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Hydra unter Strom

Begonnen von Kathleen, Oktober 09, 2011, 22:07:33 NACHMITTAGS

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Kathleen

Liebe Forumleser!

Wie schon im letzten Jahr hatte ich auch diesmal zur Kornrade- Zeit Gelegenheit, den Höbelschen Gartenteich genauer unter die Lupe zu nehmen.
Dabei fielen mir bei der Betrachtung der Proben unter dem Stereomikroskop unscheinbare gallertartige Klümpchen auf, die sich in großer Zahl an den Blattunterseiten der Wasserpflanzen befanden und durch das Ausfahren der Tentakeln als Süßwasserpolypen zu erkennen gaben.


Stemi, Auf- und Durchlicht kombiniert





Bei dem Versuch, die genaue Art dieser interessanten Tierchen zu bestimmen, erfuhren wir im "Wassertropfen", dass dies nur über die Form ihrer Nesselkapseln möglich ist. Also haben wir uns die Tentakeln genauer angesehen


und dann noch ein bisschen näher "herangezoomt", um die Struktur der Nesselkapseln erkennen zu können.

40x


63x


63x

Leider ist uns trotz der Tatsache, dass Stilett und Faden erkennbar waren, keine genaue Bestimmung mit dem "Wassertropfen" gelungen und ich muss gestehen, dass ich zwischen den Abbildungen der verschiedenen Kapselarten keine wirklichen Unterschiede feststellen konnte. Schön wäre es, wenn dazu jemand sachdienliche Hinweise hätte!

In der Probe befanden sich vereinzelt explodierte Nesselkapseln, anhand derer man sehen konnte, welche enorme Länge ein Nesselfaden aufweisen kann.


Dieser Anblick weckte die Neugier, wie so eine Nesselkapsel- Explosion in großem Stil wohl aussehen mag. Das Problem: wie kann man die Hydra  zu einem gezielten Abschuss überreden? Quetschen und Säureangriff wurden ausgeschlossen, da dies einen großen Verschleiss der Tierchen bedeutet und zum Filmen des Vorgangs zu untauglich gewesen wäre. Und genau das wollte ich, um meine neue Kamera auszuprobieren ( nochmals Dankeschön, Peter!  :) ), die sich als überraschend tauglich und vor allem anwenderfreundlich erwies.

Peter verfiel auf die geniale Idee, die Kapselexplosion mittels dosierter Stromstöße zu provozieren. Genial deshalb, weil es a) funktioniert hat und sich b) dieses Verfahren als extrem ressourcenschonend erwies, denn es konnten in kurzer Folge 4- 5 Explosionen hervorgerufen werden, ohne dass es die betreffende Hydra das Leben kostete.

Auf einem Objektträger wurden zwei 10mm große Elektroden mit Silberleitlack aufgetragen, damit auch bei geringerer Schichtdicke gearbeitet werden konnte. Stromstöße von 15V erwiesen sich für unseren Zweck als optimal.

Hier nun das Ergebnis unseres Experiments. Der 1. Teil des Videos zeigt die Reaktion der Hydra auf den Stromstoß, im 2. Teil kann man recht deutlich den Abschuss der Nesselkapseln erkennen. Wir wünschen viel Spaß beim Anschauen!

http://www.mikroskopie-ph.de/Hydra-1.wmv
(Achtung, 6,5 MB!)

Grüße von der kalten Insel
Kathleen


Klaus Herrmann

Liebe Kathleen, lieber Peter,

gratuliere zu den tollen Bildern und dem spektakulären Film. Da habt ihr ja richtig wissenschaftliche Arbeit geleistet!

Gibt es denn überhaupt Aufnahmen von abschießenden Nesselkapseln?

Hier ist es auch nicht gerade sehr heimelig warm!
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


Vorstellung: hier klicken

Michael Plewka

hallo zusammen,
in wirklich interessantes Experiment, das sehr schön dokumentiert worden ist!

