IMG_20241121_154905.jpg
Hallo Forum,
Volvox aureus kann man wohl getrost als einen "Klassiker" unter den Mikrofotomotiven bezeichnen. Die hübsche Alge ziert so manchen Einband der Mikroskopieliteratur.
Wer diese Alge einmal unter dem Stereomikroskop, bzw. unter dem leicht erhöhten Deckglas unter dem Mikroskop, majestätisch ihre Kreise Richtung Licht hat drehen sehen, weiß warum.
Hier eine Anleitung wie man sie erfolgreich zu Hause in einem Marmeladenglas über lange Zeit kultivieren kann:
Kulturanleitung VolvoxBenötigte Materialien:
-Ein oder mehrere Einmachgläser,
Größe 250ml-1000ml mit Blechdeckel.
Das Glas sollte lebensmittelecht sein.
-Volvic naturell (Schleichwerbung)
-Erdabkochung (Rezept dazu weiter unten)
-Vitamin B Komlex ratiopharm Tabletten (nochmal Schleichwerbung)
-"Booster" (Orchideendünger mit Eisen und Nitrat)IMG_20241121_174526.jpg
-kleines feines (50-60Mikrometer Lochgröße) Planktonsieb, in meinem Fall aus einem
sehr feinen Edelstahlsieb für Kaffee, mittels Einschmelzen in einen Kunststoffbehälter selbst gebastelt:
IMG_20241121_173200.jpg
-Impfansatz mit Volvox aureus
Was die Ansatzgröße angeht: Ich habe 2größere Marmeladengläser mit 700ml und 2kleinere mit 250ml für meine Volvox Kulturen unter einer LED Leuchte in Betrieb. In den kleineren Gefäßen kommt es dabei schneller zu der weiter unten beschriebenen Zygotenbildung. Petrieschale geht auch, ist aber dann noch pflegeintensiever. In die Blechdeckel der Marmeladengläser habe ich Löcher gestochen und dann lose mit einer Haube aus Alufolie bedeckt damit kein Staub hereinfallen kann.
Wichtig ist der Standort. Am besten ist eine LED Pflanzenleuchte mit roten und blauen LED's. Das berühmte Nordfenster dürfte zumindest in der kalten Jahreszeit zu dunkel sein, im Hochsommer dann zu warm. Direktes Sonnenlicht ist Gift.
Temperatur 18°-22°C, kälter geht, wärmer nicht.
Und Volvic naturell, was sonst. Regenwasser empfehle ich nicht.
Das Vitamin B nur in Spuren zugeben. Eine Messerspitze, gemörsert, reicht.
Der "Booster" kann tropfenweise (!)
nachdem die Kultur sich vermehrt hat zugegeben werden. Er füllt das verbrauchte Eisen und Nitrat wieder auf. Auch was die Erdabkochung angeht, gilt weniger ist mehr. Am Anfang reichen 2ml/L locker aus. Erst bei hoher Individuen-Dichte kann man mehr zugeben.
Das Rezept für die Erdabkochung unterscheidet sich auch grundlegend von dem klassischen Rezept. Sie wurde aus Erde im Wurzelbereich einer Buche hergestellt. Aufgekocht (simmern bei Stufe 2), wurde viel länger als in der üblichen Rezeptur (mindestens 5Std).
2Volumenanteile Erde zu 1Volumenanteil Wasser (Volvic).
Die entstandene Lösung ist deshalb auch um den Faktor 5-10x konzentrierter als die klassische Erdabkochung.
*Edit:
Um die gewonnene Erdabkochung keimfrei und damit haltbar zu machen empfiehlt sich einwecken, oder noch besser falls man die Möglichkeit hat autoklavieren. Keimfreies Konzentrat hält gekühlt mehrere Monate im Kühlschrank. Angebrochen ein paar Wochen wenn man sauber arbeitet. Trüb gewordene, Erdabkochung oder solche die sich absetzt sollte nicht mehr verwendet werden.
Angewendet in folgender Konzentration:(1-2ml/1000ml Volvic)
Das geht besser als die klassische Erdabkochung, fragt mich nicht warum.
(Geht auch besser als Bolt'sche Lösung.)
