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Foren => Mikrofoto-Forum => Thema gestartet von: Michael Plewka in April 19, 2018, 20:30:08 NACHMITTAGS

Titel: Planktonkurs im NSG Heiliges Meer, (2) Aufwuchs
Beitrag von: Michael Plewka in April 19, 2018, 20:30:08 NACHMITTAGS
Hallo zusammen,

in dem hier
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=31325.0 (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=31325.0)

angesprochen Planktonkurs  wird aber nicht nur Plankton untersucht, sondern obligatorischer Bestandteil des Kursprogramms ist die Untersuchung von Aufwuchs auf künstlich ausgebrachten Substraten, hier: Objektträger im Großen Heiligen Meer.

Martin Kreutz hat ja neulich hier
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=31084.0 (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=31084.0)

in einem wunderschönen Beitrag eine Variante dieser Methode, nämlich die Untersuchung von Aufwuchs auf Deckgläsern vorgestellt und dabei auch  einige der dort zu findenden Organismen, die sich ja sehr von dem unterscheiden, was man "sonst so findet".

Letzteres gilt auch für den Aufwuchs auf Objektträgern. Es ist schon erstaunlich, wie stark sich die Organismenarten von denjenigen im -letzlich nur millimeterweit entfernten- Plankton unterscheiden. Es tut sich da eine völlig neue Welt von Organismen auf, die selbst für Menschen wie mich, die schon ein wenig mikroskopiert haben, schwere Rätsel aufgeben.

1.    da ist zunächst einmal ein Sauginfusor, den ich für Heliophrya rotunda halte. Im www. findet man dazu nicht allzuviel, wird also wohl nicht so häufig gefunden (oder identifiziert).  Interessanterweise schreibt   D. Matthes in der "Protozooenfauna 7/1" zum Vorkommen:       "auf ausgehängten Objektträgern";  möglicherweise ist diese Art also noch nie in ihrem "natürlichen" Habitat beobachtet worden.
Hier ein Bild, das die Anordnung der Saugtentakel zeigt:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_39785641.jpg)



2.   Ein weiterer heterotropher Einzeller ist der folgende. Er erinnert stark an Pompholyxophrys punicea (den ich hatte  hier mal vorgestellt hatte:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=8164.0 (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=8164.0)

jedoch sehen die "Perlen" bei dieser Form anders aus: im Längsschnitt eiförmig, m.o.w. dicht gepackt;  in der Aufsicht zeigt sich ein Kammersystem und nicht wie bei P. punicea eine Hülle aus einzelnen Elementen:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_45523402.jpg)
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_35287174.jpg)


3.   Weiterhin fallen auf den  Objektträgern braune Flecken auf, die extrem häufig zu finden sind. Ein Teil dieser Flecken hat im Zentrum eine optisch leere Fläche:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_44419000.jpg)

Bei diesen Flecken handelt es sich wahrscheinlich um Ansatzstellen der Gallertstiele von Diatomeen, wie ein Bild dieser ?Gomphonema? auf dem Objektträger demonstriert (Pfeil).

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_52697953.jpg)



4. Während diese Flecken eindeutig kernlos sind, weist eine andere Gruppe von Flecken zumeist einen Kern (mit Nucleolus) auf:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_22597652.jpg)

Es könnte sich dabei um Amöben handeln, wobei ich auf Ferry Siemensma´s  Seite
http://www.arcella.nl/overview-testate-amoebae (http://www.arcella.nl/overview-testate-amoebae)
die Gattung Apogromia gefunden habe, was  zu den  Formen  in den folgenden Bildern passen könnte (teilweise Ausschnitte aus dem obigen Bild):

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_10261382.jpg)

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_59109011.jpg)

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_42659827.jpg)


5.   Ebenfalls bei den Algen gab es für mich/ uns rätselhafte Arten. Besonders auffällig waren dabei Formen mit teilweise extrem langen Pseudocilien aus Gallerte. Es scheint, als wären bei dieser Form pro Zelle zwei dieser Pseudoclilen vorhanden:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_40644060.jpg)

