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Frage an die Biologen

Begonnen von Johannes Kropiunig, September 23, 2011, 05:49:19 VORMITTAG

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Johannes Kropiunig

Guten Morgen

Ich wunder mich als Laie immer wieder wie scheinbar einfach hier im Forum zum Beispiel die Arten von Grünalgen bestimmt werden können.
Musste es nicht eigentlich eine völlig überschaubare Artenvielfallt bei diesen "Kleinvieh" geben ?
Wenn man deren kurzen Lebenszyklen und die damit verbundene Reproduktionsrate , deren gewaltige Anzahl und die Masse an isolierten Lebensräumen ansieht müssten doch in den Milliarden Jahren weitaus mehr Arten entstanden sein.
Liegt es vielleicht daran das die einfach ein wesentlich primitiveres Genom und damit weniger Platz ist für sinnvolle Mutationen als zum Beispiel bei Käfer ?
 
LG
Johannes

 
Biologische Mikroskop: Zeiss Standard 16
Stereomikroskop: Lomo MBS 10
Kameras:  EOS 1100D, EOS 1000D, EOS 1000Da, und EOS 350Da Peltier gekühlt

Sag es mir - und ich werde es vergessen. Zeige es mir - und ich werde mich daran erinnern. Beteilige mich - und ich werde es verstehen.
Laotse

schmidt

Hallo Johannes,

es ist durchaus nicht so einfach, wie es scheint. Sicher gibt es Arten, die der Spezialist auf Anhieb erkennen kann. Andere wieder können nur in bestimmten Entwicklungsstadien sicher bestimmt werden. Wichtig ist eine Orientierung was es Alles gibt, dann kann man eine Form zumindest grob zuordnen, weiß wo man etwa suchen muss. Z.B. wenn man sagen kann, das oder das kann nur eine Kieselalge sein etc.
Und man findet immer wieder auch Formen, die man nicht zuordnen kann. Bei meiner Arbeit z.B., dem Gewässermonitoring für die EU-Wasserrahmenrichtlinie treffen wir durchaus auf Algen, die keiner einordnen kann, die erhalten dann einen vorläufigen "Arbeitsnahmen".
Eine solche Art haben wir z.B. gerade bei einem Spezialisten in Wladiwostok zur Prüfung liegen.
Sicher geht auch die evolutionäre Entwicklung weiter, und es können durchaus neue Formen entstehen. Vielleicht kann hier jemand der evolutionsbiologisch bewandert ist, etwas dazu sagen. Die Generationsfolge ist ja sehr kurz, so dass vielleicht hundert Jahre bei einer Algenart vielen tausenden oder hundertausenden Jahren evolutionärer Entwicklung bei großen Vielzellern entspricht.
Könnte es sein, dass in den paar Jahrhunderten, die jetzt mikroskopische Lebewesen beobachtet werden, neue Arten entstanden sind, oder arten sich verändert haben. Wäre interessant alte gute Zeichnungen und Artbeschreibungen mal darauf hin zu untersuchen.

Viele Grüße
Steffen
Mikroskope:
Lomo Biolam Ph+; DF; HF-Abbe; Epi HF/DF/Pol; Epi-Fl; //Biolar DIK, IK, Ph variabel+-//
Nikon Eclipse -U  HF; DIK, Ph+, Epi-Fl//
MBS 10

Johannes Kropiunig

Hallo Steffen
Danke für deine rasche Antwort.
Was mir noch in der Arbeit eingefallen ist, ist die asexuelle Fortpflanzung dieser Kleinlebewesen die da sicher auch eine Rolle spielt?

LG
Johannes
Biologische Mikroskop: Zeiss Standard 16
Stereomikroskop: Lomo MBS 10
Kameras:  EOS 1100D, EOS 1000D, EOS 1000Da, und EOS 350Da Peltier gekühlt

Sag es mir - und ich werde es vergessen. Zeige es mir - und ich werde mich daran erinnern. Beteilige mich - und ich werde es verstehen.
Laotse

Hyperion

#3
ZitatMusste es nicht eigentlich eine völlig überschaubare Artenvielfallt bei diesen "Kleinvieh" geben ?

Gleiches Aussehen heißt nicht unbedingt gleiche Art, ja oft noch nicht einmal gleiche Verwandtschaft.

Die taxonomische Einordnung rein aufgrund morphologischer Merkmale gilt eigentlich als überholt, nur die Wissenschaft hinkt einfach der Entwicklung hinterher. Es gibt eben nicht genügend Biologen um von Millionen von Arten den GC Gehalt und die (sRNA) DNA Sequenzen zu bestimmen.
Bei den Pflanzen und Algen hat man Glück, da sieht man noch im Mikroskop genug Merkmale.
Von daher mag man zwar durchaus in der Lage sein einen Namen anhand morphologischer Merkmale einem Organismus zuzuzordnen, die Einordnung in eine bestimmte Gattung oder Familie kann aber wegen oben gesagtem völlig ander Realität vorbei gehen. Da wurden in der Vergangenheit schon einige Species völlig woanders hingeschoben.....

