Mikro-Forum

Foren => Mikrofoto-Forum => Thema gestartet von: Ole Riemann in September 17, 2019, 17:49:40 NACHMITTAGS

Titel: Der cyrtophoride Ciliat Pseudochilodonopsis piscatoris
Beitrag von: Ole Riemann in September 17, 2019, 17:49:40 NACHMITTAGS
Liebe Forumskollegen,

in einer alten Probe aus einem mit Wasserlinsen bewachsenen Tümpel mit stark sauerstoffzehrender, schlammiger Grundschicht fand ich zahlreiche Exemplare des markanten cyrtophoriden Ciliaten Pseudochilodonopsis piscatoris. Diesen möchte ich hier vorstellen, ergänzt um einige grundsätzliche Anmerkungen zur Gruppe der cyrtophoriden Ciliaten. P. piscatoris habe ich gefunden, indem ich auf die Oberfläche der Probe ein Deckglas abgelegt und gleich anschließend wieder aufgenommen und mikroskopiert habe.

Cyrtophoride Ciliaten sind typische Vertreter des frei beweglichen Protisten-Aufwuchses auf Wasserpflanzen und anderen Oberflächen in Süßgewässern (Quelle dieser und aller folgenden Angaben zur Biologie der Cyrtophoriden ist Foissner W et al. (1991) Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten des Saprobiensystems, Band I: Cyrtophorida, Oligotrichida, Hypotrichia, Colpodea. Informationsberichte des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft, Heft 1/91, 478 S.). Wohl jeder, der regelmäßig Tümpeln geht, hat Vertreter dieser Ciliatengruppe schon einmal unter dem Mikroskop gehabt.

Cyrtophoride Ciliaten sind durch mehrere Merkmale gut abgegrenzt. Das auffälligste Merkmal ist das durch lichtmikroskopisch gut erkennbare Stäbe begrenzte Schlundrohr. Von der reusenartigen Struktur (Reuse = Cyrtos) des Schlundrohres hat diese Ciliatenverwandtschaft ihren Namen. Weiterhin sind cyrtophoriden Ciliaten abgeflacht und nur auf der Ventralseite, die dem Substrat anliegt, dicht bewimpert. Die Wimpern der Dorsalbürste - eine einzelne, eher schüttere Wimpernreihe - sind die einzigen rückenseitig auftretenden Cilien. Die meisten cyrtophoriden Ciliaten ernähren sich von Diatomeen, die durch den Reusenapparat aufgenommen und ins Cytoplasma befördert werden. Experimentelle Untersuchungen zeigten jedoch, dass auch andere Organismen in dem entsprechenden Größenspektrum gefressen werden. Ich selbst habe individuenreiche Populationen von Cyrtophoriden in gemischten Diatomeen-/Oscillatoria-Matten, die ich auf Steinen im Uferbereich des Mains gesammelt habe, gefunden. Der abgeflachte Körperbau der Cyrtophoriden wird als Anpassung an den Lebensraum des Aufwuchses gedeutet. Hiermit einher geht eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Fähigkeit der Zellen, sich bei Sog und rascher Wasserbewegung an die Unterlage zu schmiegen, um nicht weggespült zu werden.

Bei meinem Präparat von Material aus dem Oberflächenhäutchen stellte sich bei zunehmender Austrocknung eine scharfe Grenze Luft – Wasser ein (Pfeile), an der sich P. piscatoris in sehr auffälliger Weise konzentrierte. Offenbar sind die Zellen sehr sauerstoffbedürftig und folgen dem Sauerstoffgradienten:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/256436_50632145.jpg) (https://beta.photobucket.com/u/OleRiemann/p/5e8d3371-b1ed-4bcb-9ba2-6c1ee26a3e1b)

Bei Betrachtung der abgeflachten Ventralseite der ca. 80 µm großen Ciliaten (A und B) fallen als erstes die in Längsrichtung der Zelle orientierten Cilienbänder auf sowie ein postorales, cilienfreies Feld (Pf). Die Mundöffnung (Mö) am Ende des ersten Zellviertels wird von den Stäben der Reuse eingefasst:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/256436_53036123.jpg) (https://beta.photobucket.com/u/OleRiemann/p/9d7d6931-bab3-4855-aeef-293a083716a7)

