Hallo in die Runde,
in einem meiner Mikroaquarien ist es mir gelungen, den Schlupf eines Rädertieres zu filmen:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/236853_23085090.jpg) (https://www.youtube.com/watch?v=wJZR2uUUS54)
(Zum Starten des Filmes bitte das Bild anklicken)
Leider habe ich keine Ahnung, zu welcher Art dieser einäugige Freund gehört. Vielleicht kann mir jemand weiterhelfen?
Viele Grüße
Michael
Guten Abend Michael,
schwierig bis unmöglich zu sagen, um welches monogononte Rädertier es sich da handelt. Den Film habe ich mit einem Viertel der Normalgeschwindigkeit abgespielt, um auch jede einigermaßen scharfe Abbildung abzupassen.Du solltest vielleicht zunächst abwarten, bis sich das Rädertier beruhigt hat.Vielleicht muss es sich erst sattfressen. Natürlich war es für Dich verführerisch, den Moment des Schlupfs aus dem Ei festzuhalten. Aber mit Deinem Hohlschliffobjekträgeraquarium hast Du ja eine weitere Chance.Natürlich werde ich Dir auch dann helfen und sehen, ob sich das Tier bestimmen lässt.Also auf ein Neues!
Heinrich
P.S. Längenangabe fehlt!
Hallo Heinrich,
Du hast natürlich Recht - aus dem Film ist es sehr schwer, das Rädertier zu bestimmen. Dabei ging es mir mehr darum, zu zeigen, wie sich das Tier in die Freiheit nagt. Ich weiß auch nicht, ob eine Artbestimmung bei juvenilen Tieren überhaupt möglich ist. Zumindest wird das Tier ja noch einige Zeit brauchen um ausgewachsen zu sein.
Das schöne an den Mikroaquarien ist, dass man ganz entspannt die Beobachtung unterbrechen kann, ohne das Gefühl zu haben, unwiederbringlich etwas versäumt zu haben. Das Tier lebt putzmunter unterm Deckglas und war bei den folgenden Fotos jetzt 23h 40min alt.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/236884_44606316.jpg)
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/236884_16919637.jpg)
Hier noch ein paar Details, die vielleicht bei der Bestimmung helfen:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/236884_22616502.jpg)
Monogonate Rädertiere reagieren oft sehr schlecht auf die Gefangenschaft im Mikroaquarium, da viele gerne frei schwimmen. Dieses Tier bewegt sich aber egelartig und scheint ganz zufrieden damit zu sein, das Deckglas abzuweiden. Vielleicht bleibt es uns also noch ein paar Tage erhalten. Ich nehme deshalb gerne Bestellungen an, wenn noch jemand an irgendwelchen Details interessiert sein sollte. Vielleicht ist es ja auch spannend, die weitere Entwicklung des Tieres zu beobachten.
Viele Grüße
Michael
Hallo,
nachdem ich jetzt das Rädertier einige Tage in meinem Mikroaquarium beobachtet habe, möchte ich den obigen Beitrag um meine Beobachtungen ergänzen.
