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Foren => Mikrofoto-Forum => Thema gestartet von: Michael Müller in Juni 22, 2016, 07:55:31 VORMITTAG

Titel: Bauchhärling Heterolepidoderma macrops
Beitrag von: Michael Müller in Juni 22, 2016, 07:55:31 VORMITTAG
Hallo in die Runde,

den folgenden Beitrag habe ich bereits im Mikrotümpler-Forum veröffentlicht. Dennoch möchte ich diese Dokumentation auch hier zeigen, da ich hoffe, dadurch bei Euch Interesse für die vielfältige und dem Amateur gut zugänglich Welt der Gastrotrichen zu wecken.

Heterolepidoderma ocellatum macrops (Beschreibung ähnliche Beschreibung für H. ocellatum z. B. in [1]) ist ein recht häufiger Gastrotrich, der mit nahezu jedem Habitat zurechtkommt. Deshalb ist dieses ca. 120µ große Tier wohl den meisten von Euch schon einmal in einer Probe untergekommen. Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – lohnt es sich, diesen eleganten Bauchhärling etwas genauer zu betrachten.

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures005/197705_27063092.jpg)

Bild 1: H. ocellatum macrops: Übersicht in vivo; PL 100

Namensgebend für H. ocellatum macrops sind die beiden auffallenden, kugelförmigen Strukturen am Kopf, die auf den ersten Blick unmittelbar an ,,Augen" erinnern. Diese ,,Augen" sind nicht pigmentiert und haben einen Durchmesser von ca. 1,4µ (Bild 1A). Ein weiteres Merkmal von H. ocellatum macrops ist der auffallende Pharynx mit je einem Bulbus an jedem Ende.

Hebt man den Fokus bis auf die dorsale Oberfläche an (Bild 1B), erkennt man, dass das Tier vollständig von sehr kleinen, gekielten Schuppen bedeckt ist, die wie ca. 5µ lange Härchen anmuten. Die ,,Augen" sind bei dieser Fokus-Stellung nicht mehr zu erkennen. Offensichtlich liegen sie nicht an der Oberfläche sondern tiefer im Tier in Höhe des Pharynx.

Ventral ist mir leider kein optimales Bild gelungen:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures005/197705_9879604.jpg)

Bild 2: H. ocellatum macrops: Ventral in vivo; S/W - PL 100

Auf der Bauchseite ziehen sich die gekielten Schuppen bis zu den beiden Wimpernbänder. Der Zwischenraum erscheint ohne Schuppen, was aber der schlechten Bildqualität geschuldet sein mag. Die runde Mundröhre ist mit sehr feinen (ca. 0,3µ dicken) Stäbchen verstärkt. Die augenähnlichen Strukturen zeichnen sich auf der Vertralseite ebenfalls nicht ab.

Als nächstes wollte ich den Zusammenhang der ,,Augen" mit dem Zellverbund untersuchen. Außerdem interessierte mich die genaue Form der Schuppen. Klassisch löst man die Schuppen mit schwacher Essigsäure von der Kutikula ab. Da ich gleichzeitig die Zellkerne des Tieres anfärben wollte, verwendete ich dagegen eine Methylgrün-Färbelösung, die ebenfalls mit Essigsäure versetzt ist und deshalb eine Präparierung der Schuppen bei gleichzeitiger Kernfärbung erlaubt. Da die Fixierung von Gastrotrichen etwas trickreich ist, habe ich die Tiere zuerst mit dem Deckglas festgelegt. Dadurch können sich die Tiere bei der Fixierung rein mechanisch nicht verkrümmen. Da Methylgrün eine gute Kernfixierung darstellt, habe ich die Färbelösung direkt unter dem Deckglas durchgezogen und so die Tiere gleichzeitig fixiert, gefärbt und die Schuppen gelöst.
Methylgrün ist einer der besten und selektivsten klassischen Kernfarbstoffe, dessen einziger Nachteil die kurze Haltbarkeit in Dauerpräparaten ist. Jede (ältere) Methylgrünlösung enthält auch einen Anteil Methylviolett, das klassisch zur Schleimfärbung eingesetzt wurde. Als Ergebnis erhält man also eine metachrome Färbung, bei der sich die Zellkerne blaugrün, Schleimstoffe (was immer das ist) tiefviolett abzeichnen.

