Der U-Tisch und seine Kuriositäten: Konoskopie und mehr...Vor einiger Zeit kam hier eine Diskussion über U-Tisch-Konoskopie auf und ich versprach Informationen dazu. Dieser Bringschuld komme ich hiermit nach. Schließlich wurde es doch etwas umfangreicher als geplant, aber ich wollte doch das Instrument und alle Zusatzeinrichtungen zu dieser einstmals sehr wichtigen Methode präsentieren. Wegen der begrenzten Zahl der einfügbaren Bilder muss dies leider in zwei Teilen erfolgen.
Zur Geschichte der DrehapparateDie optischen Eigenschaften von Kristallen sind richtungsabhängig und müssen daher orientiert gemessen werden. Neben dem normalen Drehtisch der Polarisationsmikroskope wurden daher schon früh Hilfsvorrichtungen geschaffen welche die Drehung der Untersuchungsobjekte um eine oder mehrere zusätzliche Drehachsen ermöglichten, sodass alle Raumrichtungen zur Untersuchung zur Verfügung stehen.
Des Weiteren ergab sich das Problem, dass Lichtstrahlen, die nicht senkrecht zu den optischen Grenzflächen der Probe auftreffen, durch Lichtbrechung abgelenkt werden, so dass die scheinbare Beobachtungsrichtung nicht der Durchstrahlungsrichtung entspricht. Zur Lösung dieses Problems gab es, fast zeitgleich, zwei ganz unterschiedliche Ansätze:
- Im Jahre 1874 schlug von Ebner vor, die Probe in einer Küvette zu drehen, die mit einer Immersion gefüllt ist, deren Brechungsindex dem der Probe gleicht. Somit ist ein homogenes optisches System entstanden, in dem keine Ablenkung des Strahls erfolgt. Die Apparaturen, die dieses Prinzip nutzen, werden auch Kleinsche Tröge genannt (nach Carl Klein, Kristallograph in Berlin, der zahlreiche Einrichtungen dieser Art konstruiert hat).
- Einen anderen Weg, der zum gleichen Ergebnis führt, beschritt Adams 1775. Er bedeckte die Kristallplatte (bzw. den Dünnschliff) mit zwei Halbkugelsegmenten, so dass eine vollständige Kugel mit dem Kristall in der Mitte entsteht. Auch hier hat man ein homogenes optisches System unter der Voraussetzung, dass der Brechungsindex des Glases etwa dem des Kristalls entspricht, der Zentralstrahl geht dann ungebrochen hindurch.
Alle Bestrebungen dieser Art hatten ein Ziel: den Achsenwinkel zweiachsiger Kristalle als diagnostische Bezugsgröße zu bestimmen, sie wurden daher Achsenwinkelmessapparate genannt. Für diese Bestimmung war die konoskopische Betrachtung essentiell, daher gab es zu den entsprechenden Geräten auch immer einen Zusatzkondensor und ein Spezialobjektiv hoher Apertur.
Die Bedeutung dieser Methode ist an der Tatsache abzulesen, dass in der Zeit um 1900 von Rudolf Fuess in Berlin, dem führenden Instrumentenbauer für mineralogische Messapparaturen, gleich 11 verschiedene Achsenwinkelmessapparate angeboten wurden.
Parade.JPG
Parade der 11 verschiedenen Achsenwinkelmessapparate von R. Fuess/Berlin, die um 1900 angeboten wurden. Die drei Einrichtungen rechts können mit Adamschen Halbkugelsegmenten verwendet werden, die in der Mitte der vorderen Reihe war sowohl mit Trog als auch mit Halbkugelsegmenten nutzbar, die anderen sind reine Trogapparate. Das Instrument oben rechts, der ,,Universaltisch nach E. v. Fedorow", ist der Vorläufer moderner 4-achsiger U-Tische.Abb. 23 unten.jpg
Der ,,Achsenwinkelapparat für kleine und größere Plättchen, sowie für ganze Krystalle oder Bruchstücke", R. Fuess, ca. 1900. Dieser universelle Drehapparat konnte sowohl nach der Adamschen Methode mit Halbkugelsegmenten genutzt werden als auch als Kleinscher Trogapparat (der Trog liegt vorne links). Links hinten der ausziehbare Kondensoraufsatz und das Spezialobjektiv für hohe Aperturen.In der Mitte der 1890er Jahre entwickelte der russische Mineraloge Fedorow eine gänzlich neue und bahnbrechende Messmethode – allgemein die Universal-Drehtisch-Methode oder kurz U-Tisch-Methode genannt - bei der er sich zunächst des vorhandenen Instrumentariums bediente, das aber dann immer mehr den veränderten Bedürfnissen angepasst wurde. Diese Entwicklung führte schließlich zum modernen U-Tisch, einer um mehrere Achsen kippbarer kardanischer Aufhängung des Dünnschliffs für räumliche Messungen.
