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Foren => Mikrofoto-Forum => Thema gestartet von: Michael Plewka in Januar 14, 2025, 17:01:21 NACHMITTAGS

Titel: (Weitere) Beobachtungen an Frullania-Bewohnern.
Beitrag von: Michael Plewka in Januar 14, 2025, 17:01:21 NACHMITTAGS
Hallo zusammen,

vor ein paar Jahren hatte mir ein Forums-Mitglied dankenswerterweise eine Probe des Wassersack-Mooses Frullania aus der Schweiz zugeschickt. Dieses Lebermoos ist aus biologischer Sicht u.a insofern interessant,  weil sich in diesen Wassersäcken  -wahrscheinlich speziell angepasste- Rädertiere finden lassen, zum Beispiel Mniobia symbiotica  oder auch Habrotrocha- Arten. Hier noch der link:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=30255.0

Mittlerweile habe ich auch einige Formen dieser MoosGattung in unseren Wäldern gefunden, aber in den Wassersäcken bisher noch keine Rädertiere entdecken können. Auch die Suche nach dem Ciliaten, den Bernd hier (https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=49995.0) beschrieben hatte, verlief bisher ergebnislos. Das liegt möglicherweise auch daran, dass es wohl verchiedene Arten dieser LebermoosGattung  gibt, wobei -wie so häufig- die Angaben, in welcher dieser Frullania-Arten die Organismen gefunden wurden, ziemlich ungenau sind. Leider habe ich  bisher keinen Bestimmungsschlüssel zu dieser Moosgattung finden können; wenn also jemand dahingehend  etwas empfehlen kann, wäre ich für Hinweise sehr dankbar.

Wenn auch nicht in den Wassersäcken selbst, so doch zumindest In den Moosproben habe ich aber unter anderem zwei Rädertierarten der Gattung Adineta  gefunden, zum einen Adineta gracilis (https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Adineta%20gracilis.html); zum anderen eine Form, die ich dem  Adineta rhomboidea-Artkomplex zuordne. Adineta rhomboidea  zeichnet sich durch einige Merkmale aus, die ich hier
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Adineta_rhomboidea_31%20.html
bzw. hier
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Adineta%20rhomboidea.html

durch entsprechende Fotos charakterisiert habe.

Nahezu alle Exemplare  dieser Art waren mehr oder weniger stark mit Parasiten gefallen. (A. gracilis interessanterweise nicht) . Hier ein Bild eines befallenen Tiers:
(https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/Bdelloid/Adineta/img/Adineta-rhomboidea-850-6e-800.jpg)



Es handelt sich bei dem Parasit um  einen  Pilz (Ascomyceten) der Gattung Triacutus; wahrscheinlich T. subcuticularis.
Einige Bilder dieser Parasiten sind hier zu finden:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/Kennkarten%20Pilze/Ascomycetes/source/Triacutus%20subcuticularis.html

Diese Pilzparasiten breiten sich über charakteristische Sporen aus, die einem Krähenfuß erinnern. Soweit ich das verstanden habe, dringen diese Sporen in die Rädertiere ein und entwickeln sich dort zu entsprechende Hyphen. 
Bei dieser Rädertierart habe ich nun ein interessantes Verhalten beobachten können: eine offenbar halb eingedrungene Pilz-Spore befand sich im  ventralen Ciliarfeld am Kopf des Rädertiers.

In dem YT Video
https://www.youtube.com/watch?v=1w26YOANwho
 ist außerdem zu sehen, dass:
1. Adineta  den Rumpf ventralwärts krümmt.
2. Adineta  den Fuß auf diese Spore richtet.
3  die 3 Zehen spreizt
4. sich  Rumpf und  Fuß  etwas strecken, so dass
5. die Spore in die Länge gezogen wird.

Nun stellt sich die Frage, wie diese Beobachtungen interpretiert werden können. Man könnte z.B annehmen, dass
1. das Rädertier diese Spore  wahrgenommen hat.
2. versucht hat, diese Spore wegzuziehen und zwar mit ziemlich hoher Kraft und ziemlich lange, was aber selbst nach ca. 30 min nicht gelungen ist.

Die Beobachtungen wurden in einem MikroAquarium gemacht. Am nächsten Tag  war die Adineta übrigens tot.

Dieses ,,Putzverhalten"  wäre  für ein derartig kleinen Vielzeller (so um die 1000 Zellen) m.W. ziemlich einmalig.


