Botanik: Eine schön verpackte Enttäuschung - Stachys byzantina *

Begonnen von Fahrenheit, Juni 26, 2012, 22:26:12 NACHMITTAGS

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Fahrenheit

Liebe Pflanzenfreunde,

da ist sie nun, die kleine Enttäuschung.  ;D

Genau gegenüber, an einem Zaunpfosten hat sich Stachys byzantina, ein Woll-Ziest breit gemacht, den ich dann auch unter das Messer genommen habe. Allerdings erst, nachdem mir Mila mit der Bestimmung unter die die Arme gegriffen hat - meine herzlichen Dank dafür!

Bild 1: der Woll-Ziest an der Ecke


Der Woll-Ziest ist eine Zierpflanze, die ursprünglich in der Türkei, Armenien und dem Iran beheimatet ist. Die Engländer nennen ihn Lambs Ear (Lammohr), eine hübsche Anspielung auf die wie alle Pflanzenteile stark behaarten Blätter.

Die mehrjährige Pflanze ist bei mildem Klima immergrün, in kalten Wintern sterben die Triebe jedoch ab und es erfolgt ein neuer Austrieb im nächsten Frühjahr. Blütezeit ist in den Monaten Juni und Juli, die Blüten stehen dann zwischen Hochblättern an den Blütenstängeln, die bis zu 40 Zentimeter aus dem Blattwerk der nicht blühenden Sprosse herausragen und im Gegensatz zu diesen nur wenige Blätter tragen. Die lilafarbenen, fünfzähligen Lippenblüten selbst stehen in dichten Scheinqirlen, die wegen der Hochblätter und der starken Behaarung ein sehr kompaktes Aussehen haben.  

Hier noch einige weitere Bilder von der Pflanze, eine Illustration kann ich diesmal leider nicht zeigen.

Bild 2: Blütenstand des Woll-Ziest


Bild 3: Blattwerk des Woll-Ziest


Bild 4: Ein Lammohr  :D


Vor den Bildern der Präparate zunächst ein Wenig zur Präparation:

Der Spross wurde frisch auf dem Handzylindermikrotom mit Leica Einmalklingen im SHK-Klingenhalter geschnitten. Die Schnittdicke beträgt ca. 50 µm.
Anschließend wurden die Schnitte für etwa 20 Minuten in AFE fixiert.

Bild 5: Der Spross des Woll-Ziest auf dem Zylindermikrotom

Die Behaarung ist gut zu erkennen, sie trägt zu mehr als der Hälfte zum scheinbaren Sprossdurchmesser bei.

Gefärbt habe ich wieder nach W3ASim II. Entsprechende Arbeitsblätter können im Downloadbereich der MKB-Webseite herunter geladen werden.

Und nun die Bilder von den Präparaten:

Bild 6: Zunächst wieder eine Markroaufnahme vom fertigen Schnitt

Da lässt sich die Enttäuschung schon erahnen: viele Haare um einen relativ konventionellen Sprossquerschnitt - nicht unähnlich dem einer Minze. Dabei handelt es sich um zwei unterschiedliche Gattungen der Familie der Lamiaceae (Lippenblütler): Stachys und Mentha. Ebenfalls ähnlich: der Sprossquerschnitt der Nesseln (Urticaceae) aus der Ordnung der Rosenartigen (Rosales).

Bild 7: Eine Übersicht über den Spross, Vergrößerung 50x, Stapel aus 10 Bildern

Die hier durch den Schnitt stark ausgedünnte Behaarung ist leider voller Luftblasen, die sich auch durch intensives Baden in Isopropanol nicht vertreiben ließen bzw. im kurzen Moment vor dem Auftropfen des Euparals durch die Verdunstung des Intermediums wieder neu entstanden sind.

