Fatale "Gymnastik" bei verharzten Mikroskopen

Begonnen von Peter V., August 20, 2023, 22:16:23 NACHMITTAGS

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Peter V.

Hallo,

in der Medizin erfolgt die Krankengymnasik (heute Physiotherapie genannt) in der Regel erst, nachdem - soweit möglich - ein Problem operativ behoben wurde. So sollte es auch bei Mikroskopen sein, leider wird hier oft von dieser sinnvollen Reihenfolge abgewichen und somit entstehen die Brüche erst durch die "gymanstische" Fehlbehandlung!

Nachdem mir heute Diana wieder einmal ein Bild eines ihrer aktuellen Patienten geschickt hat, bei dem es durch "gymnastische" Fehlbehandlung zu einem üblen Schaden gekommen ist, dachte ich mir, dass ich noch einmal darauf hinweise.

Das hier ist beispielsweise ein solcher Klassiker, den Diana immer wieder zur Reparatur auf den Tisch bekommt: Durch Bedienung einer verharzten  Augenabstandverstellung an einem Leitz-Trinotubus gegen den durch die Verharzung bedingten Widerstand sind die Zinken der Verstellgabeln gebrochen. Aber auch an vielen anderen Teile ( gerne an Zahnrädern und Schecken) kommt es zu derart verursachten Zerstörungen.

Immer wieder wird versucht, schwer gängige (oder gar festsitzende!) mechanische Teile an Mikroskopen mit mehr oder weniger übermäßigem Kraftaufwand zu bewegen. Entweder, um einmalig etws zu verstellen oder durch ein Hin- und Herbewegen eine Verstellung / Trieb etc. wieder "geschmeidiger " zu machen.

Wie oft höre ich, wenn zum Beispiel ein gebrauchtes Mikroskop erworben wurde oder eines verkauft werden soll: "Der Trieb / die Tischverstellung / die Augenabstandverstellung.... geht etwas schwer, aber es geht doch noch, muss man halt etwas fester dran drehen"  :-\  Nein, das geht nicht!!!

Damit richtet man oft großen und schwer reparabeln (weil oft keine Erstazteile mehr verfügbar sind ) Schaden an. Fakt ist: Schwer gängige oder gar festsitzende Teile sollten nicht, auch nicht nur einmal versuchsweise, gegen den Widerstand bewegt werden. Ein "Dreh" kann schon der letzte sein.

Ebenso ist es eine Unsitte, etwas dadurch gängig machen zu wollen, indem Hitze angewendet wird oder diverse Lösungsmittel irgendwo hineingesprüht werden. Von Aceton bis WD40 gibt es nichts, das nicht irgendwer schon irgendwo hin gesprüht hat. Das mag vorübergehend helfen, das Problem ist aber in der Regel nach kürzester Zeit wieder vorhanden und schlimmstenfalls hat das Lösungsmittel irgendwelche Teile im Inneren noch angegriffen.

Triebe, Verstellungen etc. gehören in einem solchen Fall grundsätzlich zerlegt, das alte verharzte Fett muss entfernt werden und die Teile müssen neu gefettet werden. Alles andere ist schlicht Pfusch!

Geschmeidige Grüße
Peter
Dieses Posting ist frei von kultureller Aneigung, vegan und wurde CO2-frei erstellt. Für 100 Posts lasse ich ein Gänseblümchen in Ecuador pflanzen.

Aljoscha

Hallo Peter,

Du hast ja sowas von Recht. Leider begegnet einem genau dieser Mist laufend. Ich bin inzwischen wirklich froh, dass ich kein zusätzliches Mikroskop mehr brauche und nur noch nach dem einen oder anderen Zubehör suche. Kaputte Triebe sind inzwischen eher die Regel aus die Ausnahme.

Viele Grüße

Alexander

liftboy

Hallo Peter,

genau den gleichen Mist hab ich auch dauernd auf dem Tisch! Die Russen hatten seinerzeit das berühmte "Panzerfett" verwendet; schon vom Anfang her sehr steif (und säurehaltig!). Hätte aber bei regelmäßiger Wartung nicht geschadet...... aber wer macht das schon :-( Meiner einer nimmt sich einmal im Jahr alle Geräte vor, prüft die Gängigkeit und fettet eventuell neu... ist eigentlich nicht viel Arbeit und ist in einem Tag erledigt (sind immerhin rund 20 Apparate!). Und so hab ich dann immer was zu tun :-)

Grüße
Wolfgang
http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=785.msg3654#msg3654
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Diana1982

#3
Guten Morgen Peter,

Du hast gar nicht erwähnt, was das für ein Tubus ist...
Und zwar ein Orthoplan-Pol-Tubus.
Das Problem mit der Augenabstandsverstellung ist hier besonders kritisch, denn sobald man die Okularstutzen und Prismen zwecks weiterer Demontage zum Reinigen bzw. Neufetten abnehmen muss, sind sie nachher wieder "POL-gerecht" zu justieren. Dafür braucht man z.B. ein Anhydrit-Präparat, anhand dessen man den Okularstutzen mit den Schlitzen fürs Fadenkreuzokular einstellen muss.

Das nächste Problem an dem Tubus befindet sich weiter unten in der Einstellmechanik für die Betrandlinse. Die sitzt bei diesen Tuben so gut wie immer fest. Ich habe bestimmt 5 oder 6 Orthoplan-Pol-Tuben hier und dabei nur einen erwischt, der sofort einsatzbereit war ohne großartigen Wartungs-/Reparaturaufwand. Geht die Betranslinsenfokussierung dann ausnahmsweise mal leicht, ist das höchstverdächtig und der Seilzug meist gerissen, so wars hier bei dem gezeigten Tubus, der bei mir gerade zur Reparatur ist, auch.

Versucht man die Bertrandlinse gegen den durch Verharzung verursachten Widerstand zu heben, reißt der Seilzug. Siehe erstes Foto (vom selben Tubus, den Du gestern gezeigt hast). Das zweite Bild zeigt die ganze Mechanik für die Zentrierung und Fokussierung der Betrandlinse. Ein paar Stellschrauben sind hier schon demontiert und damit nicht sichtbar - sie weichen gerade in Benzin ein.

Das zweite Bild ist gleichzeitig auch ein Suchbild für Euch! Wer findet das abgebrochene Stück der Augenabstandseinstellungsgabel?  ;) ;) ;)

Achso: Die abgebrochenen Gabeln hatten auch noch die kleine Nebenwirkung, dass eines der Prismen im Tubus einen Glasschaden erlitten hat. Auf den ersten Blick scheint der im Bild zum Glück nicht sichtbar zu sein, das muss ich aber nach der Reparatur nochmal genauer untersuchen.

LG Diana
Leitz Orthoplan
Leitz Diavert
Leica DMR
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