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Rotifer-Freaks

Begonnen von Michael Plewka, März 22, 2014, 10:28:28 VORMITTAG

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Michael Plewka

hallo zusammen,

in einer Probe aus der Wuppertalsperre fand ich einige Notholca-Rädertiere. Das ist soweit erst mal nichts besonderes; bemerkenswert war dagegen, dass sich in einem einzigen Probetropfen drei Arten dieser Gattung befanden, nämlich Notholca squamula, Notholca foliacea und Notholaca labis. Unter ökologischen Gesichtspunkten stellt sich nun die Frage nach den ökologischen Nischen dieser 3 Arten, wenn sie doch alle auf so engem Raum nebeneinander existieren. Unterschiedliche Nahrungspräferenzen lassen sich nicht erkennen. Weitere Antworten fallen mir dazu nicht ein.

Alle Notholca-Arten gelten lt. KOSTE als kalt-stenotherm. Umso erstaunlicher, dass ich zumindest eine Art (N. squamula) auch in einer sonnenexponierten Pfütze gefunden habe, die (durch einen undichten Staudamm eines Teichs gespeist) bei dem Wetter  in diesem März   durchaus Temperaturen von 18 Grad erreicht hat.

Bilder zu den von mir bisher gefundenen Exemplaren lassen sich hier finden:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/E-TL/Genus/Notholca.html
Weiterhin ist bei Notholca eine große Variabilität des Panzers bekannt. Nun habe ich zwei weitere Formen in der o.a. Probe gefunden, die in der Literatur meines Wissens noch nicht verzeichnet sind.
Hier zunächst ein Bild einer "normalen" Form von N. labis;  erkennbar an dem  Anhang am Panzer:



...und hier die beiden "Freaks":


Typ 1: (DIK)




Typ 2 (DIK)



Typ 2 (HF) etwas andere Fokusebene (der Panzeranhang ist hier besser zu erkennen):




Dass solche Abweichungen von der Norm immer mal auftreten können, habe ich bei einer anderen planktischen Rädertier-Gattung ebenfalls beobachten können, nämlich bei Polyarthra.

Zunächst hatte ich diesem Fund aus einer Planktonprobe eines Teichs in unserer Nähe (1.6.2011) keine weitere Bedeutung beigemessen. Ich vermutete eine verletzte oder verstümmelte Polyarthra, da sich auch weitere, normale Polyarthra (vulgaris)-Exemplare in der Probe befanden. Dennoch hatte ich einige Fotos gemacht:
1.
 

2. andere Fokusebene:



Stutzig wurde ich erst, als ich ziemlich genau ein Jahr später (2.6.2012) in demselben Teich ein einziges ähnliches Exemplar entdeckte. Auch hier konnte ich ein paar Fotos machen, bevor sich das Viech so am Deckglasrand verklemmte, dass keine weiteren Fotos möglich waren.



Normale Polyarthra sehen etwa so aus wie hier:
http://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Polyarthra%20dolichoptera.html
Krankheitsbedingt konnte ich im Jahr (2013) keine Proben ziehen, habe danach, sobald es möglich war, leider  keine weiteren Exemplare finden können.

Ich habe diese Fotos auch einigen Rädertier-Experten vorgelegt, die aber  keine schlüssige Erklärung haben.

beste Grüße Michael Plewka

Kambiz

Hallo Michael,

danke für den Beitrag.
Wieviele Arten (gesichtert) wurden bereits beschrieben (ca. 2000 lese ich immer wieder), bzw werden neu entdeckt/beschrieben?

Besten Gruß
Kambiz

Martin Kreutz

Hallo Michael,

wieder mal beeindruckende Bilder und Funde! Ich hätte nie gedacht, dass man innerhalb der extrem gut untersuchten Gattungen Notholca und Polyarthra noch etwas neues finden kann. Von anderen Gattungen, wie Brachionous, ist bekannt, dass sie bestimmte Formen erst ausbilden, wenn die Konzentration an Fressfeinden ansteigt. Dies äußert sich dann in einer Verlängerung der Panzerstacheln. Zumindest die eine Notholca Form hat ja einen verbreiterten, trapezförmigen Panzer, der vielleicht schon als Fraßschutz dient. Die Polyarthra Variante scheint sehr klein zu sein. Nur 50 - 60 µm Körperlänge. Bildet Polyarthra vielleicht Hungerformen aus? Ich weiß es nicht. Jedenfalls sehr interessant. Werde das Bodenseeplankton mal genauer studieren müssen!