Zur Frage von Klaus (falls ich richtig verstanden habe): wie in der wiki zu lesen, haben Holstein und Tardent 1984 einen Hochgeschwindigkeitsfilm über die Entladung von Stenotelen bei Hydragedreht. Die Reizung erfolgte übrigens ebenfalls elektrisch. Die Sequenz lief einmal in einem Film über Hohltiere im Fernsehen.

Ergänzend noch zwei Aufnahmen vom Kapseleinschlag. Hier ein Nematode, der einer Hydra zu nahe kam. Man sieht deutlich, dass er von einer Menge Nesselzellen getroffen wurde:



Detail:


Der Nematode kam dabei zu Tode....

beste Grüße Michael Plewka



Kathleen

Lieber Klaus,
Danke für Dein Lob!

Also zumindest hier im Forum habe ich noch keine Bilder von einem Nesselkapsel- Abschuss gefunden.  Muss gestehen, dass ich selber ziemlich begeistert bin, dass diese Aufnahme gelungen ist.  :)  Ein schöner Einstand für meine Kamera!

Aber der misslungene Bestimmungsversuch ärgert mich schon, habe nicht mal ansatzweise eine Idee...  >:(

Grübelnde Grüße
Kathleen

Kathleen

Hallo Herr Plewka!

Herzlichen Dank für Ihr Lob, die Informationen und ganz besonders für die Bilder!

Die Nesselattacke auf ein Freßobjekt hätte ich natürlich auch sehr gern gesehen. Dabei standen die Chancen nicht einmal schlecht, denn in der Probe befanden sich viele Volvox, die der Hydra zu nahe kamen. Das habe ich eine ganze Weile beobachtet, ohne dass es jedoch zu einer nennenswerten Reaktion kam. Deshalb haben wir uns für das Abpipettieren und die Reizung per Strom entschieden, denn wir hatten für dieses Projekt nur einen Tag zu Verfügung.
Schade eigentlich.

Liebe Grüße
Kathleen




G. Helbig

Hallo Kathleen, hallo Peter,

ein super Film! Da ich mich gerade mit der Kultur von Hydra beschäftige, interessiert mich das Experiment besonders. Ein Frage zu dem Film: wird nach dem Abschuss der Nesselkapsel diese wieder durch den Nesselfaden zurückgezogen (das schaut im Film so aus) oder entschwinden diese einfach aus dem Fokus?

Viele Grüße aus den verschneiten, kalten Bergen.

Gerald

arturoag75

Very interesting video!
I would not be in the place of the nematode ;)
Arturo

Herne

Hallo Kathleen, hallo Peter,
sehr interessante Fotos. Den Film kann ich mir leider nicht anschauen, da mein oller Mac das Format nicht kennt ... Schade!
In natura habe ich die noch nie gesehen. Wo müsste ich gezielt suchen, um welche zu finden?
@ Arturo:
I would´nt like to be in the place of a nematode in any case: They dont´t have eyes to use a microscope! ;D

Mit freundlichen Grüßen
Herbert
Die animalcula infusoria sind Blasen mit Neigungen.
G. Chr. Lichtenberg

Kathleen

Hallo,
vielen Dank für die lobenden Worte!

@Gerald: Die Nesselkapseln sind aus dem Fokus verschwunden. Nach dem Abschuss sah es nach einer kurzen passiven Entspannungsphase aus, danach hatte ich den Eindruck, dass sie langsam aktiv wieder eingezogen wurden. Nach Beendigung der Aktion waren jedenfalls nur noch vereinzelt schwimmende Nesselkapseln zu sehen. Leider habe ich zur Hydra so gar keine Literatur...
Falls Deine Bemühungen zur Kultur der Hydra soweit fortgeschritten sind, dass Du auch welche abgeben kannst, könnte man ja das Experiment fortsetzen, diesmal mit Fressobjekt statt mit Strom...  :)

