Leitz - die umgekehrten Mikroskope, Teil 1 (Mikroskopiker stellen ihr Gerät vor)

Begonnen von ortholux, Januar 20, 2012, 19:52:39 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

ortholux


Edit: Bilder hinzugefügt; Informationen zum ersten umgekehrten Mikroskop

Nachdem dieses schöne Kapitel in letzter Zeit etwas in die Winterstarre verfiel, möchte ich es mit einem Beitrag über die umgekehrten Leitz-Mikroskope wieder erwecken.

Irgendwann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entdeckten die Chemiker die Vorteile des vergrößernden Betrachtens chemischer Abläufe und Reaktionen. Oft war dies eine riskante Angelegenheit für die Frontlinse der Objektive. Man suchte nach Lösungen und fand diese, indem man das Präparat von unten zu betrachten versuchte.

Charles Chevalier brachte 1840 sein "microscope universel" auf den Markt. Dieses Stativ konnte um eine Achse gedreht werden und diente somit als waagrechtes, aufrechtes oder umgekehrtes Mikroskop.

Die Handhabung als umgekehrtes Mikroskop war nicht sonderlich ergonomisch, weil der Objekttisch recht hoch war und ein seitenverkehrtes Bild entstand. Abhilfe schaffte hier das Smith-Prisma. John Lawrence Smith's Idee wurde von Camile Sébastian Nachet 1850 mit dem "microscope reversé" umgesetzt und stellt auch heute noch das Prinzip einfacher umgekehrter Mikroskope dar.



So auch das des ca. 1935 von Leitz in kleinen Stückzahlen gebauten "umgekehrten Mikroskops".



Hier nochmal in groß: http://www.leitz-ortholux.de/forum/ch.pdf (342 KB)



Das Chemikermikroskop nach Waldmann



Höher aufgelöst gibt es das Bild hier: http://www.leitz-ortholux.de/forum/3x_1600.jpg

1950 wurde dieses robuste Chemikermikroskop vorgestellt. Das Smith-Prisma lieferte ein aufrechtes Bild. Aufgrund der schwachen Vergrößerungen (Objektive: 3,2, 6, 10) ließ sich das Präparat auch ohne Objektführer richtig positionieren, das Arbeiten mit Pipetten oder anderen Werkzeugen war einfach zu bewerkstelligen.
Die lange Säule für die Beleuchtungseinrichtung (zunächst als 40W Netzlampe, später mit Monla (Ortholux) Lampenfassung) schuf einen großen Objektraum, der die Beobachtung in verschiedensten Laborgefäßen zuließ. Entsprechende Ringeinsätze im Tisch ermöglichten das Stellen von Rund- und Erlenmeyerkolben, mittels einer prismatisch ausgefrästen Schiene konnten auch Reagenzgläser verwandt werden.

Die erste Ausführung hat einen fest montierten Monokular-Tubus mit 30 mm Öffnung für große Sehfelder.

Anfang der 60er Jahre (ein genaues Datum konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen) kam das Waldmann'sche Mikroskop in einer überarbeiteten Version auf den Markt. Nun verfügte es über wechselbare Tuben. Monokular, binokular und später gab es sogar einen Tubus für die Orthomat-Kamera.



Auch der Triebkasten wurde überarbeitet. War es zunächst eine offene Konstruktion mit einer Klemmschraube, so wich diese mit dem "Facelift" einem geschlossenen Triebkasten. Die Klemmschraube war offensichtlich überflüssig geworden.





Zwischen den beiden Säulen ist ein arretierbarer Objektivschutz zu erkennen.

Eine Polarisationseinrichtung gab es schon für die erste Version. Ein großer drehbarer Polarisator wurde an die Lampenstange geklemmt. Allerdings in Verwendung mit einem Aufsatz-Analysator. Das modernere Gerät hatte dafür vorgesehene Schlitze.





Als mögliche Revolver waren ursprünglich vorgesehen der 3fach-Revolver am ersten Gerät, ein 4facher am späteren. Außerdem der Zangenwechsler und der Ultropak.
Durch die Kompatibilität zum Laborlux konnte jedoch eine Vielzahl an Revolvern und Illuminatoren eingesetzt werden.



