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Mal wieder Felspfützen

Begonnen von Michael Plewka, September 04, 2025, 21:09:53 NACHMITTAGS

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Michael Plewka

Hallo zusammen,

im August hatte ich mal wieder die Gelegenheit, in der Bretagne ein wenig in verschiedenen Biotopen mikroskopisch zu stöbern. Im Vergleich zu den Biotopen hier im Ruhrgebiet und Umgebung sind es dabei auch die marinen Lebensräume, welche die Chance zur Beobachtung  von vorher noch nicht gesehener Organismen bieten.

Schon vor ein paar Jahren hatte ich hier im Forum  ein interessantes algenähnliches Objekt aus einer Felspfütze  am Atlantik vorgestellt, das René damals dankenswerterweise bestimmt hat:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=32269.0
,

Auf der Suche nach Rädertieren (was sonst ;-)) fand ich in diesem Jahr  an dem selben Küstenwanderweg eine weitere Felspfütze. Hier  mal ein Bild:


 
In dieser Pfütze fand ich drei verschiedene Rädertierarten sowie einen weiteren Organismus, den ich hier ebenfalls vorstellen möchte.

Anfangen möchte ich mit einem ,,Schildkröten-Rädertier": Testudinella clypeata, das ich bisher nur einmal in einer Probe aus der Sandlücken-Fauna der Ostsee gefunden hatte. Der Körper mit entsprechendem Panzer hat eine elliptische Form, allerdings hat der Fuß  eine Verengung, durch die sich dieser Art von beispielsweise Testudinella elliptica unterscheidet:




Weitere Bilder hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Testudinella%20clypeata.html

Wie man  unschwer erkennt,  sitzt das Viech mit seinem Fuß an einem Haufen von Mikroalgen, die möglicherweise auch als Nahrung für diese Art infrage kommen. Bei diesen Mikroalgen handelt es sich um Flagellaten mit zwei Chloroplasten, wobei weiterhin die vielen Körnchen an der Peripherie der Zelle auffallen. Im Videoaufnahmen wird außerdem deutlich, dass diese Mikroalgen drei ,,Geißeln" haben (wobei es sich wohl eher um zwei Geißeln  (Pfeile) und ein Haptonema (Pfeilspitze) handeln könnte.):



Es könnte sich dabei um einen Vertreter der Prymnesiales handeln, allerdings habe ich bisher im WWW kein Bild einer vergleichbaren Form gefunden.
Weitere Bilder hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/Kennkarten%20Algen/01_e-algae/Other_Algae/e-source/Hymenomonas%20sp..html


Das bleibt also spannend....


In der selben Probe habe ich dann zum erstem Mal  ein (weiteres) Testudinella-Rädertier gefunden, bei dem auffällig war, dass keine roten Augenflecken (die sind  bei den anderen Testudinella-Arten sehr auffällig) zu sehen sind. Im Koste (1978) ist als einzige Art mit diesem fehlenden Merkmal Testudinella caeca angegeben, wobei auch die anderen Merkmale (zum Beispiel Form des Panzers, Fußöffnung) übereinstimmen. Hier ein Hellfeld-Bild:



Weitere Bilder hier:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Testudinella%20caeca.html


Die dritte Tierart aus dieser Probe gehört zur Gattung Encentrum. Bei dieser Art: E. marinum  sind zwei lichtbrechende Körperchen in der Nähe des Gehirns typisch, was man auf den Bildern hier sehen kann:
https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/source/Encentrum marinum.html

Für diesen Beitrag habe ich aber trotzdem ein anderes Bild ausgewählt, nämlich eins, das zumindest nahelegt, dass die oben angesprochenen MikroAlgen auch zum Nahrungspektrum von Encentrum gehören können.



Für die Artbestimmung innerhalb dieser Familie (Dicranophoridae) ist  eine möglichst genaue Dokumentation des Kauers obligatorisch. Hier also ein  Bild des mazerierten Kauers: 




Die in dieser Felspfütze vorkommenden Tiere  unterscheiden sich allerdings von der typischen Form durch die extrem kurzen Zehen.



