Botanik: Vitis vinifera Wein makro- und mikroskopisch *

Begonnen von Klaus Herrmann, Oktober 18, 2011, 21:56:27 NACHMITTAGS

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Klaus Herrmann

Hallo nicht nur den "Weinzähnen",

ich hatte schon erwähnt: Klaus Kammerer, unser Leiter der Mikroskopischen Vereinigung Stuttgart, die an der Uni Hohenheim tagt, hat letzten Freitag einen Abend rund um den Wein gestaltet. Er selbst hat als erfolgreicher Hobbywinzer fundierte Ahnung vom Wein und der Plage um was Trinkbares zu produzieren. Und ich kann bestätigen: der Wein ist sehr gut!

Etwas Statistik:

in Deutschland werden ca 10 Mio hl (eine Milliarde Liter - nicht nur bei den Banken gibt es große Zahlen) pro Jahr produziert.
Das ist mal gerade 4% der Weltproduktion! Aber 4/5tel der Weltproduktion werden in Europa produziert! Davon die Hälfte in Spanien, Italien und Frankreich.
Von der Gattung Vitis gibt es ca 70 Arten, nur Vitis vinifera ist in Europa heimisch; davon gibt es 2 Unterordnungen die Sylvestris (Wildrebe) und die V. v. vinifera (Kulturrebe). Die Weinrebe hat von allen Kulturpflanzen die meisten Kulturformen: mehr als 10.000 Sorten!

Wein im Mittelalter war besonders geschätzt, weil er im Gegensatz zu Wasser hygienisch einwandfrei war - wenn man mal von beliebten Fälschungen absah : klimatisch bedingt gab es eher sauren Wein, der dann einfach mit Bleiacetat ("Bleizucker") gesüßt wurde. Ein schwerer Kopf nach Weingenuss hat damit plötzlich eine ganz andere Bedeutung!  ;D

Zur Säure gabs im Schwabenland den Spruch:

"Der Reutlinger Wein frisst ein Loch in den Magen - Der Tübinger zieht es dann wieder zu!"

Klaus als praktizierender Winzer hat den Virtuellen Rebschnitt von Rolf (reblaus) sehr gelobt. Er meint es gäbe keine bessere Anleitung!

https://www.uni-hohenheim.de/lehre370/index.htm

Ich habe aktiven Rebschnitt gemacht und einen Spross und einen Blattstiel geschnitten und mit Wacker W 3 A gefärbt mit der 2-Komponenten-Farblösung.

Sowohl Detlef, als auch Klaus haben unabhängige Kommentare abgegeben. Detlef darüber hinaus noch ein sorgfältig beschriftetes Bild von mir.








ZitatDie Anatomie des Vitis-Sprosses ist schnell erklärt. Du hast recht, es handelt sich um den Lianen- oder Clematis-Typ des sekundären Dickenwachstums. Dieser ist dadurch charakterisiert, dass das interfascikuläre Kambium kein sekundäres Leitgewebe, sondern Strahlparenchym bildet, wodurch die Markstrahlen erhalten bleiben, was dem Spross die Flexibiltät verleiht. Die Grenze zwischen Metaxylem und sekundärem Xylem ist bei 7.00 Uhr, unter dem Wort "Markstrahlen" recht gut erkennbar: beim  Metaxylem, das ja zum primären Xylem gehört, sind die Parenchymzellen blau gefärbt. An dieser Stelle sieht man auch einen Ring sehr enger Xylem-Zellen. Dabei dürfte es sich um die Trockenperiode Aprli/Mai handeln.

Hier noch ergänzend Klaus:

ZitatDie ,,großen Löcher" befinden sich im Xylem und sind Tracheen, also Gefäße für die Wasserleitung. Typisch für Lianen (Kletterpflanzen) ist, dass die Tracheen im Querschnitt einen besonders großen Durchmesser haben können; man findet da Angaben in der Literatur von bis zu 0,7 mm. Bei denen findet man dann auch besonders hohe Geschwindigkeiten beim Transpirationsstrom, weil der Widerstand geringer ist: bis zu 150 m pro Stunde (zum Vergleich: die Nadelhölzer mit ihren englumigen Tracheiden schaffen es gerade mal auf ca. 1 m pro Stunde). Die Weinrebe dürfte solche Spitzenwerte nicht erreichen, der maximale Tracheen-Durchmesser liegt ja auch ,,nur" bei 300 µm.

Lianen (Kletterpflanzen) sind ganz typisch für tropische Regenwälder [Tarzan lässt grüßen].

