Mikroskop mit Geschichte:
Das Stativ Nr. I von R. Fuess für Ernst Anton Wülfing (1887)
Durch Vermittlung eines lieben Freundes kam ich kürzlich zu einem großen Forschungsmikroskop von der Fa. R. Fuess in Berlin-Steglitz, welches ich für so geschichtsträchtig halte, dass es mir einer genaueren Beschreibung wert erscheint. Es handelt sich um ein Stativ Nr. I mit sehr markanten Änderungen im Vergleich zu der normalen Ausführung. Die speziellen Konstruktionen gehen auf Anregungen von Ernst Anton Wülfing zurück, einen namhaften Mineralogen und Mikroskopiker.
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Das Stativ Nr. I der Fa. Fuess modifiziert nach Vorschlägen von Ernst Anton Wülfing. Seriennummer 259, Baujahr 1887
Die Fa. Fuess genoss als Produzent und innovativer Hersteller hochqualitativer mineralogischer Apparaturen Weltruf. Den Grundstein dazu legte Rudolf Fuess bereits um 1870 mit präzisen Einkreis-Goniometern und aufwendigen Polariskopen. Mit seinem Rosenbusch-Mikroskop stellte er 1876 das weltweit erste kommerziell gefertigte Stativ speziell für den mineralogischen Gebrauch vor, das sofort größte Anerkennung erfuhr. 1879 konstruierte er ein verbessertes Mikroskop, das bereits über einen Objektivrevolver mit einzeln zentrierbaren Objektiven verfügte, eine Innovation, die sich seltsamerweise erst viele Jahrzehnte später auf breiter Basis durchsetzte.
Wegweisend für die Entwicklung der Polarisationsmikroskope waren besonders die grundsätzlich neu konzipierten Instrumente von Fuess aus dem Jahr 1885. Es handelte sich um fünf verschiedene Grundtypen vom anspruchsvollen Forschungsstativ bis zum Studentenmikroskop, die nun bereits die wichtigsten Merkmale moderner Mikroskope zeigten.
Das klassische Stativ Nr. IFlaggschiff war das Stativ Nr. I, kenntlich an dem breiten und elegant geschwungenen senkrechten Teil des Fußes, an dessen oberem Ende sich das Gelenk zum Neigen befindet.
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Zeitgenössischer Stich des Fuess Mikroskops Nr. I aus dem Firmenkatalog von 1885. Dargestellt ist es mit dem Spektralpolarisator nach Abbe und einem Babinet-Kompensator mit Aufsatzanalysator als Sonderzubehör
Als wesentliche Neuerung verfügte dieses Instrument erstmals über folgende Einrichtungen:
- eine Objektivzentrierung mit zwei Schrauben und Feder-Widerlagern;
- einen einschiebbaren Tubus-Analysator;
- eine achromatische Bertrandlinse;
- einen über einen Trieb verstellbaren Innentubus zur Fokussierung des Achsenbildes;
- einen über einen Trieb höhenverstellbaren Kondensor mit zwei aufsetzbaren Kondensorlinsen für höhere Aperturen;
- einen komplexen Kreuztisch mit einer Ablesegenauigkeit von 0,01 mm für Längenmessungen und zwei Skalen als Objektfinder.
Auf Wunsch konnte der Objekttisch mit einer Mikrometerschraube für langsame Drehung vervollkommnet werden.
Zum Mikroskop gab es bereits eine große Anzahl von Nebenapparaten und Hilfsobjekten, sodass alle mineralogischen und petrographischen Untersuchungen möglich waren – kurz, es war der ,,Rolls-Royce" unter den Mikroskopen der Zeit – die Preisliste liest sich entsprechend:
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Preisliste für das Stativ Nr. I nebst Zubehör. Firmenkatalog von 1885
Kurz nach der Einführung der neuen Mikroskop-Reihe gab es noch zwei wesentliche Neuerungen:
- eine nachrüstbare Objektivklammer als Schnellwechseleinrichtung anstelle der Schraubfassung;
- einen verbesserten Kreuztisch mit integrierter einschwenkbarer Kondensorlinse anstelle der Aufsatzlinsen und einer mehrgängigen Spindel zur schnellen Verstellung des Objekts in einer Richtung.
Das älteste mir bekannte Stativ der Baureihe von 1885, ein Stativ Nr. IV, hat die Seriennummer 216, das älteste Stativ Nr. I die Seriennummer 240. Dieses war schon mit den beiden Neuerungen ausgestattet.
