Kamera am Mikroskop - wozu Okular + Kameraobjektiv im Strahlengang?

Begonnen von Gerrit Heinz, Juli 12, 2021, 23:27:15 NACHMITTAGS

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Gerrit Heinz

Hallo,

ich interessiere mich für die Mikrofotografie und möchte nun auch mit Mikroskopen fotografieren. Ich habe schon mit endlich-Mikroskop-Objektiven direkt am Balgengerät fotografiert und auch mit unendlich-Objektiven vor einem Tele-Objektiv als Tubus-Linse.

Ich habe noch kein richtiges Mikroskop, habe mich aber hier informiert und werde sicher eines anschaffen, wahrscheinlich wird es ein Zeiss Standard. Meine Frage ist nun wie die Adaption der Kamera (ich habe eine 50D, also APS-C-Format) am besten gelingt.

Ich lese hier eigentlich immer nur von Lösungen, wo zwischen Mikroskopobjektiv und Sensor noch ein (Brillen)Okular im Tritubus und zusätzlich ein Objektiv an der Kamera (z.b. ein Pancake) sein muss. Ist das so richtig, dass die Kamera durch ein mittelprächtiges Objektiv mit Bildfehlern durch ein Okular mit eigenen Bildfehlern das Bild vom Mikroskopobjektiv ablichtet?

Der Bildkreis von Mikroskop-Objektiven sollte bei den meisten Objektiven für APS-C ja passen. Ich habe einige Mikroskop-Objektive hier, da braucht es weder ein Okular im Strahlengang noch ein Objektiv+Okular um ein gutes Bild zu bekommen - jede weitere Optik würde nur weitere Abbildungsfehler hinzufügen.

Gibt es keine Möglichkeit, das Bild des Mikroskop-Objektivs (wenn es ein endlich-Objektiv und entsprechend korrigiert ist) direkt auf den Sensor zu projezieren , also ohne diverse Zwischen-Optiken die die Bildqualität irgendwie beeinflussen? Oder habe ich da was grundsätzlich nicht verstanden?

Vielen Dank für weitere Infos!


Gruß,
Gerrit Heinz
Makro-, Mikro- und Langzeitfotografie
http://www.nachtbilder.de

Lomo Biolam und Seben Stereomikroskop

Aurum

#1
Das Okular kompensiert einen Teil der Aberrationen von Mikroskopie-Objektiven, in nicht-unendlichen Systemen.

https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=23595.0

Ich habe versucht, eine Kamera anstelle eines Okulars zu montieren. Das Bild des Objektivs gelangt direkt auf den Sensor, ohne Zwischenlinsen. Das Ergebnis ist nicht das Beste.

LG Franz
Ich verwende den Übersetzer!

reblaus

Hallo Gerrit Heinz -

Du hast alles völlig korrekt verstanden!

   Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich während meiner aktiven Mikrozeit im letzten Jahrtausend ebenfalls noch nicht wusste, dass man dem Endlichobjektiv noch durch ein passendes Kompensationsokular nachhelfen muss und habe mich auf meine optischen Basiskenntnisse verlassen.
   Deshalb habe ich auf das kostbare Instituts-Zeiss-Phomi II einen selbstgebastelten Adapter für eine Olympus OM2 montiert, deren Belichtungsautomatik unser Forscherleben  (im Vergleich zu der zu Tode konstruierten Zeiss-Automatik) beträchtlich erleichterte und wertvolle Erkenntnisse bescherte.
   Als bastelnder Mikroskopsammler (immer noch Zeiss W) gehöre ich im Pensionsalter natürlich auch zu den Pixelpipern, die es stört, wenn in der Ecke des Fotos nichtkompensierte Regenbogenfarben auftauchen - obwohl diese ergebnisorientierte Mikroskopiker nur selten interessieren würde, weil das Objekt ihrer Begierde meist im Zentrum des Gesichtsfeld liegt - Pathologen seien hier mal ausgenommen.
   Wäge also ab, was du eigentlich betrachten möchtest und ob dir der Rand wichtig ist und der Bildausschnitt optimal sein soll. Wenn ja, kommst du um die lästige Kombination Objektiv/Kompensationsokular/Relaisoptik leider nicht herum!

