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Foren => Mikrofoto-Forum => Thema gestartet von: Bernd Miggel in November 13, 2020, 06:12:09 VORMITTAG

Titel: Interessante Pilzfunde 10 - Unverschämter Ritterling
Beitrag von: Bernd Miggel in November 13, 2020, 06:12:09 VORMITTAG
Hallo,

Mitte Oktober fand ein Pilzfreund auf seinem täglichen Rundgang durch Schiltach auf einem alten Bahndamm unter Birke und Salweide eine größere Gruppe eines mittelgroßen Ritterlings mit weißem, mittig hellbräunlichem Hut und unangenehmem Geruch. Es handelte sich um den Unverschämten Ritterling Tricholoma lascivum (Fr.) Gillet.

Im Folgenden eine Kurzbeschreibung des Fundes:

Makroskopische Merkmale (Bilder 1-2)

Hut – Die meisten Exemplare bis 60 mm Durchmesser, allerdings größtes Exemplar 130 mm Durchmesser, weißlich, Scheibe hellbräunlich, nach 24 Std gesamte Oberfläche hell ockerbräunlich, trocken, matt, auf Druck nicht verfärbend. Huthaut nicht abziehbar. Hutrand glatt.
Lamellen – weißlich, dünn, gedrängt bis entfernt stehend, selten gegabelt, stark untermischt, auf Druck nicht verfärbend, Schneide grob schartig.
Stiel – schlank, gleichdick oder etwas keulig, bei größtem Exemplar 80 x 16 mm, weißlich, etwas nachbräunend, längsfaserig, bei größtem Exemplar außen hellbräunlich und enghohl.
Myzel – weiß.
Fleisch – weiß, fest, auf Druck oder mit KOH 20 % nicht verfärbend.
Geruch – komplex, frisch ähnlich leuchtgasartig wie Tricholoma sulphureum plus obstige Komponente, nach 24 Std nur noch schwach wie T. sulphureum.
Geschmack – nach Mehl und verzögert schärflich.
Sporenpulver – weiß.

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/287445_19575591.jpg)
Bild 1 - Tricholoma lascivum am Standort unter Birke und Salweide


(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/287445_41962596.jpg)
Bild 2 - Fruchtkörper im Schnitt



Mikroskopische Merkmale (Bilder 3-5)
Basidien (Bild 3) – zylindrisch bis schmal keulenförmig, z.B. 32 x 6,3 µm groß:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/287445_42119052.jpg)
Bild 3 - Hymenium mit Basidien


Sporen (Buld 4) – relativ klein, ellipsoid bis mandelförmig, hyalin, glatt, dünnwandig, mit mittigem Tropfen.
Als Maße gebe ich hier von einer 37 Sporen umfassenden Probe die 95-prozentige Schätzung der Durchschnittswerte an (L = Länge, B = Breite, Q = Schlankheitsgrad = L/B, V = Volumen = 0,523 x L x B2):
L x B = 6,1-6,4 x 3,8-4,0 µm         Q = 1,57-1,65         V = 48-52 µm3

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/287445_43527150.jpg)
Bild 4 - Sporen in Wasser, mandelförmig mit Tropfen


Bild 5 zeigt die statistischen Zusammenhänge der Sporenmaße. Die blauen Kurven stellen die Verteilungsdichte unserer Sporenprobe in geglätteter Form dar (Länge L, Breite D, Schlankheitsgrad Q = L/D, Volumen):

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/287445_56200037.jpg)
Bild 5 - Statistische Verteilungsdichte der Sporenmaße



Die Huthaut (Bild 6) bildet eine Schicht unverschleimter, liegender Hyphen (Kutis), letztere bestehend aus Abschnitten von z.B. 60 x 8 µm:

(https://www.mikroskopie-forum.de/pictures010/287445_36038289.jpg)
Bild 6 - Huthaut in SDS-Kongorot, eine Kutis bildend


Eckdaten
Fund – zahlreiche Fruchtkörper verschiedener Altersstufen im Umkreis von zehn Metern
Funddatum – 20.10.2020
Fundort – Baden-Württemberg, Gemeinde Schiltach, auf Böschung am Straßenrand (alter Bahndamm)
Koordinaten – 32U 451079 5348319, MTB 7716/11, 320 Mtr.
Standort – hell, trocken
Begleitbäume – Salix caprea, Betula pendula
Begleitpilzarten – Tricholoma stiparophyllum, Clitopilus prunulus
leg.: Otto Schäfer, det.: Otto Schäfer & Bernd Miggel
Beleg-Nr. – div20005, Schiltach

Systematik
CHRISTENSEN, M. et al. (2013) platziert die Art in die Sektion Lasciva Bon

Verwechslungsmöglichkeiten
Tricholoma inamoenum (Fr.) Gillet hat zwar ähnliches Aussehen und ähnlichen Geruch, wächst jedoch unter Nadelbäumen und besitzt deutlich größere Sporen.

