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Foren => Mikrofoto-Forum => Thema gestartet von: Michael Plewka in Mai 23, 2011, 21:58:27 NACHMITTAGS

Titel: Neandertaler….
Beitrag von: Michael Plewka in Mai 23, 2011, 21:58:27 NACHMITTAGS
... nein, nicht um die Frühmenschen, sondern um Cyanobakterien geht es hier.

liebes Forum,
im Zusammenhang mit einer Fortbildung im Neandertal-Museum zum Thema "forensische Anthropologie" ("Bones, die Knochenjägerin" lässt grüßen..) in der letzten Woche fand ich in  einem nahe gelegenen (Kalk) Steinbruch einen weichen Belag, den  "Tintenstrichen" aus der Literatur nicht unähnlich.
Die mikroskopische Untersuchung förderte zwar nicht die erhofften Rädertiere zutage, zeigte stattdessen ein Gemisch aus kleinen, nicht näher bestimmten Diatomeen und Cyanobakterien. Beeindruckend  war jedoch die unglaubliche Farbenvielvalt bei den Cyanos, so wie ich sie bisher noch nie gesehen habe (Der Weißabgleich wurde auf ein möglichst neutrales Grau eingestellt):

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/65457_24944793.jpg)


Teilweise sind die Zellen von  von mehreren Schichten von Gallerte umgeben, die teilweise auch aufgeplatzt waren. Weiterhin finden sich sehr viele granuläre Einschlüsse in den Zellen:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/65457_16103556.jpg)

Während der DIK einen plastischen Einduck vermittelt, kommt die Farbenvielfalt im Hellfeld gut zum Ausdruck:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/65457_56266028.jpg)


Ich vermute, dass es sich um Chroococcus handelt, wobei ich nicht glaube, dass es sich um die Art C. turgidus handeln kann. Bekannt für Besiedelungen von Felsen ist C. rufescens, von der ich aber keine Abbildungen finden kann.

Viel Spaß beim Anschauen & beste Grüße Michael Plewka
Titel: Re: Neandertaler….
Beitrag von: Ernst Hippe in Mai 24, 2011, 10:19:23 VORMITTAG
Hallo Herr Plewka,
es könnte sich um Gloeocapsa sp. handeln. Fott,Algenkunde, schreibt hierzu: " G. hat auch (wie Chroococcus) Tochterzellen in ineinandergeschachtelten Gallerthüllen, doch sind diese blasig aufgetrieben, so daß die Zellen darunter frei liegen. Hüllen sind geschichtet, entweder farblos oder bei manchen Arten bunt gefärbt (gelb, rot, violett). Kolonien einzeln oder zu vielen beisammen, oft ausgedehnte Lager bildend. Die Systematik der 40 beschriebenen Arten ist unklar." Sie wachsen auch an feuchten Felsen in makroskopischen Lagern. Abgebildet ist nur eine G.ralfsiana, die Ihren Exemplaren recht ähnlich sieht.
Bittner, Blaualgen (grüne Kosmos-Reihe) gibt eine ähnliche Beschreibung, genauer für 14 Arten, aber nur 2 Zeichnungen. Die Artbestimmung dürfte schwierig sein, aber G. erscheint mir sicher.
Titel: Re: Neandertaler….
Beitrag von: rhamvossen in Mai 24, 2011, 12:44:34 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

Wunderschöne Bilder sind das. Welches Gerät, Objektiv und kamera hast du gebraucht? Ich nehme an das du das Hellfeldbild bearbeitet hast oder? Ich würde in dem Fall neugierig sein wie das unbearbeitete Bild damit vergeleicht. Bisher habe ich selbst noch nicht die Mühe genommen Bildern zu bearbeiten, ich wurde dan auch gerne sehen wieviel das ausmachen kan. Beste Grüsse,

