Liebes Forum,
heute möchte ich (mal wieder) über einige Funde im Faulschlamm berichten. Damit meine ich nicht den Faulschlamm, wie er in Klärwerken anfällt, sondern den, welcher sich in stehenden Gewässern durch verrottende Pflanzenmassen bildet. Insbesondere dort, wo es einen Eintrag von Falllaub gibt. Hier ein Foto von Falllaub in einem kleinen Aquarium. Auf dem Boden sieht man die Schicht aus zersetzter Pflanzenmasse:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_63208015.jpg) (https://postimages.org/)
In dieser Schlammschicht lebt eine komplexe Lebensgemeinschaft, die ich seit über 20 Jahren untersuche. Insbesondere interessieren mich die dort lebenden Ciliaten. Die Zahl der Arten, die man im Faulschlamm findet, ist geradezu gigantisch und schwer zu fassen. Schwer zu fassen nicht nur im Sinne von korrekt ein- und zuordnen, sondern diese auch fotografisch zu dokumentieren. Man hat mit vielfältigen Problemen zu kämpfen:
- der Schlamm stört
- viele der dort lebenden Ciliaten sind sauerstoffempfindlich
- viele Bewohner sind klein, schnell und deckglasempfindlich
Als ich angefangen habe, mich mit den Faulschlammciliaten zu beschäftigen, schien es mir unmöglich mit diesen Problemen brauchbare Fotos zu generieren. Tatsächlich muss man eine gewisse Frustrationsfestigkeit besitzen, aber die müssen, glaube ich, alle Naturfotografen haben.
In meinen früheren Beiträgen habe ich gezeigt, wie man das Schlammproblem los wird. Ich schiebe lieber, als durch ein Netz zu filtrieren. Bei letzterem gibt es zu viele Scherkräfte. Aber je nach Fall verwendet ich auch hin und wieder ein Stück Planktonnetz (100 µm). Außerdem verwende ich zur Aufbewahrung meiner Schlammproben Spitzbodengefäße. Diese haben den Vorteil, dass sich die meisten der sauerstoffempfindlichen Bewohner dort aufkonzentrieren, oft in unglaublichen Massen.
Bleiben die Probleme mit den Viechern selber. Hier gibt es kein Patentrezept. Viele Arten sind problemlos (z.B. Loxodes oder Arten mit einer Pellikula, wie Saprodinium) aber anderen platzen sofort nach Auflegen des Deckglases. Hier hat sich bewährt, die Probe nicht zu sauber zu filtrieren und etwas Detritus drin zu lassen (aber keine Sandkörner). Offensichtlich werden die empfindlichen Kandidaten dadurch besänftigt, wenn sie etwas heimischen Detritus fühlen. Das klappt mal besser und mal schlechter. Man benötigt viele Versuche. Wenn einige Kandidaten das Auflegen des Deckglases überlebt haben, muss man sich in Geduld üben. Sie sammeln sich oft in der Mitte des Deckglases, wo die Konzentration des Sauerstoffs am geringsten ist. Außerdem beruhigen sie sich und schwimmen (manchmal) langsamer. Da ich praktisch nur mit dem 100 X Objektiv arbeite, kommt jetzt das Schichtdickenproblem dazu. Durch den Detritus ist eine beliebige Reduktion der Schichtdicke nicht möglich. Man muss hoffen, dass sich die Objekte in der Nähe des Deckglases aufhalten. Dazu versuche ich die Objekte möglichst lange im Sehfeld zu halten und dann auszulösen, wenn sie zum Deckkglas hoch schwimmen. Ist ein bisschen wie whale watching!
