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Foren => Mikroskopie-Forum => Thema gestartet von: bocca in Dezember 29, 2009, 15:55:59 NACHMITTAGS

Titel: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: bocca in Dezember 29, 2009, 15:55:59 NACHMITTAGS
Hallo,

wir wollen uns so langsam aufs neue Mikroskopierjahr vorbereiten. Wir haben uns vor allem das Leben im Wassertropfen vorgenommen.
Unsere derzeitige Methode ist, daß wir die gefangenen Wasserflöhe und Ruderfußkrebse nach der Beobachtung wieder zum Tümpel zurückgebracht haben und so soll es auch bleiben.

Leider sind die Tierchen so schnell, daß eine genaue Beobachtung nicht möglich ist.

In Streble / Krauter "Das Leben im Wassertropfen" konnten wir finden, das MS 222 (Tricain / 3-Aminobenzoic-acid-ethyl-ester) als Betäubungsmittel eingesetzt werden kann und von den Tieren gut vertragen wird.
Sobald die Tiere in frisches Wasser gesetzt werden sollen diese wieder frisch und munter sein.

Gibt es jemanden, der Erfahrung mit MS 222 hat ? und kann jemand auch eine Bezugsquelle nennen ?

Viele Grüße und Guten Rutsch,
Kay.
Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: Michael W. in Dezember 29, 2009, 17:35:28 NACHMITTAGS
Hallo,

ich habe leider keine Erfahrungen mit Tricain und kann es auch nicht beziehen. Aber du hast mich mit dem Medikament neugierig gemacht und so habe ich ein wenig recherchiert. Folgende Fakten sind dabei hängen geblieben:

- gilt als sehr gutes Fischbetäubungsmittel und kann überdosiert auch zur schonenden Tötung eingesetzt werden
- ist leider nicht leicht zu bekommen und aufgrund zu großer Gebindegrößen teuer
- bei licht- und wärmeschützter Lagerung als Pulver max. 5 Jahre und in Lösung min. 1 Monat stabil. Danach lässt die Wirksamkeit nach. Daher müsste man die Lösung immer wieder frisch ansetzten, was schon ein deutlicher Nachteil wäre.

Auch ich wäre an weiteren Infos interessiert. Zwar brauche ich es aktuell nicht, aber vielleicht irgendwann eben doch. Als Bezugsquelle habe ich z.B. Sigma-Aldrich ausgemacht.
Wer weitere Details über MS-222 und andere (Fisch)Betäungsmittel sucht, findet in folgender Dissertation weiterführende Hinweise: http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=984612580&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=984612580.pdf


Viele Grüße
Michael
Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: Detlef Kramer in Dezember 29, 2009, 18:03:04 NACHMITTAGS
Hallo,

MS 222 ist für Privatpersonen nicht erhältlich. Das heißt natürlich nicht, dass man es nicht doch irgendwie bekommen kann. Aber halt nicht legal.

Vielleicht kann Mila dazu noch etwas äußern.

Herzliche Grüße

Detlef
Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: isoplexis in Dezember 29, 2009, 19:12:00 NACHMITTAGS
Wenn das MS 222 nicht dem BtmG unterliegt (und nicht krebserregend ist) kann man es durchaus privat erwerben, das Arzneimittelgesetz greift nur bei Verwendung als solches, wenn man es als Chemikalie bezieht, ist es eigentlich egal ob der Stoff verschreibungspflichtig ist oder nicht. So kann man übrigens auch viele Antibiothika und andere nette Sachen beziehen die man so für das Hobby braucht (Vorrausgesetzt man findet einen Händler der mitmacht und zur Abgabe befähigt ist). Lidocain z. B. im 100 g Gebinde, Chlorahydrat usw.

Wie gesagt, Vorraussetzung es steht nicht im BtmG und ist nicht krebserregend!

Aber aufgrund der derzeitigen Lage und Anspannung wird man nur mit viel Glück jemanden finden der einem andere Sachen alsharmlose Grundstoffe verkauft.

Ansonsten ist die 3-Aminobenzoesäure ist als Chemikalie für Privatpersonen auf jeden Fall erhältlich, . Leute mit einem kleinen Labor im Keller können sich Das MS 222 dann selber machen, die Aminogruppe wird man schützen müssen, sowas machen Leute im OC Anfängerpraktikum und ist nicht besonders schwer.
Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: Dieter Stoffels in Dezember 29, 2009, 19:22:18 NACHMITTAGS
Hallo Kay,

ich habe lange Jahre mit MS 222 gearbeitet. Wie Herr Kramer schon beschrieben hat, ist es für Privatpersonen, aber auch für Gewerbetreibende, aufgrund des Gewässergefährdungspotentiales, nicht mehr zugänglich. Von einem Kauf aus alten Beständen rate ich Dir ab, da sich MS 222 zersetzt, wenn es nicht durchgehend kühl gelagert wird. Des Weiteren ist MS 222 sehr teurer, was schon früher viele vom Kauf abgeschreckt hat.