Bei richtiger Einstellung des Fokus treten die Exkretionsporen der beiden kontraktilen Vakuolen hervor (Pfeile):

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/256436_7563067.jpg) (https://beta.photobucket.com/u/OleRiemann/p/aea52e44-e302-4ac5-a2a8-ca9a71ebd7b0)

Bei Einstellung auf die gewölbte Dorsalseite der Zellen (C) wird die Dorsalbürste (Db) als quer verlaufendes, praktisch die gesamte Breite der Zelle einnehmendes Cilienband sichtbar. Ebenso sind der Mikronukleus (Min) sowie die deutliche Caudalspitze (Cs) zu erkennen. In mittlerer Fokuslage treten der Makronukleus (Man) mit seiner ausgeprägten Binnenstruktur, die beiden kontraktilen Vakuolen (kV1, 2) sowie die Reuse (Re) hervor:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/256436_958745.jpg) (https://beta.photobucket.com/u/OleRiemann/p/9309aa31-621e-4930-9467-db018307de6b)

Ergänzend zu P. piscatoris seien hier noch zwei weitere Beispiele häufiger cyrtophorider Ciliaten gegeben. Die kleine Art Chilodonella uncinata ist in fast jedem Oberflächenhäutchen zu finden und zeigt – bei stark gepressten Exemplaren – eine zu ihrem Ende hin eigenartig aufgerollte Reuse (,,füllhornartig" nach Foissner et al. 1991):

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/256436_8628710.jpg) (https://beta.photobucket.com/u/OleRiemann/p/3252e77d-8455-4e64-8782-f7ca4fedb777)

Bei Exemplaren, die direkt am Deckglas anliegen, lassen sich die Stäbe der Reuse im optischen Schnitt gut erkennen und auszählen (bei dem im Folgenden dargestellten Exemplar insgesamt 8 Stück):

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/256436_10549531.jpg) (https://beta.photobucket.com/u/OleRiemann/p/bc223da7-897f-47ac-8b8e-80e13c9a2971)

Beeindruckend ist die Fähigkeit der Cyrtophoriden, scheinbar zielgerichtet ihre Umgebung nach ingestierbarer Nahrung zu durchsuchen und sie dann bei Kontakt rasch mit der Reuse aufzunehmen. Hier eine C. uncinata, die einen Bakterien- oder Cyanobakterienfaden frisst:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/256436_27836922.jpg) (https://beta.photobucket.com/u/OleRiemann/p/86e3780e-42b6-4589-9c3c-2c9267cd08b9)

Ein ebenfalls häufiger cyrtophorider Ciliat ist Trithigmostoma cucullulus. Eine besonders schöne Dokumentation dieser Art stammt von Martin Kreutz: https://mikro-tuemplerforum.at/viewtopic.php?t=307). Das folgende Exemplar ist von der Ventralseite aus aufgenommen und zeigt neben der Mundöffnung die Anordnung der Basalkörper der Cilien in Längsreihen sowie die darunter liegenden Mitochondrien als kleine Scheibchen:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/256436_49205706.jpg) (https://beta.photobucket.com/u/OleRiemann/p/1ed713a7-5a01-4b1e-a157-a86c314e7020)

T. cucullulus nimmt ebenfalls fadenförmige Bakterienverbünde (Bf) auf. Hier ein Exemplar, das einen solchen abknickt und verschluckt (MR=Mundrohr); die Pfeile markieren das Ende des aufgenommenen Fadens, der erstaunlich weit in die Zelle hineinreicht (ich hatte dieses Bild schon mal in einem früheren Beitrag gezeigt, https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=33696.0):

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/256436_40198173.jpg) (https://beta.photobucket.com/u/OleRiemann/p/8418467b-502d-4631-86fd-50609a626dd3)

Beste Grüße

Ole






Titel: Re: Der cyrtophoride Ciliat Pseudochilodonopsis piscatoris
Beitrag von: limno in September 17, 2019, 18:14:02 NACHMITTAGS
Guten Abend Ole,
wieder eine sehr lehrreiche und ästhetisch ansprechende Dokumentation!
Dank dafür von
Heinrich