Hier möchte ich nun 4 Ciliaten aus dem Faulschlamm zeigen, welche ich mit dieser Methode fotografiert habe. Gleich die erste Art ist mein besonderer Liebling: Caenomorpha medusula! Ein abstrakt geformter Ciliat mit einem eleganten Schwanzstachel. Er ist nur wenig deckglasempfindlich, jedoch ein schneller Schwimmer, insbesondere wenn man mit dem 100 X mikroskopiert. Seit Jahren probiere ich mich immer wieder an diesem Objekt mit wechselndem Erfolg. Eine besondere Herausforderung ist es, den Schwanzstachel scharf abzubilden. Bitte nicht fragen, wieviel Ausschuss für das folgende Foto produziert wurde:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_32001227.jpg) (https://postimages.org/)
Die komplexe Form von Caenomorpha ist schwer zu erfassen, sowohl gedanklich als auch fotografisch. Mir sind noch folgende optische Schnitte von Caenomorpha medusula gelungen, welche die Komplexizität der verdrehten Form mit der spiralig laufenden Membranellenzone erahnen lassen:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_19575591.jpg) (https://postimages.org/)(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_41962596.jpg) (https://postimages.org/)
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_42119052.jpg) (https://postimages.org/)(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_43527150.jpg) (https://postimages.org/)
Ein weiterer Bewohner des Faulschlamms ist Trichospira inversa. Dieser Ciliat ist zwar nicht schnell aber dafür sehr selten. Ich habe ihn das erste Mal 1995 gefunden, dann nochmal ein Exemplar 2003 und weitere 17 Jahre später mehrere Exemplare im Jahr 2020. Foissner nennt so etwas schon einen "sicheren Fundort"!
Trichospira inversa ist unverwechselbar, weil er ein doppelreihiges Wimpernband besitzt, welches sich gegen den Uhrzeigersinn um den Körper windet und am Hinterende in ein Querband übergeht. Eine sehr seltsame Anordnung. Man kann sie am besten durch die Zeichnungen von Kahl verstehen:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_56200037.jpg) (https://postimages.org/)
Im Mikroskop kann man diese Anordnung am besten bei kleineren Vergrößerungen erkennen. Hier einige Übersichtaufnahmen mit dem 40 X. Die rechte Aufnahme zeigt das umlaufende Wimpernband:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_36038289.jpg) (https://postimages.org/)
MO = Mundöffnung
QWB = quer verlaufendes Wimberndband
WS = spiralig verlaufendes Wimpernband
Das umlaufende Wimpernband fördert Bakterien vom Hinterende her zur Mundgrube hoch, die apikal sitzt. Der Mikronukleus ist sehr groß und deutlich, während der Makronukleus etwas diffuser erscheint:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_55909147.jpg) (https://postimages.org/)(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_33420276.jpg) (https://postimages.org/)
MO = Mundöffnung
Mi = Mikronukleus
Ma = Makronukleus
EX = Extrusome
Das Fokus auf die Zelloberfläche erkennt man das spiralig laufende Wimpernband, welches aus zwei, dicht und parallel laufenden Cilienreihen besteht:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_32347029.jpg) (https://postimages.org/)(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_22687807.jpg) (https://postimages.org/)
DRW = doppelreihiges Wimpernband
QWB = quer verlaufendes Wimpernband
Am Hinterende wickelt sich dieses Wimpernband einmal um den Körper und bildet dort ein quer laufenden Band. Auf den folgenden beiden Aufnahmen von 2003, welche ich auch für das Simmelried Buch verwendet habe, ist dieses querlaufende Band gut zu sehen:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_2863675.jpg) (https://postimages.org/)
QWB = quer verlaufendes Wimpernband
MO = Mundöffnung
Eine weitere sehr seltene Art im Faulschlamm ist der kleine Ciliat Dexiotrichides centralis. Er wird maximal 40 µm groß und ist zwischen den Detritusteilchen nicht leicht aufzuspüren. Die einzige brauchbare Zeichung des nierenförmigen Ciliaten stammt von Kahl:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_25773083.jpg) (https://postimages.org/)
Er beschreibt ihn als häufig vorkommend in verrottenden Pflanzenmassen. Interessant ist, dass Foissner über diesen Ciliaten schreibt: " Zu jeder Jahreszeit regelmäßig und oft zahlreich im Detritus und Schlamm (Kahl 1931, Liebmann 1962). Wir haben diese Art jedoch noch nie gesehen!". Ich selbst habe in den ganzen Jahren auch nur 2 Exemplare gefunden. Es sieht fast so aus, als wenn Dexiotrichides früher häufiger war.