Viel Spaß beim Anschauen & beste Grüße
Michael Plewka


Päule Heck

Hallo Michael,
das sind - wie gewohnt -fantastische Aufnahmen!
Vielen Dank für's Zeigen.
Herzliche Grüße
Päule

Michael Plewka

Hallo Päule,

vielen Dank für die nette Rückmeldung!

Beste Grüße
Michael Plewka


Jürgen H.

Lieber Michael, bitte, wie mazerierst Du so ein Minirädertier?
Tolle Aufnahmen und tolle Präparation!

Viele Grüße

Jürgen

Gerald

Hallo Michael,

wieder ein toller Bericht mit perfekten Aufnahmen. Auch von mir vielen Dank für´s Zeigen.

Hast Du im Urlaub / auf der Reise Deine Mikroskopausrüstung mit dabei? Wenn ja, wie schützt Du sie wärend dem Transport vor den Erschütterungen im Fahrzeug? Zerlegst Du sie? Ich erinnere mich an das erste Mikroforumtreffen (Kornrade 1). Da haben wir auf einem Rollwägelchen das Axioskop aus Detlef´s Büro in den Kursraum transportiert und dabei muss dann eine Machanik vom Grob/Feintrieb rausgesprungen sein. Ärgerlich: war eine Reparatur notwendig - Detlef kann es leider nicht mehr berichten.

Viele Grüße

Gerald

Michael Plewka

Hallo zusammen,

@ Jürgen und Gerald:

Vielen Dank für das Interesse an diesem Beitrag!


Die Kauer Präparation bei Rädertieren ist ein mehrstufiger Prozess, den man grundsätzlich in drei Phasen einteilen kann:
1. Isolation des Tiers.
2. Mazeration mit Natriumdodecylsulfat,
3. Mazeration mit Natrium Hypochlorit (NaOCl).


Hier noch ein paar Erläuterungen dazu.


1.Am Anfang steht die Isolation des Tiers  mittels  der Stereo Lupe. Mein Isolationsprozess ist also anders als der von Martin Kreutz vor einiger Zeit beschriebene, funktioniert aber für Rädertiere ausgezeichnet.
Ich suche also aus einer Wasserprobe in einer kleinen Petrischale (5 cm Durchmesser)  bei 25 facher  Vergrößerung interessante Tiere aus. Mit der Zeit lernt man, die meisten  Gattungen selbst bei dieser schwachen Vergrößerung zu unterscheiden. Dann wird  mittels einer Eppendorf Pipette ein Tier (oder auch an Einzeller) in 25 µl abgesaugt und dann auf ein zuvor gut gereinigten Objektträger gegeben. Für die Reinigung eignet sich dabei ein Mikrofaser Tuch sehr gut, weil dabei keine Fasern auf dem Objekt träger zurückbleiben.Wegen der Winzigkeit des Kauers ist es wichtig, dass später unter dem Decklas (DG) ausschließlich das Rädertier ist und keinerlei andere Partikel wie zum Beispiel Algen, Reste von KleinKrebsen oder Detritus.
Deshalb wird hier an dieser Stelle möglichst wenig Flüssigkeit aus der Probe mit übertragen, daher die 25 µl.

Sollten sich nun doch noch Detritusreste oder Ähnliches in dem Wassertropfen befinden, wird ein tropfen sauberes Wasser (ich verwende dabei Volvic) hinzugegeben und wiederum mit der Eppendorf-Pipette die störenden Partikel abgesaugt. Diese Maßnahme kann beliebig oft wiederholt werden.
Am Ende sollte dann ein Rädertier in einem Tropfen von circa 50 µl vorhanden sein.

Bis vor einiger Zeit habe ich folgendes Verfahren verwendet:

Anschließend wird das Deckglas aufgelegt. Nach Murphys Gesetz landet das RäderTier dabei leider nur selten in der Mitte des Deckglases, sondern eher am Rand. Da kann man dann später die Öl-Immersion nicht benutzen. Meistens schwimmt das Tier dann unter dem Deckglas sowieso hin und her so, so dass man durch Absaugen des Wassers mit Filtrierpapier das Tier vorsichtig festlegen muss.