Viele Grüße

Rolf

kmueho

Hallo Gerrit-Heinz,

Zitatdas Bild des Mikroskop-Objektivs (wenn es ein endlich-Objektiv und entsprechend korrigiert ist) direkt auf den Sensor zu projezieren

Das ist der kritische Punkt. Denn auf Endlich-Systemen gibt es das in dieser Form nicht. Wenn man einmal von Prismen zur reinen Strahlenablenkung (ohne Korrekturfunktion) im Okulartubus absieht, besteht ein Endlich-System (oberhalb des betrachteten Objekts) nur aus dem Objektiv und dem Okular. Bei Binokularen sind es zwar zwei Okulare, aber das ändert nichts am Prinzip.

Wenn du das Okular weglässt und das Objektivbild direkt auf den Kamerasensor projizierst, fehlt die Korrektur des Okulars. Daher bei Endlich-Systemen zumeist die Fotografie durch ein Kamera-Okular (gerne "Brillen"okulare) und ein passendes Objektiv (Typ "Pancake") für die Kamera. Das Bild ist - trotz erheblich mehr Glas im Strahlengang - besser. Um das Optimum rauszuholen, brauchst du ein korrigierendes "Projektiv", also eine Optik die Abbildungsfehler entsprechend des Okulars ausgleicht und dafür sorgt, dass der Kamerasensor in parfokaler Entfernung (mit den Okularen) in beabsichtigter Weise und direkt ausgeleuchtet wird. Dann kann das Kamera-Objektiv entfallen.

So einen "Ofenrohr"-Adapter, wie du ihn dir vorstellst, kann man sich nur bei Unendlich-Systemen leisten, denn dort ist (zumeist) die Korrekturfunktion in eine Tubuslinse ausgelagert worden, durch die auch der Kamera-Anschluss belichtet wird - das Projektiv quasi eingebaut.

Viele Grüße,
Kai



junio

Hallo Gerrit,
es gibt in der Foren-Kategorie ,,Mikroskopie-Forum"  den fest angehefteten Beitrag ,,Grundlagen der Mikrofotografie - Kameraadaptionen".
Hier findest Du einige Hinweise zu Deinen Fragen. Es ist beispielsweise rein mechanisch nicht immer einfach mit dem Kamerachip an das Zwischenbild zu kommen. Es ist auch, ohne sich Fehler einzuhandeln, nicht empfehlenswert mit einem Okular ein endliches Bild zu erzeugen. Ein Bild gibt es allerdings in beiden Fällen immer, wenn man den Arbeitabstand des Objektivs verändert und damit Fehler in Kauf nimmt oder evtl. bei starken Vergrößerungen das Deckglas berührt, wenn das Zwischenbild angehoben werden musste.
Beste Grüße von Jürgen

Aljoscha

Hallo Gerrit,

mit einem Mikroskop-Objektiv am Balgengerät fallen einige der Schwierigkeiten weg, die Du am Mikroskop hast. Der Bildausschnitt und der Fokus sind da so, wie sie eben sind. Am Mikroskop sollen dagegen beim Blick durch die Okulare Sehfeld und Fokus mit der Kamera übereinstimmen. Das ist ohne Okular und Kamera-Objektiv rein mechanisch nicht zu erreichen.

Wie schon geschrieben sind gerade die Objektive der guten Markenhersteller in der Regel so gerechnet, dass einige optische Fehler durch das Okular korrigiert werden. Ohne Okular bleibt die Bildqualität hinter dem Möglichen zurück.

Wenn Du einen einfachen Steckadapter (23,2 mm auf Canon EF) verwendest, bekommst Du zwar ein Bild aber es weist folgende Probleme auf:

1. Der Bildausschnitt ist winzig. Auf dem Sensor wird nur einen Bruchteil essen abgebildet, was Du durch die Okulare siehst.
2. Die Fokuslage ist völlig anders. Schon bei mittleren Objektiven wie dem 40er ist es nicht mehr möglich auf den Sensor scharf zu stellen.
3. Die Bildqualität ist nicht gerade rekordverdächtig.

Pancake-Objektive werden aus einem einfachen Grund empfohlen. Die Blende liegt hier direkt hinter der Frontlinse. Das erlaubt es abzublenden. Nimmt man stattdessen ein 50er Normalobjektiv, liegt die Blende so weit im Inneren des Objektivs, dass nicht oder nur wenig abgeblendet werden kann, die Blende beschneidet sonst das Bild.