Mechanisch passen würde sogar der rechts abgebildete Opakrevolver, es lässt sich aber der Tisch nicht genügend anheben. Mit demontiertem Tisch wäre aber eine Anwendung in einem Versuchsaufbau für opake Proben denkbar.

Ein weiteres erwähnenswertes Zubehör war eine Kondensorhalterung für die Lampenstange. Das Chemikermikroskop wurde auch mit Phasenkontrasteinrichtung nach Heine angeboten. Vorgesehen waren die Objektive Pv 10:1 und Pv 25:1.

Ende der 60er Jahre wurde auch dieses Mikroskop mit dem zeitgemäßen Hammerschlaglack überzogen.
Hier mit Kondensorhalterung und Orthomat-kamera



Technisch gab es keine Unterschiede, außer daß die Lampenstange nicht mehr aus gebürstetem Aluminium bestand, sondern durch eine verchromtes Stahlrohr ersetzt wurde.




Über Ergänzungen, Korrekturen und weitere Bildbeispiele von Zubehörteilen würde ich mich wie immer freuen.

Ein schönes Wochenende und viel Spaß bei der Lektüre wünsche ich Euch!
Wolfgang

Quellen:
Rolf Beck: "Die techn. Entwicklung umgekehrter Mikroskope" Aus Mitteilungen f. Wissenschaft u. Technik, Februar 1984
Hugo Freund: Handbuch der Mikroskopie in der Technik Bd.1, Teil 1







Rene

Wow. Impressive collection. Looking forward to the next part (Diavert?).

Where does the term Chemikermikroskop come from??

Thanks, René

ortholux

Hi Rene,

"Chemikermikroskop" means "chemist's microscope".
And yes, the next part will be a chapter about the Diavert.

Cheers
Wolfgang

TPL

Lieber Wolfgang,
eine sehr schöne Dokumentation ist das. Mich würde interessieren, wer denn der Herr Waldmann war. Im Gerlach (Geschichte der Mikroskopie) ist er nicht erwähnt. Der hat bei oder für Leitz ja auch ganz andere Dinge entworfen. Es gibt da diese Glashohlkugeln nach Waldmann zum Universal-Drehtisch. Vielleicht weiß ja Olaf etwas dazu...

Herzliche Grüße, Thomas

PS @ René: Op Nederlands zou dit misschien een "microscoop voor scheikundige" zijn.
m.v.g. Thomas

Rene


ortholux

Rene,

as I wrote before, for observating chemical reactions oftenly bigger vessels then a slide are necessary. Those microscopes are providing an endless space for the sample. The other reason is, that chemical reactions sometimes produce agressive steams, which can destroy the front lens of the objective. Therefore it is an great advantage to protect the objective by watching the sample from underneath the object slide.

Slaap lekker!
Wolfgang


Rene

not yet, almost. Truly universal these microscopes! Still can't really think what those Chemiker were looking at when studying 'chemischer Abläufe und Reaktionen'. Can you give me an example??

Best wishes,
René

ortholux

Rene,

entschuldige, daß ich auf deutsch schreibe. Hier reicht mein Englisch nicht mehr.

Beispiele können sein: Kristallisationsprozesse (einfacher Fall: Säure + Lauge = Salz + Wasser) oder Ausfällreaktionen. Oder stell Dir einfach vor, Du durchmusterst mit einem Objektiv mit langem Arbeitsabstand ein großes Volumen. In der Gesteinskunde und Erzmikroskopie ist die Probengröße quasi nicht limitiert. Es reicht, eine Stelle anzuschleifen und die Probe mit dem Schliff nach unten auf den Tisch zu legen. Die Schlifffläche ist automatisch senkrecht zur optischen Achse positioniert.

Durch das seitenrichtige Bild kann mit Werkzeugen manipuliert werden, usw....