@Herbert: Schade, dass Du den Film nicht sehen kannst. Vielleicht hat ja ein anderer Mac- Benutzer hier im Forum eine Idee, ob und wie man den in ein kompatibles Format umwandeln könnte. Zum Vorkommen der Hydra gibt der "Wassertropfen" alle Gewässer an. Ich habe sie wie gesagt in sehr großer Anzahl in einem kleinen, gut bewachsenen Teich gefunden, der belüftet wird. Sie hatten sich mit eingezogenen Tentakeln an den Blattunterseiten festgesaugt und streckten sie erst aus, nachdem das Probenwasser eine Weile nicht bewegt wurde. Vorher habe ich sie nicht als Nesseltiere identifizieren können, die waren einfach nur unscheinbar.
Ich denke, dass es sich auch lohnt, die Wasserpflanzen weniger sauberer Gewässer abzusuchen.

Einen schönen Abend wünscht
Kathleen

Hugo Halfmann

Hallo Kathleen,

ich habe die Hydra viridissima z.T. wochenlang in Einmachgläsern kultiviert. Mit etwas Glück vermehren sich die Viecher sogar. Am besten hängst Du einen Objetträger an einer Wäscheklammer in das Glas, die Tierchen siedeln sich darauf an. Wenn Du Pech hast, bevorzugen die aber die Glaswand, frag´mich aber jetzt nicht warum ?!
Viele Grüße aus dem Bergischen Land

Hugo Halfmann

Michael Plewka

hallo Kathleen,

zum Auslösemechanismus hat es hier im Forum schon mal was gegeben:

https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=2783.0

es hängt offenbar von der (mechanischen) Reizstärke ab, denn Kommensalen wie z.B. Trichodina werden i.d.R. nicht genesselt. Ähnliches triftft wohlauch auf Volvox zu.

In diesem Zusammenhang vielleicht noch diese Ergänzung:  Einige Nacktschnecken der Meere ernähren sich sogar von solch tödlichen Polypen. Sie nehmen dabei auch die Nesselkapseln auf, ohne dass diese explodieren und speichern diese (noch) aktiven Nesselkapseln in speziellen Körperanhängen (Cerata) . Hier werden die vollständig intakten Nesselkapseln der Futtertiere gespeichert. Bei mechanischer Reizung werden sie ausgestoßen. Beißt also ein Fisch in die vermeintlich. schmackhaften Anhänge, explodieren die Nesselkapseln direkt in seinem Maul. Die von den Fadenschnecken über die Nahrung erworbenen Nesselkapseln werden treffend auch als Kleptocniden ("gestohlene Nesselkapseln") bezeichnet.


Die Mittelmeer-Nacktschnecke Cratena peregrina frißt die Polypenköpfchen von Eudendrium-Arten.
Hier ein Bild:




@ Herrn Helbig,
hier liegt offenbar ein Missverständnis vor. Die hier gezeigten  Nesselkapseln (Penetranten) haben eigentlich keinen  Nesselfaden, sondern einen Nesselschlauch. Das ist insofern bedeutsam, als die Nesselkapsel den Schlauch in die Beute mit extrem hohem Druck hineinschießt. Dadurch wird das Nesselgift in die Beute injiziert, was i.d.R. zur Lähmung der Beute führt. Wie im Nematoden-Bild zu sehen, bleiben die Nesselkapseln evtl. mit den Widerhaken in der Beute hängen.  Diese kann anschließend gepackt und in den Magenraum gezogen werden.
Diese Nesselkapseln funktionieren also wie eine Betäubungsspritze und nicht wie eine Angel. Sie können also nicht zurückgezogen werden. Dazu ist auch kein Mechanismus/ Organell vorgesehen.

beste Grüße Michael Plewka

G. Helbig

Hallo Herr Plewka,

vielen Dank für die Ausführung - sehr interessant!!