Schönen Abend!

Martin

Eckhard

Hallo Michael,

mit Rädertierchen hab ich es ja nicht so - denn seitdem ich weiss, es sind "Würmer"... Aber das zweite Bild in Deinem Beitrag finde ich grossartig.

Herzliche Grüsse
Eckhard



Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
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Michael Plewka

#4
hallo zusammen,

@ Kambiz:

z.Zt. git es ca. 2100 gesicherte Rädertier-Arten, und, ja, es werden noch weitere gefunden, auch in unserem Gebiet, sprich: Mitteleuropa, aber natürlich auch in Gebieten, die zuvor noch nicht so intensiv untersucht wurden.
Bezogen auf die Artenvielfalt  ist die Situation bei einem Teil der Rädertiere eine ganz besondere, aber nicht nur für Spezialisten, sondern vor allem aus allgemeinbiologischer Sicht. Da ich selbst dieses Thema besonders spannend finde, will ich hier etwas weiter ausholen.

Bekanntermaßen pflanzt sich eine Gruppe der Rädertiere, die Bdelloidea (zu denen u.a. die den "Tümplern" allseits bekannten Rotaria- und Philodina-Arten gehören),  ausschließlich parthenogenetisch fort,  und das, so legen molekulargenetische Befunde nahe, seit mehr als 30 Mio Jahren.
Das hat  bemerkenswerte Konsequenzen:

1. Da jede Folgegeneration durch Klonierung der vorangegangenen Generation entsteht, sollte es somit eigentlich keine genetische Variabilität geben und folglich keine "Evolution".

2. Der klassiche Artbegriff  ("potentiell größte Fortpflanzungsgemeinschaft")  lässt sich auf diese Organismen somit nicht sinnvoll anwenden.


zu 1.
Im Genom zumindest einer der o.a. bdelloiden Rädertier-Arten (Adineta vaga, die jeder Mikroskopiker im wahrsten Sinn des Wortes vor der Haustür entdecken kann, da sie z.B. im "Moos"belag auf Terrassen vorkommt) ) wurden funktionierende Gene von Bakterien und anderen Mikroorganismen gefunden, die auch weiterverebt werden.  Es liegt die Vermutung nahe, dass diese Gene mit der Nahrung aufgenommen wurden und ins eigene Genom eingebaut  worden sind. Diese Viecher "fressen" also Erbgut und erhöhen dadurch die genetische Variabilität Diese genetische Variabilität ist auch nachgewiesen worden (siehe Punkt 2). "Passende" Fremd-Gene können somit einen Selektionsvorteil darstellen.

zu 2.
Molekularbiologische Untersuchungen an entsprechenden "Standard"-Genen (wie z.B. ribosomaler Untereinheit oder Cytochrom-Komplex) haben bei einer Vielzahl von Organismenarten gezeigt, dass die morphologischen Unterschiede "klassischer" Arten immer mit bestimmten Unterschieden der Gensequenzen korreliert sind.
Es liegt also nahe, Arten (auch) auf der Basis bestimmter Gensequenzen voneinander abzugrenzen und -im Fall der bdelloiden Rädertiere- auf diese Weise die Grenzen der klassischen Art-Definition zu umgehen.
Basierend auf diesem Konzept ergibt sich nun ein völlig neues Bild der Arten der Rädertiere.