Das Mikroskop von WülfingErnst Anton Wülfing (1860-1930) promovierte 1884 bei Harry Rosenbusch in Heidelberg. Nach einer Assistentenzeit in Berlin und Studienarbeiten in Greifswald und Wien kehrte er 1888 als Assistent dorthin zurück. 1891 habilitierte er in Tübingen und wurde in der Folge als ordentlicher Professor nach Hohenheim (1899), Danzig (1904) und Kiel (1907) berufen. 1908 übernahm er schließlich als direkter Nachfolger von Rosenbusch den Lehrstuhl für Mineralogie und Petrographie in Heidelberg, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1926 wirkte.
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Ernst Anton Wülfing (1860-1930)
Sein beruflicher Werdegang war sicher stark durch Rosenbuschs Einfluss geprägt. So wurde auch er ein Pionier der Mikroskopie in der Mineralogie und berühmt für seine optischen Messungen. Sein wohl bekanntestes Werk ist die Weiterführung der Rosenbuschschen Monographie
Mikroskopische Physiographie der Mineralien und Gesteine ab 1904, und vor allem die völlig überarbeitete 5. Auflage von 1921/24, die als
DER Rosenbusch-Wülfing noch immer ein unschätzbares Nachschlagewerk ist. Vor allem der apparative Teil wurde von Wülfing völlig neu gestaltet und ist eine Fundgrube für jeden Mikroskopiker.
Das hier vorgestellte Mikroskop ist das älteste mir bekannte Zeugnis Wülfingscher Konstruktionen. Das nach seinen Vorstellungen modifizierte Stativ Nr. I mit der Seriennummer 259 wurde 1887 gefertigt und nach Wien ausgeliefert, wo Wülfing das Wintersemester zu Studienzwecken verbrachte. Dass das Stativ erhalten ist, und dazu noch in einem außerordentlich guten Zustand, ist glücklichen Umständen zu verdanken. Der Messinglack zeigt altersbedingte typische Flecken, aber ansonsten gibt es praktisch keine Gebrauchsspuren, da das Instrument wohl immer als Ausstellungsstück diente.
Zu dem Mikroskop ist die Original-Rechnung vom 26. November 1887 erhalten - ein ganz phantastischer Glücksfall. Offensichtlich wurde es von Wülfing samt der Original-Rechnung zur Fa. Fuess zurückgeschickt, wo es im Archiv oder in einer Vitrine bis zur Auflösung der Firma im Jahr 1976 verblieb. Dann kam es zusammen mit anderen Exponaten aus der gleichen Quelle in Privatbesitz und konnte nun erworben werden. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass auch der
hier (http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=29762.0) beschriebene Koloss von Steglitz aus der gleichen Quelle stammt.
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Originalrechnung zum Mikroskop adressiert an Herrn Dr. Wülfing – Wien
Die augenfälligste Besonderheit des Wülfingschen Stativs ist der komplexe Kondensor. Sinn der sehr aufwendigen Konstruktion ist die Möglichkeit des schnellen Wechsels zwischen niedriger und hoher Beleuchtungsapertur. Dazu sind zwei verschiedene Tuben auf einem Wechselschieber montiert, der in einer Schwalbenschwanzführung gleitet. Die beiden Endstellungen sind durch einstellbare Anschlagschrauben genau definiert. Durch einen ausgeklügelten Hebelmechanismus kann bei dem jeweils in Arbeitsstellung befindlichen Tubus ein Innentubus in der Höhe eingestellt werden. Einer der Tuben beinhaltet einen vergleichsweise kleinen (und damit relativ billgen) Polarisator und eine Kondensorlinse mit langer Brennweite für Beleuchtung mit niedriger Apertur. Im zweiten Tubus befindet sich ein sehr großes und damit sehr teures Polarisationsprisma, das praktisch den gesamten Querschnitt des Rohrs ausfüllt, sowie am oberen Ende ein mehrlinsiges optisches System für hohe Aperturen.
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Der Wülfingsche Wechselkondensor mit zwei getrennten Tuben für niedrige und hohe Apertur. Im linken Rohr ist der groß dimensionierte Prismenpolarisator zu erkennen
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Funktion des Wechselkondensors (animierte gif-Datei im Anhang)
Dieser Kondensor ist der einzige seiner Art, den ich jemals gesehen habe. Bisher war mir nur die schematische Skizze aus dem Rosenbusch-Wülfing bekannt. Vermutlich war die Herstellung dieses Teils so aufwendig und teuer, dass Fuess es nicht in seine Produktpalette aufnahm. Dazu kam, dass der neu konzipierte normale Kondensor mit der einschwenkbaren Kondensorlinse im Objekttisch wesentlich einfacher zu handhaben war und gleichfalls einen schnellen Wechsel der Beleuchtungsapertur zuließ.