Beste Grüße
Michael Plewka
Titel: Aw: (Weitere) Beobachtungen an Frullania-Bewohnern.
Beitrag von: A. Büschlen in Januar 14, 2025, 17:30:31 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

ZitatLeider habe ich  bisher keinen Bestimmungsschlüssel zu dieser Moosgattung finden können; wenn also jemand dahingehend  etwas empfehlen kann, wäre ich für Hinweise sehr dankbar.

In: Die Moose Baden-Württembergs Band 3, herausgegeben von M. Nebel und G. Philippi (vergriffen) findest du ab Seieite 390 eine gute Beschreibung der Gattung Frullania und ein Schlüssel für die 4 Arten die für Baden-Württemberg bekannt sind.
Die Gattung Frullania hat einen Verbreitungsschwerpunkt in den Tropen und den warm temperaten Regionen.

Gruss Arnold
Titel: Aw: (Weitere) Beobachtungen an Frullania-Bewohnern.
Beitrag von: A. Büschlen in Januar 14, 2025, 17:36:41 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

ZitatDas liegt möglicherweise auch daran, dass es wohl verchiedene Arten dieser LebermoosGattung  gibt, wobei -wie so häufig- die Angaben, in welcher dieser Frullania-Arten die Organismen gefunden wurden, ziemlich ungenau sind.

Frage: Ist der Lebensraum/die Lebensweise dieser Rädertiere und Ciliaten so streng an eine Art wie z.B. F. dilatata gebunden?

Grüsse Arnold
Titel: Aw: (Weitere) Beobachtungen an Frullania-Bewohnern.
Beitrag von: Jürgen Boschert in Januar 14, 2025, 18:42:15 NACHMITTAGS
Lieber Michael,

geniales Video! Ich denke die Interpretation hat hier wenig Spielraum, das scheint tatsächlich ein Versuch zu sein, den gefährlichen Eindringling loszuwerden. An manchen Stellen im Video hat man sogar den Eindruck, dass der kleine Kerl das fast geschafft hätte; wäre aber wohl sowieso frustran gewesen, da er ja schon ziemlich vollgestopft mit Parasiten aussieht.
Titel: Aw: (Weitere) Beobachtungen an Frullania-Bewohnern.
Beitrag von: purkinje in Januar 14, 2025, 18:59:35 NACHMITTAGS
Hallo Michael,
ein existenzialistisches Drama im Mikro-Aquarium!
Wenn man sich vor Augen hält, mit welch sparsamen Nervensystem dies alles verarbeitet und koordiniert wird, äußerst faszinierend.
Beste Grüße Stefan
Titel: Aw: (Weitere) Beobachtungen an Frullania-Bewohnern.
Beitrag von: Spectrum in Januar 14, 2025, 21:00:21 NACHMITTAGS
Hallo Michael,
Ich liebe solche Videos auf denen das Verhalten dieser kleinen Lebewesen dokumentiert wird.
Und dazu noch in der Qualität deines hervorragenden DIC.
Super!
Die Adineta kann einem beim Zuschauen ja schon ein wenig leid tun. Interessant wäre zu wissen warum nur diese Art befallen wird.
Vielen Dank für's Zeigen.
Darf ich fragen welches Objektiv hier zum Einsatz kam, und wie hoch die Schichtdicke des Wassers war?
Grüße Holger
Titel: Aw: (Weitere) Beobachtungen an Frullania-Bewohnern.
Beitrag von: Peter T. in Januar 14, 2025, 21:16:30 NACHMITTAGS
Ein wirklich unglaubliches Video. Sollte hier wirklich der Versuch gezeigt sein, sich des Parasiten zu erwehren, wäre das wieder eine fantastische Doku über die Möglichkeiten eines hirnlosen Wesens, sich im Leben zu behaupten.

(Und nein, das ist keine Anspielung auf irgendjemanden aus dem politischen Spektrum ...)
Titel: Aw: (Weitere) Beobachtungen an Frullania-Bewohnern.
Beitrag von: Michael Plewka in Januar 15, 2025, 09:59:51 VORMITTAG
Hallo zusammen,

vielen Dank für das Interesse an diesem Thema und die Kommentare dazu.

