Aus dem Leben eines Pilzsachverständigen

Begonnen von Jürgen, Mai 28, 2014, 22:50:39 NACHMITTAGS

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Jürgen

Guten Abend zusammen,

als Pilzsachverständiger hat man bei den derzeitigen Witterungsbedingungen (feuchtwarm) einiges zu tun:

Die Familie des Pilzsachverständigen J. M. sitzt gemütlich um 18.30 Uhr beim Abendbrot. Das Telefon klingelt. Bei drei Kindern im Teenie-Alter nichts Ungewöhnliches. Frau M. hebt ab. Nur ein kurzes Gespräch, dann höre ich: "Ich gebe sie an meinen Mann weiter." Ich: "Hallo". Auf der anderen Seite "Hallo, hier ist XY (manchmal auch Krankenhaus XY), mein Sohn/meine Tochter (meistens zwischen 18 Monaten und fünf Jahren alt) hat gerade beim Spielen auf der Wiese einen Pilz in den Mund gesteckt. Ich habe ihre Telefonnummer von der Giftnotrufzentrale. Wir haben Angst, dass der Pilz giftig ist."

So oder so ähnlich erging es mir in den letzten Wochen öfters. Im Regelfall geht die Geschichte glimpflich aus.

Zwei der potenziellen Kandidaten möchte ich Euch kurz vorstellen. Vorkommen jeweils im gemähten Rasen auf Hausgrundstücken.

Zunächst wohl der häufigste Rasenpilz: Panaeolus foenisecii (Heudüngerling).

Makroskopische Beschreibung:

Hut 10-30 mm im Durchmesser, jung halbkugelig, später glockig bis konvex, Oberfläche glatt, trocken matt cremebeige, feucht dunkel tabak- bis rötlichbraun, somit hygrophan, oft mit dunklerer Mitte, Lamellen jung graubraun, später gefleckt dunkelbraun (ein typisches Merkmal für Panaeolus-Arten), Schneiden fein weißlich bewimpert (durch die Cheilozystiden), Stiel 40-70 x 1-2,5 mm, Zylindrisch, oft wellig verbogen,Oberfläche seidig glänzend, an der Stielspitze weißlich, zur Basis dunkler:



Mikroskopische Beschreibung:

Sporen elliptisch bis mandelförmig, stark grobwarzig (die anderen Panaeolus-Arten habe glatte Sporen), mit großem Keimporus. 13-17x7-9 µm groß:



Cheilozystiden an der Lamellenschneide:

flaschenförmig bis bauchig, teilweise wellig, 30-40x5-11 µm:



Dann ist noch häufig Psilocybe (Deconica) inquilinus (Feingeriefter Kahlkopf):

Makroskopische Beschreibung:

Hut 5-20 mm, jung stumpfkegelig, später konvex bis abgeflacht, teilweise mit schwachem Buckel, Oberfläche hygrophan, jung und feucht glänzend und schmierig, bräunlich, bis zur Hälfte durchscheinend gerieft (Name!), Rand jung mit weißlichen Velumflocken behangen, Huthaut gummiartig abziehbar, Lamellen jung grau, dann rosa- bis lilabräunlich, etwas fleckig durch reife Sporen, Schnieden weißlich (auch hier durch Cheilozystiden), Stiel 20-40x1-2 mm, zylindrisch, etwas verbogen, Oberfläche auf braunem grund weißlich überfasert, kaum oder garnicht sichtbare Ringzone:



Mikroskopische Beschreibung:

Sporen in Frontansicht schwach rombisch bis mitraförmig, in Seitenansicht elliptisch bis mandelförmig, mit Keimporus, schwach dickwandig, braungelblich, 7-9x4,5-5,5 µm:



Cheilozystiden an der Lamellenschneide:

Spindelig bis flaschenförmig, 18-25x5-7 µm:



In beiden Gattungen gibt es stark giftige Pilze, Panaeolus foenisecii gilt als Giftpilz. Bei Verzehr von geringen Mengen treten in der Regel aber keine Vergiftungserscheinungen auf. Ich rate den Eltern, die Kinder normal zu behandeln, ins Bett zu bringen, und sie über mehrere Stunden zu beobachten. Bei ersten Anzeichen einer Vergiftung (besonders Erbrechen und Durchfall) ist natürlich sofort eine Kinderklinik aufzusuchen.    

Bis zum nächsten Anruf grüßt
Jürgen

Peter V.

#1
Hallo Jürgen,

und dank Günter Jauchs "Millionär" wissen wir seit vorgestern auch, dass es "echte" und "unechte" Pilzvergiftungen gibt.

Herzliche Grüße
Peter
Dieses Posting ist frei von kultureller Aneigung, vegan und wurde CO2-frei erstellt. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Jürgen

#2
Zitat von: Peter V. in Mai 28, 2014, 23:01:30 NACHMITTAGS
Hallo Jürgen,

und dank Günter Jauchs "Millionär" wissen wir seit gestern auch, dass es "echte" und "unechte" Pilzvergiftungen gibt.

Herzliche Grüße
Peter


Hallo Peter,

war wohl die 64.000 € Frage. Schade, wäre leicht verdientes Geld gewesen  ;).

Aber ernsthaft: Unechte Pilzvergifungen gehören zu den häufigsten Vergiftungen nach Verzehr von Pilzen. Was sich die Leute an gammeligen Pilzen in die Pfanne hauen, ist schon abenteuerlich. Oft spielt aber auch die Psyche eine Rolle: Nachdem das Pilzgericht verzeht ist, ist man sich doch nicht mehr sicher, ob da nur "gute" Pilze in der Pfanne waren -> es wird einem übel und man übergibt sich -> auch eine Form der unechten Pilzvergiftung, ebenso allergische Reaktionen oder übermäßiger Genuss.

Gruß
Jürgen