Mikro-Popcorn ? Oder Micro-Cystis ? Oder Mikro-was ?

Begonnen von WinfriedK, September 24, 2013, 20:37:21 NACHMITTAGS

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WinfriedK

Mikroskopisch kleine Heimsuchung von Seen in Süddeutschland



Ganz groß unter die Lupe genommen



Auf jeden Fall eine Algenversammlung.



Bilder nicht bearbeitet aber in der Größe stark reduziert.



Ein von kundiger Hand aufgehübschtes Portrait:



Btw.: Warum muß ich jetzt gerade an die 50er-Jahre Wohnzimmertische denken ?

Lt. Kosmos Algenführer und Streble müßt es schon in der Gegend vom Microcystis und angrenzende Anwohner anzusiedeln sein.

Könnte aber mit der Bestimmung auch haargenau daneben getroffen haben. Bin ja kein Algologe.

Was sagt die Schwarmintelligenzia dazu ?

ruhop

Hallo, Winfried.

Nein, das ist keine Algenversammlung sondern eine Cyanophycee-Blüte. Tritt gerne in der wärmeren Jahreszeit in eutrophen Gewässern auf. Die Art ist Microcystis aeruginosa, soll mit der Art M. flos-aquae identisch sein.

Schönen Gruß aus dem Hintertaunus

Holger

Rene

If you look closely the cells are oval. In fact it is the only Woronochinia sp with aerotopes, W. naegeliana. Bog standard. Problematic in large quantities, toxic.

Best wishes, René

Alfons Renz

#3
Lieber Winfried,

Diese Cyanophyceen ('Blaualgen') sind derzeit massenhaft im Kirchentellinsfurter Baggersee zu beobachten. Von dort stammen ja auch die Proben her.

Ich stimme Rene zu: Es dürfte sich um die Gemeine Schwebekugel handeln (=> http://de.wikipedia.org/wiki/Gemeine_Schwebekugel). Microcystis kommt dort ebenfalls immer mal wieder vor, zeigt aber unregelmässigere Wuchsformen, manchmal aussehend wie Japanische Schriftzeichen. 'Micro'-Klaus hat vor einiger Zeit mal ein sehr schönes Bild dieser Microcystis hier im Forum als Rätsel präsentiert (=> Link??, siehe auch Monstis Photo: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=8444.msg71334#msg71334).

Herzliche Grüße,

Alfons

WinfriedK

Na sowas, da entpuppt sich dieser rätselhafte Fund als Allerweltsalge.

Danke an alle Enträtseler.

WinfriedK

Sooo eine kleine Mikroalge aber sooo viel Verwirrung drumherum.

Ich hab mich mal auf die Ssuche nach Informationen im Dschungel des Internet gemacht (gut daß es es gibt).

Hier mal ein Ergebnis bezüglich des Namens:

Phylum: Cyanobacteria
Genus: Woronichinia

Wir haben:

Woronichinia sp. (von denen es erkleckliche gibt)

Woronichinia naegeliana (wohl hier zum Bild passend)

Coelosphaerium naegeliana (nochn Name)

Synonyms : Coelosphaerium naegelianum UngerGomphosphaeria naegeliana (Unger) Lemmermann

Gemeine Schwebekugel (wenn man Deutsch versteht und passend ist der Name auch)

Die Schreibweise "Woronochinia" gibt es auch und trägt passenderweise zur Verwirrung bei.


Was sagt Google ?

Woronichinia: Fundstellen 180.000; Bilder: viel und passend

Woronochinia: Fundstellen 92; Bilder: wenig, passend (Google korrigiert automatisch Woronochinia zu Woronichinia)

Coelosphaerium naegeliana: Fundstellen 35.000; Bilder: sehr wenig, passend

Gemeine Schwebekugel: Fundstellen 366; Bilder: 1 !, passend

Im Streble vorhanden, im Kosmos Algenbuch nicht.

Alfons Renz

Lieber Winfried,

Das tägliche Brot der Taxonomen: Revisionen der systematischen Ordnung nach neuen Erkenntnissen, Erkennen von Synonymen, Beseitigung von Schreibfehlern. Und dabei sollte der Zweck nicht verfehlt werden, nämlich die eindeutige und für alle Wissenschaftler weltweit gültige Beschreibung der Vielfalt der Lebewesen. Der Sache ist nämlich wenig gedient, wenn Gattungsnamen zu häufig geändert werden, oder umgekehrt Prioritäten berücksichtigt werden müssen.