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures005/197705_41929004.jpg)

Bild 3: H. ocellatum macrops: gefärbt mit Methylgrün - A: Übersicht;  B-D: unterschiedliche Fokusebenen Dorsal -> Ventral - PL 40

Zu meiner Überraschung färbten sich die ,,Augen" ganz analog zu den übrigen Zellkernen. In Bild 3 habe ich versucht, die Position der ,,Augen" genauer darzustellen. Bild 3B stellt die dorsale Fokusebene des Cerebralganglions (im folgenden der Einfachheit halber, aber etwas schlampig, als ,,Gehirn" bezeichnet) dar. Man erkennt hier z.B. die dorsale Kommissur des Gehirn. Die ,,Augen" sind noch nicht im Fokus. Senkt man die Fokusebene ab, erscheint der Pharynx, an dessen Seiten sich die Masse des Gehirns hinziehen. Hier zeigen sich die ,,Augen" an der Einschnürung zwischen den beiden hinteren Kopflappen. Dies ist genau die Stelle, an der die lateralen Tasthaarbüschel entspringen. Hier waren mir bei älteren Färbeversuchen an Lepidodermella squamata ebenfalls markant große Zellkerne aufgefallen. Diese prominenten Zellkerne, die im ungefärbten Präparat nur sehr schwer sichtbar sind,  wurden bereits bei Zelinka [2] beschrieben und als die Kerne der Sinneszellen gedeutet.
Als biologischer Laie würde ich deshalb die ,,Augen" als sehr markante Zellkerne dieser Sinneszellen deuten, die keine Photorezeptor-Funktion besitzen. Dafür sprechen folgende Argumente:
Innerhalb der Gastrotrichen sind einige Arten mit pigmentierten ,,Augen" bekannt. Die ,,Augenfunktion" bei H. ocellatum macrops ist aber wohl nicht endgültig geklärt [3]. Bei L. squamatum ist – auch ohne Pigmente – eine spektrale Lichtempfindlichkeit nachgewiesen [4].

Nach den Untersuchungen zu den ,,Augen" wurden die Schuppen präpariert. Zur Erhöhung des Kontrastes habe ich sie mit Eosin gefärbt. Dazu wurde ein Tropfen Färbelösung durch das Präparat gezogen und mit etwas Wasser die (bei Eosin leider häufigen) Rückstände ausgespült. Um die Schuppen abzulösen, wurde das Deckglas leicht bewegt um die Tiere etwas zu rollen. Dadurch werden die bereits durch die Essigsäure abgelösten Schuppen verteilt.

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures005/197705_7757008.jpg)

Bild 4: H. ocellatum macrops: Schuppen gefärbt mit Eosin - PL 100

Bei der Abbildung der ca. 5µ * 1µ kleinen, elliptischen Einzelschuppen stoße ich bereits an die Grenzen meiner Fähigkeiten. Dennoch erkennt man recht schön den Kiel, der die Längsachse der Schuppen bildet und der in Bild 1 als ,,Härchen" erscheint. Dieser Kiel erhöht wohl die Längs-Steifigkeit der Schuppen. In Bild 4A sieht man einen als ganzes abgelösten Schuppenverband. Hier wird deutlich, dass die Einzelschuppen nicht überlappen, sondern nebeneinander liegen.

Ich hoffe gezeigt zu haben, dass man bereits mit einfachen Mitteln eine Menge Details bei diesen eleganten Tieren erkennen kann.