Bei Bakterien z. B gelingt das nicht mehr.


Michael Plewka

hallo Johannes,

die Frage, die Du aufgeworfen hast,  ist überaus spannend. Abgesehen von der Frage, ob die Anzahl der Algenarten bislang richtig erfasst worden ist ( die genetische Untersuchung der Algen bewirkt hier eine ständige Korrektur der bisherigen Taxonomie) hier einige Anmerkungen dazu:

1.mir liegen folgende Zahlen vor: das menschliche Genom wird auf ca. 3x10^9 Basenpaare geschätzt, das von Paramecium auf  ca. 10^8. Die geschätzte Anzahl der Gene wird für den Menschen mit 25 000 angegeben, für Paramecium jedoch mit 40 000  (für Algen ist mir keine Zahl bekannt).  Das zeigt, dass ein "einfacher" Organismus durchaus eine größere Genausstattung haben kann als ein "komplexer" gebauter. Somit wird es weniger an diesem Umstand liegen.


Der Schlüssel zur Beantwortung liegt also woanders.

2. In der Frage gibt es ein Missverständnis die Reproduktionsraten und -zyklen. Es ist ja gerade die Strategie der Algen, durch eine hohe vegetative Vermehrung ein Biotop vor allem schnell zu besiedeln. Dabei entstehen i.d.R. genetisch identische Klone, die nicht zu neuen Arten führen. Typischerweise finden sexuelle Vorgänge bei Algen nur bei einer Veränderung der abiotischen Faktoren statt, zumeist ist das dann jährlich der Fall (z.B. Konjugation bei Spirogyra), liegt also dann im Bereich dessen, was auch für viele Wirbellose zutreffend ist.

3. Der Umstand, dass ein(e) Pfütze/Tümpel  von einer(m)  anderen räumlich getrennt ist, bedeutet nicht, dass die Organismen "isoliert" sind. Isolation im Sinne der Evolution liegt vor, wenn der Genaustausch zwischen Populationen erschwert oder verhindert wird. Diese Isolation begünstigt grundsätzlich die Entstehung neuer Arten; jedoch zeigt beispielsweise die schnelle Neubesiedlung eines neu angelegten  Gartenteichs, dass genau das Gegenteil zutrift: über die Luft oder mittels Vögeln / Insekten etc. werden  Algenzellen oder -sporen regelrecht kosmopolitisch verbreitet und ausgetauscht, was im übrigen auch für andere Gruppen von Lebewesen-Gruppen aus dem "Wassertropfen"-Buch zutreffend ist. Ein wesentlicher Motor der Evolution fehlt also.

4. Grundsätzlich hängt die Anzahl der Arten in einem Ökosystem mit der Anzahl der ökologischen Nischen zusammen. Offenbar ist die Anzahl dieser in einem limnischen System nicht so hoch wie in manchen terrestrischen Systemen. 

In terrestrischen Ökosystemen gibt es vielfältige Formen der Konkurrenz: Nahrungs- und Raumkonkurrenz, die zu entsprechenden Anpassungen führt. Für planktische Algen gibt es zwar Lichtkonkurrenz, normalerweise steht dieses aber bezogen auf die Volumina in ausreichendem Maße zur Verfügung.  Dennoch ist natürlich klar, dass Algen nur in der photischen Zone leben können. Der gesamte Wasserkörper wird also nicht besiedelt.

Anpassungen an Fressfeinde: während sich terrestrische Wirbellose zur Abwehr derselben  eine Menge "haben einfallen lassen", nützt diese Strategie insbesonder kleinen planktischen Algen nichts, egal ob Glasschalen (Diatomeen)  oder Dornen (Zieralgen): ein 100mal größerer Wasserfloh oder ein Fisch verzehrt alles, solange die Algenmasse genügend Energie bereitstellt und nicht giftig ist wie z.B. einige Dinoflagellaten. Die Algen gleichen diese Verluste durch hohe (vegetative) Reproduktionsraten aus.

Da Algen autotroph sind, ist ihre Ernährungsstrategie gemessen an heterotrophen Organismen ziemlich einfach: Licht und CO2 reichen!
Sämtliche Strategien und morphologische Anpassungen, die sich terrestrische Wirbellose haben einfallen lassen müssen, um an Energie zu kommen, brauchen die Algen nicht, weshalb es in diesem Sektor ebenfalls keinen Selektionsdruck gibt (abgesehen von einigen Großgruppen mit unterschiedlichen Photosynthesepigmenten).

Zwar ist die Darstellung sicherlich nicht erschöpfend, ich hoffe aber, einige Anregungen gegeben zu haben.

beste Grüße Michael Plewka


JB

Zitat: "Wenn man deren kurzen Lebenszyklen und die damit verbundene Reproduktionsrate , deren gewaltige Anzahl und die Masse an isolierten Lebensräumen ansieht müssten doch in den Milliarden Jahren weitaus mehr Arten entstanden sein."

