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Foren => Mikroskopie-Forum => Thema gestartet von: Helmut1968 in Januar 07, 2020, 23:01:32 NACHMITTAGS

Titel: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Helmut1968 in Januar 07, 2020, 23:01:32 NACHMITTAGS
Hallo,
Vielleicht kann mir jemand helfen.

Das Mikroskop im Anhang ist angeblich von Reichert,
Hersteller No. 27220.

Kann mir jemand sagen, ob das stimmig ist.
Was mich verwirrt ist die offenbar vernickelte Oberfläche insb. des Tubus.
Hat Reichert damals (1898-1905) tatsächlich solche Mikroskope mit vernickelter Oberfläche (Tubus) hergestellt, oder könnte es vielmehr sein, dass ein Restaurateur später die Vernickelung durchgeführt hat.

Ich dachte immer, dass diese sehr alten Mikroskope (Tubus) von Reichert immer aus purem Messing mit Messingoberfläche bestanden.

Bitte um Eure Hilfe.
Helmut aus Linz.
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Horst Jux in Januar 08, 2020, 00:42:31 VORMITTAG
Moin Helmut,

Reichert habe ich nicht gefunden. Aber R. Winkel.

http://www.museum-optischer-instrumente.de/winkel_1852.html (http://www.museum-optischer-instrumente.de/winkel_1852.html)

http://www.museum-optischer-instrumente.de/winkel_nickel.html (http://www.museum-optischer-instrumente.de/winkel_nickel.html)

http://www.museum-optischer-instrumente.de/mikro1.html (http://www.museum-optischer-instrumente.de/mikro1.html)

Möge es helfen.

Viele Grüße,
Horst
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Helmut1968 in Januar 08, 2020, 08:37:40 VORMITTAG
Guten Morgen

Warum wurde eigentlich vernickelt? Gibt es da irgendwelche Vorteile? Oder war das nur eine Geschmacksfrage? Konnte der Kunde wählen?

LG. Helmut
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Alfons Renz in Januar 08, 2020, 09:17:37 VORMITTAG
Hallo Helmut,

Die Vernickelung ansonsten zaponierter Mikroskope wurde gegen Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts von (allen) führenden Herstellern als sogenannte 'Tropenversion' angeboten: Dadurch wird die Korrosion durch Feuchte und Handschweiss vermieden.

Freundliche Grüße,

Alfons
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Helmut1968 in Januar 08, 2020, 10:55:14 VORMITTAG
Danke! Das war sehr hilfreich und macht sehr viel Sinn!  LG, HELMUT
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Bob in Januar 08, 2020, 12:01:32 NACHMITTAGS
Hallo Helmut,
die Art der Führung des Tubus erinnert sehr an die Seibert-Mirkoskope dieser Zeit. Ich weiß allerdings nicht, ob diese Konstruktion nicht noch von weiteren Herstellern verwendet wurde.

Viele Grüße,

Bob
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Florian Stellmacher in Januar 08, 2020, 12:44:39 NACHMITTAGS
Hallo Bob,

der Parallelogrammtrieb wurde bei Seibert auch bei großen Stativen eingesetzt, bei mittleren Stativen findet man ihn aber auch bei Leitz, Reichert, Krügelstein und anderen. Seibert und Krügelstein haben ihn auch noch mit einer untenliegenden Prismenschraube realisiert, was ergonomisch für damalige Verhältnisse schon recht fortschrittlich war. Letztlich hat sich diese Feinfokussierung aber nicht durchsetzen können, die letzten Mikroskope dieses Typs dürften vor 1920 gebaut worden sein.

Viele Grüße,
Florian

P.S.: Die Vernickelung war für die Tropenvarianten als Korrosions-/Oxidationsschutz gedacht, man findet aber gelegentlich auch den Hinweis auf den Einsatz in chemischen Laboratorien. Ich habe auch ein vernickeltes Winkel-Stativ, das im Lazarettdienst der K.u.K-Monarchie im Einsatz war und wohl nie die Tropen gesehen hat. Da aber auch bei üblichen biologischen Mikroskopen zunächst der Innentubus und  irgend wann auch Fokussierknöpfe und Objektive (komischerweise von Hersteller zu Hersteller in unterschiedlicher Reihenfolge) vernickelt wurden, darf man annehmen, dass letztlich auch ästehetische Gründe mitgespielt haben. Messing war bei manchen Herstellern, namentlich in England, teilweise noch nach dem WK II sichtbar; in Deutschland fand man aber wohl ab den 20ern Silber schicker als Gold - neue Bescheidenheit?  ;)
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Klaus Herrmann in Januar 08, 2020, 15:34:00 NACHMITTAGS
ZitatDie Vernickelung war für die Tropenvarianten als Korrosions-/Oxidationsschutz gedacht, man findet aber gelegentlich auch den Hinweis auf den Einsatz in chemischen Laboratorien.

