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Fragen zum Glaspilz

Begonnen von Gerd Schmahl, Mai 12, 2020, 04:58:51 VORMITTAG

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Gerd Schmahl

Hallo,
jeder, der ältere gebrauchte Optiken erwirbt oder reinigt, lernt ihn früher oder später fürchten: den Glaspilz. Aber wer von Euch hat schon mal einen lebenden Glaspilz gesehen? Weiß man zu welcher Pilzgattung er gehört oder sind das unterschiedliche Pilze, die sich da von organischen Resten auf der Glasoberfläche ernähren und mit ihren sauren Stoffwechselprodukten die Glasoberfläche verätzen?
Beste Grüße
Gerd
Man sagt der Teufel sei, im Detail versteckt,
doch hab' ich mit dem Mikroskop viel Göttliches entdeckt.

jochen53

Hallo Gerd,

bei Wikipedia findet sich dazu ein Artikel, in dem u.a. folgende Literaturstelle zitiert wird:

http://www.europa.com/~telscope/fungus.txt

Zeiss nimmt im Übrigen grundsätzlich keine von Fungus befallenen Geräte zur Reparatur an.

Eine wirksame Methode zur Vorbeugung war die Verwendung von Innenlackierungen, die ein quecksilberhaltiges Konservierungsmittel (Thiomersal) enthielten. In tropischen Gebieten wurden im 2. Weltkrieg Optiken (Ferngläser, Zielfernrohre, Entfernungsmesser, Mikroskope) oft schon nach 2 Wochen durch Pilzbefall unbrauchbar.

Viele Grüße, Jochen

B.Neuhaus

Guten Morgen Gerd,

gesehen habe ich einen "Glaspilz" nur einmal, an einem Mikroskop in einer Vertretung eines namhaften Optikherstellers :o. Der Literatur habe ich entnommen, dass eine Fülle von Gattungen auf Glasflächen optischer Geräte (vor allem aus den Tropen) gefunden wurde, z. B. Alternaria, Aspergillus, Aureobasidium, Bassisosporium, Chaetomium, Cladosporium, Dactylinum, Eurotium, Monilia, Mucor, Oospora, Paccilomyces, Penicillium, Phoma, Pullalaris, Rhizopus , Scopulariopsis, Sporotrichum, Stachybotrys und Trichoderma und weit über 70 Arten umfassen.

Sporen keimen im Experiment auch auf völlig sauberen Glasflächen und bilden Hyphen, so lange der Vorrat an mitgebrachten Nährstoffen reicht. Die Pilze ernähren sich ansonsten von organischem Material aus Staub, Dreck, Textilfasern, Wachsen, Kitten, Schmierstoffen und Lackierungen und nutzen auch die Mineralien der Optikvergütung und des Glases selbst. Ausgeschieden werden Säuren, Laugen und Komplexbildner. Der Schaden am Glas entsteht spätestens innerhalb von 24 Stunden nach dem Wachstum der Hyphen. Ist der Schaden am Glas einmal entstanden, kann er nicht mehr rückgängig gemacht werden. Gute Wachstumsbedingungen finden sie bei Temperaturen über 25°C und einer Luftfeuchtigkeit von 80-100%.

Man wehrte sich seit den 1940er Jahren gegen das Wachstum mit speziellen Glasmischungen, die z. B. Silberoxid (Ag2O), Blei (das ist m.W. heute verboten, zumindest stellen die Optikhersteller heraus, dass ihr Glas bleifrei ist), Ceriumoxid (CeO2), Titanoxid (TiO2), Aluminiumoxid (Al2O3) oder Kupfer enthielten, und mit einer Fülle antifungaler Mittel auf der Glasoberfläche, die häufig auch verschiedene Quecksilberverbindungen beinhalteten. Zudem hat man z. B. Mikroskope mit m-Cresyl-Acetat (Cresatin) begast, was zwar anscheinend sehr effektiv war, jedoch zur Korrosion von Mikroskopteilen führte.

Viele Grüße,
Birger

Literatur:
Bartosik, M., Zakowska, Z., Cedinska, K. & Rozniakowski, K. 2010. Biodeterioration of optical glass induced by lubricants used in optical instruments technology.  Polish Journal of Microbiology 59, 295-300.
Cordero, I. 2013. Fungus: how to prevent growth and remove it from optical components. Community Eye Health 26, 83, 57.
Drewello, R. Weissmann, R. 1997. Microbially influenced corrosion of glass. Applied Microbiology and Biotechnology 47, 337-346.
Hutchinson, W.G. 1947. The fouling of optical glass by microorganisms. Journal of Bacteriology 54, 45-46.
Kerner-Gang, W. 1977. Evaluation techniques for resistence of optical lenses to fungal attack. In: Walters, A.H. (Hrsg.), Biodeterioration investigation techniques. Applied Science Publishers London, 105-114.
Kerner-Gang, W. & Theden, G. 1964. Durch Pilze verursachte Schäden an optischen Gläsern. Glastechnische Berichte 37, 256-259.
Richards, W.G. 1949. Some fungous contaminants of optical instruments. Journal of Bacteriology 58, 453-455.
Teittel, L. & Berg, S. 1952. Prevetion of mold growth in optical instruments. Industrial and Engeneering Chemistry 44, 1088-1095.
Theden, G. & Kerner-Gang, W. 1964. Ergebnisse von Untersuchungen über Schäden an optischen Gläsern durch Pilze. Glastechnische Berichte 37, 200-205.

RainerTeubner

Hallo,

in der Anlage findet ihr noch einen Mikroskosmos-Artikel zu dem Thema.

Viele Grüße

Rainer
Mikroskop: Carl Zeiss Standard Universal
Bildbearbeitung: Gimp, Helicon focus und picolay
Kamera: Canon EOS 5D II

Gerd Schmahl

Hallo,
danke für die ausführlichen Antworten. Also gibt es nicht DEN Glaspilz, sondern eine ganze Palette von Pilzen, deren Sporen zur falschen Zeit am falschen Ort unter pilzfördernden Bedingungen ihr Werk beginnen.
Besten Dank!
Gerd
Man sagt der Teufel sei, im Detail versteckt,
doch hab' ich mit dem Mikroskop viel Göttliches entdeckt.