim anschauen!
Martin
Lieber Martin,
eine schöne Serie, die einen guten Einblick in die Physiologie gibt.
Ich fotogrfiere ja nicht am Mikroskop. War aber überrascht, dass man Zile mit 1/4 mm Durchmesser mit dem 100er Objektiv aufnimmt. Zum beobachten hätte ich eher ein 20er benutzt.
Hallo Martin,
das ist ja wirklich ein interessanter Fund. Der Nucleus ist schon sehr besonders. Penard hat diesen Nucleus bei Amoeba fasciculata Penard 1902 erstmals beschrieben. Smirnov hat eine Amöbe beschrieben, die Penards Fund sehr nahe kommt, Polychaos fasciculatum (Penard 1902) Schaeffer 1926, aber im TEM diese Kernstruktur nicht gefunden.
Bei diesen Amöben herrscht in der Taxonomy chaos :D Teilweise hat es damit zu tun, dass anscheinend je nach Alter einer Kultur der Nucleolus verändert erscheint und die Glykokalix mit den Polysacchariden sehr schwer zu erhalten ist. Und wenn man sie erhalten hat, lässt sie sich nicht genau im REM abbilden, denn der Elektronenstrahl verbiegt die sofort >:( Deshalb habe ich auch noch keine REM Aufnahmen von Amöben mit Polysaccharid-Strukturen auf der Glykokalix (z.B. Mayorella) gezeigt.
Herzliche Grüsse,
Eckhard
Hallo zusammen
@Uwe: Das hat mit meiner Kamerakonstellation zu tun. Ich nehme das Zwischenbild auf, ohne weitere Optik dazwischen. Die Endvergrößerung auf dem Sensor entspricht dann der Objektivvergrößerung. Ein 250 µm Objekt wird dann 25 mm groß auf dem Sensor abgebildet. Passt gerade so drauf. Vorteil ist, dass in dem Bild alle Informationen enthalten sind, die das 100X Objetiv liefert. Da die meisten Objekte kleiner sind als 250 µm, verwendet ich fast ausschließlich das 100X.
@Eckard: Ja, bei den Amöben ist noch einiges in Bewegung. Eigentlich kann man erst in einer Kultur die Konstanz der Art sehen und alle Stadien des Lebenszyklus. Da ist noch viel Potential für viele Doktorarbeiten. Ich habe es bisher nicht einmal geschafft, ein zweites Exemplar von P. laureata aufzutreiben. Diesen Effekt kenne ich schon von vielen Ciliaten. Wenn Du schreibst, dass die Glykokalix so sensibel im REM ist, wie haben denn die anderen Autoren diese Schicht untersucht und charakterisiert?
Schönen Abend!
Martin
Hallo Martin,
Zitatwie haben denn die anderen Autoren diese Schicht untersucht und charakterisiert?
Welche anderen Autoren ? ;) Es gibt z.B. Aufnahmen von Mayorella (in Deinem Buch auf Seite 92), aber da ist die Vergrösserung so gering, dass man nichts erkennt - nur das da etwas ist. Ansonsten sind mir nur TEM Aufnahmen (viele aus Smirnovs Gruppe) bekannt und auch die sind regelmässig problematisch. Es gibt teilweise 6eckige Zylinder aus Polysacchariden (engl. glykostyles) auf der Glykokalix, aber die sind nur auf Basis von TEM Bildern rekonstruiert. Richtig "gesehen" hat die noch niemand (soweit mir bekannt). Wenn ich das im REM habe, sieht es aus, als wäre die Amöbe mit Streichholzköpfchen gespickt :D Aber sobald ich stärker vergrößere, ist es, als ob Wind die Dinger umlegt.
Herzliche Grüsse,
Eckhard
Martin, das sind wieder sehr gute Fotos. Was diese Gattung für mich so interessant macht, und was nicht in die Beschreibung steht, ist das Falten und Flügel fehlen. Ich hab sie niemals gesehen. Das ist, denke ich, jedenfalls ein gutes Lichtmikroskopisches Unterschied mit Chaos.