Titel: Re: Der cyrtophoride Ciliat Pseudochilodonopsis piscatoris
Beitrag von: MikroMicha in September 17, 2019, 19:58:29 NACHMITTAGS
Hallo Ole,

auch ich sitze hier gerade mal wieder mit offenem Mund vorm Bildschirm und betrachte Deine unglaublich guten Aufnahmen der Ciliaten. Ich bin auch ein Fan der cyrtophoriden Ciliaten, vor allem von Chilodonella. Aber ob mir solch gute Aufnahmen wie Dir je gelingen werden, wage fast zu bezweifeln  ;). Von mir ein ganz dickes Lob, und beide Daumen hoch  :).

Mit welchen Objektiven hast Du die Aufnahmen gemacht? Wahrscheinlich auch geblitzt? Ansonsten kann ich mir die unglaubliche Schärfe nicht erklären, da die Viecher ja meistens recht schnell unterwegs sind ..........
Titel: Re: Der cyrtophoride Ciliat Pseudochilodonopsis piscatoris
Beitrag von: Ole Riemann in September 18, 2019, 09:18:26 VORMITTAG
Hallo Heinrich und Michael,

vielen Dank für Euer Interesse und die Rückmeldungen.

Bis auf die Phasenkontrast-Aufnahme von Chilodonella uncinata (Zeiss Standard WL, Neofluar 100/1,3 Ph3) sind alle Fotos am Olympus BHS entstanden, jeweils mit Mikroblitz unter Verwendung des Blitzwürfels von Jürgen Stahlschmidt. Für die Detailaufnahmen habe ich den SPlan Apo 60/1,4 eingesetzt. Dieses Objektiv hat gegenüber dem Pendant von Zeiss aus der Endlich-Optik-Reihe den nicht zu unterschätzenden Vorteil eines etwas größeren Arbeitsabstandes (ich meine 0,12 mm bei Olympus gegenüber 0,09 mm bei Zeiss). Damit lassen sich auch dünne Tümpelproben noch gut untersuchen, ohne dass die Fassung der Frontlinse auf das Deckglas drückt.

Beste Grüße

Ole
Titel: Re: Der cyrtophoride Ciliat Pseudochilodonopsis piscatoris
Beitrag von: Bernd in September 18, 2019, 20:58:58 NACHMITTAGS
Hallo Ole,

unglaublich scharfe und detailreiche Aufnahmen. Besonders beeindruckend die Darstellung der Dorsalbürste. Und die Fotos vom Fressvorgang sind sensationell.

Viele Grüße
Bernd
Titel: Re: Der cyrtophoride Ciliat Pseudochilodonopsis piscatoris
Beitrag von: reblaus in September 18, 2019, 21:16:22 NACHMITTAGS
Hallo Ole -

bin immer ganz weg, wenn Du Deine neuesten Aufnahmen aus der Protozoologie präsentiertst, zumal ich meine wissenschaftlichen Kinderjahre teilweise im Institut von K. G. GRELL verbringen durfte
( "Gottlieb er kommt, gottlob er geht" ) , obwohl ich dort von den "Schleimbeuteln" zu den Insekten abgewandert bin.

Wenn es etwas gibt, das - obwohl technisch nicht vergleichbar - in der Qualität mit Deinen Fotos mithalten kann, dann sind es die alten Zeichnungen von BÜTSCHLI und Nachfolgern mit ihren (gefühlt) Millionen von Tuschepünktchen um die Halbtöne wiederzugeben.

Viele Grüße

Rolf
Titel: Re: Der cyrtophoride Ciliat Pseudochilodonopsis piscatoris
Beitrag von: M.Butkay in September 23, 2019, 23:25:18 NACHMITTAGS
Hallo Ole,

auch ich möchte mich für den aufschlussreichen Beitrag und die hervorragenden Bilder bedanken.

Man lernt als Tümpler immer wieder etwas dazu, Danke nochmals und

herzliche Grüße,

Michael