Durch Michael Plewka auf die richtige Spur gebracht, konnte ich am inzwischen ausgewachsenen Tier eine Artbestimmung versuchen. Aufgrund des nach rechts verschobenen, linsenbewehrten Auges und des kleinen Sporns zwischen den Zehen (Bild 1) halte ich das Tier für ein Mitglied der Art Proales fallaciosa. Eine endgültige Sicherheit kann wohl nur eine Kaueranalyse erbringen, die ich nicht durchführen kann. Die Fotos des Kauers am lebenden Tier zeigen jedenfalls keine Widersprüche zur Artdiagnose.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/237257_22597652.jpg)
Bild 1: Details zur Artbestimmung: Oben: Sporn zwischen den Zehen; Unten links: verschobenes Auge mit Linse; Unten rechts: Kauerdetail
Über die Beobachtungszeit konnte auch das Wachstum von P. fallaciosa verfolgt werden:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/237257_10261382.jpg)
Bild 2: Wachstum von P. fallaciosa
Nach ca. 4 Tagen hat das Tier seine Endgröße erreicht. Der Lebenszyklus von P. fallaciosa wurde von Jennings & Lynch 1 (noch unter dem Pseudonym P. sordida) in Kultur genauer untersucht. Hier wurde beschrieben, dass die Tiere bereits im Alter von ca. zwei Tagen mit der Produktion von Eieren beginnen. Deshalb war ich natürlich gespannt, ob ich die Eiablage bzw. die Embryonalentwicklung würde beobachten können. Als das Tier ein verhältnismäßig großes Ei entwickelt hatte (Bild 3), beobachte ich deshalb etwas genauer.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/237257_59109011.jpg)
Bild 3: P. fallaciosa, trächtiges Tier
Das Tier begann, eine Einbuchtung oder Höhle in eine Detritus-Flocke zu drücken und diese über ca. 10 Minuten zu säubern. Dann stellte sich das Tier senkrecht und legte das Ei in diese "Bruthöhle". Die eingendliche Eiablge war also von dem Tier verdeckt und konnte nicht fotografiert werden. Das Ei lag leider recht tief am Grunde des Präparats und konnte deshalb nur mit sehr mäßiger Fotoqualität dokumentiert werden (Bild 4). Zu diesem erstaunlichem Verhalten konnte ich keine Literatur finden. Es erstaunt mich immer wieder, wie differenziert das Verhalten von Metazoen - jenseits des einfachen Reiz-Reaktions-Schemas - sein kann.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/237257_42659827.jpg)
Bild 4: P. fallaciosa: Eiablage und frisch gelegtes Ei
Trotz der schlechten Beobachtungsqualität wollte ich die Eientwicklung mit einer Zeitraffer-Aufnahme beobachten. Dadurch konnte ich ca. 13h nach dieser ersten Eiablage beobachten, dass das Muttertier zurückkehrte und das halb entwickelte Ei aus der "Bruthöhle" heraus drückte und die Höhle wiederum einige Minuten säuberte. Dann legte es das zweite Ei an die selbe Stelle wie das erste. Diesmal lag das Ei etwas besser und ich konnte die Embryonalentwicklung in einer Zeitraffer-Aufnahme - mehr schlecht als recht - dokumentieren ( https://www.youtube.com/watch?v=rObX5Al53mw (https://www.youtube.com/watch?v=rObX5Al53mw) ). Dieser Film fasst die gesamten 18,5 Stunden der Eientwicklung bis zum Schlupf in ca. 11 min zusammen (100-fache Geschwindigkeit). Leider ist das Dottermaterial bei dieser Art nicht sehr durchsichtig (anders als z.B. bei Gastrotrichen), so dass die Furchungsphase nicht gut beobachtet werden kann (achtet bei dem Film auch auf die Plasmaoszillationen in den zufällig mit gefilmten Coleps sp. . Vielleicht hat jemand eine Idee, wie diese entstehen?). In diesem Film ist auch der Schlupf des ersten, aus der "Bruthöhle" entfernten Eis zu sehen.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures009/237257_40644060.jpg)
Bild 5: P. fallaciosa: Seitenansicht
Nach ca. 5 Tagen waren die Verhältnisse im Mikroaquarium wohl zu schlecht für diese Rädertier-Art und die drei Exemplare von P. fallaciose verstarben. Im Moment habe ich in diesem Mikroaquarium an Rädertieren nur noch einige Bdelloiden.
Alles in Allem glaube ich, dass dieser Beitrag recht gut die Möglichkeiten von Mikroaquarien aufzeigt. Möchte man Entwicklungen über einen längeren Zeitraum dokumentieren oder den Lebenszyklus einzelner Arten studieren, ist diese Art der Präparation für mich die befriedigendste Lösung.
Viel Grüße
Michael
Literatur:
[1] Jennings, H.S. & Lynch, R.S. 1928. Age, mortality, fertility and individual diversities in the rotifer
Proales sordida Gosse. 1. Effect of age of the parent on characteristics of the offspring. J. Exp. ZooL
50: 345-407.