Pflanzen brauchen ja Licht, um Photosynthese betreiben zu können. Um die Konkurrenz ums Licht zu gewinnen, muss man höher werden als die Nachbarn; das geht oberhalb der Krautschicht nur mit stabilen (selbsttragenden) Stämmen. Oder wie bei den Lianen: man sucht Halt an anderen Pflanzen oder an Felsen und hangelt sich so nach oben ans Licht, im Fall vom Wein mit Hilfe von Sprossranken.  

Zum Überblick über den Spross-Querschnitt findet sich eine brauchbare Skizze in: Erwin Schorr_Pflanzen unter dem Mikroskop, Verlag J.B. Metzler, 1991. Das Kantenkollenchym war bei uns nicht besonders prominent ausgebildet. Bei älteren und damit auch härteren Sprossen kann sich im Phloem Hartbast (Zellen mit stärker verdickten Zellwänden) befinden.

Hier noch der Schnitt durch den Blattstiel:


Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


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Fahrenheit

Lieber Klaus,

vielen Dank für die schöne Darstellung - da hattet Ihr ja einen interessanten Abend in Stuttgart.

Ich nehme an, Ihr habt im Anschluss auch dem vergorenen Traubensafte zugesprochen - sozusagen im inwendigen Selbstversuch?  ;D
Wir Bonner nennen das Nachsitzen.  ;)

Herzliche Grüße
Jörg
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Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

reblaus

Hallo Klaus -

so gute und schön gefärbte Schnitte hatte ich in meiner aktiven Zeit nie! Aber es wäre auch zu frustierend für die Studiosi im Schnippelkurs gewesen ....

Hier auch nochmal was zur Ergänzung - ein Knoten mit Winterknospe in Aufsicht:




und hier mit Xylol durchsichtig gemacht und mit Fluoreszein gefärbt um die Leitbündel mal von der Seite zu zeigen. Unterhalb der zahlreichen Leitbündel, die in die Knospe gehen sieht man auch solche, die in den Blattstiel gingen bevor das Blatt abgefallen war. Man sieht sogar eines der beiden dicken, seitlichen Leitbündel, die man auch auf deinem Schnitt durch den Blattstiel sehen kann:



Spendest du Dateien deiner Schnitte für Lehrzwecke?

Viele Grüße

Rolf


Rolf-Dieter Müller

Lieber Klaus,

einfach schön, wie Deine Färbung sauber ausdifferenziert.

Ich möchte in diesem Zusammenhang eine kurze Bermerkung von Darmstadt aufgreifen. Ich nehme mal an, das Dein Zweitopffärbungs-Set eine gewisse Verbreitung gefunden hat. Wenn Du einverstanden bist, würde ich gerne darauf basierend eine Simultanfärbung vorschlagen.

Viele Mikrogrüße
Rolf-Dieter

Austroflyer

Wunderschöne Schnitte und wunderbare, beeindruckende Färbung! Zun Niederknien!

"Je weniger man über die Zukunft weiß, desto besser"
Captain Janeway
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Eckhard

Lieber Klaus,

Gratulation zu dem dünnen Schnitt! Ob der Rebensaft da als "Dopingmittel" gewirkt hat?

Herzliche Grüsse
Eckhard
Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

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Mila

Lieber Klaus,

schöne Schnitte, tolle Färbung und das alles wieder bei einer H. ;)

Bleizuckervergiftungen waren wirklich ein Problem zur damaligen Zeit, in den letzten Tagen las ich noch davon (ok, in einem Roman: Apotheker wird so langsam aber sicher vergiftet :-\, da war es nicht die Apothekerin als Giftmischerin, obwohl ja gerade Frauen mit Giften..., aber lassen wir das, völlig OT).

Die Bilder möchte ich gerne in meine Diashow für die Brut aufnehmen, ein Schüler arbeitet nebenher bei einem Winzer in Bad Neuenahr/Ahrweiler und bringt immer mal wieder "Pröbchen" mit,

herzliche Grüße
Mila

Klaus Herrmann

Hallo,

vielen Dank für die Anerkennung!

Das waren ja Schnitte so nebenbei: mit einem Auge habe ich auf den Vortrag von Klaus Kammerer gehört und mit dem anderen Ohr habe ich auf meine Schnitte geschaut  ;) da ist schon höchste Aufmerksamkeit auf allen Sensoren gefordert!  ;D

Aber es ist ja auch kein Hexenwerk. Nur beim Differenzieren mit 70%igem Ethanol muss mann etwas aufpassen. Ich überfärbe mit der Rot/Gelb-Komponente immer etwas (10 min) dann kurz 20 sec mit Astrablau. Und dann muss man meistens differenzieren, um die Rotüberfärbung zu reduzieren.

