Ciliophrys infusionum - ein Mischwesen aus Sonnentier, Flagellat und Amöbe

Begonnen von Ole Riemann, März 02, 2018, 21:34:46 NACHMITTAGS

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Ole Riemann

Liebe Mikroskopie-Kollegen,

in den vergangenen Wochen gab es hier zahlreiche sehr sehenswerte Beiträge aus dem Tümpler-Umfeld - und natürlich weitere schöne Beiträge aus anderen Bereichen der Mikroskopie. Ich möchte ebenfalls wieder einige Fotos zeigen und mich damit auch für die interessanten Ergebnisse der Kollegen aus der letzten Zeit bedanken.

In den letzten Wochen habe ich die Protozoengemeinschaft einer schon seit längerem stehenden Probe aus dem Gartenteich beobachtet. Im Grunde handelt es sich bloß um einige Büschel von untergetauchtem Moos mit einigen fädigen Grünalgen. Es hat sich aber eine vielfältige Lebensgemeinschaft eingestellt, mit für mich z.T. gänzlich neuen Funden wie der in einer Gitterschale lebenden Clathrulina elegans.
 
In hoher Individuendichte verfolge ich nun schon längere Zeit eine Art, die ich für Ciliophrys infusionum halte. Spannend ist dabei, dass dieser Protist im Erscheinungsbild weder eindeutig ,,Sonnentier", ,,Flagellat" noch ,,Amöbe" ist, sondern ein und dieselbe Zelle zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Gestalten annehmen kann. Dies verdeutlicht in eindrücklicher Weise, dass weder Sonnentiere, Flagellaten noch Amöben stammesgeschichtliche Einheiten/Monophyla wie z.B. die Säugetiere/Mammalia sind, sondern charakteristische Lebensformtypen darstellen, die mehrfach unabhängig voneinander innerhalb der einzelligen Eukarya entstanden sind. Ciliophrys infusionum wird heute zu der Großgruppe der Stramenopiles gezählt – eine stammesgeschichtliche Einheit, zu der auch z.B. die bekannten Algengattungen der Chrysophyceen Synura, Dinobryon und Mallomonas gehören. Nähere Informationen hierzu finden sich z.B. auf der Seite Penard Labs von E. Völker und S. Clauss.

Ciliophrys infusionum sieht auf den ersten Blick wie ein winziges Sonnentier aus, mit einem Zelldurchmesser von ca. 10 µm. Bei den meisten Zellen findet man aber neben den zarten Filopodien ein Cilium, das in S-förmiger Weise gekrümmt fast unbeweglich vorliegt (Fi=Filopodien, Ci=Cilium).



Hier drei Exemplare von C. infusionum (weiße Pfeile) neben einem ,,echten" Sonnentier (vermutlich Raphidiophrys intermedia, grüner Pfeil).



Bei stärker gepresstem Präparat tritt die innere Organisation der Zelle deutlich hervor (Nu=Nukleus, kV=kontraktile Vakuole, Nv=Nahrungsvakuole, Fi=Filopodien).



Im Phasenkontrast ist der Sonntier-ähnliche Habitus besonders deutlich; bei der folgenden Aufnahme erkennt man besonders gut, wie an den Filopodien manchmal Plasmaverdickungen auftreten bzw. Filopodien in sich zusammenschrumpfen und lokale Verdickungen ausbilden (Pfeil).



Gelegentlich trifft man C. infusionum in lockeren Verbänden an, bei denen zwischen den Zellen zarte filopodiale Verbindungen (Pfeile) ausgebildet sind. Ob dies Fressgemeinschaften wie bei manchen Heliozoen oder Teilungsstadien sind, kann ich nicht beurteilen.




Bei längerer Beobachtungsdauer bemerkt man im Präparat, dass zahlreiche Zellen ihre Filopodien zunehmend verkürzen und dann ganz einschmelzen. Es bildet sich ein amöboider Habitus, die Zellen kriechen fließend vorwärts und zeigen ein apikales Cilium (Nu=Nukleus, Ci=Cilium).



Nach gewisser Zeit (Umwandlung habe ich nie in Gänze beobachtet) haben wir dann einen veritablen Flagellaten vor uns, der sich rasch durch die Probe bewegt (Bildmitte, zusätzlich drei Individuen in der Sonnentier-ähnlichen Erscheinungsform).