Detail:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_17043416.jpg)

andere Kolonie:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_28756230.jpg)

Weder ist mir klar geworden, welche Funktion diese Pseudocilien haben (zur Fortbewegung können sie ja nicht dienen) , noch, um welche Art(en) es sich dabei handelt. Es könnte sich dabei um Gloeochaete wittrockiana handeln. Das wäre dann ein Mitglied der Glaucophyceen, eine Gruppe von Algen, die sich durch die Besonderheit auszeichnen, dass sie statt mit Chloroplasten  mit Cyanellen die Photosynthese in den Zellen betreiben:



6.   Während diese Form blass- bzw.  blaugrün erscheint, ist eine weitere Form mit Pseudocilien gelblich. Auch hier habe ich keine Ahnung was es ist; möglicherweise ein Vertreter der Gattung Naegeliella?

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232625_18961937.jpg)


Bei so vielen Rätseln würde ich mich freuen, wenn es den einen oder anderen weiterführenden Hinweis zur Aufklärung gäbe...


Beste Grüße

Michael Plewka
Titel: Re: Planktonkurs im NSG Heiliges Meer, (2) Aufwuchs
Beitrag von: RainerM in April 22, 2018, 11:01:04 VORMITTAG
Hallo Michael,

zunächst meinen herzlichsten Dank für diese beiden anregenden und spannenden Beiträge, wie immer mit fantastischen Aufnahmen! Schade, dass der Kurs schon vorüber ist, man bekommt große Lust, daran teilzunehmen!

Hinweise zur Aufklärung deiner rätselhaften Beobachtungen kann ich nicht geben, ich möchte aber auf einige ähnliche Funde hinweisen, die ich in meinen Proben aus dem unterfränkischen Birkensee in den letzten Tagen gemacht habe.

Die "braunen Flecken" habe ich dort auch häufig beobachtet. Wie du schon sagst, handelt es sich dabei wohl um ganz unterschiedliche Phänomene. Du nennst u.a. Amöben der Gattung Apogromia, allerdings erkenne ich auf deinen Fotos keine Pseudopodien. In Frage kommt im Falle "brauner Flecken" auch Micrometes, die jedoch auch ausgeprägte, mit Extrosomen besetzte Pseudopodien aufweisen:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232721_11404313.jpg) (https://picload.org/view/dogpwpar/img_2504.jpg.html)

Häufig finde ich auch - z.T. sehr zahlreiche - braune Flecken mit einem Loch in der Mitte, die kleinen Vulkanen ähneln. Da mir noch nie in der gleichen Probe gestielte Diatomeen aufgefallen sind, glaube ich nicht, dass es sich hierbei immer um solche Ansatzstellen von Gallertstielen handelt, wie du sie zeigst - zumal von den "Löchern" oft eine Art Geißel ausgeht, die sich jedoch nur schwer in der gleichen Fokusebene darstellen lässt:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232721_64923656.jpg) (https://picload.org/view/dogpwpol/img_3383.jpg.html)

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232721_44624228.jpg) (https://picload.org/view/dogpwpoa/img_3381.jpg.html)

Ich habe keine Ahnung, worum es sich hier handeln könnte. Das gilt noch mehr für die folgende, ebenfalls häufige Beobachtung, bei der ich nicht einmal sagen kann, ob es sich um eine belebte oder unbelebte Struktur handelt:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232721_17654054.jpg) (https://picload.org/view/dogpwpaw/img_3247.jpg.html)

Auch die seltsame Alge mit den extrem langen Pseudocilien ist mir im Birkensee - zur gleichen Zeit übrigens - begegnet. Leider war die Schichtdicke bei den einzigen Aufnahmen, die ich besitze, viel zu hoch, sodass deren Qualität stark zu wünschen übrig lässt. Zu erkennen sind jedoch die Gallert-Fortsätze sowie die Gallerthülle um die beiden Algen, ebenso der Ansatz der je zwei Cilien.

