Granulo-reticulose Amöbe - Video

Begonnen von Martin Kreutz, Mai 15, 2014, 19:48:01 NACHMITTAGS

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Martin Kreutz

Liebes Forum,

ich möchte hier ein Kurzvideo von einer interessanten Nacktamöbe zeigen, welches ich vor ca. 3 Wochen aufgenommen habe. Die Amöbe erschien mir auch deshalb besonders, weil sie eine unglaublich schnelle Plasmabewegung besitzt. Das Video ist nicht in Zeitraffer aufgenommen, auch wenn es zeitweise den Anschein hat. Ich konnte die Amöbe leider nicht bestimmen, aber vielleicht kann jemand aus dem Forum etwas dazu sagen.

Hier das Video:

https://www.youtube.com/watch?v=j3FLJTJyy8I

Und hier ein Standbild aus dem Video mit Maßstrich:



Viel Spass beim anschauen!

Martin

Eckhard

#1
Hallo Martin,

der Link funktioniert nicht!

Nach dem Bild und Deiner Beschreibung könnte das Arachnula impatiens Cienkowski 1876 sein. Um das zu bestätigen, bräuchte ich das Video.

Herzliche Grüsse,
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

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www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

Martin Kreutz

Hallo Eckard,

Danke für den Hinweis! Link war korrekt, aber man muss sein Video natürlich öffentlich schalten! Nächstes Mal klappt es besser, aber jetzt müsste das Video für alle sichtbar sein. Ich bin gespannt auf Deine und andere Diagnosen!

Martin

novus

Hallo Martin,

zur Diagnose kann ich leider nichts beitragen (bin da selbst gespannt) aber das Video ist ja hochinteressant. Die Filopodien (falls das die richtige Bezeichnung ist) schießen da ja heraus wie Teilchen in einer Nebelkammer. Sehe ich das richtig, dass sie sich teilweise auch untereinander verbinden?

Herzliche Grüße,
Michael

Tobse

Hallo Martin,

ich kann dir leider auch nicht weiter helfen.

Das Video ist allerdings echt super, ich fand es auch gut das du so gut erklärt hast was es da zu sehen gibt.

Ich habe mich ja schon etwas an deine hervoragende Bildqualität gewöhnt, etwas merkwürdig finde ich jetzt das Sehfeld von deinem 100er, also es ist wirklich unglaublich viel größer als meins.

wie sieht denn die Amöbe im normalen Hellfeld aus?

Grüße Tobias

Martin Kreutz

Hallo Michael,

ja, dies ist eine der schnellsten Amöben die ich je gesehen habe! Ohne Video könnte man das nie glaubhaft darstellen. Das die Filopodien (korrekter Weise müssen sie granuloreticulose Pseudopodien heißen, was mir beim Text sprechen zu lang war)sich untereinander treffen und verbinden nennt man anastomosieren und ist typisch für reticulose Amöben. Zu den granuloreticulosen Amöben zählen z.B. Microgromia, Biomyxa, Rhizoplasma und alle Foraminiferen. Und da wird es bstimmt noch ein paar mehr geben, die noch auf ihre Beschreibung warten.

Martin  

Martin Kreutz

Hallo Tobias,

mein "Sehfeld" gibt es eigentlich nicht, denn alle Bilder und Videos die Du von mir hier im Forum siehst, sind ohne Projektiv oder Okular aufgenommen. Das Zwischenbild des Objektivs fällt direkt auf den Sensor der Kamera. Mein Mikroskop besteht also eigentlich nur aus Objektiv und Sensor. Der Sensor sitzt ca. 12.5 cm vom Objetiv entfernt, wo der Durchmesser des Zwischenbildes ca. 25 mm ist. Dort ist der 17 X 11 mm Sensor der EP-1 platziert, der geschätzt ca. 30 -40 % des Zwischenbildes auffängt, ohne Rand etc. Durch die Okulare sehe ich einen wesentlich größen Bildausschnitt (ich habe ein 26,5 Sehfeld). Ich habe meinen Aufbau hier im Forum auch schonmal gezeigt:

http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=18804.0

Wie die Amöbe im Hellfeld aussieht, kann ich Dir nicht sagen, da ich fast ausschließlich DIK benutze. Da sie keine Eigenfarbe besitzt, wird sie wohl schwer sichtbar sein im HF (zumindest die feinen Filopodien).