Dexiotrichides centralis ist ein ganz gute Beispiel, um mal zwischen der Zeichnung und dem Foto des lebenden Objektes zu vergleichen. Die Zeichnung von Kahl hebt viele Details deutlich heraus, wie den Besatz mit langen Cilien. Live im Mikroskop erkennt man diese nicht so leicht, alleine durch die Bewegung. Auch der Makronukleus erscheint diffuser. Man muss diese "Überdeutlichkeit" in den Zeichnungen berücksichtigen, wenn man auf Grund von Zeichnungen zuordnet.
Dexiotrichides ist jedoch leicht einzuordnen auf Grund der typischen Körperform und der körperlangen Caudalcilie:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_30631159.jpg) (https://postimages.org/)(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_7244975.jpg) (https://postimages.org/)
Im Plasma sind im Vergleich zur Körpergröße enorm große symbiontische Bakterien zu sehen. In dem folgenden Foto erkennt man auch die konkave Einbuchtung am Hinterende, aus der die Caudalcilie entspringt:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_65204782.jpg) (https://postimages.org/)
SB = symbiontische Bakterien
Die schachtförmige Mundöffnung ist zur linken Seite hin verschoben und die Pellikula hat einen dichten Besatz mit Extrusomen:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_49972132.jpg) (https://postimages.org/)
MO = Mundöffnung
EX = Extrusome
Die Cilien der Vorderhälfte zeigen nach vorne, die der hinteren Hälfte nach hinten. Dadurch bildet sich in der Körpermitte ein "Scheitel", der scheinbar wimpernfrei ist:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_47096010.jpg) (https://postimages.org/)
WWF = wimperfreies Feld
Nun möchte ich noch ein weiteres Beispiel aus meiner reichen Sammlung von unbestimmten Ciliaten zeigen. Sehr viele Ciliaten im Faulschlamm sind noch nie beschrieben worden. Wenn man sich länger mit diesem Lebensraum beschäftigt, findet man enorm viele davon. Etwa die Hälfte meiner Funde bekomme ich nicht einmal bis zur Gattung bestimmt. Dies hat mehrere Gründe. Natürlich mangelnde Erfahrung bei der Zuordnung, aber auch der Umstand, dass ich ausschließlich lichtmikroskopisch untersuche ohne die oft nötige Silberimprägnierung und nicht zuletzt auf Grund der außergewöhnlichen Merkmale vieler Funde, die zu keiner bekannten Gattung passen. Dafür ist der folgende Ciliat ein gutes Beispiel. Er ist 90 µm lang und typisch gebogen:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_21210914.jpg) (https://postimages.org/)(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_56680499.jpg) (https://postimages.org/)
MW = Mundwulst
KV = kontraktile Vakuole
Beim durchfokussieren stellte ich fest, dass die Pellikula in Längsfalten liegt und sich darin offensichtlich Extrusomen in Längsrichtung angeordnet haben. Außerdem ist ungewöhnlich, dass sich die Extrusomen im Mundwulst an einer Stelle bündeln und der Ciliat keine sichtbare Dorsalbürste hat:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_40362448.jpg) (https://postimages.org/)(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_27717712.jpg) (https://postimages.org/)
EX = Extrusome
EXB = Extrusomenbündel
Quetscht man den Ciliaten, zeigt sich, das fast alle Extrusomen in Längsrichtung angeordnet und direkt der Pellikula angelagert sind. Nur wenige liegen im Plasma verstreut:
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_48132822.jpg) (https://postimages.org/)(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures011/294236_30542218.jpg) (https://postimages.org/)
EX = Extrusomen
Was diese Anordnung für einen Sinn hat, bleibt ein Geheimnis des Ciliaten. Einer Gattung lässt sich dieser Ciliat nicht zuordnen. Und von dieser Sorte gibt es sehr viele. Die meisten sind unauffällig und unter 100 µm groß. Dies mag ein Grund sein, warum viele dieser Arten nicht beschrieben sind.
Soviel der kleine Einblick in das Leben im Faulschlamm
Schönen Abend!
Martin
Sehr schöne und interessante Aufnahmen, aber was meinst Du mit ,,kleinem Aquarium", steht das bei Dir irgendwo rum, und Du schmeißt Laub rein. Würde mich als Aquarianer interessieren, damit ich Faulschlamm mal ,,nachmachen" kann.