Molekularbiologische Untersuchungen von morphologisch identischen Formen der Gattung Adineta, auch von verschiedenen Kontinenten, zeigen teilweise so große genetische Unterschiede, dass es gerechtfertigt erscheint, von eigenen Arten zu sprechen. Man spricht in diesem Fall von "kryptischen Arten". Diese Entdeckung ist relativ neu (2010); Inzwischen wurden solche kryptischen Arten  bei weiteren Gattungen gefunden; somit würde sich die Anzahl der Arten  drastisch erhöhen. Gerade habe ich noch eine Arbeit (FONTANETO 2014) bekommen, die vermutet, dass sich unter dem Taxon Rotaria rotatoria 70 kryptische Arten verbergen!  Diese Arten  könnten folglich allerdings nicht mehr mit dem Mikroskop nachgewiesen werden; da gäbe es dann für die Mikroskopiker nicht mehr viel zu tun.
Dass es dennoch auch dem Laien noch spannende Funde gelingen können, zeigt dieses Bild dieser  erst 2009 beschriebenen neuen Art  (Proales laticauda) (ich kam da leider 4 Jahre zu spät....):




@ Martin,

ja, die Interaktion zwischen Brachionus und Asplanchna ist mittlerweile ja DER klassische Fall, der ja labormäßig, experimentell und somit auch mit großen Individuenzahlen überprüft werden konnte. Das ist ja das Problem, dass es sich bei den in diesem Beitrag gezeigten Exemplaren  um Einzelfunde handelt.  Da liegt natürlich die Assoziation mit UFO-Anhängern,  aber auch anderen paranormalen Phänomenen (womit ich absolut nichts am Hut habe!) sehr nahe.
In den Jahren 2011 und 2012 habe ich das Gewässer, aus denen die Probe (mit Plankton-Netz entnommen) stammt, regelmäßig und in Abständen von 2-3 Tagen untersucht. Ich konnte dabei nicht beobachten, dass sich schlagartig Veränderungen in den Populationen ergeben hätten. Bei Hungerformen würde ich erwarten, dass man dann mehrere Exemplare finden würde.
Wir haben ja über das Phänomen und  Einzelfunde und ihrer Bedeutung ausgiebig diskutiert; im Fall der Rädertiere könnte man versuchen, diese zu klonieren und Kulturen anzulegen; aber das übersteigt meine Kapazitäten... So bleibt mir, zumindest bei Notholca, neben den Fotos, die ja manipuliert sein könnten, lediglich der Video-"Beweis" und eben die Möglichkeit, an Stellen wie in diesem Forum, auf die Funde aufmerksam zu machen und zu hoffen, dass vielleicht weitere Funde gemeldet werden.......

@ Eckhard,

...deshalb haben die Biologen die Systematik auch geändert: Rädertiere gehören  nun zuu den  "Syndermata", was m.E. deutlich besser klingt ;-).
Vielleicht ist noch erwähnenswert, dass, obwohl Bild 2 m.E. deutlich knackiger erscheint, das gleiche Objektiv (40er Öl) verwendet wurde wie bei Bild 3.  Der Unterschied ist allein der Schichtdicke geschuldet, die im 3.Bild deutlich größer sein musste, da das Viech eine größere "Höhe" hat und lediglich etwas gebremst, aber nicht plattgedrückt werden sollte.

beste Grüße Michael Plewka









Eckhard

Hallo Michael,

danke für die Erläuterungen. Die Probleme bei der Art Definition / Abgrenzung sind bei vielen Amöben ähnlich.

Herzliche Grüsse
Eckhard
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Kambiz

Hallo Michael,

vielen dank für die substantiellen Erleuterungen und für mich neuen Aspekte!!
Da die genetischen Unteruchungsmethoden enorme Fortschritte verzeichnet haben, automatisiert wurden und in kurzer Zeit durchführbar sind, wird/hat in manchen Bereichen die Artenbestimmung aufgrund von DNA Sequenzen andere Methoden wohl (fast) ersetzt.
Ich kann mich erinnern, daß wir in den 80-ern teilweise Monate an 1000 Basenpaaren arbeiteten, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Als ich vor ein paar Jahren einem Labormenschen erzählte, daß ich "mit den Händen" sequenzierte, wurde ich angesehen, als ob ich aus dem letzen Jahrtausend stamme (stimmt ja auch irgendwie). 
Die "ribosomale" Methode wurde auch damals entwickelt und angewendet zur Artbestimmung bei Bakterien, allerdings nur über rRNA Hybridisierungen, und mußte später aufgrund von Fehlern verfeinert werden. Ging dann über direkte Sequenzierung von Standardgene, wie auch bei dir bereits angedeutet.

Herzlichen Gruß
Kambiz