Martin

Tobse

Hallo Martin,

das erklärt ja einiges, das Bild von deinem 100er entspricht dann etwa 300x Vergrößerung.
Dann passt es wieder besser zusammen.

wobei bei du allem Anschein nach trotz der rel. schwachen Vergrößerung von der hohen Aperatur des 100er profitierst.

Mit meinem Mikroskop wäre so ein Strahlengang nicht machbar.

Grüße
Tobias


Ferry

Hallo Martin,

Es ist eine sehr schöne und informative Video. Leider weiß ich auch nicht was es ist. Es ist eine sehr schwierige Gruppe, weil die alte Beschreibungen nur Zeichnungen haben, und genau bei diese Arten Video sehr wichtig ist. Ich habe da mit Steffen Clauss auch entdeckt das eine Austausch von Videomaterial viel Klarheit bringt.
In seine Beschreibung von Arachnula impatiens sagt Cienkowsky: "Zitternd und schwankend kriecht die Arachnula unruhig mit den Pseudopodien das Substrat betastend umher. An beliebiger Stelle des Körpers schießt ein mächtiger Strang empor, den Hauptklumpen samt den übrigen schwächeren Strängen und weit entfernten Pseudopodien energisch an sich ziehend. Kaum ist dies geschehen, so wiederholt sich dasselbe Spiel an einer anderen Stelle, wodurch der Hauptklumpen hin und her gezogen wird. Diesem rastlosen Treiben folgt mitunter ein ruhigeres Benehmen. Der ganze Körper zieht sich dann in einen langen an den Enden fächerartig sich ausbreitenden Strang aus; nur die, auch jetzt zitternden und unruhig sich krümmenden Pseudopodien verkünden eine bevorstehende neue ziellose Wanderung.
Diese Beschreibung stimmt nicht mit Deine Amoeboid. Mit Amöben kann man genau jeden Tag etwas rätselhaften beobachten... Es könnte vielleicht auch eine Leptomyxa sein, aber diese Geschwindigkeit habe ich dort niemals gesehen.
Hast Du Kernen gesehen?

Herzliche Grüsse,

Ferry
www.arcella.nl
www.natuurfotografie.info

Martin Kreutz

Hallo Ferry,

außer den gezeigten 3 Minuten Video habe ich noch ein paar Minuten mehr aufgenommen, aber die geben auch keine weiteren Informationen her. Ich habe mir gerade die Originalvideos nochmal angeschaut, aber keine Zellkerne erkennen können. Ich muss auf eine Gelegenheit warten, dieser Amöbe nochmal zu finden und unter dem Deckglas flach zu legen, damit ich das Innenleben genau untersuchen kann. Ich vermute jedoch, dass der Zellkern in mehreren Teilen vorhanden ist und es keinen großen, zentralen Kern gibt. Man muss also auf ein Wiedersehen hoffen.

Wünsche Dir einen schönen Abend!

Martin

Eckhard

Hallo Martin, hallo Ferry,

sorry für die späte Rückmeldung, aber ich musste erstmal einen heftigen Infekt überleben ;)

In dieser Gruppe ist der derzeit heftig Bewegung - auch Dank unseres Sebastians.

In der 2008 veröffentlichten Arbeit "Phylogeny of Novel Naked Filose and Reticulose Cercozoa: Granofilosea cl. n. and Proteomyxidea Revised" von David Bass und vielen anderen ist die neue Gattung Platyreta vorgestellt worden.

ZitatOrder Aconchulinida De Saedeleer, 1934 emend. Family Vampyrellidae Zopf, 1885

Platyreta Cavalier-Smith and Bass gen. nov. Diagnosis: Multinucleate soil dwelling reticulose amoebae that feed on fungal spores and other eukaryotes. In contrast to Arachnula, which typically has one or several long, thick quasi- cylindrical protoplasmic tracts devoid of pseudo- pods, which separate terminal flat fans from which the anastomosing filopodia stem, Platyreta is generally highly flattened and less polarised. When small, much more frequently and evenly branched than Arachnula; when larger more isodiametric, with numerous large lacunae within the flattened cell, not seen in Arachnula. Anasto- mosing filopodia more evenly spread across all branches of the cell. With biciliate zoospores, unlike Arachnula.