Es kommen auch bewegliche Stadien vor, die an beiden Zellpolen ein rasch bewegliches Cilium tragen.



Besonders eindrucksvoll ist auch die Beobachtung der Phagocytose kleiner Nahrungsbestandteile, in der Regel Bakterien, mittels der Filopodien und Bildung einer Nahrungsvakuole. Im Folgenden eine kurze Sequenz, die wenige Minuten umfasst.



Wer hat diesen interessanten Einzeller schon beobachtet? Ergänzungen jederzeit sehr gerne!

Viele Grüße

Ole

Kurt

Hallo Ole,

sehr interessanter Beitrag mit exzellenten Bildern.
Wenn der Frost vorbei ist und die Tümpel wieder frei von Eis sind, gehe ich auch mal auf jagt nach Sonnentierchen!

VG
Kurt

reblaus


Bernhard Lebeda

Lieber Ole

vielen Dank für diesen spannenden Bericht!!

Zu dem Flagellaten Stadium: denkst Du das gehört zum "normalen" Lebenszyklus ähnlich den Myxomyceten, oder ist das eher ein reaktiver Schwärmer?

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

Gerd Schmahl

Hallo Ole,
schöne Doku! Kann es sein, dass des sich bei dem doppelt begeißelten Exemplar entweder um die Vereinigung von zwei Flagellaten oder um einen kurz vor der Teilung stehenden handelt, oder sogar beides? Weiß man etwas zur Vermehrung?
LG Gerd
Man sagt der Teufel sei, im Detail versteckt,
doch hab' ich mit dem Mikroskop viel Göttliches entdeckt.


steffenclauss

Hallo Ole,

Danke für den sehr schönen Beitrag!
Ciliophrys ist im Frühjahr recht häufig anzutreffen. Wir haben die Art bevorzugt  in seichten Gräben und überfluteten Wiesen angetroffen, welche vom Schmelzwasser gefüllt wurden.
Sehr interessant finde ich Deine Aufnahmen der Zellfusion bei deren sich alle beteiligten Zellen ihre Cytoplasma teilen. Fallen sie so verbunden von Heliozoen-Zustand in den Flagellaten-Zustand, bleiben die Plasmaverbindungen erhalten. So entstehen auch Schwimmstadien mit zwei Zellpolen, wie Du sie hervorragend im vorletzten Bild (Phako) abgelichtet hast.
Die Zuordnung zu den Stramenopiles ergab sich vorwiegend aus ultrastrukturellen Untersuchungen, vor allem aus dem Aufbau der röhrenförmigen Mastigoneme des Flagellums.  Aber betreffend Taxonomie und Phylogenetik halte ich mich zurück, da steht Eckhard bei weiten besser in der Materie.

Viele Grüße
Steffen

Martin Kreutz

Hallo Ole,

erstmal meinen Glückwunsch zu Deinem tollen Beitrag und den sehr gelungen Aufnahmen! Ich bin immer wieder platt, wie hoch aufgelöste Aufnahmen Dein System liefert. Es freut mich auch sehr, dass Du hier mal eine Art beschreibst, die meines Wissens in diesem Forum noch nie gezeigt wurde. Ciliophrys finde ich sehr häufig, insbesondere an schwimmenden Deckgläsern, an denen sich diese Art gerne anheftet. Leider habe ich nie so detaillierte Aufnahmen gemacht wie Du, sondern nur beim durchscannen der Deckgläser ein paar. Eine von diesen Aufnahmen habe ich unten angehängt. Ich habe noch gelesen, dass die Umwandlung von dem Heliozoa-Stadium in das Flagellen-Stadium innerhalb weniger Sekunden erfolgen soll. Man kann die Umwandlung erzwingen, wenn man das Probengefäß schüttelt oder umrührt. Den Zusammenschluss von Individuen über Plasmabrücken konnte ich ebenfalls mehrfach beobachten.

Martin



Gerald

Hallo Ole,

vielen Dank für den super Bericht . Leider habe ich diesen interessanten Einzeller noch nicht beobachten können.

Viele Grüße

Gerald
Ich bin auf der Suche nach einem Kulturansatz von Cryptomonas. Vielleicht kann jemand helfen.

www.lebendkulturen.de

Ole Riemann

Herzlichen Dank Euch allen für das Interesse!