Und jetzt noch ein wichtiger Tip:Unter bestimmten äußeren Stressfaktoren (Temperatur, Licht, Überbevölkerung), manchmal auch einfach nur so, schalten Volvoxkulturen auch gerne einmal auf ihre zweigeschlechtliche (sexuelle) Vermehrung um. Anstatt Tochterkolonien bilden sich dann männliche und weibliche Individuen aus. Man erkennt das schon mit bloßem Auge, an einer grünlichen Verfärbung des umgebenden Kulturmediums, verursacht durch die freiwerdenden Gameten. Dabei werden auch Botenstoffe freigesetzt die den anderen Volvox in der Kultur signalisiert ebenfalls nur noch Männlein und Weiblein zu generieren. Eine Kettenreaktion setzt ein, und man hat ohne Gegensteuern, bald nur noch Dauerstadien (Zygoten), anstatt der gewünschten schönen Wimpernkugeln.
Zygoten erkennt man an der gelb/orangen Farbe. Unter dem Mikroskop sehen sie so aus:
IMG_20241121_180458.jpg
* Edit:
Ein weiteres Problem das bei einer dauerhaften Kultur früher oder später einmal auftreten kann, ist die Verunreinigung durch eingeschleppte andere Algen (z.b. Diatomeen). Diese können in kurzer Zeit die Volvox regelrecht überwuchern.
Man erkennt sie an einem braungrünem Belag an der Glaswand oder auf dem Boden des Glases.
Aber solange noch gesunde Kulturen übrig sind kann man etwas dagegen tun:
Ich gieße die gesamte Kultur dazu durch ein feines Planktonsieb. Anschließend übergießen ich dann nochmal 2-3x mit reinem Volvic. Dann zurück ins Gefäß. Das Kulturgefäß aber zuvor gründlich in kochendes Wasser, oder bei 150°C im Backofen sterilisieren, oder ein neues Gefäß nehmen. Dann die gefilterten Algen erstmal für eine Nacht darin in Magerkultur halten. Am nächsten Tag das Glas so ins Licht stellen das die vitalen/hungrigen Kolonien nach oben ans Licht schwimmen. Dekantieren, Bodensatz verwerfen und wieder in ein frisch sterilisiertes Gefäß geben. Fertig. Damit wird man ungebetenen Gäste los, oder hält sie zumindest in Schach.
Den Zauber mit dem Abgießen über das Planktonsieb und Neuansatz mußte ich, solange es noch sommerlich warm war, alle 4 Tage durchführen.
Momentan (Ende November) reicht alle 7-10 Tage. Den Bodensatz kann man anstatt ihn zu verwefen auch erneut als Magerkultur aufgießen.
Da steigen am nächsten Tag auch nochmal gesunde Töchter Richtung Licht nach oben. So verliert man am wenigsten Nachwuchs. Die "Geburt" einer Tochterkolonie sieht übrigens so aus:IMG_20241121_182406.jpg
Ich fahre mit meinen Kulturen gut mit diesem Notfallrettungsplan. Ist auch eine gute Möglichkeit um Kulturen aufzuteilen. Auf diese Weise verliert man kaum gesunde Kolonien, wird aber allen "Müll" los.
Alles in allem doch einiger Aufwand, aber so erhält man eine stabile Zucht. Bisher ist mir so noch keiner der Ansätze gekippt.
Ohne Pflege geht es irgendwann rückwärts mit der Individuendichte. Aber ein paar Wochen hält ein Ansatz auch ohne das Brimbamborium durch (wenn er kühl steht).
Grüße und viel Erfolg
Holger
Habe gerade auch nochmal einen Blick in die eingetrocknete Stephanosphaera pluvialis Probe von Jan (JaRo) geworfen:
IMG_20241121_213732.jpg
Jubel jubel ,freu!😁
Die ersten Exemplare sind da! Jetzt liegt's an mir. Ausser den Stephanosphaera drehen auch schon ein paar Rädertiere ihre Kreise...
Hab, gerade unterm Stemi vereinzelt und eine Reinkultur angelegt, (falls die Rotatoren Probleme machen).
Spannend!
Und Danke Jan, war ein guter Tausch!
Frohe Grüße Holger