Aus diesem Grunde möchte ich Dir eine Alternative vorstellen. Ich habe mir eine Kohlendioxidflasche mit Druckminderer und Feinventil besorgt. Über eine spitze Lanze mit Düse leite ich ca. 30 Sekunden (muss ausprobiert werden) unter schwachem Volumenstrom Kohlendioxid in meine Probelösung ein. Wassertiere aller Art (Krebse, Nematoden, usw.) werden hierbei narkotisiert und lassen sich nach Ruhigstellung auf taxonomische Besonderheiten untersuchten. Als kurzfristige Lösung und kostengünstigere Möglichkeit kann auch kohlensäurehaltiges Mineralwasser verwendet werden.

Viele Grüße!

Dieter
Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: Günther Langer in Dezember 29, 2009, 23:15:42 NACHMITTAGS
Hallo,

mit Alka-Seltzer geht es auch - wirklich! (The last drink... ;)

Viele Grüße

Günther
Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: Dieter Stoffels in Dezember 29, 2009, 23:58:54 NACHMITTAGS
Hallo Kay, hallo Günther,

der Gebrauch von kohlensäurehaltigen Ersatzmitteln sollte auf Mineralwasser beschränkt bleiben. Die bessere Lösung ist stets in das wässrige Medium des Probenfundortes Kohlendioxid einzuleiten. So bleiben die osmotischen Verhältnisse (mit Ausnahme des pH-Wertes) gewahrt, so dass sich die Organismen nicht artifiziell verändern. Auch ist darauf zu achten, dass das Medium nicht turbulent verwirbelt wird, da sich z.B. Rotatorien bei starken Turbulenzen zusammenziehen. Es reicht, wenn das Kohlendioxid in die oberflächennahe Wasserschicht einperlt.

Viel Erfolg!

Dieter
Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: Günther Langer in Dezember 30, 2009, 00:17:52 VORMITTAG
Hallo Dieter,

ok, das sehe ich ein! Um z.B, Insekten, Spinnen etc. lahm zu legen, kann man diese Fahrradreparatur CO2 Kapseln + Schraubventil (nicht mit Hebel!) sehr gut einsetzen. Ev. ginge das mit Wasser und dem nötigen Feingefühl auch.

Viele Grüße

Günther
Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: Klaus Henkel in Dezember 30, 2009, 00:59:34 VORMITTAG
Zitat von: isoplexis in Dezember 29, 2009, 19:12:00 NACHMITTAGS
Wenn das MS 222 nicht dem BtmG unterliegt (und nicht krebserregend ist) kann man es durchaus privat erwerben, das Arzneimittelgesetz greift nur bei Verwendung als solches, wenn man es als Chemikalie bezieht, ist es eigentlich egal ob der Stoff verschreibungspflichtig ist oder nicht. So kann man übrigens auch viele Antibiothika und andere nette Sachen beziehen die man so für das Hobby braucht (Vorrausgesetzt man findet einen Händler der mitmacht und zur Abgabe befähigt ist). Lidocain z. B. im 100 g Gebinde, Chlorahydrat usw.

Wie gesagt, Vorraussetzung es steht nicht im BtmG und ist nicht krebserregend!

Aber aufgrund der derzeitigen Lage und Anspannung wird man nur mit viel Glück jemanden finden der einem andere Sachen alsharmlose Grundstoffe verkauft.

Ansonsten ist die 3-Aminobenzoesäure ist als Chemikalie für Privatpersonen auf jeden Fall erhältlich, . Leute mit einem kleinen Labor im Keller können sich Das MS 222 dann selber machen, die Aminogruppe wird man schützen müssen, sowas machen Leute im OC Anfängerpraktikum und ist nicht besonders schwer.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Arzneimittelvorschriften haben mit MS 222 nichts zu tun. Das Inverkehrbringen (Anbieten, Verkaufen, Liefern) von MS 222 ist in Deutschland verboten, ebenso das Importieren. Es gilt nach den Gesetzen als Fischbetäubungsmittel, die in D grundsätzlich nicht zugelassen sind, ebenso in anderen EU-Ländern, ausgenommen GB.

(Fische dürfen nur vor der Tötung zwecks Herstellen von Lebensmitteln betäubt werden. Falls sich in den letzten 5 Jahren daran etwas geändert haben sollte, bitte ich um Korrektur.)

MfG KH
Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: isoplexis in Dezember 30, 2009, 01:17:19 VORMITTAG
ZitatEs gilt nach den Gesetzen als Fischbetäubungsmittel, die in D grundsätzlich nicht zugelassen sind, ebenso in anderen EU-Ländern, ausgenommen GB.