Hoffe, etwas Licht ins Dunkel gebracht zu haben
Wolfgang

TPL

Hoi René und Wolfgang,

ich kenne mich mit solchen Untersuchungen selber nicht aus, aber es gab hier erst kürzlich eine von CMB angestoßene Diskussion zum Thema und einen Verweis zu einer umfangreichen Farbfoto-Sammlung. Herr Husemann erwähnte außerdem einen Bilderatlas, der zur Identifikation benutzt wurde (Geilmann, W., 1954, "Bilder zur qualitativen Mikroanalyse anorganischer Stoffe") und mindestens zwei weitere Auflagen hatte.

Vielleicht ist die Mikrochemie - wie viele andere Methoden - seitdem 'aus der Mode gekommen', aber schön ist sie schon.

groetjes, Thomas

Dünnschliffbohrer

Ein weitereres wichtiges Anwendungsgebiet waren Planktonuntersuchungen. Was dort damit jedoch genau getrieben wurde, ist mir aber nicht bekannt. Offenbar sind die umgekehrten Mikroskope aus diesem Anwendungsbereich durch die wohl zweckmässigeren Stereomikroskope verdrängt worden. Vieleicht weiß hier im Forum jemand mehr zu dem Thema? Vieleicht Vorsortieren der Proben und Isolieren größerer Organismen? Oder Panktonzählungen? Auf letzteren Anwendungszweck könnte ein beiliegendes Okular mit Netzstrichplatte bei meinem, bisher noch nicht benutzten Exemplar hindeuten, welches ursprünglich aus einem Meeresforschungsinstitut stammte.
Was mich dabei besonders interessieren würde: welcher Vergrößerungsbereich wurde denn dafür hauptsächlich genutzt? Ein kleinerer, unter 100 X wie bei den Stemis? Wie sieht das bei den heutigen umgekehrten Mikroskopen aus? Diese werden ja viel für Zytologische Untersuchungen an Zellkulturen eingesetzt, wo sicherlich eine höhere Vergrößerung wünschenswert ist. Und wie sieht es denn mit den Anforderungen an die Dicke und Planparallelität der Untersuchungsgefäße - auch in Relation zur eingesetzten Vergrößerung - aus? Damals wurden ja noch vielfach Glas-Petrischalen verwendet, die mir nicht so planparallel und auch dicker als die heutigen Kunststoffpetrischalen erscheinen. Die Objektive müssen ja darauf optimiert gewesen sein, wegen der sphärischen Aberation. - Db.
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]

reblaus

Hallo Db. -

hier ein unvollständiger Hinweis:

zur längeren Untersuchung von lebenden Kleinorganismen unter "natürlichen" Lebensbedingungen ist eine gewisse Schichtdicke angebracht. Nun kann man zwar das Deckglas entsprechend unterstützen, aber dummerweise habe viele dieser Wesen die Eigenheit sich lieber auf dem Boden aufzuhalten. Stärkere Objektive haben dafür einen zu kleinen Arbeitsabstand. Man hat das versucht durch Konstruktion spezieller Objektive zu umgehen (z.B. zum Eintauchen in die Suppe etc.). Aber das macht extra Kosten, die Bildqualität wird viel schlechter, man kann das Objektiv ohne Objektverlust kaum wechseln usw.

Durch Wenden des Mikroskops kann man diese Probleme umgehen und die vorhandenen Normalobjektive weiter benutzen, wenn man sich z.B. eine Küvette mit einem 0,17 mm Deckglasboden bastelt. Die meisten der teuren Durchlichtteile und Kontrastmethoden können weiter verwendet werden, inclusive Ölimmersion, Phako, DIC, Fluoreszenz u.a.m.  Wer lieber eine Schale mit dickerem Boden nehmen würde, kann z.B. LD-Objektive verwenden, die für 1 mm -"Deckgläser" berechnet sind, allerdings nicht die Auflösung der normalen Objektive bringen und wieder extra kosten. Bei Lupenvergrößerungen ist das eh wurscht, da kann man auch auf den klassischen Kondensor verzichten und auch mal ein Teeglas verwenden.

Gruß

Rolf


ruhop

Hallo, Dünnschliffbohrer.