Bild 8a/b/c: Etwas näher heran, Bild 8a ungefärbt, Bild 8c mit Beschriftung, Vergrößerung 100x, Stapel aus je 9 bzw. 8 Bildern



Die Beschriftung von Innen nach Außen (Rechts nach Links):
MP: Markparenchym
Skl:   innen liegendes Sklerenchym vor dem primären Xylem
PXl:   Primäres Xylem
T:     Tracheen
Xl:    Xylem
Ca:   Cambium
Pl:    Phloem
SklN: Nester sklerifizierter Zellen am Außenrand des Phloems
RP:   Rindenparenchym
Kol:  zusätzliche Verstärkung: in den Sprossecken gibt es ein Kollenchym
Ep:   Epidermis
Cu:   Cuticula
Ha:   die allgegenwärtigen Haare
Im ungefärbten Schnitt dunkel bis gelblich (das Chlorophyll verblasst im Ethanol sehr schnell), zeichnet sich das Assimilationsparenchym in gefärbten Schnitt durch die grünlich gefüllten Zellen aus: die Chloroplasten haben auch Farbe angenommen.
Auch wenn das Xylem an den Ecken des viereckigen Sprossquerschnitts verdickt ist: es fehlen die ausgeprägten Sklerenchymkappen, die man in vielen Minz-Querschnitten findet. Da ist die Ähnlichkeit zu den Sprossquerschnitten z.B. einer jungen Brennnesseln größer.

Bild 9a/b: Noch ein wenig näher heran, Bild 9a ungefärbt; Vergrößerung 200x, Stapel aus 25 bzw. 12 Bildern    


Während sich im ungefärbten Schnitt zwei schöne Drüsenhaare zeigen, fehlen solche im gefärbten Schnitt, der dafür schön die Sklerenchymnester am Rande des Phloems zeigt. Die Chloroplasten sind im Bild 9a gut getroffen, während das Kollenchym in beiden Bildern gut zu erkennen ist.

Bild 10: Es muss doch auch ein gefärbtes Drüsenhaar geben! Vergrößerung 400x, Stapel aus 5 Bildern

Das Köpfchen mit den drei Zellen hat einen Durchmesser von ca. 21 µm bei einer Höhe von gut 12 µm und sitzt auf einem einzelligen Stiel von gut 10 µm Höhe.

Bild 11: Noch was fürs Auge: das primäre Xylem, Vergrößerung 200x, Stapel aus 14 Bildern


Vielen Dank fürs Ansehen, Anregungen und Kritik sind wie immer willkommen.

Herzliche Grüße
Jörg

Edit 27.06.2012: Ähnliche Pflanzen nachbearbeitet.
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Rawfoto

Hallo Jörg

Ja, das stimmt, das letzte Bild ist wirklich absolut schön anzusehen. Es wirkt sehr räumlich ... ==> ist wieder ein spannender Beitrag geworden, spitze ...

Liebe Grüße

Gerhard
Gerhard
http://www.naturfoto-zimmert.at

Rückmeldung sind willkommen, ich bin jederzeit an Weiterentwicklung interessiert, Vorschläge zur Verbesserungen und Varianten meiner eingestellten Bilder sind daher keinerlei Problem für mich ...

hajowemo

Hallo Jörg,
dein Beitrag ist wieder spitze.
Diese Pflanze steht bei mir auch im Vorgarten. Ich werde
sie auch mal präparieren.
Liebe Grüße
Jochen
Vorstellung
Homepage www.mikroskopie-hobby.de
Gerne per "Du"
Man sieht nur mit dem Herzen gut.
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Rolf-Dieter Müller

Hallo Jörg,

wieder einmal schön die Gegenüberstellung von ungefärbten zu gefärbten Schnitt der Bilder 9 a/b.

Besonders gut kann man im ungefärbten Schnitt noch vorhandene Zellinhalte studieren. Besonders die (Kristall-)Nadeln sind sehr gut zu erkennen.

Viele Mikrogrüße
Rolf-Dieter

schuppi

Hallo,

bezüglich des ungefärbten Schnittes: Ich kann ja fast nicht anders: Ungefärbt finde ich es persönlich besser.

Ansonsten bin ich hellauf begeistert von der Doku: Alles dabei: Vom Objekt bis zum Präparat, dankeschön!