Dazu vielleicht noch die folgenden Informationen:  von den circa 1000 Zellen, aus denen ein Rädertier besteht, befinden sich circa 150-200 Zellen in einem durch Membran abgegrenzten Bereich, der als  Gehirn bezeichnet wird. Das kann man hier beispielsweise ganz gut sehen:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Rotaria%20macrura.html

Manche Forscher gehen davon aus, dass die Nervenverbindungen/Synapsen (die bei Wirbeltieren Lernvorgänge bewirken) bei den Rädertieren genetisch vorprogrammiert sind, sich demzufolge also nicht verändern.
Die Frage, ob Rädertiere lernen können, ist weiterhin nicht beantwortet.

Noch zur Technik: ich vergaß anzugeben, dass das Video weitgehend mit 300 Bildern/ Sekunde aufgenommen wurde, was in der YouTube-Darstellung einer circa zwölffachen Verlangsamung entspricht. In Echtzeit könnte man diese Verhaltensweisen vermutlich gar nicht wahrnehmen. 
Da diese Viecher sich in Echtzeit extrem schnell aus dem Bildfeld bewegen, musste ich einige Sequenzen mit dem 20x Objektiv (Planapo) machen, die  Detail-Aufnahmen sind mit dem 40x (LD-C-Apo)  aufgenommen. Das Video wurde an verschiedenen Tieren aufgenommen, die auch unterschiedlich präpariert waren. Um beispielsweise die Parasiten im Video überhaupt sichtbar zu machen, muss die Schichtdicke entsprechend gering sein, die Viecher sind somit leicht komprimiert durch das Deckglas. Andererseits hatte ich einige Exemplare getrennt in Mikroaquarien in einer feuchten Kammer gehalten, um die Weiterentwicklung der Sporen beziehungsweise Parasiten zu beobachten. Ich habe auch versucht, die andere Art (A. gracilis) durch räumliche Name mit infizierten A rhomboidea zu infizieren; da ist das Ergebnis aber nicht eindeutig gewesen. Durch Zufall habe ich dann in einem dieser Mikroaquarien dieses Verhalten, das in Video dargestellt ist, beobachten können. Die Schichtdicke beträgt dabei circa 100-200 µm, so dass sich die Viecher frei bewegen können.


@Arnold: vielen Dank für den Hinweis auf die Literatur. Ich gebe zu, dass ich mit diesem von dir genannten Schlüssel nur schlecht zurecht  komme, weil die bestimmungsrelevanten Merkmale in den Abbildungen nicht erkennbar sind. Muss ich mich mal intensiver damit beschäftigen.

Zu deiner Frage: was die Rädertiere angeht, habe ich mich in den letzten Jahren, d.h. seitdem du mir das Material geschickt hattest, mit vielen Rädertier-Experten darüber ausgetauscht. Um es kurz zu machen: man weiß es nicht. Es gibt einfach zu wenig Leute, welche die Ökologie, d.h. konkret das Zusammenleben von (Leber)Moos und Rädertieren untersuchen. Bisher sind einige Rädertierarten (und immer wieder die selben (Gattung Mniobia, Habrotrocha; keine! Rotaria, keine! Adineta) in den Wasser Säcken gefunden worden. Ob da eine bestimmte Affinität oder Resistenz zu Grunde liegt: ist nicht klar. Für die Ciliaten habe ich überhaupt keine Erfahrung. Vielleicht weiß Martin Kreutz mehr dazu. Dasselbe beim Thema  Gastrotrichen und Moos. Vielleicht weiß Michael Müller mehr dazu.

Bei den Torfmoosen kann man ja davon ausgehen, dass diese durch die Senkung des pH-Werts ein bestimmtes Milieu für andere Organismen schaffen, so dass charakteristische Biotope mit typischer Artzusammensetzung entstehen; z.B. Simmelried.

Für die Lebermoose andererseits  ist es  ja charakteristisch, dass sie Ölkörper besitzen. (Ich glaube wahrzunehmen, dass deshalb manche Lebermoose auch sehr streng riechen). Deshalb ist nicht auszuschließen, dass genau diese Ölkörper auch Einfluss auf die umgebenden Organismen haben können. Weißt du dazu mehr?


