Sie sind eine echte Augenweide, diese Stachelbärte. Findet man einen dieser seltenen Pilze, denkt man eher an eine weiße Blume oder an eine Meereskoralle.
Die wenigen, in Deutschland vorkommenden Stachelbartarten sind allesamt selten. Der hier vorgestellte Ästige Stachelbart wird in der Roten Liste Deutschland von 2016 in der Gefährdungsklasse G (Gefährdung unbekannten Ausmaßes) geführt. Die Art gilt nach der Roten Liste als Urwaldrelikt und Naturnähezeiger.
Der Fund
Sabrina Döffinger fand einen einzelnen, kleineren Fruchtkörper an einem liegenden, stark vermorschten Rotbuchenstamm innerhalb eines ausgedehnten Areals liegender Buchenstämme in einem Orchideen-Buchenwald im Nordschwarzwald. In Bild 1 erkennt man ihn als großen, cremefarbenen, blattförmigen Fleck auf dem von links unten ins Bild hineinreichenden, dicken Stamm.
Lebensweise
Der Ästige Stachelbart lebt lt. Roter Liste saprotroph vorwiegend auf toten, dicken Buchenstämmen in der finalen Vermorschungsphase. Meine eigene Vermutung ist aber, dass der Pilz anfangs parasitisch lebt und erst nach dem Absterben des Holzes die Fruchtkörper bildet. Wegen seines fast ausschließlichen Vorkommens an Rotbuche wird er auch "Buchen-Stachelbart" genannt.
Eckdaten des Fundes
• Pilzart: Ästiger Stachelbart (Hericium coralloides ((Scap.) Pers.).
• leg. & det.: Bernd Miggel.
• Funddatum: 6.11.2022.
• Fundort: Orchideen-Buchenwald bei Straubenhardt-Ottenhausen, Baden-Württemberg.
• Boden, Geologie (LGRB-Bodenviewer): Pseudogley-Pelosol aus Fließerden auf Unterem Muschelkalk.
• Substrat: Liegender Rotbuchenstamm in der Optimal- bis frühen Finalphase der Vermorschung.
• Belegnummer: Miggel div22162,vog.
Makroskopische Merkmale des Fundes
Der elfenbeinweiße bis cremefarbene Fruchtkörper besteht aus mehreren Ästen, die einer gemeinsamen Basis entspringen. Der Fruchtkörper kann bis zu 40 cm groß werden. Unser Fund war mit 7 cm Durchmesser eher eine kleinere Ausführung (Bild 2). Das wichtigste Artkennzeichen gegenüber anderen Hericium-Arten ist nach JAHN (1979) die Anordnung der Stacheln, die auf der Unterseite der Äste in regelmäßigen Reihen ,,wie die Zähne eines Kammes" ansitzen. Diese Stacheln erreichen beim Fund eine Länge von 10 mm.
Das Sporenpulver
Um möglichst reife Sporen zu gewinnen, sollte man den Fruchtkörpers aussporen lassen. Zu diesem Zweck hatte ich ein Stück des Fruchtkörpers auf ein Deckglas gelegt und in einem Deckglasbehälter eingesperrt (Bild 3). Über Nacht hatte der Pilzteil dann erfreulicherweise ausgesport.
Mikroskopische Merkmale
Die Sporen sind rundlich, dickwandig und amyloid (Bild 4). Sie sollen nach der Fachliteratur im reifen Zustand punktiert, d.h. feinst warzig sein. Das habe ich allerdings nicht feststellen können. Selbst in 3-prozentiger Kalilauge oder in Melzers Reagenz erwiesen sie sich als völlig glatt.
Eine Messung von 20 repräsentativen Sporen in KOH 3% ergab als Hochrechnung mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit (mit L Länge, B Breite, Q Schlankheitsgrad = L / B, V Volumen, av average (Mittelwert):
L x B = 3,8-4,5 x 3,3-3,9 µm Lav x Bav = 4,1-4,2 x 3,5-3,7 µm Qav = 1,13-1,19 Vav = 27-30 µm3
Die Basidien sind 4-sporig, keulig und besitzen Durchmesser von 4-6 µm (Bild 6).
Das Gewebe
Zuerst möchte ich einen Stachel als Quetschpräparat zeigen, damit man versteht, wo die folgenden Mikrobilder herstammen (Bild 5)
Das Gewebe besteht beim Ästigen Stachelbart zum einen aus "normalen" dünnwandigen, septierten, generativen Hyphen. An zahlreichen Septen sind große, deutliche Schnallen vorhanden (Bild 7).
Zum anderen sind an der Oberfläche der Stacheln zahlreiche ,,Gloeoplere Hyphen" vorhanden (Bild acht). Sie sind dickwandig und lt. Fachliteratur mit einem gelblich-öligen Inhalt gefüllt.
Die sulphopositive Eigenschaft der Gloeopleren Hyphen
Präpariert man eine Stacheloberfläche in Sulfovanillin, erkennt man, dass sich der Inhalt der Hyphen teilweise grau bis schwarz verfärbt. Dies bezeichnet man als ,,mehr oder weniger sulphopositiv" (Bilder 9 und 10).
Notizen
• Beim lat. Namen der hier beschriebenen Art muss man aufpassen: Einige frühere Autoren, z.B. JAHN, H. (1979), nannten den Ästigen Stachelbart Hericium clathroides (Pall. ex Fr.) S. F. Gray, dagegen den Tannen-Stachelbart Hericium coralloides (Scop. ex Fr.) Pers. Man hält sich in diesem speziellen Fall wohl besser an den deutschen Namen!
• Dass die Sporen sich beim Fund als völlig glatt erwiesen, mag seine Ursache im sehr späten Funddatum Anfang November haben, wobei die Sporen nicht vollreif werden konnten.
Verwechslungsmöglichkeiten
• Der Tannen-Stachelbart (Hericium flagellum (Scop.) Pers.) wächst ausschließlich auf morschem Holz von Weißtannen. Nach JAHN, H. (1979) gabeln sich Hauptäste mehrfach, und die Stacheln sind an den äußeren Astspitzen büschelig gruppiert. Auch sind die Sporen mit 6-7 x 4,5-5,5 µm deutlich größer.
Literatur
• BERNICCHIA, A. (2005): Polyporaceae s.l. – Fungi Europaei Vol 10: 317-318.
• GMINDER, A. (2014): Handbuch für Pilzsammler. 340 Arten Mitteleuropas sicher bestimmen: 323.
• JAHN, H. (1979): Pilze die an Holz wachsen: Nr. 44.
• https://www.dgfm-ev.de/pilz-des-jahres/2006-aestiger-stachelbart
• https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%84stiger_Stachelbart
• https://fundkorb.de/pilze/hericium-coralloides-%C3%A4stiger-stachelbart
Viel Vergnügen beim Anschauen!
Bernd
Alle Fundberichte in der Übersicht: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=42360.msg312080#msg312080
Fachausdrücke, Abkürzungen: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=41611.msg306729#msg306729
Hallo Bernd,
danke für die Darstellung dieser schönen und zugleich seltenen Art. Leider hatte ich noch nie eigene Funde.
Freundliche Grüße
Peter
Hallo Peter,
bis mir Sabrina Döffinger den Stachelbart meldete, hatte ich diese dunklen, feuchten Senken mit den am Boden liegenden Buchenstämmen eher gemieden. Der seltene Fund hat mich eines Besseren belehrt.
Liebe Grüße
Bernd
Makroskopisch ist der ja wohl deutlich schöner als mikroskopisch!
....sagt der, der Mikrokope nur anschaut und selten durchschaut.
Wolfgang