Ja aber -  korrigieren Sie mich wenn ich falsch liege - ist es bei diesen ganzen Regelungen denn nicht so, dass nicht ein Stoff der Knackpunkt ist, sondern der Verwendungszweck?

Ich bin kein Fachanwalt, aber bisher haben es meine Lieferanten immer so gehandhabt. So wurden mir eben auch meine Antibiothika und andere Sachen (Paraquat) verkauft, unter der Auflage ich dürfe sie nur für R & D verwenden und für nichts anderes und dann wäre es legal. Rechtliche Grauzone? Ich weiss es nicht....

On Topic: In einigen Foren wird zum Fischbetäuben statt diesem Stoff Nelkenöl verwendet, ich kann mich auch daran erinnern, das Eugenol und Eugenolacetat (beides Hauptkomponenten von GEWÜRZnelkenöl) eine ziemlich betäubende Wirkung auf den Mund hat.
Vielleicht einen Versuch wert?

Fast jeder Supermarkt hat übrigens Trockeneis, wird meist weggeworfen, daher einfach mal fragen. In diesen alten Sahnekapseln ist auch noch CO2 enthalten (nicht die mit Lachgas nehmen), falls es die heute noch gibt und die nicht schon aus der Mode sind, kosten 5 Stück ein Paar Euro im gut sortierten Supermarkt.
Ansonsten wie schon genannt Fahrradschlauchreparatursets.
Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: bocca in Dezember 30, 2009, 08:00:45 VORMITTAG
Hallo alle zusammen,

Vielen Dank für Eure ausführlichen Kommentare und Eure Anregungen.

Die CO_2 Methode mit Mineralwasser werde ich ausprobieren.

Guten Rutsch und Alles Gute im neuen Jahr,
Kay.
Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: wklotz in Dezember 30, 2009, 09:06:05 VORMITTAG
Hallo Kay, hallo Forum!

Als bisher stiller Mitleser möchte ich mich auf deine Frage doch einmal zu Wort melden, da ich vor längerem vor einer sehr ähnlichen Fragestellung gestanden bin. Für meine Untersuchungen an Süßwassergarnelen (Fam. Atyidae) suchte ich nach einem geeigneten Narkotikum um einfache mikroskopische Untersuchungen wie eine Geschlechtsbestimmung o.Ä. auch an lebenden Tieren durchführen zu können. MS-222 erwies sich aber bei mir als praktisch völlig unwirksam. Ob es hier Unterschiede zwischen den Verschiedenen Krebstieren gibt kann ich nicht beantworten, aber die von Dieter schon aufgezeigte Methode der Betäubung mit CO2, wobei bei mir die einfache Version des Einsatzes von ca. 10% eines kohlensäurehaltigen Tafelwassers als Zusatz zum Wasser in dem die Tiere schwimmen zum Einsatz kommt, ist als Narkotikum für diese Tiergruppe hervorragend geeignet.
Wissenschaftlich hat man sich diesem Thema schon vor längerem gewidmet. In der Arbeit: Gannon, J.E., Gannon, S.A. (1975) Observations on the narcotization of crustacean zooplankton. Crustaceana 28 (2): 220-224 geht es darum eine optimale Methode für die schonende Betäubung von Krebstieren wie Daphnien und Cyclops zu finden. Einen (qualitativ leider nicht sehr hochwertigen) Scan dieser interessanten Arbeit habe ich hier auf der Festplatte, ich kann ihn Interessierten gerne per email zukommen lassen.

Grüße aus Tirol
Werner

Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: Dieter Stoffels in Dezember 30, 2009, 10:37:19 VORMITTAG
Liebe Mikroskopiker,

da auch die Seewasseraquaristiker  dem Wasser Kohlendioxid zusetzten, besteht auch hier die Möglichkeit in entsprechenden Zoogeschäften eine regelbare Gasflasche mit geringem Volumen (1-5 L) zu erhalten. Wichtig ist ein Feinventil, dass es ermöglicht, den Volumenstrom minimal zu begrenzen. Ich selbst habe meine Flasche aus einem ortansässigem Betrieb für Industriegase erhalten. Meine Flaschengröße von 50 L ist aber sicher für den Hobbybereich völlig überdimensioniert.

Viele Grüße!

Dieter
Titel: Re: Erfahrung mit MS 222 (Tricain) bei Ruderfußkrebsen
Beitrag von: Eckhard in Dezember 30, 2009, 10:48:58 VORMITTAG
Hallo Dieter,

ZitatMeine Flaschengröße von 50 L ist aber sicher für den Hobbybereich völlig überdimensioniert.

;D ;D ;D

damit dürftest Du selbst beim täglichen Gebrauch ca. 300 Jahre hinkommen.

Herzliche Grüsse
Eckhard