@Bernhard: Ich denke, der Flagellat gehört zum normalen Lebenszyklus und wird immer dann ausgebildet, wenn die Bedingungen sich ändern und potentielle Verschlechterungen drohen. Dann kann der Flagellat den Standort wechseln, die Sonnentier-ähnliche Form jedoch kaum. Martins Anmerkung, dass sich das Flagellaten-Stadium beim Schütteln der Probe ausbildet (also mechanischer Stress auftritt), könnte hierfür ein Indiz sein.

@Gerd: Das habe ich mich auch gefragt; Steffen hat dies, denke ich, sehr nachvollziehbar begründet.

@Steffen und Martin: Vielen Dank für Eure fachlichen Ergänzungen und das weitere Bildmaterial. Martin, was die Auflösung anbelangt, haben wir doch alle von Dir gelernt und tun dies weiterhin - 1) keine Angst vor Ölimmersionen beim Tümpeln, 2) Schichtdicke, Schichtdicke, Schichtdicke ...

Beste Grüße

Ole


Bernhard Lebeda

Zitat von: Ole Riemann in März 06, 2018, 18:51:37 NACHMITTAGS
Herzlichen Dank Euch allen für das Interesse!

@Bernhard: Ich denke, der Flagellat gehört zum normalen Lebenszyklus und wird immer dann ausgebildet, wenn die Bedingungen sich ändern und potentielle Verschlechterungen drohen. Dann kann der Flagellat den Standort wechseln, die Sonnentier-ähnliche Form jedoch kaum. Martins Anmerkung, dass sich das Flagellaten-Stadium beim Schütteln der Probe ausbildet (also mechanischer Stress auftritt), könnte hierfür ein Indiz sein.


Danke Ole

das wäre dann ja aber die Definitiion eines reaktiven Schwärmers und gehört eben nicht zum Lebenszyklus im engeren Sinne.

Viele Mikrogrüße

Bernhard
Ich bevorzuge das "DU"

Vorstellung

steffenclauss

Hallo Bernhard,

Du hast Recht! Da sich in dem Falle das gesamte individuum in einen Schwärmer umwandeln kann (und zurück), handelt es sich um einen reaktiven Schwärmer.

viele Grüße
Steffen

Eckhard

Hallo Ole,

Das sind wirklich sehr schöne Aufnahmen von dieser ,,Chimäre".

Die Stramenopile sind wirklich eine sehr interessante Gruppe. Es scheint fast so, als ob der Baum des Lebens in dieser Gruppe noch mal vorhanden ist. Sonnentierchen, Amöben, Flagellaten, Algen: alles ist vorhanden in dieser Gruppe. Sogar Arten, die sich wie Pilze lysotroph ernähren. Weil diese Gruppe so alt ist, sind manchmal selbst die nächsten Verwandten einer Art so unterschiedlich, dass man sich die Verwandtschaft kaum vorstellen kann. Diplophrys und Amphitrema sind dafür ein gutes Beispiel: http://penard.de/Explorer/Stramenopiles/Labyrinthulomycetes/

Die Bedeutung dieser Gruppe darf nicht unterschätzt werden. Dinobryon ist der größte Bakterienfresser im Frühling in Seen und die Allgegenwärtigkeit von Kieselalgen kennt jeder Tümpler.

Manche Vertreter der Stramenopile erscheinen wie Chimären. Chrysamoeba ist wie eine Mischung aus Amöebe und Flagellat, hat sogar Chloroplasten, die sich eine Gemeinschaft von Zellen teilen kann: http://penard.de/Explorer/Stramenopiles/Chrysophyceae/

Ciliophrys ist von der Zellorganisation mal Sonnentierchen, mal amöboid, mal Flagellat. Diese Stadien sind nicht Teil des Zell Zyklus, sondern können ,,at will" eingenommen werden: http://penard.de/Explorer/Stramenopiles/Dictyochophyceae/

Actinophrys sol ist das erfolgreichste Sonnentierchen, ein naher Verwandter von Ciliophrys, und ist auch immer gerne bereit, mit anderen Zellen der Art die berühmten Fressgemeinschaften zu bilden: http://penard.de/Explorer/Stramenopiles/Actinophryidae/

Herzliche Grüße,
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

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