Anschließend erfolgt die Beobachtung und Dokumentation unterm Mikroskop.
Wenn das Tier in einer geeigneten Position zu legen scheint, so dass der Kauer einigermaßen deutlich in Erscheinung tritt, kann man weiteres Wasser absaugen.

Da ich seit zwei Jahren auch an der Bewegung der Rädertiere interessiert bin, gehe ich mittlerweile in vielen Fällen folgendermaßen vor: bevor das DG aufgelegt wird, wird es an zwei Rändern mit einer dünnen Schicht Vaseline bestrichen. Dazu wird der Handballen einer Hand mit einer dünnen Schicht Vaseline eingerieben, diese Schicht wird dann mit dem DG so abgestreift, dass an einer der 4 Kanten  ein circa 1 mm dicker Rand entsteht. Das entsteht an zwei entgegengesetzten Seiten des DGs. Das DG wird nun über dem zuvor erstellten Wassertropfen auf dem Objektträger abgelegt. Entweder kommt der Wassertropfen nach diesem Auflegen bereits in Kontakt mit dem DG. Dann sollte eine mehr oder weniger eine mehr oder weniger große Kreisfläche unter dem DG mit Wasser gefüllt sein. Die in diesem Beitrag gezeigte Testudinella caeca befindet sich mit dem Fuß genau an einer solchen Wasser-Luft-Grenze.  Andernfalls kann man nun vorsichtig an den vier Ecken mithilfe einer Pinzette die Stellen mit der Vaseline leicht andrücken, bis dieser bis das DG Kontakt mit dem Wassertropfen bekommt. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass nun ein begrenztes Volumen unter dem DG ist, in dem sich das Rädertier frei bewegen kann, so dass dessen Bewegungen dokumentiert und beobachtet werden können:




Aufgrund der Plastizität der Vaseline hat man nun die Möglichkeit,  die Schichtdicke des Wassers sehr kontrolliert weiter zu reduzieren. Es ist somit möglich, den Bewegungsraum des Rädertiers kontrolliert immer weiter einzugrenzen:

https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/Xibit/img/OT_Prep__7231.jpg

2. Anschließend wird auf der entgegengesetzten Seite ca. 5mm neben dem DG ein Tropfen eines Detergenz zugesetzt. Ich verwende dabei Natriumdodecylsulfat, aber normales Spülmittel tut's auch.
Zunächst sollte der Tropfen keinen Kontakt mit dem DG beziehungsweise dem darunter befindlichen Wasser haben. Anschließend wird  mit der Spitze einer Eppendorf Pipette der Tropfen so zum DG gezogen, dass er die daran befindliche Wasserschicht berührt.
Warum so umständlich?
Das größte Problem bei der Präparation ist, dass das gerade festgelegte Tier (oder Teile davon) wegschwimmen, wenn  Flüssigkeit am DG-Rand zugesetzt wird. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, den Mazerations Prozess möglichst kontrolliert verfolgen zu können.

Somit sollte die Flüssigkeitsmenge des Mittels möglichst gering sein aber die Konzentration so hoch, dass ein Effekt erkennbar wird. Das ist Erfahrungssache, da kann ich keine Werte nennen. Typischerweise wird das Rädertier beim Zusatz des SDS schlichtweg flüssig, d.h. ohne dass ein hektischer Todeskampf stattfindet hören die Bewegungen einfach auf und die inneren Organe fließen aus dem Tier heraus. Dabei wird das Integument, d.h. die Haut des Tieres zunächst einmal nicht durch das SDS angegriffen, so dass eventuell vorhandene Feinstruktur erhalten bleiben und gegebenenfalls gut beobachtet werden können. So lassen sich u.a. Strukturen darstellen, die bisher in der Literatur  noch nicht beschrieben sind.

Hier noch ein paar Beispiele wie z.B. Labellum m Kopf oder die Lateraltaster. Auch der Harkenapparat von Adineta (wichtiges Bestimmungsmerkmal) lässt sich nur mit SDS analysieren:

https://www.plingfactory.de/Science/Atlas/KennkartenTiere/Rotifers/01RotEng/E-TL/e-morphology/src%20_morphology/M_04_trophi-preparation.html

Wenn man Glück hat, werden die Kauer bei diesem Verfahren ebenfalls mit herausgespüllt beziehungsweise durch den zunehmenden Deckausdruck heraus gepresst und liegen möglicherweise schon in einer guten Position.