Rolf
Titel: Re: Neandertaler….
Beitrag von: Michael Plewka in Mai 24, 2011, 20:40:50 NACHMITTAGS
hallo zusammen,
@ Herrn Hippe:
ich bewundere immer wieder Ihr Engagement, mit welchen Sie den Forumsmitgliedern in Bestimmungsfragen helfen!
Die Gattung Gloeocapsa hatte ich auch auf meiner Kandidatenliste; jedoch zeigen die Bilder im FOTT einen wichtigen Unterschied zu Chroococcus:  während bei letzterer die (farblosen) Gallerthüllen den  Zellen eng anliegen, sind sie bei Gloeocapsa  weiter davon weg. Bei Gloecapsa sind die Zellen nach der Teilung immer oval gerundet (siehe FOTT S. 41 Abb.5), während sie bei Chroococcus z.B. halbkugel- oder quadrantenförmig  in Zweier- oder Vierergruppen eng beieinander bleiben (HUBER/PESTALOZZI). Im Kosmos-Algenführer wiederum ist für Chroococcus die Variabilität der Farbe der Zellen (nicht der Gallerthüllen!!) als charakteristisch  erwähnt, nicht aber für Gloeocapsa.  Insofern habe ich Gloecapsa ausgeschlossen.
Obwohl sehr umfangreich, sind bei HUBER/PESTALOZZI (>>>PhytoPLANKTON...) natürlich nur planktische Blaualgen beschrieben), so dass von Chroococcus auch nur ein Teil der Arten behandelt wird, Gloeocapsa wird gar nicht erwähnt.
Den entsprechenden Band der "Süßwasserflora" habe ich nicht. Hat den jemand ? Lohnt es sich, den zu kaufen??


@ Rolf (sorry...),
Die Aufnahmen wurden mit einem Reichert Mikroskop mit Objektiven  40x und 100x (jeweils Öl) gemacht. Kamera: Canon 450.
Hier ist das HF-Bild unbearbeitet.
(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/65510_29741220.jpg)

Wie man sieht, ist der Unterschied in diesem Fall enorm. Das liegt auch daran, dass der (manuelle) Weißabgleich der Kamera an die DIK-Filter angepasst ist, welche nicht farbneutral sind. Für das Hellfeld verschiebe ich einen der DIK-Filter aus dem Strahlengang, so dass sich eine Farbverschiebung ergibt. Diese wird erst nachträglich bei der Bildbearbeitung kompensiert.
beste Grüße Michael Plewka
Titel: Re: Neandertaler….
Beitrag von: Ralf in Mai 24, 2011, 21:31:59 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

wirklich erstklassige Aufnahmen und ein schönes Beispiel dafür, dass eine gekonnte Bildbearbeitung in der Mikrofotografie eine bedeutende Rolle spielt.

Titel: Re: Neandertaler….
Beitrag von: rhamvossen in Mai 25, 2011, 13:08:19 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

Vielen Dank für dieses schönes Beispiel, die Bearbeitung macht in der Tat viel aus. Ich sehe jetzt auch in meine Bilder das nur ein bischen Kontrasterhöhung viel Wirkung hat. Beste Grüsse,

Rolf
Titel: Re: Neandertaler….
Beitrag von: Tintling in Juni 02, 2011, 09:13:39 VORMITTAG
Zitat von: Ralf in Mai 24, 2011, 21:31:59 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

wirklich erstklassige Aufnahmen und ein schönes Beispiel dafür, dass eine gekonnte Bildbearbeitung in der Mikrofotografie eine bedeutende Rolle spielt.

Hallo Ralf,

dem kann ich mich nur anschließen. Einsame Klasse, was in diesem Forum geleistet und gezeigt wird.
Karin
Titel: Re: Neandertaler….
Beitrag von: Heribert Cypionka in Juni 04, 2011, 23:05:45 NACHMITTAGS
Lieber Herr Plewka,

aus Spaß an der Freud' habe ich mal ihr rosa Original-Bild heruntergeladen und mit den bescheidenen Mitteln von PICOLAY bearbeitet (Weißabgleich, Schärfe, Kontrast, Gamma-Wert, Farbsättigung). Dabei kommt maximal so etwas heraus:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures002/66121_60844683.jpg)

Auch mit Irfanview und dessen Autokorrektur wird's nicht wirklich besser. Nicht schlecht, aber da sind noch Welten zu dem, was Sie hier gezeigt haben. Könnten Sie etwas zur Ihrer Bildbearbeitung und den angewendeten Schritten sagen? Ich frage das nicht nur für mich und meine zukünftigen Programmieraufgaben sondern auch, damit viele hier nicht glauben, sie müssten sich nur ein neues Mikroskop kaufen...