Man mag es bedauern oder nicht, aber mit dem Verlust der Kenntnis der 'humanistischen Sprachen', Latein und Griechisch, verblasst auch das Verständnis der im Grunde sehr aussagekräftig beschriebenen Artnamen:

Coelosphaerium: Die Hohlkugel (coelos, gr. hohl; sphaera, gr. Kugel); das beschreibt die Erscheinungsform ganz gut, wird aber in Zukunft für den Laien nicht viel aussagekräftiger sein wie das Wortungetüm Woronichinia, das  sich auf einen Eigenamen bezieht, ebenso wie naegeliana, das an einen Schweitzer Botaniker erinnern soll.

Zudem sagt uns die Erfahrung, dass sich hinter einer - unter dem Mikroskop - sichtbar 'ähnlichen' Erscheinungsform ganz unterschiedliche Rassen, oder 'Arten' verbergen können, ja müssen: Nur dort, wo ein Genaustausch einen "Genpool" garantiert und in diesem auch aktiv ausgetauscht wird, greift die Definition einer Art. Und da hat man schon seine liebe Not bei weltweit vorkommenden Bakterien, zu den ja bekanntlich die 'Blaualgen' zählen.

Das ist übrigens keine rein akademische, sondern eine ganz praktische Frage:

Da werden 'Blaualgen' in einem Badesee festgestellt - wenn sich die Zuständigen überhaupt die Mühe machen, durch ein Mikroskop zu blicken! - und folgerichtig der Badebetrieb untersagt: Weil eben 'Blaualgen giftig sind'. Den Nachweis der Giftigkeit (HPLC-Analyse auf Neuro- und Hepatotoxine, Allergene etc.) spart man sich, weil zu aufwendig, und die PCR-Analyse des Genoms zwecks Bestimmung der korrekten Identidät macht auch - meines Wissens! - kein Gesundheitsamt.

Deswegen wird z.B. bei Auftreten von Aphanizomenon flos aquae hierzulande ein Badesee geschlossen, während ein Pressling derselben "Alge" aus den USA (Oregon) unter dem Namen Afa-Alge als Naturheilmittel verkauft wird. Hier versagt die Artbegriff offensichtlich, wobei wahrscheinlich sowohl das Gesundheitsamt hierzulande wie die Indianer in Oregon mit ihren gegensätzlichen Behauptungen beide Recht haben. Man müsste also genauer definieren: die Varietät bis hin zum Typus. Wie zum Beispiel bei Viren oder beim Bacillus thuringiensis variatio israelensis, der heute wegen seiner 133 unterschiedlichen Delta-Toxine (und auf die kommt es bei der technischen Nutzung an!) in 24 'Hauptgruppen' differenziert wird.

Was nun unter dem Massenauftreten der Coelosphaeriden im Baggersee zu verstehen ist, ob es nur ein einzelner Klon oder eine Population oder mehrere Typen oder gar Arten sind, und ob dies den Badebetrieb stört, wird schwer zu ergründen sein, weil es leider kaum Jemanden - ausser uns natürlich! -  'interessiert' und Letzterer temperaturbedingt schon längst zu Ende ging.

Mit herzlichen Grüßen,

Alfons


Rene

Guten Tag Herr Renz,

Thanks for the elucidation, it has become a worth wile discussion blue-greens. Yes, I agree with you, Coelosphaerium is a way better name in terms of understandability! (not sure whether this is a proper English word, but I suppose it is understandable ;-)

The problem with a lot of the potential toxic strains is that toxicity can suddenly show up, depending on environmental or physiological  conditions. Therefore, toxin analysis is not used for standard monitoring. PCR is nowadays not only used for detection of species/strains, but also in development for detection of the toxin genes, which is a step forward in terms of specificity. Nevertheless, as a lake biologist you want to keep an eye on what starts growing, and how can you change lake parameters so that cyano-blooms are being suppressed. So a cell count and a species list is the first important step for the water boards to decide what is good quality (bathing) water.

On our scales, a warning goes out above roughly 50.000 cyano-cells/ml of suspected taxa (we actually work with biovolume, but that's worth another discussion). That is about  2000 cells on an average slide with 1 drop of lake water. That sounds like rather a lot, but even with a toxic strain, you would need to drink several liters before noticing anything wrong due to toxins. 
BUT. Al lot of them are migrating up and down in the water column. In any case all species with aerotopes can start floating (like in this Woronichinina - thanks for the typo correction Winfried). Suddenly you have a VERY concentrated mass of bacteria on the water surface, exactly where you keep your mouth during swimming. Even if the strain is non-toxic, as a gram-negative bacterium it contains such a load of endotoxins, that only that could be enough to develop a fever at the least if you swallow a mouthful. Whereas there are plenty of blooms from 'proper' algae which are essentially non-toxic. So the water boards keep themselves strictly on the safe side if bathing water is concerned.

Best wishes, René