Früher wurden in chemischen Laboren oft Rein-Nickelgefäße und Tiegelzangen verwendet statt die teuern Platinalternativen zu verwenden. Besonders für aggressive Alkalihydroxidschmelzen waren die Ni-Tiegel das Mittel der Wahl.
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: olaf.med in Januar 08, 2020, 17:35:09 NACHMITTAGS
... die Vernickelung solcher Geräte hat sicher meist mit der besseren Beständigkeit der Oberfläche zu tun, aber Florian hat durchaus recht, wenn er bemerkt, dass der Grund dafür sehr wohl auch ein ästehtischer sein kann. Hier ist ein Auszug aus einer Preisliste von Steeg & Reuter aus dem Jahre 1884, in dem das Nörrenbergsche Polariskop für einen Aufpreis von stolzen 90,- Mark (200,- statt 110,-) "elegant in vernickeltem Messing in Kasten" angeboten wird (im Katalog von 1878 gab es diese Option noch nicht):

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/263652_21210914.jpg)

Hier mag jeder für sich selbst entscheiden, welches wirklich eleganter ist:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/263652_56680499.jpg)

Der Paralellogramm-Trieb heißt übrigens "Feintrieb nach Roberval"

Herzliche Grüße,

Olaf

Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Bob in Januar 08, 2020, 18:34:34 NACHMITTAGS
Hallo Olaf,
wenn ich den Katalog richtig lese, war es ein Aufpreis von 140 zu 200 Mark, oder nicht?
Die Höhe des Aufpreises ist so oder so erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ja auch das Messing noch lackiert wurde.
Vielleicht bedeutete "vernickelt" auch gleich "Verarbeitung für allerhöhste Ansprüche".

Als nicht-Sammler (eigentlich 8)) kann ich gar nicht einschätzen, wie viel man mit einem Mikroskop arbeiten konnte, bevor es in Messing-Ausführung anfing, Gebrauchsspuren zu zeigen.
Mir gefallen beide Ausführungen gut, die vernickelte hat so einen besonderen Hauch von Exklusivität - was bei dem Preis ja auch zutreffen dürfte.

Viele Grüße,

Bob
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Helmut1968 in Januar 08, 2020, 19:58:54 NACHMITTAGS
Hallo Profis,
bin wirklich begeistert von Euren Spezialkenntnissen. Das hätte ich nicht erwartet.

Ich bestätige, dass für mich persönlich Nickel einen edleren Eindruck macht, und dass ich vor 120 Jahren den Aufpreis wohl ausgelegt hätte - auch ohne bevorstehenden Tropenbesuch.

Eure Info ist auch deshalb wertvoll, weil man basierend auf ihr sagen kann: historische Mikroskope in Nickelausführung sind wohl um mindestens 40% wertvoller, denn der Geschmack hat sich wahrscheinlich nicht geändert. 
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: olaf.med in Januar 08, 2020, 21:50:01 NACHMITTAGS
Hallo Bob,

das kommt darauf an, ob sich "Derselbe"auf Position 7 oder 8 bezieht, also ob der kleine Drehapparat zur Ausstattung des vernickelten Geräts gehört oder nicht. Selbst wenn es nur 60 Mark Unterschied waren, sind 30% Mehrkosten für's Vernickeln ein stolzer Anteil. Aus Erfahrung weiß ich, dass die Vorbereitung der Oberfläche für beide Verfahren - Lackieren und Vernickeln - identisch ist, aber dass das elektrolytische Vernickeln eigentlich die einfacher Prozedur ist.

Hallo Helmut,

Deine "Wertschätzung" trifft allerdings nach meiner Einschätzung nicht den heutigen Markt. Ich glaube Du wirst große Probleme haben für ein völlig vernickeltes Gerät den gleichen Preis zu erzielen wie für ein schönes Messinggerät.

Herzliche Grüße,

Olaf

Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: beamish in Januar 09, 2020, 00:02:30 VORMITTAG
Hallo Helmut,
hier gibts noch ein paar Informationen zu deinem Stativ:
https://mhs.web.ox.ac.uk/collections-online#/item/hsm-catalogue-11428

Grüße
Martin
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: beamish in Januar 09, 2020, 00:26:26 VORMITTAG
Hier noch eine frühere Version mit der Nummer: 10779
https://assets.catawiki.nl/assets/2019/1/7/6/c/6/6c63281d-5763-41db-a9e6-154837e297ed.jpg (https://assets.catawiki.nl/assets/2019/1/7/6/c/6/6c63281d-5763-41db-a9e6-154837e297ed.jpg)
https://assets.catawiki.nl/assets/2019/1/7/3/2/9/329cd94e-cb92-4aba-b3db-d084e04553d6.jpg (https://assets.catawiki.nl/assets/2019/1/7/3/2/9/329cd94e-cb92-4aba-b3db-d084e04553d6.jpg)
Der Tubus dieses Modells scheint immer schon vernickelt gewesen zu sein.

Grüße
Martin
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Helmut1968 in Januar 09, 2020, 00:40:42 VORMITTAG
Danke Martin, für diesen Volltreffer. Es zeigt, dass mein Mikroskop authentisch ist.
Schön zu wissen, dass es irgendwo noch ein Schwesterchen gibt.

Liebe Grüße aus Linz
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Werner in Januar 09, 2020, 08:47:14 VORMITTAG
Die Erklärung für den hohen Aufpreis einer "ansehnlichen" Vernickelung liegt im enormen Ausschuß bei der Fertigung.
1880 steckte die Galvanik noch in den Kinderschuhen, es konnte zwar fast alles kathodisch abgeschieden werden, aber selten als glatte, haftfeste und fleckenlos glänzende Schicht. Die Elektrolyte wurden rein empirisch entwickelt, der elektrochemische Abscheidungsvorgang war noch weitgehend unverstanden und das Ergebnis deshalb unerklärlich unreproduzierbar. Als Glanzzusätze dienten Spucke, Urin, Spinnweben, alte Putzlappen und sonstige geheimgehaltene Alchimie incl. Mondphasen.
Bis zur heutigen Galvanik war noch ein langer, sehr steiniger Weg.

Gruß - Werner
Titel: Re: Reichert Mikroskop No. 27220, Bj. 1898-1905
Beitrag von: Horst Jux in Januar 09, 2020, 09:37:32 VORMITTAG
Hallo,

es ist immer wieder spannend euren Kommentaren zu folgen.  :) :) :) :)

Danke,
Horst