Moin, moin allerseits,
man sollte es nicht glauben, aber nach gut 13 Jahren kontinuierlicher, intensiver Tümpelei hatte ich neulich ein Wesen auf dem Mikroskop Tisch, das ich noch nie gesehen hatte – aus einem Biotop, von dem ich fast regelmäßig Proben nehme.
Der Fundort liegt an einer Umgehungsstraße von D63820 Elsenfeld (49.85 , 9.17) und ist vermutlich nichts anderes als eine Radlader Schaufel Boden, der ausgegraben wurde, wobei der Grund sicher mit Lehm etwas abgedichtet und hauptsächlich mit Rohrkolben bepflanzt wurde. Der Lehm war bestimmt nötig, weil der Grund sandig ist – was beim Pipettieren leider zu mitgeschleppten Sandkörnchen und damit zu ziemlich schlechter Bildqualität führte.
Den ersten Fund hielt ich nach der Beschreibung im ,,Wassertropfen" für Gymnophrys cometa, das Torfgespenst, war mir sogar ziemlich sicher, alles schien zu passen.
Trotzdem schickte ich Bilder und ein Video zu Ferry – und der klärte mich dann erst einmal auf.
Da ich selbst keinerlei Wissen von Foraminiferen habe, möchte ich ihn hier selbst zu Wort kommen lassen:
,,Der betreffende Fund ist ein Tierchen, das zur Gruppe der Foraminiferen gehört. Diese Gruppe ist vor allem aus Ozeanen und anderen marinen Lebensräumen bekannt, doch insbesondere in den letzten Jahren wurden mehrere Funde von Arten gemacht, die im Süßwasser vorkommen. Sie werden als nicht-marine Foraminiferen bezeichnet, da sie auch im Boden, in Moosen auf Bäumen und Mauern, in untergetauchtem Sphagnum, in organischem Sediment von Gräben und Seen, zwischen Basaltblöcken am Fuß von Deichen entlang von Flüssen und Seen usw. vorkommen.
Die hier beschriebene Foraminifere ist eine sogenannte ,,organic-walled monothalamid", also eine Art mit einer flexiblen glatten Hülle aus organischem Material. Das Cytoplasma innerhalb dieser Hülle bildet einen Pseudopodienstiel, einen Plasmastrang, aus dem sich ein weit verzweigtes Netzwerk (Reticulum) dünner, fadenförmiger, verzweigter Pseudopodien entwickelt, über das mit relativ hoher Geschwindigkeit kleine Körnchen strömen – wie Autos auf einer Autobahn – und entlang dessen auch erbeutete Nahrungspartikel zum Zellkörper transportiert werden. Diese Pseudopodien werden Granuloreticulopodien oder auch Reticulopodien genannt. Dieses Netzwerk kann mehrere Millimeter groß sein, während der Zellkörper selbst kaum 100 µm im Durchmesser misst. Obwohl sie oft kugelförmig erscheinen, können diese Zellen beim Ortswechsel eine längliche Form annehmen. Inzwischen kennen wir etwa zehn Arten, die sich jedoch alle sehr ähnlich sehen. Die Unterscheidung erfolgt hauptsächlich durch DNA-Analysen, doch die Form der Zellkerne – jede Zelle besitzt etwa 50 bis 150 Kerne von jeweils 4 bis 12 µm Größe – gibt oft einen Hinweis darauf, zu welcher Gattung ein Exemplar gehört. Diese Kerne werden vor allem sichtbar, wenn sie durch Druck auf das Deckglas aus der Zelle gepresst werden.
Dass diese Foraminiferen nur selten beobachtet werden, liegt an ihrer Neigung, sich in leeren Gehäusen von Testaceen, leeren Zellen von Fadenalgen oder in Überresten – z. B. einem Bein – von Insekten zu verstecken. Einige Arten umgeben sich mit einer Menge Detritus und entziehen sich so der Beobachtung durch einen ahnungslosen Mikroskopiker."
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Das Bild 1 zeigt die erste Zelle (von 2 nacheinander gefundenen Tieren), wie man sieht, anscheinend ohne starres, strukturiertes Gehäuse. Der Gesamtdurchmesser (Zelkörper inklusiv Reticulum) lag bei ca. 500µm, das Bild entstand kurz nach dem Fund im Mikroskop. Fast sofort fing das Tier an, vor dem Licht in Richtung Detritus zu wandern, und die Zahl der sichtbaren Granuloreticulopodien reduzierte sich schnell.