So wie ich nachgelesen habe (Wassertropfen) unterscheidet man drei Nesselkapselformen: Penetranten (Durchschlagskapseln), Volventen (Wickelkapseln) und Glutinanten (Klebekapseln). Kann man in Kathleens Video erkennen, welche Kapselform abgeschossen wurden?

@ Kathleen: Ich halte Dich auf dem Laufenden bezüglich der Kultur. Ich habe die Hydren auch schon länger in Gefäßen halten können, doch eine gezielte Vermehrung ist mir noch nicht gelungen. Allerdings habe ich vor kurzem eine Kulturanleitung von einer Uni erhalten, wo ich ein paar interessante Ansatzpunkte gefunden habe.

@ Herbert: zur Zeit sind die Hydren sehr häufig. Wasserpflanzen absammeln und in einem Gefäß mit Fundortwasser stehen lassen. Sie sind nach einiger Zeit mit dem bloßem Auge erkennbar (Größe bis zu 20mm) und hängen sich gerne an die Wasseroberfläche.

Viele Grüße

Gerald

peter-h

Liebe Hydrafreunde,

hier noch einige leider schlechte Bilder der Nesselkapseln.








Vielleicht helfen die Bilder aber zur besseren Bestimmung.
Schöne Grüße
Peter

Kathleen

Hallo zusammen!

@Hugo:Leider habe ich keine Probe mitgenommen. Ich werde aber am Wochenende mal ein paar Objektträger in einen Fehn hängen; vielleicht habe ich Glück und es siedeln sich ein paar Nesseltiere an. Für die Besiedlung der Glaswand anstatt des Objektträgers habe ich eine Erklärung. Das müssen die juvenilen Formen sein. Die machen nämlich nie, was sie sollen... ;D  ;D

@Gerald:Es würde mich sehr freuen, über die Fortschritte Deines Projekts zu lesen. Ich drücke Dir auf jeden Fall die Daumen für gute Ideen und zielführende Informationen!

@Peter: Danke für Deine Ergänzung!

@Herr Plewka: Vielen Dank für den Hinweis auf die mangelnde Reizstärke. Diese Erklärung ist einleuchtend.
Danke auch für die überaus interessante Information über die Mittelmeer- Nacktschnecke. Das Bild dazu erfreut übrigens nicht nur Mikroskopiker, sondern lässt auch Taucherherzen höher schlagen!   :)
Was mich bezüglich der Hydren noch interessieren würde: was passiert denn mit den Nesselkapseln, wenn sie nach dem Abschuss nicht mehr eingezogen werden können? Die Hydra in vorliegendem Fall müsste dann ja in einem Gewirr von Schläuchen liegen, was aber nicht der Fall war. Können Nesselkapseln von der Hydra neu gebildet werden?

Einen schönen Abend wünscht
Kathleen

Michael Plewka

#14
hallo Kathleen,
die Nesselkapseln werden  im "Normalfall" niemals abgeschossen. Sie stecken in den Nesselzellen innerhalb des Ektoderms. Bei mechanischen Reizen feuern sie explosionsartig lediglich den Schlauch ab, der dann in die Beute eindringt. Gegebenenfalls bohren sich ebenfalls die Widerhaken der Nesselkapsel in die Beute ein. Bei starker  Bewegung des Opfers wird die Nesselkapsel/Nesselzelle aus dem Gewebe des Polypen herausgerissen. in jedem Fall gehen die Nesselkapseln und Nesselzellen anschließend definitiv zugrunde. Abgestorbene Nesselzellen werden durch neue ersetzt.
Im vorliegenden Fall liegt ja eine elektrische Reizung ohne Beute vor. Es werden also lediglich die Schläuche abgeschossen; die Nesselkapseln verbleiben (weitestgehend) ebenfalls im Ektoderm und gehen zugrunde.

beste Grüße Michael Plewka