Herzlichen Gruß

Heribert Cypionka

www.picolay.de



Titel: Re: Neandertaler….
Beitrag von: Peter V. in Juni 04, 2011, 23:32:38 NACHMITTAGS
Hallo Herr Cypionka,

natürlich  ;) sind Sie nicht der Einzige, der das probiert hat!!!
Auch ich habe das Bild heruntergelanden und schon mehrmals Photoshop gequält, allerdings komme ich über das, was Sie erreicht haben, auch nicht hinaus  :'(
Auch mir ist es ein Rätsel, wie Michael diese tollen Ergebnisse erzielt und auch ich würde mich freuen, von Michael lernen zu können, wie man das erreichen kann.
Bie mir wirkt der Zellinhalt ( wie auch bei Ihnen ) auch nach Bearbeitung irgendwie "matschig", insgesamt ist das Bild einfach nicht so knackig wie nach Michaels Bearbeitung.

Herzliche Grüße
Peter

PS: Ich bin aber schon sehr froh, dass Michael ehrlich gezeigt hat, welchen enormen Anteil eine gekonnte Bildbearbeitung hat. Was den Vedienst nicht schmälert, denn dazu gehört ebenso ein ausgeprägtes "Können" wie beim Mikroskopieren selbst, um so phantastische Ergebnisse zu bekommen. Man war ja versucht, bei diesen Bildern sein eigenes Mikroskop in die Ecke schmeissen zu wollen... ;)

Titel: Re: Neandertaler….
Beitrag von: Michael Plewka in Juni 05, 2011, 10:47:29 VORMITTAG
hallo Herr Cypionka, hallo Peter (die meisten Aussagen gelten auch für Dein Statement),

natürlich liegen Welten zwischen dem Resultat Ihrer Bildbearbeitung und meiner. Man kann das sogar grob quantifizieren: es sind ca.  6 bit bzw. 36dB Dynamikumfang, die Ihnen bei der Bildbearbeitung fehlen. Sie haben quasi versucht, das Klangerlebnis einer Grammophon-Schallplatte in das Klangerlebnis einer CD zu verwandeln. Auch hier ist es zweifelhaft, ob eine solche Rekonstruktion fehlender Information in der Lage ist, den Zuhörer zu überzeugen.  Nochmals zu den Zahlen:
diese ergeben sich aus der Tatsache, dass die Kamera die Bildinformationen mit 14 bit auflöst, ein jpg-Bild aber nur 8bit . Es fehlen also 6 bit. Ich habe in verschiedensten Beiträgen hier im Forum auf die Bedeutung des raw-Formats hingewiesen. Hier nur soviel: es ist ein immenser Unterschied zwischen dem, was die Kamera "sieht " (und speichert) und dem, was diese ausgibt, wenn ich ihr sage: "mach mir ein jpg-Bild davon".

36 dB entsprechen in etwa einem Verhältnis von 1:100. Zwar mag für unsere Auge ein solcher Dynamik-Unterschied nicht in dem Maße "ins Auge springen", wie man es von einem entsprechenden Unterschied im Auflösungsvermögen gewohnt ist, aber jedem Mikroskopiker ist sicherlich klar, dass man mit 1x vergrößernden Objektiv nicht das Auflösungsvermögen eines 100x Objektivs hat (der Vergleich hinkt vielleicht etwas).
Oder aber: man führe sich "vor Augen", wie ein Fingerhut neben einem 1m großem Blumentopf / Wassertank wirkt.

Allein die nachträgliche Elimination des Rotstichs aus dem jpg-Bild wird wahrscheinlich ein weiteres bit Dynamik-Verlust "kosten", so dass für Ihre weiteren Bildbearbeitungsschritte umso weniger Spielraum besteht /bestand. Bei der raw-Bearbeitung dagegen werden die vorhandenen Daten vermutlich lediglich anders interpretiert und mit weiteren Bildbearbeitungsschritten kombiniert, so dass, bevor es an die weitere Bildbearbeitung in Photoshop geht, noch genügend Reserven vorhanden sind, die im jpg-Bild selbstverständlich fehlen. Der Weißabgleich, den viele Menschen hier im Forum wahrscheinlich an der Kamera vornehmen, kann (und sollte besser)  nachträglich im raw-Konverter im Rechner durchgeführt werden, da dieser deutlich differenziertere Eingriffsmöglichkeiten bietet (die man natürlich verstehen muss) .  Diese Verlagerung des Weißabgleichs in den Rechner kostet also quasi "nichts" an Dynamik, die Farbtemperatur der Mikroskop-Beleuchtung ist also -provokativ gesprochen- für die Bildbearbeitung quasi irrelevant.