Soweit erst mal

Beste Grüße
Michael Plewka


Titel: Aw: (Weitere) Beobachtungen an Frullania-Bewohnern.
Beitrag von: A. Büschlen in Januar 17, 2025, 19:19:53 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

ZitatIch gebe zu, dass ich mit diesem von dir genannten Schlüssel nur schlecht zurecht  komme, weil die bestimmungsrelevanten Merkmale in den Abbildungen nicht erkennbar sind. Muss ich mich mal intensiver damit beschäftigen.
Der Text in den "Baden-Württembeger" ist aus meiner Sicht gut und ziehlführend. Aber ohne Zeichnungen geht es nicht. Da ist der "Paton" eine grosse Hilfe.
Siehe hier: https://brill.com/display/title/26975

ZitatFür die Lebermoose andererseits  ist es  ja charakteristisch, dass sie Ölkörper besitzen. (Ich glaube wahrzunehmen, dass deshalb manche Lebermoose auch sehr streng riechen). Deshalb ist nicht auszuschließen, dass genau diese Ölkörper auch Einfluss auf die umgebenden Organismen haben können. Weißt du dazu mehr?
Ob Stoffe, die die Oelkörper abgeben könnten, ein einen Einfluss auf das bevorzugte Milieu dieser Lebewesen haben weiss ein nichts Näheres.

Aus meiner Sicht bieten beblätterte Lebermoose wegen ihres strukturierten Baues einen idealen Lebensraum für viele Lebewesen wie: Algen, Pilze, Wirbellose mit ihren uterschiedlichen Entwicklungsstadien etc.

Grüsse Arnold
Titel: Aw: (Weitere) Beobachtungen an Frullania-Bewohnern.
Beitrag von: purkinje in Januar 18, 2025, 13:21:58 NACHMITTAGS
Hallo Michael,
Mikroaquarien haben mich vor Jahrzehnten schon einmal begeistert, habe ich mich aber schon länger nicht mehr befasst, Dein schöner Beitrag könnte das hoffe ich, wieder ändern.
Nur kurz, zu den sich nach der Entwicklung nicht-ändernden Synapsen, neben dieser 'grob'-strukturellen gibt es ja auch eine feinere molekulare Ebene der neuronalen Plastizität, da werden Ionenkanäle aktiviert, moduliert und abgeschaltet, andere Rezeptoren reguliert etc. Zum Lernen gehört ja auch Vergessen, ein Wechselspiel von Aktivierung und Hemmung, letztere oft vermittelt übrigens durch Endo-Cannabinoide, einfachere Fettsäuren die aus Linolsäure gebildet werden können.
Beste Grüße Stefan
Titel: Aw: (Weitere) Beobachtungen an Frullania-Bewohnern.
Beitrag von: Michael Plewka in Januar 21, 2025, 09:47:51 VORMITTAG
Hallo Arnold,
vielen Dank für den Hinweis auf die weitere Literatur. Muss ich mal gucken, ob in unserer Universitätsbibliothek Exemplar ausleihbar ist.

ZitatAus meiner Sicht bieten beblätterte Lebermoose wegen ihres strukturierten Baues einen idealen Lebensraum für viele Lebewesen wie: Algen, Pilze, Wirbellose mit ihren uterschiedlichen Entwicklungsstadien etc.

Du hast ja selbst schon einige Beiträge  zum Zusammenleben von Pilzen mit Moosen beziehungsweise Lebermoosen vorgestellt, was die anderen Lebensformen (Wirbellose und Algen) angeht findet man meines Wissens nach relativ wenig Beiträge hier im Forum; da gibt es in Zukunft sicherlich Raum für mehr Beobachtungen.


@ Stefan:
Ja, Mikroaquarien sind im Moment (leider) hier im Forum etwas unterrepräsentiert. Michael Mueller hatte hier vor einiger Zeit mal ein paar interessante Beobachtungen, die er mit dieser Methode gemacht hatte, vorgestellt. Insbesondere die gezielte Beobachtung von ausgewählten Organismen über einige Tage, möglicherweise auch Wochen, erlaubt  interessante Einblicke in das Verhalten und die Entwicklung von Organismen.


Dass das Verhalten von Wirbellosen und Wirbeltieren auch auf elektrophysiologischen Mechanismen beruht, ist ja allgemein bekannt.  Aber im Gegensatz zu anderen  Wirbellosen (z.B. Aplysia) ist sind die Rädertiere dahingehend  nicht besonders gut erforscht. Das liegt höchstwahrscheinlich an deren Größe und am Geld. Insofern gibt es ,,nur" Erkenntnisse zur Morphologie, die vor allem mit dem TEM gemacht wurden.


Beste Grüße
Michael Plewka