Grüße in die Nacht,
Stephan
Hello Martin,
Again a well researched and documented contribution, thank you.
As non native German speaker (I'm Dutch) I'm struggling a bit with the term " Faulschlamm " (sludge ?).
Please add the (missing) picture of the aquarium you are referring to, this will in understanding the biotope.
Best, Maarten
Guten Morgen,
ich wusste, dass ich was vergessen habe! Ich habe das Bild vom Aquarium mit dem Faulschlamm nachgereicht. Es handelt sich um Material. welches ich am Fundort gesammelt habe. Der Schlamm am Grund hat sich nicht im Aquarium gebildet, denn das dauert seine Zeit!
Martin
Hallo Martin,
es sehr spannender Bericht, der für mich einige Überraschungen bot! Ich wäre nicht davon ausgegangen, unter diesen sauerstoffarmen Bedingungen viel Leben zu finden, und hätte nicht mit schnell beweglichen Ciliaten gerechnet. Dein Bericht zeigt auch, wie leicht Arten aussterben können, ohne dass man sie jemals identifiziert hat, und ohne dass man es mitbekommt. Wenn es mit derartigem Aufwand verbunden ist, sie zu dokumentieren, dann findet das oftmals einfach nicht statt.
Wäre ein inverses Mikroskop hier von Vorteil? Der Sauerstoffgehalt müsste ja eigentlich am Boden am geringsten sein.
Viele Grüße,
Bob
Hallo Martin,
wunderschön - und die Fotos von Caenomorpha medusula sind der Hammer! Ich habe selbst schon versucht Caenomrpha sp. vernünftig abzubilden, habe aber wegen der Geometrie nach dutzenden Fotos frustriert aufgegeben.
Glückwunsch zu Deinem "Faulschlamm-Aquarium". Ich fürchte, meine Mitbewoghner würden eine solche "Geruchsbelästigung"im Haus nicht tolerieren. :)
Interessant wäre auch, wie die Symbiose mit den Bakterien funktioniert. In dem extrem sauerstoffarmen Faulschlamm (Sapropel) muss die Energieerzeugung ja irgendwie über den Schwefelwasserstoff laufen. Hast Du da irgendwelche Infos, die auch für einen chemischen Dummy wie mich verständlich sind? Ich mache mir zur Zeit Gedanken über die Lebensweise von einigen Faulschlamm-Gastrotrichen, die ebenfalls obligate Anaerobier sind. Dabei sind mir viele dunkle "Ablagerungen" in den Darmzellen der Tiere aufgefallen, die mich an die Pigmentflecken bei Metopiden erinnern. Gibt es irgendwelche Informationen, ob solche Pigmentflecken vielleicht Rückstände des "Schwefelstoffwechsels" sind?
Vielen Dank fürs Zeigen
Michael
Hallo Martin,
nicht allein wegen der Caenomorpha medusula erstarre ich in Ehrfurcht. Da helfen selbst Spiegelobjektive nicht mehr ;) ! Da braucht es das bestmögliche Eqipment, viel Erfahrung und eine Engelsgeduld. Du bist wirklich ein würdiger Nachfolger von Kahl und Foissner. Und die Fotografien dieser skurrilen Formen haben einen eigentümlichen Reiz. Auch dafür bewundernden Dank!
Und noch mehr als Michael vermisse ich ein zumindest einführendes Werk über den Chemismus subhydrisches Sedimente. Aber da gibt's halt nur "Gammelminerale" und keine Edelsteine, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. In den Bodenkundebüchern werden sie nur nebenbei abgehandelt. Daher wohl das eigentlich unübliche Schweigen im Forum.
Mit limnischen (d.h. schlammigen) Grüßen
Heinrich
Zitat von: Martin Kreutz in Januar 30, 2021, 08:22:34 VORMITTAG
Guten Morgen,
ich wusste, dass ich was vergessen habe! Ich habe das Bild vom Aquarium mit dem Faulschlamm nachgereicht. Es handelt sich um Material. welches ich am Fundort gesammelt habe. Der Schlamm am Grund hat sich nicht im Aquarium gebildet, denn das dauert seine Zeit!
Martin
Thanks, got it now.
There are a few trenches nearby filled with leaves and very slow moving water: will sample them!