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232721_52727599.jpg) (https://picload.org/view/dogpwpaa/img_2507.jpg.html)

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232721_14347911.jpg) (https://picload.org/view/dogpwpal/img_2508.jpg.html)

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232721_51393439.jpg) (https://picload.org/view/dogpwpai/img_2515.jpg.html)

Wie gesagt: Zur Aufklärung kann ich nichts beitragen, wüsste aber auch sehr gerne, was wir hier beobachtet haben!

Herzliche Grüße
Rainer

Titel: Re: Planktonkurs im NSG Heiliges Meer, (2) Aufwuchs
Beitrag von: Bernhard Lebeda in April 22, 2018, 19:02:15 NACHMITTAGS
Hallo ihr beiden

ich finde das Zeugs auch in meiner aktuellen Probe aus der Ohligser Heide. Könnte das nicht in Richtung Lagerheimia gehen?

Viele Mikrogrüße

Bernhard

P.S. ich meinte Deine letzten Bilder, Rainer!
Titel: Re: Planktonkurs im NSG Heiliges Meer, (2) Aufwuchs
Beitrag von: Martin Kreutz in April 22, 2018, 20:56:14 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

was bei Dir so alles auf der Scheibe wächst! Einiges kenne ich von meinen eigenen Proben, wie z.B. die Anwuchsstellen der Diatomeen und Algen und die vermeintliche Pompholyxophrys. Diese Gebilde mit den Bläschen drauf finde ich auch oft, habe sie aber für Blütenpollen gehalten, da weder Zellkern noch KV sichtbar. Die Schalenamöben würde ich auch für Apogromia halten. Allerdings zeigt das letzte Bild Deines 4. Absatzes meiner Ansicht nach keine Schalenamöbe, sondern die Ansatzpunkte der Gehäuse von Salpingoeca. Ich finde diese Strukturen massenweise auf meinen Deckgläsern.
Die erste Alge mit den Gallertgeißeln kann meiner Ansicht nach nicht Coelochaete sein, da dieser immer runde Zellen bildet, deutlich blaugrün ist und bei höheren Vergrößerungen auch die Cyanellen gut sichtbar werden. Hier zwei Aufnahmen von einer Alge, die ich für Coelochaete halte:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232741_65370760.jpg) (https://flic.kr/p/23ES6vw)
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232741_62955487.jpg) (https://flic.kr/p/25kPo3Y)
GG = Gallertgeißel
CN = Cyanellen

Die zweite Alge mit Gallertgeißeln würde ich ebenfalls für Naegeliella halten. Man erkennt auch sehr schön, wie sich die Gallertgeißeln am Ende teilweise spalten, was typisch für diese Art sein soll. Leider habe ich sie noch nie gefunden.

Martin
Titel: Re: Planktonkurs im NSG Heiliges Meer, (2) Aufwuchs
Beitrag von: Michael Plewka in April 25, 2018, 10:44:51 VORMITTAG
Hallo Rainer, hallo Bernhard, hallo Martin,

vielen Dank für Euer Feedback!

@ Martin: Gratulation, Deine Fotos sind m.W. die ersten dieser Alge im www. (wobei ich die Bilder mittlerweile auch in Deinem Buch gefunden habe)
Insofern 1. besten Dank für´s Zeigen!
Auch Deine Bemerkungen zu den anderen von mir / uns gefundenen Objekten erscheinen mit plausibel. Danke auch dafür!

Somit bleibt allerdings das Rätsel der ersten von mir gezeigten Alge.
@ Bernhard: bei "Lagerheimia" gehe ich immer von Zellen mit "Borsten" an zwei entgegengesetzten Polen der Zelle aus so wie hier z.B.
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/Kennkarten%20Algen/01_e-algae/Chlorophyta/e-source/Lagerheimia%20longiseta.html

Das würde dann bei der fraglichen Form nicht passen. Hast Du da weitere Informationen zu Lagerheimia?