Rainer
DFK 72AUC02 an
- Motic BA310 Trino LED
- Motic SMZ-168 Trino LED
Web-Site: http://www.mikroskopie-bilder.de

Fahrenheit

Liebe Freunde,

vielen Dank für Euer Lob! Schön, dass Euch die Darstellung und die Präparate gefallen.  :)

Lieber Gerhard,

ja, Du hast recht, die Aufnahme wirkt ziemlich räumlich. Allerdings ist es ein zufälliger Effekt des gestapelten Bildes.  ;)

Lieber Joachim,

viel Spaß und viel Erfolg beim Schnippeln! Später beim Eindecken musst Du sehr auf die Haare achten. Beim Schnitt rasierst Du meistens die Haare an drei Seiten ab und die verbleibenden auf der vierten Seite sollten neben dem Schnitt zu liegen kommen. Eventuell hilft ein Isopropanolbad mit ein wenig Unterdruck beim entfernen der Luftblasen, das ist aber technisch recht aufwendig ...

Lieber Rolf-Dieter,

ja, es scheint Raphidenbündel besonders im Markparenchym zu geben, allerdings habe ich in meinen Schnitten noch kein wirklich fotogenes Exemplar für eine Pol-Aufnahme gefunden. In der Regel bleibt nur ein Durcheinander an einzelnen Nadeln, die oft auch über die umgebenden Zellen verteilt sind. 

Lieber Rainer,

die ungefärbten Schnitte haben tatsächlich manchen Vorteil, allerdings ist die sichere Identifizierung der Gewebearten dort schwierig, wie ich selbst bei der Felsen-Fetthenne erfahren musste.

Allen herzliche Grüße!
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Klaus Herrmann

Lieber Jörg,

also das hast du super gemacht: eine schöne Serie von Schnitten perfekt dargestellt und ein Titel, der das Ganze neugierig macht: voller Schaden-Vorfreude wartet man auf die Enttäuschung und dann ist nur alles wunderschön! :)

Du bist mir ein Schlingel! ;) Da hat doch gerade eine wichtige Zeitung 60er-Feier gehabt - übernimmst du dort jetzt als Freelancer die Rubrik "Mikroskopisches"? ;D
Mit herzlichen Mikrogrüßen

Klaus


ich ziehe das freundschaftliche "Du" vor! ∞ λ ¼


Vorstellung: hier klicken

Jan Kros

Lieber Jörg
Ich habe mich sehr gefreut über deinen Beitrag von diese schöne Pflanze.
Auch wieder gut dokumentiert und lehrreich.
Danke fürs zeigen
Herzlichen Gruss
Jan

Fahrenheit

Lieber Klaus und lieber Jan,

auch Euch vielen Dank für Euer Lob!

Lieber Klaus,

der Titel ist die halbe Miete! Natürlich muss der Inhalt dann auch mithalten können - was meine Beiträge hoffentlich von der Zeitung mit dem Jubiläum unterscheidet.  ;D

Euch beiden herzliche Grüße!
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM

Hans-Jürgen Koch

Plants are the true rulers - Pflanzen sind die wahren Herrscher.

<a href="http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=2650.0" target="_blank">Hier geht es zur Vorstellung</a>

Gerne per "Du"

Eckhard

Lieber Jörg,

das "Lammohr" gefällt mir gut. Die Form des Sprosses erinnert ein bisschen an Lavendel. Die Haare finde ich hochinteressant, vor allem die frischen Ansätze.

Herzliche Grüsse
Eckhard

Zeiss Axioscope.A1 (HF, DF, DIK, Ph, Pol, Epifluoreszenz)
Nikon SE2000U (HF, DIK, Ph)
Olympus SZX 12 (HF, DF, Pol)
Zeiss Sigma (ETSE, InLens SE)

www.wunderkanone.de
www.penard.de
www.flickr.com/wunderkanone

bewie

Hallo Jörg,

wirklich eine exzellente Dokumentation. Bin begeistert und kann mich gar nicht sattsehen!

Beste Grüße
Bernd Wiedemann

Fahrenheit

Liebe Freunde,

auch Euch vielen Dank für Euer Lob! So macht das Schnippeln Spaß!  ;)

Die beiden Haar-Typen machen den Querschnitt wirklich interessant, nur leider schrumpeln die Drüsenhaare gerne beim präparieren und die langen Haare ziehen Luft und werden beim Schnitt ordentlich dezimiert. Ich habe leider keine Idee, wie man dem abhelfen könnte.

Allen herzliche Grüße
Jörg
Hier geht's zur Vorstellung: Klick !
Und hier zur Webseite des MKB: Klick !

Arbeitsmikroskop: Leica DMLS
Zum Mitnehmen: Leitz SM
Für draussen: Leitz HM