Ziel des neuen Messverfahrens war die Bestimmung der chemischen Zusammensetzung von Plagioklas-Kristallen (Feldspäte) mit optischen Methoden. Dabei nutzt man die Eigenschaft, dass die Orientierung der optischen Hauptachsen im Kristall sich systematisch mit der chemischen Zusammensetzung verändert, man musste also sowohl die optische als auch die kristallographische Orientierung einmessen und in Bezug zueinander setzen. Die chemische Zusammensetzung der Plagioklase lässt weitreichende Schlüsse auf die Entstehung eines Gesteins zu und daher wurde die U-Tisch-Messung bald zu einer Routinemethode in der mineralogischen Untersuchung. Mit Einführung der Mikrosondenanalytik etwa 1965 nahm ihr Bedeutung immer weiter ab. Weitere Information über die Methode findet man
hier (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=29762.0)und
hier (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=10332.msg74140#msg74140).
Eine weitere Anwendung des neu entwickelten U-Tischs war die Gefügekunde, wobei man die räumliche Orientierung von meist Quarz-Kristallen einmisst und so Informationen über die Deformation von Gesteinen erhält.
Beide Messverfahren bedienen sich normaler Dünnschliffe in denen sowohl Feldspat als auch Quarz wegen ihrer geringen Doppelbrechung nur graue Interferenzfarben erster Ordnung zeigen, das konoskopische Achsenbild demgemäß auch nur sehr breite verwaschene Isogyren (schwarzes Kreuz) zeigt.
Achsenbild.jpg
Vergleich des konoskopischen Achsenbilds eines einachsigen Kristalls mit niedriger Doppelbrechung (links) mit dem eines mit hoher Doppelbrechung (rechts) bei Dünnschliffdicke. Es ist unmittelbar ersichtlich, dass die konoskopische Methode im linken Beispiel nur schlechte Ergebnisse liefern kann. Die Fedorowsche Methode der Einmessung der optischen Hauptachsen wird mit geringerer Beobachtungsapertur immer genauer, erfordert also keine Objektive hoher Apertur, die für Konoskopie geeignet wären – im Gegenteil, die Objektive sind sogar zur Verringerung der Apertur mit einfachen Einlegeblenden (Zeiss) oder gar eingebauten Irisblenden (Leitz) versehen. Konoskopie am U-Tisch, einstmals Domäne der Drehapparate, wurde daher für den normalen Gebrauch entbehrlich.
Die frühen U-Tische waren nur klein, sodass ausschließlich Sonderpräparate mit maximal 20 mm Durchmesser verwendet werden konnten, die dazu noch ohne Deckglas mit der Schlifffläche nach unten aufgelegt werden mussten. Im Jahre 1912 wurde dann von Leiss, dem Chefmechaniker der Fa. Fuess, ein eigenständiges ,,Theodolit-Mikroskop" ausschließlich für die U-Tisch-Methode entwickelt, an dem normalgroße Schliffe des Gießener Formats verwendet werden konnten. Einen umfassenden Bericht darüber findet man
hier (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=29762.0).
Diese seltenen und sehr teuren Einrichtungen fanden keine große Verbreitung, denn kurze Zeit später konstruierte der geniale Max Berek, seit 1912 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Leitz in Wetzlar, einen neuen U-Tisch gleichfalls für normale Präparate als Zusatzgerät zu einem normalen Polarisationsmikroskop. Dieser war naturgemäß viel billiger und universeller. Im Zuge dieser Entwicklung wurden auch die Leitz-Forschungsstative KM, CM, GM und SY völlig neu gestaltet um Platz für den U-Tisch zu gewinnen.
U-Tisch.jpg
Der im Jahre 1912 neu konzipierter U-Tisch von Max Berek in seiner ursprünglichen Form. Spätere Designs unterscheiden sich nur in ganz wenigen technischen Details, wie z.B. der Halterung der unteren Segmente und einer zusätzlichen Bodenplatte zur Zentrierung auf dem Mikroskoptisch sowie kosmetisch, nicht aber in der Funktion.
Bereks Konstruktion war so gelungen, dass sie bis zur Einstellung der U-Tisch-Produktion bei Leitz um 1980 fast unverändert produziert wurde. Sie bis heute eigentlich unübertroffen und wurde oft kopiert. Alle jüngeren Veränderungen, die z.B. von Zeiss entwickelt wurden, um sich vom Leitzschen Produkt abzuheben, brachten keine Verbesserung – ganz im Gegenteil sie verkomplizierten die Handhabung und führten zu schlechteren mechanischen Stabilität, wie z.B. die veränderte Halterung des oberen Halbkugelsegments mit nur einer Schraube oder die kleinere Teiltrommel der Kontrollachse mit einem innenliegenden Planetengetriebe. Dies kommentiert ein Betroffener, der 36 Jahre in der Lehre darunter gelitten hat!