Platyreta germanica Cavalier-Smith and Bass sp. n. Diagnosis: Multinucleate (Fig. 7E), often reticulose amoeba with a multiphasic lifecycle, which is influenced by availability of food (Supple- mentary Figure S1). The trophic form (trophozoite) is very variable in size (c. 50 mm to several hundred mm long), ranging from globular to highly extended and branched amoebae. Fine agranular filopodia can extend from anywhere on the cell, but most frequently from edges of cytoplasmic extensions or angles. Trophozoites frequently change shape; mobile in culture; often non-anastomosing. They move by creeping, filopodia sticking on the substrate; unidirectional cytoplasmic streaming very obvious when cell moves or changes shape. Spindle shaped nuclei; average length 2 mm. Cysts with varying numbers of walls form in response to a range of stimuli — for example after engulfing food, or in response to desiccation. In the presence of plentiful food digestive cysts transform directly back into trophozoites, or divide before doing so — division of nuclei occurs simultaneously. During excystment, the amoeba flows out of c. 10 perforations in the cyst wall. Plasmodia are formed from cell fusion resulting in a highly reticulose structure, which can be over 1mm across. Feeds on fungal conidia, algae, nematodes. No sexual stages confirmed, but may be associated with sporozoid production. Mitochondria with vesicular cristae.

Arachnula impatiens Cienkowski, 1876.  Globular to highly branched amoeba, sometimes in an extended, approaching lanceolate/linear form with filopodia concentrated at each end, or along the edges of other cytoplasmic projections. Rarely anastomosing in this feeding stage. Like P. germanica highly motile and very variable in shape and size: 50 mm—4 1 mm. Unidirectional cytoplasmic streaming, particularly when it changes shape or progresses. Trailing-edge cytoplasmic strands tend to adhere to substrate as long as possible before being released and quickly fusing with main cytoplasmic body Fine agranular filopodia extend from anywhere on the cell, but are concentrated at leading edges and the edges of cytoplasmic extensions. No other life cycle stage observed, although candidate cysts are large (50 mm) and granular. Feeds on unicellular fungi and algae, diatoms, and possibly bacteria. Ingested food often visible in the cell and the moving trophozoite often drags potential food items for long distances.

Interessanterweise ist hier aufgeführt, dass bei Arachnula keine bidirektionalen Plasmaströmungen in einem Filopodium vorkommen. Ich habe einige Videos gesehen, in denen anscheinend Arachnula gezeigt wird und in denen deutlich bidirektionale Plasmaströmungen zu sehen sind. Bisher dachte ich, Arachnula sei der einzig bekannte Fall, bei dem dies ausserhalb der Foraminiferen vorkommt. Auch in Martins Video ist dies zu sehen. Allerdings passen, wie auch von Ferry aufgeführt, einige Eigenschaften nicht recht zu Arachnula.

Sebastian berichtet in seiner Arbeit "Shedding Light on Vampires: The Phylogeny of Vampyrellid Amoebae Revisited" folgendes:

ZitatSo far only three terrestrial taxa of filose amoebae with non-granular filopodia, traditionally classified as vampyrellid amoebae, have been subjected to molecular phylogenetic analyses using SSU rDNA sequence comparisons. Platyreta germanica, an organism referred to as 'Arachnula impatiens', and Theratromyxa weberi all group in the Cercozoa, however, in a different subphylum (Endomyxa CAVALIER-SMITH, 2002) than the naked filose amoebae with granular filopodia. The position of these terrestrial vampyrellids suggested a sister group relationship of the vampyrellid amoebae to a clade comprising the plant pathogenic Plasmodiophorida and the genus Phagomyxa, parasitizing diatoms. The three terrestrial vampyrellids investigated to date, however, do not reflect the broad diversity of vampyrellid amoebae, and thus the question of the monophyly of the group remained uncertain.

Irgendwo hier gehört m.E. Martins Amöbe rein. Hier ist noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Ein grosses Problem ist, dass viele dieser Arten sich (noch) nicht in stabilen Kulturen isolieren lassen (Arachnula und auch Platyreta). Sebastian deutet auch an, dass Arachnula und Platyreta identisch sind. Ich sehe ihn nächstes Wochenende und werde ihn fragen.

Herzliche Grüsse,
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

Martin Kreutz

Hallo Eckard,

vielen Dank, dass Du Dich in das Thema so reingekniet hast. Vielleicht kann Sebastian noch Aufklärung bringen, ansonsten hoffe ich auf ein Wiedersehen mit dem Vieh, um es dann vielleicht in ein Mikroaquarium zu sperren und mehr heraus zu bekommen! Jedenfalls vielen Dank für Deine Recherche!

Martin