# All: generell habe ich gegen eine nichtkommerzielle Verwendung meiner Bilder nichts einzuwenden, wenn man nicht vergisst zu sagen, woher sie stammen.

# Mila: na gegen so´n Pröbschen hätt´ich auch nichts einzuwenden! ;)

# Eckhard + Jörg: gedopt habe ich erst am Sa-Abend mit meiner Frau bei einer Scholle Finkenwerder Art. Klaus hatte freundlicher Weise eine Flasche mitgebracht. Und wir haben bedauert, dass er nur für sich und die Familie produziert! Er ist lecker!

# Rolf-Dieter: gerne kannst du eine Simultan-Vorschrift ausarbeiten!

# Rolf: schön deine Ergänzung aus deiner aktiven Uni-Zeit! Ist das ein dicker Längsschnitt durch Knospe und Abzweig? Und erst gefärbt und danach in Xylol aufgehellt, oder umgekehrt? Verwendung für die Lehre gerne unter den selben Bedingungen, wie schon genannt!

Ach übigens: beim Öffnen der Flasche ist der Weingeist entfleucht. Konnte gerade noch schnell einen Schnappschuss machen! Seine angeheiterte Lache hab ich heut noch im Ohr!


Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


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Klaus Herrmann

Hallo,

Ich habe noch eine Polaufnahme gemacht mit nicht ganz gekreuzten Polarisatoren. Gibt manchmal eine Intensivierung der Farben. Die Aufnahme ist one-shot und um die Farben bei der kleinen Vergrößerung nicht verblassen zu lassen nehme ich einen alten Brillenglaskondensor aus der Endlichzeit von Zeiss. Das ist im Beleuchtungsstrahlengang ja völlig unkritisch. Die Beleuchtungsapertur kann dadurch vergrößert werden - größer, als die 0,32, die der Kondensor bei abgeklappter Frontlinse bietet und dadurch werden die Farben aus dem "Katzengrau" herausgehoben.
Natürlich erhält man durch "Stitchen" mit hochaperturigem Objektiv in jeder Hinsicht bessere Ergebnisse - aber soviel Zeit haben Rentner nicht! ;-D


Die grün-Fluoreszenz ist nicht so farbig, wie beim Berberitzenschnitt, aber das liegt halt auch am anderen Gewebe, mit anders fluoreszierenden Inhaltsstoffen.





Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


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reblaus

Hallo Klaus -

es handelt sich nicht um einen Schnitt, sondern um Aufsicht. Das genaue Rezept weiß ich nicht mehr, aber wenn ich mich recht entsinne wurde nach Entfernen der Rinde und der Knospenschuppen der ganze Knotenabschnitt erst mal einige Tage in 1% wässr. Fluoreszein eingelegt, dann in Xylol geweicht, dann im Xylol unter ein normales Plan 1x am Phomi II und mangels Auflicht-Fluoreszenzeinrichtung aus einer alten Leitz-HBO-Lampe UV schräg draufgedonnert und fotografiert.

Man sieht also nur von einer Seite drauf, aber doch auch ein wenig in die Tiefe. Auf jeder Seite führt also ein besonders dickes Leitbündel in den Blattstiel und unter der Knospe ein ganzes Bündel dünne - und besonders nett fand ich deshalb, dass man diese beiden Typen auf deinem Stengelquerschnitt so schön wiederfinden kann!

Viele Grüße

Rolf

Klaus Herrmann

Hallo Rolf,

danke für die Erläuterung! Da wäre sicher interessant die selbe Methode mit einem dicken Schnitt anzuwenden und dann aber statt Fluoreszein die  W 3A-Färbung  zu nehmen um eine farbliche Differenzierung zu erhalten. Sicher spannend "In die Tiefe" zu schauen!

Wäre doch was für die Schlittenmikrotom-Besitzer. Was meinst du Hans Jürgen?  ;)
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


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Gabriele

Der Schnitt ist ja so prima gelungen, das man eine richtige Beschreibung dran machen kann :-)
Endlich weis ich mal wie eine Rebe von innen ausschaut
Herzliche Grüße

Gabriele

F5

Hallo Herr Herrmann,

meine Kollegin und ich sind durch Zufall auf Ihr tolles Bild gestoßen: "Vitis vinifera – Blattstiel"
Wir erstellen gerade eine Weinwanderweg zum Thema "Ökologie entdecken" und würden
gerne Ihr schönes Makrobild von dem Blattstielschnitt als Hintergrundbild auf einer Informationstafel
einsetzen, wenn das möglich ist. Wenn ja, haben Sie das Bild noch in hoher Auflösung?
Wir würden uns sehr freuen.

Lieben Dank vorab für Ihre Rückmeldung.
Schöne Grüße