Am besten fährst Du mit einer professionellen Adaption, die für dein Mikroskop konstruiert wurde. Es gibt hier im Forum freundliche Mitglieder, die dir helfen können.

Viele Grüße

Alexander

reblaus

Hallo -

Aljoscha hat ja bereits darauf hingewiesen, dass neben der Bildqualität der Bildausschnitt eine große Rolle spielt. Auch für einen APS-C-Sensor ist das Zwischenbild älterer Endlichmikroskope zu klein und muss wenigstens 1,5x vergrößert werden um Vignettierung zu vermeiden und die Auflösung ganz auszunutzen.
Dies geschieht durch die richtige Kombination der Brennweiten von Kompensationsokular und Kameraoptik.  An letztere werden keine hohen Ansprüche gestellt, Zeiss z.B. benutzt in seinen älteren Fotoeinrichtungen für KB-Format einfache kleine Achromaten (Zweilinser) von 63 bzw. 125 mm Brennweite und ein 10x Kompensationsokular (das edle S-KPL oder ein normales Brillenokular). Man kommt je nach Kombination auch bestens mit einem normalen Kpl-Okular ("Schlüsselloch") aus, das optisch den Brillenokularen nicht nachsteht aber nur einen Bruchteil davon kostet, z.B. 20 €.
Das Problem ist eher, dass eine komplette Adaption für das Mikroskop wegen der stabilen Mechanik mit Verstellmöglichkeiten relativ teuer ist, obwohl gar nicht so viel Optik drinstecken muss. Bastler können hier sehr viel sparen.

Viele Grüße

Rolf

Jürgen Boschert

Hallo zusammen,

aus all den oben genannten Gründen erfreuen sich Nikon CF-Objektive in Makroskopistenkreisen einer gewissen Beliebtheit: Sie liefern in der Nominaltubuslänge (m.W. sind das 160mm) ein vollständig auskorrigiertes Zwischenbild, brauchen keine zusätzliche Kompensation durch eine Tubuslinse oder ein Okular.

Möchte nur noch einmal darauf hinweisen dass auch bei Unendlich-Systemen die Tubuslinse meist Restfehler korrigiert, also unbedingt mit einbezogen werden muss. Einzige Ausnahme davon sind die CF250-Objektive von Zeiss Jena (DDR), die ebenfalls vollständig auskorrigiert sind.
Beste Grüße !

JB

mlippert


Bob

Hallo Gerrit,

eine Alternative mit weniger Glas im Strahlengang kann die Anwendung eines Projektivs sein. Es nimmt die restliche Farb- und Plankorrektur vor und projiziert ohne Kameraobjektiv auch den Kamerachip. Das Angebot ist aber recht dünn, vor allem für Sensorformate unterhalb Kleinbild. Da hat Rolf Vossen aber eine interessante Lösung geschaffen, selbst aus Okularteilen zusammengestellte Projektive, die auch nach meinen Untersuchungen sehr gut funktionieren: https://mikroskopiedernatur.de/mikrofotografie-mit-hybrid-okulare

Viele Grüße,

Bob

Gerrit Heinz

Hallo zusammen,

super vielen Dank für die zahlreichen ausführlichen Antworten! Das ist das wohl doch nicht so einfach wie ich mir das erhofft hatte. Ich schau mir die Möglichkeiten und Zusammenhänge mal an und melde mich dann nochmal.

Gruß,
Gerrit
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Lomo Biolam und Seben Stereomikroskop

Kurt Wirz

#11
Hallo Heinz

Die Zeiss Luminar Objektive mit RMS Gewinde können für Fotografie ohne Adapter, Zwischenlinse oder Okular direkt am Mikroskop montiert werden.
Für stärkere Vergrösserung wie etwa 10:1, sind die Nikon M-Plan Objektive geeignet.
Ebenfalls sind diese Objektive auch am Reprostand einfach zu montieren.
Bei unendlich Objektive, natürlich mit Tubuslinse, aber ohne Okular, sind die Mitutoyo M-Plan APO Objektive am Reprostand geeignet.
Seit über 10 Jahren verwende ich solche Setup's und bin mit der Bildqualität absolut zufrieden.