Viel Spaß beim Ansehen,

Michael


Literatur:

[1] Kanneby, T. 2013. New species and records of freshwater Chaetonotus (Gastrotricha: Chaetonotidae) from Sweden. Zootaxa 3701: 551-588. Download (http://www.mapress.com/zootaxa/2011/f/z03115p055f.pdf)


[2] Zelinka,C. 1889. Die Gastrotrichen. Eine Monographische Darstellung ihrer Anatomie, Biologie und Systematik. Z. Wiss. Zool. 49: 209-384. Download (https://archive.org/download/zeitschriftfrwi491890seib/zeitschriftfrwi491890seib.pdf)


[3] Kieneke, A.& Schmidt-Rhaesa, A. 2014. Gastrotricha. In: Schmidt-Rhaesa, A. (ed.), Handbook of Zoology. Vol.3 Gastrotricha and Gnathifera, pp 1-134. De Gruyter, Berlin, Boston.


[4] Balsamo,M. 1980. Spectral sensitivity in a fresh-water gastrotrich (Lepidodermella squamatum Dujardin). Experientia 36: 830-831. Download (http://www.booksc.org/book/6695488)

Titel: Re: Bauchhärling Heterolepidoderma ocellatum
Beitrag von: limno in Juni 22, 2016, 10:07:13 VORMITTAG
Hallo Michael,
danke für diese interessante Dokumentation. Die Präparation ist gut gelungen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich habe die Färbung schon im Hinterkopf, wenn mir mal wieder einer vor die Linse schwimmt. Hast Du schiefe Beleuchtung angewandt? Sind die Bilder ungeblitzt?
Herzliche Mikrogrüße
Heinrich
Titel: Re: Bauchhärling Heterolepidoderma ocellatum
Beitrag von: Peter V. in Juni 22, 2016, 10:12:04 VORMITTAG
Hallo,

was ist denn das Mikrotümüler-Forum?

Herzliche Grüße
Peter
Titel: Re: Bauchhärling Heterolepidoderma ocellatum
Beitrag von: Michael Müller in Juni 22, 2016, 11:04:35 VORMITTAG
Hallo Heinrich und Peter,

die Fotos sind ungeblitzt und mit schiefer Beleuchtung aufgenommen. Sie wurden digital aufbereitet um die interessierenden Einzelheiten besser zu zeigen. Dabei wurden Einbußen bei der Ästhetik in Kauf genommen.

Das Mikro-Tümplerforum (http://www.mikro-tuemplerforum.at) ist ein relativ junges und noch kleines Forum, bei dem es speziell um die Mikroskopie von wasser- und mooslebende Mikroorganismen geht. Es stellt in meine Augen kein "Konkurrenzforum" dar, sondern ist eine Ergänzung, die dem direkteren Austausch auf diesem speziellen Teilbereich der Mikroskopie dient.

Viele Grüße

Michael
Titel: Re: Bauchhärling Heterolepidoderma macrops
Beitrag von: Michael Müller in Juni 24, 2016, 10:14:06 VORMITTAG
Hallo,

nachdem ich mir jetzt endlich das Bestimmungsbuch für Gastrotrichen von Schwank besorgen konnte, musste ich leider feststellen, dass meine Artzuschreibung fehlerhaft war.
Kisielewski hat 1982 eine neue Heterolepidoderma-Art beschrieben, die vorher wohl immer mit H. ocellatum verwechselt worden war: Heterolepidoderma macrops.

H. macrops unterscheidet sich unter anderem von H. occellatum in folgenden Punkten:
Diese Artmerkmale sind bei meiner Präparation gut zu sehen. Deshalb halte ich die Artzuschreibung Heterolepidoderma macrops für richtig. Den obigen Beitrag (und den Betreff) habe deshalb entsprechend geändert.
Wiedermal hat sich gezeigt, dass man bei der Artbestimmungen nicht mit veralteter Literatur arbeiten sollte!