Alles in allem ist es also nicht verwunderlich, dass Sie von dem Ergebnis (wobei dieses eigentlich schon sehr gut ist) enttäuscht sind. Die Physik lässt eben nichts anderes zu. Andererseits kann man natürlich auch noch über ästhetische Entscheidungen sprechen, nach dem Motto: "bin ich mit dem Ergebnis zufrieden?" . Hierzu noch ein kleines Exempel zur "Verschlimmbessserung" mit dem von Ihnen eingestellten Fosliella-farinosa-(Kalk-)Rotalgen-Bild (ich hoffe, Sie nehmen mir die Bearbeitung nicht übel):

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures007/66142_34202272.jpg)

beste Grüße Michael Plewka
Titel: Re: Neandertaler….
Beitrag von: Peter V. in Juni 05, 2011, 17:42:41 NACHMITTAGS
Hallo Michael,

:-[ darauf hätte man eigentlich auch selbst kommen können.
Vielen Dank für Deine Ausführungen.

Herzliche Grüße
Peter
Titel: Re: Neandertaler….
Beitrag von: Heribert Cypionka in Juni 05, 2011, 19:39:17 NACHMITTAGS
Lieber Herr Plewka,

herzlichen Dank für Ihre Antwort und den Bearbeitungsvorschlag! Ich bin wirklich überrascht, dass es nur an den paar Bits liegen soll. Unser Auge kann eine Farb- oder Helligkeitsstufe in den 256 hoch 3 = 16,77 Millionen Farben des 3x8 Bit-Raums normalerweise nicht differenzieren. Mit 14 Bit kommen jeweils zwischen die Werte der 8-Bit-Skala noch jeweils 64 weitere hinzu, von denen ich normalerweise erst recht nichts zu sehen erwarten würde (es sei denn, ich habe eine Fehlbelichtung und will den unteren oder oberen Bereich gezielt aufblähen). Ich werde mich damit in praxi auseinandersetzen. Seit kurzem habe ich ja eine Kamera, die auch RAW-Bilder liefern kann.

Drei Fragen bleiben aber noch:

- Wurde der Hintergrund des Cyanobakterien-Bildes stellenweise manuell geputzt?
- Wurden spezielle Parameter (Luminanz o.ä.) verändert, die ich in meiner Auflistung nicht erwähnt hatte?
- Wurden die Manipulationen (außer dem Putzen) homogen für das gesamte Bild durchgeführt oder haben Sie einige Bereiche separat überstrichen? Letzteres würde mich besonders verwundern.

Vielen Dank und liebe Grüße

Heribert Cypionka


Titel: Re: Neandertaler….
Beitrag von: Michael Plewka in Juni 07, 2011, 07:05:03 VORMITTAG
hallo Herr Cypionka,
ich möchte an dieser Stelle Ihre Fragen kurz beantworten:

Zitaturde der Hintergrund des Cyanobakterien-Bildes stellenweise manuell geputzt?

Ja

ZitatWurden spezielle Parameter (Luminanz o.ä.) verändert, die ich in meiner Auflistung nicht erwähnt hatte?

Ja; es gibt in PS einige Behandlungsschritte, die sich nicht so leicht erklären lassen....

ZitatWurden die Manipulationen (außer dem Putzen) homogen für das gesamte Bild durchgeführt oder haben Sie einige Bereiche separat überstrichen? Letzteres würde mich besonders verwundern.

Warum würde Sie das verwundern? An den zwei Versionen des Fosliella-Bildes wird gerade dieses  deutlich: die separate Bearbeitung einiger Bildteile ermöglicht eine stärkere Differenzierung.

beste Grüße Michael Plewka