Maarten
Halo Martin,
fachlich kann ich nichts beitragen, nur dass auch ich schon an Caenomorpha medusula verzweifelt bin und daher sagen kann dass Deine Bilder absolut einzigartig sind.
Der ganze Faden unglaublich toll, danke dass Du uns an Deinen Erkenntnissen teilhaben läßt!
lg
anne
Hallo Martin,
ein toller Bericht über Deine Funde aus dem Faulschlamm. Du scheinst wieder von Deiner eigentlich schönen Wortschöpfung "Metabolisierungszone" abgerückt zu sein?
Hinsichtlich der herausragenden Fotos schließe ich mich allen Vorrednern an; sie sind mit hoher Wahrscheinlichkeit einzigartig und von niemandem so reproduzierbar.
Besonders eindrucksvoll finde ich die enorm großen Bakteriensymbionten bei Dexiotrichides centralis. Sehr hilfreich zum Verständnis Deines Probensubstrates finde ich auch das Foto des Aquariums mit der krümelig-lockeren Faulschlammfraktion unterhalb der Blätter. Die grau-weißen Ränder der Blätter und die zarten Anflüge von Rosa deuten auf das dichte Vorkommen von Bakterien, die allesamt irgendwie Schwefelverbindungen verstoffwechseln bzw. auf Purpurschwefelbakterien, die in sauerstoffarmen bis -freien Gewässerzonen vorkommen.
Michael und Heinrich sprechen einen Punkt an, der für das Verständnis der Lebensgemeinschaft des Sapropels sicherlich zentral ist und der mich auch immer wieder umtreibt: Wie genau ist der Chemismus dieser Zonen beschaffen und was gibt es für vielfältige Interaktionen und Stoffflüsse zwischen den Organismen? Ich bin weit davon entfernt (leider auch zu wenig Chemiker), um dieses System auch nur annähernd beschreiben zu können. Am ehesten können dies vermutlich mikrobielle Ökologen, die die unterschiedlichen Stoffwechseltypen der Bakterien kennen und z.B. mit feinen Sonden im Sediment innerhalb von Bruchteilen von Millimetern Sauer-, Schwefelwasserstoff- und andere Stoffgradienten messen können. Denn es ist klar, dass die eigentlichen Akteure in diesem Bereich die Bakterien sind, mit denen manchen Eukaryonten - wie die von Martin dargestellten Ciliaten - innige Beziehungen eingehen.
Zumindest einen Aspekt kann ich hier beisteuern: Die bakteriellen Symbionten in Dexiotrichides centralis sind mit hoher Wahrscheinlichkeit methanbildende Archaebakterien. Diese Form von Symbiose ist in der Literatur sowohl bei marinen als auch limnischen Ciliaten insbesondere aus dem Metopus-Umfeld gut dokumentiert. Die Bakterien nutzen molekularen Wasserstoff aus dem Ciliatenstoffwechsel, um damit Kohlendioxid zu Methan unter Energiegewinnung umzusetzen. Der Wasserstoff stammt wohl zu überwiegenden Anteilen aus Hydrogenosomen der Ciliaten. Dies sind mit den Mitochondrien verwandte Organelle, die die Nahrung in einem Gärungsstoffwechsel unvollständig oxidieren und dabei auch molekularen Wasserstoff freisetzen, der von den symbiontischen Archaebakterien direkt abgefangen wird. Offenbar nicht ganz klar ist, welchen Nutzen die Ciliaten aus diesem Zusammenleben ziehen.
Michael, Deine Spekulationen in Bezug auf die Darmepitheleinschlüsse bei anaerob lebenden Gastrotrichen und die Pigmentkörner bei Metopiden - können beide irgendwie mit der Umsetzung von Schwefelwasserstoff in Verbindung stehen? - finde ich hochspannend.
Vielleicht weiß Martin da mehr; er ist da ja fachlich auch noch näher dran als wir.
Schöne Grüße
Ole
Guten Morgen zusammen,
vielen Dank für eure netten Kommentare auf meinen doch recht speziellen Beitrag!