Material und Methoden, Arbeitsgerät
Hymenium (Bild 3) – Quetschpräparat in SDS-Kongorot.
Sporen (Bild 4) – in Wasser
Huthautschnitt (Bild 5) – Schlittenmikrotom, Schnitt 30 µm dick, gefärbt mit SDS-Kongorot
Fotos der Fruchtkörper (Bilder 1-2) – Digicam Panasonic Lumix DMC-TZ10
Mikrofotos (Bilder 3-5) – Digicam Canon EOS 600D auf Mikroskop Olympus BHS
Textformat – Times New Roman, Titel 12, Text 10

Notizen
Beachtenswert sind zum einen die Mandelform der Sporen und zum anderen der komplexe Geruch nach Schwefelritterling plus einer obstigen Komponente.

Literatur
CHRISTENSEN, M., HEILMANN-CLAUSEN, J. (2013): The genus Tricholoma. Fungi of Northern Europe - Vol. 4.
GRÖGER, F. (2006): Bestimmungsschlüssel für Blätterpilze und Röhrlinge in Europa, Teil 1. Regensburger Mykologische Schriften 13: 444-467.
GALLI, R. (2003): I Tricolomi. Como
KIBBY, G. (2017): The genus Tricholoma in Britain. Geoffrey Kibby.
KIBBY, G. (2020): Mushrooms and Toadstools of Britain & Europe Vol. 2, Agarics - part 1. Geoffrey Kibby.
https://fundkorb.de/pilze/tricholoma-lascivum-unversch%C3%A4mter-ritterling-1


Herzliche Grüße
Bernd


Alle Fundberichte in der Übersicht: https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=42360.msg312080#msg312080
Titel: Re: Interessante Pilzfunde - Unverschämter Ritterling
Beitrag von: jcs in November 13, 2020, 18:46:51 NACHMITTAGS
Hallo Bernd,

wieder sehr interessante Bilder und Infos, wie immer sehr gründlich aufbereitet!

Wie fixierst Du die weichen Teile für den Schnitt im Schlittenmikrotom? Ich stelle mir das nicht ganz einfach vor.

Noch eine Frage: Was hat der Ritterling angestellt, damit er "unverschämt" genannt wird?

LG

Jürgen
Titel: Re: Interessante Pilzfunde - Unverschämter Ritterling
Beitrag von: Bernd Miggel in November 13, 2020, 19:08:06 NACHMITTAGS
Hallo Jürgen,

er riecht halt "unverschämt", wobei nicht "unverschämt gut" gemeint ist.

Das mit den Mikrotomschnitten ist eine bekannte Sache. Folgende Reihenfolge sollte man einhalten:
1) Pilzfragment (= Huthautstreifen) in zehnprozenzige wässrige Lösung von PEG-1500 oder PEG-4000 über Nacht einlegen.
2) Am nächsten Tag den vollgesogenen Streifen in eine Petrischale oder ein Uhrenglas überführen und austrocknen/aushärten lassen.
3) Sobald der Streifen hart ist, kann man ihn z.B. zwischen zwei Styrodur-Klötzchen in die Präparat-Aufnahme des Mikrotoms spannen und schneiden.
Alternative zu 3) Man kann reines PEG erhitzen und eine kleinen PEG-Kerze gießen. Kurz bevor die Kerze abgekühlt und fest ist, steckt man den harten Streifen wie einen Docht mittig hinein und kann nach Abkühlen das Ganze schneiden. Als ob man eine 10 mm dicke Kerze mit Docht schneiden würde.

Mir dauert das alles allerdings viel zu lange. Deshalb übe ich mich zur Zeit in manuellem Schneiden von Frischmaterial.

Viele Grüße
Bernd
Titel: Re: Interessante Pilzfunde - Unverschämter Ritterling
Beitrag von: jcs in November 14, 2020, 09:24:13 VORMITTAG
Hallo Bernd,

danke für die Info, muss ich dann auch einmal ausprobieren. Das PEG habe ich kürzlich erhalten, hoffentlich finden sich irgendwo noch Pilze zum Testen.

Jürgen