Die Leitz-U-TischeU-Tische wurden von den meisten Herstellern von Polarisationsmikroskopen angeboten, aber die Genialität der neueren Berekschen Konstruktion in Verbindung mit der Dominanz von Leitz auf dem polarisationsmikroskopischen Sektor im zweiten und dritten Quartal des 20. Jahrhunderts führte dazu, dass wohl mehr Leitz-U-Tische gefertigt wurden als von allen anderen Firmen zusammen. Weiterhin gab es für den U-Tisch bei Leitz eine breite Palette von interessantem Zubehör.
Die neuen Leitz U-Tische hatten deutlich vergrößerte Halbkugelsegmente mit 27 mm Durchmesser, was Handhabung und Justierung erleichterte. Sie waren damit für Konoskopie gar nicht mehr zu gebrauchen. Die größeren Dimensionen erforderten aber auch die Berechnung völlig neuer Objektive, bei denen das obere Halbkugelsegment strenggenommen Teil des abbildenden Strahlengangs und damit des Objektivs darstellt – sozusagen eine outgesourcte Frontlinse. Diese Objektive konnten durchaus auch ohne das obere Halbkugelsegment genutzt werden, allerding mit dann geringerer Vergrößerung, und waren wegen ihres sehr großen Arbeitsabstands für andere Zwecke sehr geeignet. So wurden sie z.B. am Heiztisch verwendet oder auch für das Auflicht-DIC-Verfahren bei den Optiken für 215 mm Tubuslänge, bei denen das Wollaston-Prisma vor der Frontlinse sitzt.
Eine Standard-Ausführung des U-Tischs für Routinemessungen umfasst den Tisch selbst mit Befestigungsschrauben und einer Glasplatte als Tischeinlage sowie drei Segmentpaare mit den Brechungsindizes n ⁓ 1,51 (für Quarz-Messungen), n ⁓ 1,55 (für Feldspat-Messungen) und n ⁓ 1,65 (für Pyroxene, Amphibole und andere hoch-lichtbrechende Minerale). Die Standard Objektiv-Reihe ist UM 5/0.10 (alte Bezeichnung UM 1), UM 10/0.22 (UM2), UM 20/0.33 (UM3) und UM 32/0.30 (UM4). Für die stärker vergrößernden Objektive 20x und 32x gibt es einen Zusatzkondensor der bei Bedarf statt der Kondensorklapplinse eingeschraubt wird.
Kompendium.jpg
Vollständiges Kompendium eines 4-achsigen U-Tischs mit den Segmentpaaren n = 1,516, n = 1,554 und n = 1,649 (hier in der Schmidtschen Ausführung, siehe unten) und den Objektiven 5x, 10x, 20x und 32x sowie einem Einstellobjektiv und einer U-T-Kondensorlinse.Als seltene Ausführungen wurden neben dem 4-achsigen Standard-U-Tisch auch ein 2-achsiger und ein 5-achsiger U-Tisch gefertigt. Letzterer vereinfacht manche Einstellungen während der Messung, was man aber mit komplexerer Mechanik und einem wesentlich höheren Preis erkauft.
2, 4, 5-achsig.JPG
Die verschiedenen Leitz U-Tische (v.l.): 2 achsiger U-Tisch, 4-achsiger U-Tisch, beide in moderner Ausführung mit Zentrierplatte, und 5-achsiger U-Tisch, leicht kenntlich an den 4 statt den 2 Wrightschen Bügeln (skalierte Kreisbogensegmente zur Winkelablesung).UTR 2, ein U-Tisch für AuflichtuntersuchungenUnter den U-Tischen ist er ein außergewöhnlicher Exot: der UTR2 für Auflicht. Normalerweise werden im Auflicht Proben untersucht deren polierte Flächen streng senkrecht zur Beobachtungsrichtung orientiert sind. Zuweilen möchte man aber auch die Orientierung planarer Elemente, wie z.B. Spaltrisse in ihrer räumlichen Lage einmessen. Dazu dient diese Spezialform eines 2-achsigen U-Tischs. Die Probe wird mit ihrer polierten Fläche von unten durch zwei Klemmen angepresst, liegt somit immer mit ihrer Fläche in der richtigen Ebene und ist kardanisch um drei Achsen (zwei Achsen des U-Tischs und die Achse des drehbaren Objekttischs) drehbar. Dadurch können alle Raumlagen eingemessen werden.