Der Zellkörper war annähernd kreisförmig, hatte aber, im Bild1 nicht sichtbar, eine Art Einbuchtung (siehe Bild6). Innen waren mehrere Vacuolen und einige farbige Einschlüsse zu sehen. Außerdem schien er eine dünne Hülle zu haben (im DIK stark leuchtender Rand). Zellkernartige Strukturen konnte ich innen nicht ausmachen.
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Die Füßchen folgten, was Ursprungsort am Zellkörper und Anzahl anging, keiner offensichtlichen Regel, es gab bei ihnen Plasmaanhäufungen mit und ohne Zusammenhang mit Detritus, Abzweigungen und Netzwerkbildung (ab Bild6).
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Innerhalb der einzelnen Reticulopodien waren gleichzeitige Strömungen zum Zellkörper hin und von ihm weg zu sehen, mit auffallend großer Strömungsgeschwindigkeit, sehr gut zu sehen unter: https://www.youtube.com/watch?v=mEml7kTDHqY (Journey to the Microcosmos)
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Während der Wanderung des Tieres Richtung Detritus bewegten sich die Reticulopodien meist quer zu ihrer Hauptrichtung, sie schienen über dem Boden zu schweben.
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Die Heftigkeit der Plasmaströmungen war überraschend, solche rigurosen Bewegungen kenne ich sonst nur von Bacillaria.
Nachdem Ferry mir geschrieben hatte, wie selten dieser Fund war, bin ich natürlich noch einmal zu dem Tümpel gegangen und habe eine zweite Probe geholt. Und siehe da, im 3. Glas fand ich dann noch ein Tier, vermutlich derselben Art (alle weiteren, späteren Versuche scheiterten).
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Eine ähnliche Einbuchtung des Plasmas wie im Zentralkörper des zweiten Tieres hatte ich beim ersten andeutungsweise auch gesehen.
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Die Veränderungen der Ortslage der Reticulopodien erfolgte ungemein schnell. Zwischen den Bildern 6 und 7 liegen kaum 20 Sekunden.
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Das Bild 8 macht die Abmessungen dieses Tieres deutlich. Es ist aus 3 Einzelbildern zusammengesetzt, weil die Füßchen teilweise außerhalb des Bildfeldes lagen.
Ich habe während dieser Aktion zwischen den Objektiven 20x und 40x sowie den Optovarstellungen 1x/1,25x und 1,6x gewechselt, kann aber leider nicht mehr sagen, welches die Kombination im Bild oben (8) ist. Trotzdem kann man aufgrund des festliegenden Durchmessers des Zentralkörpers von ca. 75µm bei Bedarf Messungen vornehmen.
Nach dem zweiten Mal Wasser Auffüllen fand ich das Tier leider nicht mehr wieder.
Es würde mich interessieren, ob jemand von Euch diese Gattung auch schon beobachtet hat und wenn ja, was weiter über sie bekannt ist.
Schönen Gruß von Ferry und mir -- Winfried
Hallo Winfried,
ich hatte so ein ähnliches Tier mal vor vielen Jahren in einer Moosprobe von einem Baum. Hier ein Video davon:
Mir hatte Steffen Clauss seinerzeit auch gesagt, dass das ein limnische Foraminifere sein. Ich hatte die in einer Petrischale, in der ich die Moosprobe augedrückt hatte, um Bärtierchen zu finden, was mir auch gelungen wa. Ich glaube die hatten sich über 2..3 Wochen auf dem Boden der Petrischale vermehrt und nahezu die ganze Schale mit ihren "Spinnennetzen" überzugen. Einzelne Fäden erstreckten sich auch über mehrere Zentimeter.
LG Gerd
Danke für Dein feedback, Gerd.
Ja, das Filopodien-Netzwerk Deines Fundes ist ein typisches Retikulopodien-Netz mit vielen Anastomosen und Abzweigungen, und auch der "Verkehr" ist ähnlich schnell, wie ich ihn beobachtet habe.
Leider hatte ich ja nur 2x je ein Tier auf dem Tisch, so hatte ich keine Chance, für bessere Sichtverhältnisse zu sorgen.
Wenn Ferry mich nicht aufgeklärt hätte, würde ich meinen Fund wohl heute noch für Amöben halten.
Schönen Gruß -- Winfried