Kurt

Gerrit Heinz

Hallo,

danke Kurt für die Infos, jetzt fällt auch bei mir der Groschen! :) Klar, das nicht alle Objektive dazu geeignet sind, ein Bild direkt auf den Sensor zur projezieren! Mit dem Thema hab ich mich nämlich vor fast 10 Jahren mal intensiver auseinandergesetzt und jetzt erinnere mich dass es nur bestimme Objektive waren, die wirklich für direkte Projektion auf den Sensor geeignet sind.  Ich hatte mich damals auch auf photomacrography.net informiert und glaube ich diese verwendet:

Nikon BD Plan 20 0.4 210/0
Nikon CFI BE Plan Achromat 10x ∞
Nikon CFI BE Plan Achromat 40x ∞
Nikon CFI BE Plan Achromat 4/0.10, 160 ∞
CNPLAN 4/0.10 160/0.17
Edmund Optics Nikon 10x Achromat, 166mm, 0.25, RMS
https://www.edmundoptics.de/p/10x-nikon-achromatic-finite-conjugate-objective/16598/

Das Nikon BD Plan ist ein älteres Objektiv das ich über ebay ersteigert habe (musste sogar zum Zoll), die CFI BE Plan habe ich neu über Optics Planet gekauft (gibts da nicht mehr), das Edmund Optics Nikon 10x ist auch gut geeignet.

Von den Mitutoyo M-Plan APOs habe ich mir auch viele Bilder auf photomacrography.net angesehen, die optisch nahezu perfekt waren (auch an Vollformat) - auch ohne jegliche Zwischenoptik. Danke für euren Input!

Gruß,
Gerrit
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Lomo Biolam und Seben Stereomikroskop

kmueho

Zitatjetzt erinnere mich dass es nur bestimme Objektive waren, die wirklich für direkte Projektion auf den Sensor geeignet sind.

Hallo Gerrit,
das wirft Fragen auf. Da es sich sowohl um unendliche, als auch um endliche Objektive handelt, sind das unterschiedliche Fragen.

a) Unendliche
Üblicherweise haben Unendlichsysteme eine korrigierende Tubuslinse. Bei dazu passenden Objektiven sollte es doch so sein, dass die Tubuslinse die Abbildungsfehler der Objektive korrigiert. Und es sollte auch so sein, dass eine "ofenrohr.adaptierte" Kamera auch im Strahlengang hinter der Tubuslinse sitzt. Müssten daher nicht alle (passenden) Objektive für direkte Sensorprojektion geeignet sein? Bzw., was ist an den "geeigneten" Objektiven anders, als an den nicht geeigneten?

b) Endliche
Da diese Systeme Abbildungsfehler mit den Okularen korrigieren (es existiert keine Tubuslinse), fällt diese Korrektur bei direkter Sensorprojektion weg. D.h., ein dafür geeignetes Objektiv müsste alleine ein vollständig auskorrigiertes Bild liefern. Wenn es so etwas gibt, stellt sich die Frage, warum man das ganze "Theater" mit korrigierenden Okularen (bzw. Tubuslinsen bei Unendlichsystemen) überhaupt betreibt. Einfach fertig auskorrigierte Objektive nehmen und gut ist. Oder haben diese Objektive andere Nachteile, was begründet dass sie nicht ausschließlich eingesetzt werden?

c) für beide
Wenn direktprojektions-geeignete Objektive eingesetzt werden, wie sieht denn dann der Blick durchs Okular aus? Müssen da Abstriche gemacht werden?

Viele Grüße,
Kai





Jürgen Boschert

Hallo Kai,

zu Deinen Fragen:

a) Nein, nicht alle Unendlichsysteme sind für Direktprojektion geeignet. Es gibt welche, bei denen ei Teil der Korrektion weiter im Okular erfolgt; z.B. ist das beim Zeiss Primostar so. Man muss also immer genau die Datenblätter anschauen.

b) Es gibt vollauskorrigierte Endlichobjektive: die Nikon CF-Serie. Das war eine von Nikon eigeführte Novität und patentiert. Dass man das nicht von Anfang an gemacht hat, lag an den komplizierten Rechenalgorithmen, die man anfangs noch nicht gut beherrschte.

c) Bei auskorrigiertem Zwischenbild hat man keine Nachteile beim Blick durch die Okulare, allerdings dürfen das keine Kompensationsokulare sein.
Beste Grüße !

JB