Wie oben schon gesagt, sind die Einzeller-Lebensraeume nicht so isoliert wie es im ersten Moment erscheint. Tatsaechlich ist eine ganze Anzahl von Einzellern weltweit verbreitet. Zusammengehalten werden die Arten durch Genaustausch (Sex) und morphologisch begruendete Arten fallen erstaunlich gut mit den Ergebnissen von DNA Analysen ueberein oder stellen sich als Gruppen von Arten mit aehnlicher Morphologie heraus.

Zitat: "It is generally held that the smallest organisms are cosmopolitan
(e.g. Fenchel 1987, Gerlach 1977, Patterson et al.
1989). A person trained in identifying e.g. ciliates in
Europe will have little difficulty in identifying most ciliates
in water samples collected anywhere in the world.
Regarding meiofauna and larger protozoa there are notable
exceptions, but perhaps they support rather than undermine
the generalisation. Thus Dragesco and Dragesco-
Kemeis (1986) found that among 262 freshwater ciliates
recorded in Africa 23% (almost all large species) are
endemic to Africa or pantropical."
aus: Tom Fenchel (1993): There Are More Small Than Large Species? Oikos Vol. 68, No. 2 (Nov., 1993), pp. 375-378

Tatsaechlich, und counterintuitiv, nimmt man vielfach an, dass der Endemismus von Arten mit der Koerperlaenge abnimmt. Dem entgegen steht allerdings die Erfahrung, dass die Biodiversitaet umso schlechter erforscht ist, je kleiner die Koerpergroesse der Tiergruppe ist und umso naeher man den Tropen kommt. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Ausserdem gilt es, wenn ueberhaupt, nur fuer freilebende Einzeller. Die Zahl von parasitischen/kommensalischen Einzellern ist noch nicht einmal absehbar. Beispiel? Chapman A. D (2009) Numbers of living species in Australia and the world. Toowoomba, Australia: 2nd edition. Australian Biodiversity Information Services. http://www.environment.gov.au/biodiversity/abrs/publications/other/species-numbers/index.html

Foraminifera: described >13,500; estimate >18,000
Apicomplexa (parasitic protists): described 5,000; estimated: >1,000,000

Rieser

Hallo

Ich wollte auf deine ursprüngliche Frage zurückkommen. Wie die Kommentare vor mir zeigen ist die Biologie ein weites Feld. Jedoch kann man sich das Leben mit einigen Grundregeln deutlich erleichtern. Bei der Bestimmung eines Organismus aus einer Probe schließt man an Hand des Fundorts und den Umweltbedingungen schon auf eine gewisse Flora und Fauna. Zudem sind gewisse Arten häufiger andere sehr selten oder weltweit bzw sehr lokal begrenzt vorkommend.
Archea findet man an zumeist an Standorten mit extremen Umweltfaktoren. Bakterien besitzen kaum Doppelmembrane, Zellkern, etc. - und sind an Hand Fortbewegung, Aussehen einzugrenzen. Eukarionten besitzen Doppelmembrane, M o. P, Fortbewegungsorgane, einen, zwei oder mehr Zellkerne, Mikrostrukturen, Dauerstatien, Symbionten und sind durch ihre Größe zu differiziren.
Farben sind ein sehr schlechtes Merkmal und werden nicht als Taxonomisches Merkmal herangezogen - hängt zu stark von der Umgebungsfaktoren ab
Viele Organismen besitzen zum Teil sehr charakteristische Strukturen - Beispiel Schalen der Testacea, Kieselalgen, oder Foraminifera andere sind wie Amoebozoa kaum bis gar nicht zu bestimmen.
In jedem Fall hängt es von der Erfahrung des Biologen ab wie gut er eine Probe analysieren kann

;D alles gute und viel Spaß
Franky
Akademisches Nachtschattengewächs

Rieser

 :D Hallo
Bezüglich der Artenvielfalt - Der Begriff Art ist eines der größten und schwierigsten zu definierenden Begriffe in der Biologie
Bakterien besitzen 70-80 Prozent konservatives Erbgut und der Rest wird auch Artübergreifent weitergegeben - Plasmide
Der unterschied Mensch - Schimpanse 0,4-5 Prozent; Ein Drittel der Pflanzen sind Hybride mit einem ungeraten Chromosomensatz
den sie aber über F3 weitergeben; Schleimpilze besitzen bis zu 13 Geschlechter; Telosteri wechseln ihr Geschlecht nach Größe, Hormonstatus, Alter;
manche Einzeller wechseln zwischen Geschlechtlicher und Asexueller Fortpflanzung;

Leider gibt es für solche Fragestellungen keine Fördergelder

alles gute euer Franky ???
Akademisches Nachtschattengewächs