@ Stephan: Der Blätterhaufen im Aquarium stammt vom Fundort. Ich bezweifel, ob man zu dem gleichen Ergebnis kommt, wenn man einen Haufen Blätter mit Wasser übergießt und einfach wartet. In der freien Natur sind viele Akteure bei der Zersetzung des Falllaubsbeteiligt. Pilze, Insekten, Bakterien, Amöben etc. Diese "Reaktionskaskade" wird man in einem isolierten Aquarium wohl kaum nachvollziehen können.
@ Bob: Ein inverses Mikroskop würde nichts nützen, weil unter dem Deckglas zwar auch ein Sauerstoffgradient entsteht, der aber nicht vertikal ausgerichtet ist, sondern eher horizontal (vom Deckglasrand zur Mitte). Die Viecher werden sich also nicht am Boden sammeln. Anders mag es bei nicht schwimmfähigen Protisten wie Amöben sein. Da mag ein inverses Mikroskop sinnvoll sein.
@ Michael: Ole hat ja schon beschrieben, dass es sich bei den symbiotischen Bakterien in den Ciliaten um methanogene Bakterien handelt, die aus Wassserstoff und CO2 Methan herstellen. Der energieproduzierende Schritt ist dabei die Bildung von 2 Molekülen Wasser, aus dem Sauerstoff des CO2's und dem Wasserstoff. Die Metabolisierung des Schwefels (Oxidation zu Sulfat) ist den Thio- und Rhodobakterien vorbehalten. Meines Wissens gibt es nur ganz wenige Ciliaten, welche Thiobakterien als Symbionten tragen (z.B. Kentrophorus), die aber wohl nur im Salzwasser vorkommen. Zu den dunklen Ablagerungen in den Darmzellen der Gastrotichen vermag ich nichts zu sagen.
@ Ole: Du hast recht, ich finde den Begriff Metabolisierungszone für die oberste Schicht der Faulschlammbildung eigentlich auch treffender. Hier spielt die Musik durch das komplexe Zusammenspiel von Bakterien und Ciliaten. Ich war mir nur nicht sicher, ob er nicht zu mehr fragenden Gesichtern führt, wenn ich ihn benutze, da ich ihn erst einmal verwendet habe. Aber ich glaube, seine Etablierung ist gerechtfertigt. Ansonsten kann ich zu Deinen Erklärungen zu den Stoffwechselvorgängen in dieser Metabolisierungszone auch nicht mehr beitragen. Die Verhältnisse sind durch die vielen Akteure und die stetig vorhandenen Stoffgradienten in dieser Zone mit Sicherheit nicht einfach zu durchschauen.
Martin
Hallo Martin,
danke für's Zeigen Deiner eindrucksvollen Resultate! Das Thema wirkt ja auf den ersten Blick recht exotisch und wird offenbar von der etablierten Wissenschaft recht stiefmütterlich behandelt. Ich denke allerdings, dass diese Phänomene im Zusammenhang mit Emission und Speicherung von Treibhausgasen sehr relevant sein kann. Umso wichtiger, dass Mikroskopiker wie Du die Biologie solcher Bodenorganismen systematisch beobachten.
LG
Jürgen
Phantastisch, deine Bilder aus dem Faulschlamm! Ich finde immer verblüffend, was für skurril geformte Ziliaten man dort und in den angrenzenden Zonen findet. Deine Foto-Dokumentation von Ceanomorpha ist einfach ein Knüller!
LG Bernhard
Hallo Martin,
vielen herzlichen Dank für den interessanten Beitrag mit den fantastischen Fotos.
Ich staune jedes mal aufs Neue, wie Du das nur hinbekommst.
Zitat von: Martin Kreutz in Januar 29, 2021, 21:20:42 NACHMITTAGS
Tatsächlich muss man eine gewisse Frustrationsfestigkeit besitzen, aber die müssen, glaube ich, alle Naturfotografen haben.
Eine "gewisse Frustrationsfestigkeit" muss man vor allem dann besitzen, wenn man solche Ergebnisse den eigenen bescheidenen Versuchen gegenüberstellt. :P
Da hängt die Latte wirklich sehr hoch.
Und dann noch regelmäßig das Understatement im Titel: "ein paar Funde" - als wenn es nichts weiter wäre, als sich mal kurz zu bücken.
Herzliche Grüße
Martin