Mit Planktonuntersuchungen liegst Du richtig. Hierbei stehen sowohl die qualitativen wie auch die quantitativen Aspekte im Vordergrund. Verbunden mit dieser Art der Untersuchungen sind die Namen Utermöhl und Kolkwitz. Nach Utermöhl wurden die für die Planktonuntersuchung eingerichteten umgekehrten Mikroskope auch Utermöhls oder Utermöhlmikroskope genannt.

Zum Verfahren: Der Objektträger ist die Kolkwitzkammer. Es handelt sich dabei um ein Rechteck aus Plastik, in dessen Mitte eine runde Kammer eingelassen ist. Der Boden der Kammer besteht aus Glas (Deckglasdicke!). Die Kammer hat ein Volumen von 1 ml. Auf diese Kammer werden vom Fassungsvermögen her variable Zylinder gesetzt. In die Zylinder wird die konservierte Probe in definierter Menge gegeben. Anschließend wird der Zylinder verschlossen. Das Plankton sedimentiert jetzt auf den Boden der Kammer (Konservierung ist notwendig, sonst keine Sedimentation). Dieser Vorgang dauert mehrere Stunden. Ist dieser Vorgang abgeschlossen wird der Zylinder mit Hilfe einer Glasplatte abgeschoben und gleichzeitig, möglichst ohne Luftblasen, die Kammer verschlossen. Die Planktonprobe ist fertig für die Untersuchung. Ich selbst habe anfangs 70er am IHF Hamburg Netzplankton mit dieser Methode untersucht. Für Schöpfplankton habe ich die Membranfiltration vorgezogen.

Ich hoffe, daß ich Dir helfen konnte.

Gruß

Holger

olaf.med

Hallo Thomas,

ZitatMich würde interessieren, wer denn der Herr Waldmann war

Waldmann war ein Mineraloge in Bern. Wenn Du mehr Infos wünschst, werde ich mich bemühen.

Glück Auf, Olaf
Gerne per Du!

Vorstellung: http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=4757.0

... und hier der Link zu meinen Beschreibungen historischer mineralogischer Apparaturen:
https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=34049.0

Miner

Tag. In der Tat sind Umkehrmikroskope ideal um in gläserne Becher zu schauen, ob sich schon Kristalle abgesetzt haben. Diese fallen ja oft auf den Boden, insbesonderen wenn sie an der Oberfläche gewachsen sind.
Auch in der Mikrofluidik ist ein Umkehrmikroskop nützlich, wenn man die Probe von der Rückseite elektrisch kontaktieren will. Oder wenn man Suspensionen hat, man kann dann unbesorgt schwebende Teilchen durch Nachfokussieren verfolgen, ohne dass man Angst haben muss, mit dem Objektiv in die Flüssigkeit einzutauchen.
Und auch Biologen können sie gebrauchen, wenn sie Zellen gleichzeitig mit einem optischen und mit einem Rasterkraftmikroskop beobachten wollen. Das Rasterkraftmikroskop muss von oben kommen, also muss das optische Mikroskop von unten gucken.
Ole

Dünnschliffbohrer

Hallo Holger,
vielen Dank für deine Antwort. Ich würde also eine Kolkwitz- oder Utermöhlkammer benötigen, um das Mik sinnvoll einzusetzen. Ich hab mal im I-Netz nachgesehen, Ehlers vertreibt die Teile, nennt aber keinen Preis (wohl abschreckend teuer?). Bei meinem gelegentlichen Tümpeln werde ich dann wohl eher beim normalen aufrechten Mikroskop bleiben, zumal mir Lebendbeobachtungen lieber sind, als von Lugolscher Lösung braungefärbter Bodensatz. Und quantitative Planktonuntersuchungen kommen für mich auch nicht in Betracht.
Schade, sonst kenn ich keinen weiteren Verwendungszweck als Liebhaber für so ein Gerät. - Db.
"Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und ein Mikroskop!"
[aus: Kleeberg, Bernhard (2005): Theophysis, Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen,  S. 90]