@ Rainer:
Leider fehlt zu Deinen Bildern eine Größenangabe bzw. ein Maßstab, so dass ich zu  Deinen Objekten leider nicht allzuviel Sinnvolles beitragen kann. Mir scheint "Deine" Alge mit den langen Pseudocilien anders aufgebaut zu sein als "meine"; in der "Süßwasserflora von Mitteleuropa, Chlorophyta II" wird noch die Gattung "Chaetochloris" angeführt, das wäre evtl. noch eine Option....im www. finde ich allerdings dazu keine Fotos.
Bei dem Objekt in Bild Nr. 4 würde ich auf sowas wie Leptothrix tippen, aber da fehlt die Größenangabe......

Beste Grüße
Michael Plewka
Titel: Aufwuchsuntersuchungen- Objekträger präparieren
Beitrag von: Michael Plewka in April 25, 2018, 18:56:02 NACHMITTAGS
Hallo zusammmen,

sicherlich ist zu diesem Thema "Aufwuchs auf Objektträgern" hier im Forum schon öfter was geschrieben worden, aber wegen eine Anfrage zur Vorgehensweise  zeige ich hier  dasjenige Gerät, welches Wolfgang Bettighofer
http://protisten.de (http://protisten.de)
mal auf der Kornrade in Darmstadt vorgestellt hat, was vielleicht dem einen oder anderen Mikroskopiker als Bastel-Anregung dienen kann.


Prinzipiell entscheidend sind hierbei die Schlitze in den Querstreben, in die genau 2 aufeinandergelegte Objektträger (OT) hineinpassen. Dadurch wird gewährleistet, dass die OT nur auf einer Seite (außen) bewachsen werden, während die  aufeinander liegenden Innenflächen sauber bleiben. Das Gummiband o.ä. verhindert das Herausfallen der OT.

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/232869_14303791.jpg)

Je nach Gewässer und Zugang zu demselben kann man das Gestell mit Auftriebskörpern z.B. aus Hartschaum versehen und z.B. schwimmend im/ am Schilf befestigen oder aber -wie am Heiligen Meer (HM)- mit Plastikrohren (handelsübliche Rohre zum Verlegen von Elektrokabeln aus dem Baumarkt, die es in verschiedenem Durchmesser gibt und die sich dadurch ineinander stecken lassen), welche an verschiedenen Stellen in den Seeboden gesteckt werden.

Die  Dauer der Exposition ist ja gerade eine spannenden Fragen bei diesem "Experiment": natürlich wird sich eine Sukzession auf diesem künstlichen Substrat ergeben, die man untersuchen kann. (im Fall am Heiligen Meer waren die OT ca. 14 Tage exponiert).

Anschließend wurden am HM die Gestelle (ähnlich wie das hier gezeigte) per Boot eingesammelt.

Für den Transport der OT bieten sich zwei Lösungen an:

1. man entfernt die OT aus dem Gestell und packt sie in Plastikröhrchen  wie z.B. das neben dem Gestell gezeigte, die man zuvor mit Umgebungswasser gefüllt hat. Man sollte in jedem Fall darauf achten, dass keine Wasserbewegung stattfindet, deshalb vollständig befüllen!

2. man packt das ganze Gestell in eine luftdicht (und damit auch wasserdicht) verschließbare Plastikdose und befüllt die Dose blasenfrei mit Wasser.
(Voraussetzung ist dabei, dass das Gestell nicht in der Dose wackelt)
Beide Verfahren  bieten somit die Möglichkeit, die Proben z.B. auch mit dem Fahrrad zu transportieren.

Noch ein Hinweis: die zwei aufeinander "klebenden" Objektträger trenne ich mit einer Rasierklinge, die ich an einer OT-Ecke ansetze, das klappt ganz gut..

Beste Grüße
Michael Plewka