3.Bis hierher   bleiben allerdings je nach RädertierArt Gewebereste zurück, die dann anschließend mit Natrium-Hypochlorit (NaOCl; ,,Klorix") weg mazeriert werden müssen. Hier treten jetzt die zuvor beschriebenen Gefahren mit noch größer Wahrscheinlichkeit auf: der winzige Kauer ist möglicherweise ja schon freigestellt, d.h. bei Zugabe von Flüssigkeit, (d.h. eben die Hypochlorit- Lösung) ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass der Kauer auf Nimmerwiedersehen weggespült wird. Deshalb sind die zuvor beschriebenen Arbeitsschritte möglichst genau einzuhalten.

Ich gehe davon aus, dass den hier Mitlesenden die Gafahren dieses Stoffs (giftig, ätzend, kleinste Spritzer ruinieren durch Bleichung die Kleidung!) bekannt sind.

Anschließend wird der Kauer mit Öimmersion untersucht beziehungsweise dokumentiert.

Wegen der Dreidimensionalität der einzelnen Teile eines Kauers liegen deshalb mit großer Wahrscheinlichkeit einzelne Teile übereinander, so dass diese häufig nicht genau dokumentiert werden können
Manchmal hat man dann die Gelegenheit, durch Verschieben des DGs ebenfalls die Position des Kauers beziehungsweise der Kauerteile noch einmal zu verändern, beziehungsweise die Kauerteile so voneinander zu trennen,  dass sie dann einzeln fotografiert werden können.
Durch entsprechende Bildbearbeitung können dann gegebenenfalls einzelne Teile wieder zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden.


@Gerald: ja, der Transport durch die entsprechenden Flure in Darmstadt auf einem solchen Wägelchen ohne entsprechende Polsterung ist ein absolutes no go!

Wenn ich innerhalb Europas unterwegs bin, wird das Mikroskop  auseinander gebaut und die jeweiligen Teile gut gepolstert in entsprechenden Kisten (z.T. in ehemaligen Flight-Cases, die ich vor ewigen Zeiten für Röhrenverstärker etc. gebaut hatte) verstaut. Die mechanischen Teile des Stativs werden mit Gaffa-Tape fixiert, ist zwar nicht schön, aber effektiv. So mache ich das seit circa elf Jahren, und das Mikroskop hat es bisher überlebt.




Da muss man dann auch Kompromisse eingehen:  die Stange vom Planktonnetz z.B. passt nicht mehr, denn schließlich beansprucht das wichtigste Familienmitglied auch seinen Platz ;-)





Beste Grüße
Michael Plewka




Jürgen H.

Lieber Michael, herzliche Dank für Deine ausführliche Beschreibung der Präparation, sie ist es sicher wert, in der Methodenliste des Forums festgehalten zu werden. Hast Du spezielle Mikrofasertücher für die Reinigung der OTs?

Viele Grüße

Jürgen

Spectrum

Hallo Michael,
Ganz herzlichen Dank für deine detaillierte Anleitung.
Und deine Aufnahmen sind, einfach allererste Sahne.
Aber das sind sie ja ausnahmslos immer!
Danke auch hier für's teilhaben lassen.
Beste Grüße Holger
Holger
Duzen und meine Bilder (auch ungefragt)  bearbeiten, mit eigenen Aufnahmen ergänzen und weitergeben erwünscht!

Gerald

Hallo Michael,

vielen Dank für die ausführliche und informative Antwort. Auf jeden Fall ein ganz schön logistischer Aufwand so ein Urlaub bei Dir.

Viele Grüße - gerade auf Reise, aber ohne Mik :-)

Gerald

Michael Plewka

Hallo Jürgen,

ich nehme ein altes Brillenputztuch, nix spezielles....

@ Holger danke für die nette Rückmeldung!

@ Gerald: ich würde mich sehr ärgern, ein paar nette Biotope zu finden und keine Gelegenheit zu haben, zu sehen, was darin ist. Ich will schon Spaß haben ;-)

Beste Grüße
Michael Plewka