UTR2.JPG
Der UTR2 (U-Tisch für Reflektiertes Licht) für Messungen im Auflicht.SondereinrichtungenZum Leitzschen U-Tisch gab es umfangreiches Sonderzubehör für verschiedene Aufgabenstellungen. Dies ist im Einzelnen:
Einrichtung für die GefügekundeFür Gefügeuntersuchungen muss man eine statistisch ausreichende Zahl von Mineralkörnern bezüglich ihrer Lage im Raum einmessen und zueinander in Bezug setzen. Sind die Kristalle in bestimmten Vorzugsrichtungen eingeregelt ist das ein Zeichen von gerichtetem Druck (Stress) während der Gesteinsbildung, z.B. bei der Metamorphose. Für diesen Zweck muss der Dünnschliff auf dem U-Tisch parallel zwangsgeführt werden, da azimutale Drehungen die Messung verfälschen würden. Dafür gibt es zwei verschiedene Einrichtungen:
- Kreuzschlitten nach Seng. Diese Einrichtung ist ein feinmechanischer Leckerbissen, sie wurde aber nur kurze Zeit hergestellt, und dann von dem universelleren ,,Schmidtschen Schieber" abgelöst. Bei der Einrichtung nach Seng arbeitet man mit Schliffen im Sonderformat 28 x 33 mm, die in einen Kreuzschlitten eingespannt werden. Die Position der Messpunkte ist an zwei Skalen ablesbar. Benötigt wird außerdem ein oberes Segment mit einer speziellen Fassung. Diese Einrichtung ist sehr selten und taucht meines Wissens letztmalig im Katalog ,,Polarisationsmikroskopie" von 1940 auf.
Seng.JPG
Der mechanisch komplexe Kreuzschlitten nach Seng der anstelle des inneren Einsatzes des U-Tischs eingelegt wird mit quadratischer Glasplatte und oberem Segment mit Sonderfassung. Der Schliff in der Größe von 28x33 mm wird durch Federspannung eingeklemmt und in x- und y-Richtung zwangsgeführt.
- Parallelführungsschlitten nach Schmidt. Die Schmidtsche Parallelführung ist mechanisch ungleich einfacher als der Kreuzschlitten nach Seng und hat diesen demzufolge völlig verdrängt. Sie ist weiterhin für das normale Dünnschliffmaß von 28 x 48mm brauchbar, sodass auf die Anfertigung von Sonderpräparaten verzichtet werden kann. Hier wird der Dünnschliff an einen Winkel angelegt und parallel zu diesem verschoben, wobei die Position gleichfalls an zwei Skalen ablesbar ist. Dieser Winkel gleitet in einer Nut in einer Spezialfassung für das obere Segment. Vorhandene normale Segmente konnten übrigens werksseitig für den Schmidtschen Schieber umgerüstet werden.
Schmidt.JPG
Parallelführungsschlitten nach Schmidt bestehend aus Anlagewinkel und oberem Segment mit genuteter Spezialfassung.
U-Tisch KonoskopieFür gewisse Anwendungen ist die konoskopische Beobachtung am U-Tisch wünschenswert, was allerdings mit der normalen optischen Ausrüstung nicht immer befriedigend ist, da die maximal erreichbare Apertur nur bei n.A.=0,33 liegt. Mit dem U-Tisch-Konoskop steht immerhin eine Apertur von n.A.=0,6 zur Verfügung. Dafür benötigt man beleuchtungsseitig einen speziellen hochaperturigen Kondensor – das untere Segment bleibt unverändert. Abbildungsseitig besteht das Konoskop aus einem oberen Segment von nur 12mm Durchmesser und einem Spezialobjektiv. Bei den Segmenten stehen die gleichen Abstufungen im Brechungsindex wie bei den normalen Segmenten zur Verfügung, Spezialobjektive gibt es mit zwei verschiedenen Vergrößerungen, das UM
K 32/0.60 und das UM
K 50/0.60, wobei das K in der Objektivbezeichnung auf die Verwendung für Konoskopie hinweist.
Auch diese Objektive waren mit ihrem Arbeitsabstand von 6,5 mm bei einer Apertur von immerhin n.A.=0,4, der eingebauten Irisblende und der effektiven Vergrößerung von ca. 20x bzw. ca. 35x ohne Verwendung des oberen Segments für zahlreiche andere Zwecke einsetzbar.
Konoskop 1.JPG
Teile des Leitz U-Tisch Konoskops (v.r.): Spezialkondensor mit der Apertur n.A.=0,60 in der älteren Form zum Einschieben in die Schwalbenschwanzführung des Kondensorhalters und in der neueren Form im Austausch für die Kondensor-Klapplinse; oberes Halbkugelsegment für Konoskopie und die beiden UMK-Objektive.Hier (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=50478.msg368689#msg368689) geht es zum zweiten Teil.