Noch eine Anmerkung zur Funktion der ,,Augen":
Schwank spricht diesen Pseudo-Ozellen jede ,,Augenfunktion" ab und hält sie ebenfalls für Bestandteile der Zellen, aus denen die lateralen Tasthaare entspringen.

Geknickte Grüße

Michael


Titel: Re: Bauchhärling Heterolepidoderma macrops
Beitrag von: limno in Juni 24, 2016, 11:35:39 VORMITTAG
Hallo Michael,
geknickt würde ich da jetzt nicht sein! :). An mangelnder Sorgfalt hat es ja wohl nicht gelegen, sondern an veralteter Literatur. Wenn es sich dabei um Standardliteratur -z.B. bei Ciliaten den KAHL- handelt, werden in neuerer Literatur, meist die dann ungültigen Synonyme angegeben, also kein Problem. Ich habe fast ausschließlich ältere Literatur. Seitdem die Analyse der Gensequenzen bei Ermittlung des Verwandtschaftsgrades zunehmend an Bedeutung gewonnen hat,musste einiges umgestellt werden, aber das meiste ist ja doch geblieben.Vieles ist auch Definitionssache. In der Botanik bspw. ist der Artbegriff im Gegensatz zur Zoologie eher fließend, d.h. die bloße Kreuzbarkeit ist nicht das alleinige Kriterium zur Artunterscheidung.
Wieviel hat Dich der Schwank gekostet?
Herzliche Mikrogrüße
Heinrich
Titel: Re: Bauchhärling Heterolepidoderma macrops
Beitrag von: Michael Müller in Juni 24, 2016, 18:44:04 NACHMITTAGS
Hallo Heinrich,
vielen Dank für Deine mitfühlenden Worte. Bei H. ocellatum war ich mir eigentlich recht sicher. In meiner Literatur gab es nur vier gut unterscheidbare Heterolepidoderma-Arten. Bei Schwank ist die Anzahl seit 1970 bis 1990 bereits auf 12 angewachsen. Wieviele es heute bereits sind, weiß ich nicht. Diese große Dynamik auf dem Gebiet der Gastrotrichen-Forschung spricht wohl für noch einige unentdeckte Arten.

Den Schwank habe ich mir per Fernleihe (http://www.subito-doc.de) für 9€ schicken lassen und werde ihn wohl einfach kopieren. Die antiquarischen Preise liegen für das kleine Paperback-Buch (wenn man es denn findet) bei +80€.

Schönes Wochenende,

Michael

Titel: Re: Bauchhärling Heterolepidoderma macrops
Beitrag von: Michael Müller in Juni 27, 2016, 17:19:49 NACHMITTAGS
Hallo Thilo,

ich nehme an, Du beziehst Dich auf Deine Bilder aus unserer Gastrotrichen-Diskussion im letzten November (http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=24138.30). Es sind genau diese prominenten Zellkerne, die in Deiner Färbung gut zu sehen sind, auf die ich mich beziehe und die in allen von mir untersuchten Gastrotrichen-Arten - ob mit oder ohne "Augen" - auftauchen. Die Frage ist, ob diese Zellkerne mit den (von Schwank so genannten) Pseudozellen identisch sind. Da ich die Färbung live beobachten konnte, bin ich sicher, dass sich diese Pseudozellen wie Zellkerne färben. Dies ist natürlich kein Beweis, dass diese Pseudozellen keine Funktion als Fotorezeptor haben, macht es aber in meinen Augen unwahrscheinlich.
In wieweit eine Empfindlichkeit im UV-Bereich vorliegen könnte, kann ich ebenfalls nicht beurteilen. Da die Extinktion des Wasser im UV stark zunimmt, sollte die Empfindlichkeit für limnische Organismen aber zumindest im nahen UV liegen.
Du hast natürlich Recht: einfache Färbeversuch können bestenfalls Indizien liefern aber die Frage der Lichtempfindlichkeit nicht endgültig klären.

Viele Grüße

Michael