In einer brieflichen Mitteilung im Neuen Jahrbuch für Mineralogie im Jahre 1889 beschreibt Wülfing diese Einrichtung im Detail und erwähnt, dass der Heidelberger Institutsmechaniker Zimmermann die reine Mechanik incl. der Anpassung an ein vorhandenes Mikroskop für 60 Mark anbietet. Dazu kommt noch die sehr teure Polarisationsoptik, sodass auch von diesem Angebot sicher kaum Gebrauch gemacht wurde. Daher ist dieser Spezialkondensor sicher äußerst selten.
Als besonderes Schmankerl ist die eine Linse dieses Kondensors noch mit E.A. Wülfing signiert:
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Wülfings Signatur auf der Kondensorlinse des Tubus für niedrige Beleuchtungsapertur
Zwei weitere konstruktive Details an diesem Gerät gehen wohl auf Wülfings Anregungen zurück:
- eine Stütze am hinteren Ende des Hufeisen-Fußes;
- eine Messskala mit Nonius zur Ablesung der Höhenverstellung des Tubus.
Im Gegensatz zu seiner aufwendigen Kondensor-Konstruktion, die Wülfing selbst auch später nicht mehr weiterverfolgte, findet man diese Details auch an späteren Wülfingschen Geräten wieder.
Die höhenverstellbare Stütze trägt das Stativ in horizontaler Lage und gewährleistet eine reproduzierbare Lage. Eine horizontale Lage des Mikroskops bietet für manche Untersuchungen Vorteile, z.B. bei Verwendung von Spektrallampen für monochromatische Beleuchtung, deren Licht man dann direkt ohne Einspiegelung verwenden kann.
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Das Stativ in horizontaler Lage, gehalten durch die höhenverstellbare Stütze
Mit Hilfe der Messskala kann der Hub des Tubus auf 1/10 mm genau ermittelt werden. Die Messung selbst erfasst nur die Bewegung des Tubus mit dem Grobtrieb. Der Zweck dieser Messung ist mir nicht erklärlich, denn für präzise Messungen der Dicke oder die Bestimmung von Brechungsindizes nach der Methode des Duc de Chaulnes ist dies bei weitem nicht genau genug. An seinen späteren Mikroskop-Konstruktionen hat Wülfing dies anders gelöst – dort ist der gesamte Hub als Summe von Grob- und Feintrieb über eine Skala ablesbar (siehe z.B.
hier (https://www.musoptin.com/item/mineralogisches-mikroskop-nach-wuelfing-winkel-zeiss-28345-1925/)).
Der Feintrieb wirkt auf den gesamten Tubusträger, durch die Teilung in 100 Striche mit einem Nonius von 5 Strichen und einer Steigung des Gewindes von 0,5 mm ist eine Höhenverstellung um 1 µm ablesbar.
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Triebe des Mikroskops und Messskala nach Wülfing für den Hub des Tubus (oben im Bild). Der Feintrieb ist gleichfalls über einen Nonius auf 1/500 Umdrehung ablesbar, was bei der Gewindesteigung von 0,5 mm einem μm entspricht
Auf der Rechnung ist die ,,langsame Kreisdrehung" des Objekttischs noch als Sonderzubehör aufgeführt – später wurde sie Grundausstattung. Da die Apertur bei diesem Instrument durch den Wechselkondensor geregelt wird, ist hier noch die erste Version des Kreuztischs ohne einschwenkbare Kondensorlinse verbaut.
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Mikroskoptisch mit der ,,langsamen Kreisdrehung" durch ein einschwenkbares Ritzel, das auf die Rändelung des Tischs wirkt
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Selbst die Unterseite des Kreuztischs ist mit einer attraktiven Zierschabung versehen. Beachtenswert ist die hervorragende Erhaltung gänzlich ohne Gebrauchsspuren
Fazit: Bei diesem Instrument handelt es sich um ein historisch besonders interessantes frühes Polarisationsmikroskop. Es ist Zeugnis der Innovations-Kraft und –Freude von Rudolf Fuess und seine Bereitschaft die konstruktiven Vorschläge der Wissenschaftler umzusetzen.