Scharfe Augen und Licht von links oben

Begonnen von Klaus Henkel, August 15, 2012, 09:43:30 VORMITTAG

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Klaus Henkel

Werte Makro- und Lupenfotografen!

Makro- und Lupenfotografen aus dem Profi-Sektor beachten bei Tieraufnahmen zwei eiserne Regeln, wollen sie nicht Gefahr laufen, daß ihre Fotos abgelehnt werden. Weil bei Aufnahmen in diesem Forum gegen beide Regeln in der Regel verstoßen wird, möchte ich daran erinnern.

Erste eiserne Regel
Das Licht der allgemeinen Beleuchtung, z. B. der Sonne oder eines Blitzgeräts, kommt immer von links oben. Eine "Schaltung" in unserem Großhirn empfindet das als natürlich und lebensecht. Licht von rechts oben oder gar nicht von oben ist schwer verdaulich. Sollen Schatten von vorne mit einer zusätzlichen Beleuchtung etwas aufgehellt werden, soll sie deutlich schwächer sein, als die von links oben. Das gilt für Aufnahmen von Tieren und Pflanzen gleichermaßen.

Zweite eiserne Regel - für Tierfotografen
Sind die Augen eines Tieres im Bild und als solche gut erkennbar, müssen sie scharf sein, darauf muß der "Focus" liegen, unbedingt. Alles andere, wie Fühler, Beine, Brustpanzer, Freßwerkzeuge, darf weniger scharf abgebildet sein.

Beide Regeln gelten selbstverständlich um so weniger, je "wissenschaftlicher" die Abbildung sein soll. Der Unterschied zwischen dem schönen Bild und der reinen Sachaufnahme muß aber begründbar sein.

Für die Sachaufnahme gilt übrigens die Regel der ausreichenden Helligkeit der Wiedergabe. Auch daran lassen es viele Fotos fehlen. Mitunter hat man den Eindruck, die Aufnahme sei bei Dämmerlicht im Kohlenkeller entstanden. --- Ja, mein Monitor ist gut neutral kalibriert. Aber vielleicht liegt es auch an meinen 75er Augen ...

Lichterfüllte Sommergrüße!
KH

Florian Stellmacher

#1
Sehr geehrter, lieber Herr Henkel,

vielen Dank für diesen Hinweis. Dass über den Lichteinfall in der Makrofotografie eine Konvention besteht, war mir nicht bewusst, ich muss allerdings zugeben, dass ich mir darüber bislang auch noch keine Gedanken gemacht hatte. Den Fokus auf die Augen zu setzten, erscheint mir indes auch aus dem Bauch heraus als logisch. Gleichwohl liegt das Bemühen beim Stacking ja wohl darauf, jedes Detail scharf abzubilden. Hierdurch entsteht aber eben auch ein Bildeindruck, das unserem normalen perspektivischen Sehen durchaus entgegen stehen kann.

Ich habe mir erlaubt, exemplarisch einmal das Suchwort "Spinne" bei Google Bilder einzugeben, und fand eigentlich bei den wenigsten Fotos die von Ihnen angegebenen Konventionen umgesetzt. Hier z.B. liegt der Fokus zwar offenbar auf den Augen, das Licht kommt aber von vorne/oben rechts:


http://www.google.de/imgres?q=pl%C3%BCschspinne&hl=de&biw=1536&bih=696&tbm=isch&tbnid=-wbh6UJ_lA_NnM:&imgrefurl=http://www.ebay.de/itm/Pluesch-Spinne-Einzelstueck-gothic-schwarz-/370362123760&docid=WjM794ZyWDy-iM&imgurl=http://www.fellviecher.de/ebay/spinne/spinne1_1992.jpg&w=550&h=437&ei=rVUrULrEDOWH4gT8voDYCA&zoom=1&iact=hc&vpx=866&vpy=156&dur=1859&hovh=200&hovw=252&tx=154&ty=115&sig=109558405756920114154&page=1&tbnh=158&tbnw=204&start=0&ndsp=18&ved=1t:429,r:3,s:0,i:79

In der Fotografie histologischer Präparate gibt es ebenfalls eine Reihe von Konventionen, die jedoch meines Wissens nach nirgends schriftlich niedergelegt wurden, sondern "von Generation zu Generation" weitergegeben werden. Daher meine vielleicht etwas tumbe Frage: Woher wissen Sie das? Gibt es ggf. Literatur dazu, die ich mir besorgen kann?

Herzliche Grüße,
Ihr
Florian Stellmacher
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

Bernd Kaufmann

Lieber Florian,

so ganz schnell finde ich auch keinen "Beweis" für die von Herrn Henkel genannten Regeln, aber ich kenne sie trotzdem seit sehr langer Zeit. Sie gelten übrigens nicht ausschließlich in der Makro- und Lupenfotografie, sondern auch im Studio, bei Portraits und vielen weiteren Aufnahmesituationen. Seit man mit einem Mausklick Fotos auch horizontal spiegeln kann, wird davon nicht nur beim Bilderklau auch reichlich Gebrauch gemacht. Solche Bilder erscheinen uns auch dann, wenn wir sie nicht selbst gemacht haben, zuweilen seltsam fremd, manchmal geradezu unnatürlich, obwohl wir ja das Original nicht kennen.

Warum das gerade im Makrobereich besondere Bedeutung hat, könnte unter anderem damit zu tun haben, dass wir von links nach rechts schreiben. Da muss für Rechtshänder die Hauptlichtquelle von links kommen, damit der Schatten der Hand nicht stört. Ähnliches gilt sicher auch für andere handwerkliche Arbeiten. Darüber hinaus gibt es sicher einige weitere Gründe, warum das "so ist". Herr Henkel hat ja auch auf die anderen Bedingungen für wissenschaftliche Aufnahmen und teilweise Sachaufnahmen hingewiesen. Wobei man gerade hier im Forum durchaus entdecken kann, dass zumindest versucht wird, beides unter einen Hut zu bringen. Wo dies besonders gut gelingt, geraten auch regelmäßig viele Betrachter in Verzückung.
Viele Grüße
Bernd ©¿©
www.aquamax.de
Lieber per Du.

Monsti

Liebe Fotograf(inn)en,

die Regel zur Beleuchtungsrichtung entstammt der Kartographie, wo sie in Karten mit Schummerung gilt. Jeder kann sich mal den Spaß machen, sich eine solche Karte umgekehrt anzusehen. Der Effekt ist überzeugend. Bei normalen Makros sehe ich dieses Erfordernis nicht, sehr wohl aber bei Mikroaufnahmen mit Schieflicht oder DIC.

NW-Lichtgrüße
Angie

Florian Stellmacher

Lieber Bernd,
liebe Angie,

danke - das wusste ich noch nicht.

Herzliche Grüße,
Florian
Vorwiegende Arbeitsmikroskope:
Zeiss Axioskop 2
Olympus BHS (DL, Pol, Multidiskussionseinrichtung)
Zeiss Axiophot (DIK und AL-Fluoreszenz)
Zeiss Axiovert (Fluoreszenz)
Wild M400 Fotomakroskop (DL, DF, AL, Pol)

TPL

#5
Zitatdie Regel zur Beleuchtungsrichtung entstammt der Kartographie, wo sie in Karten mit Schummerung gilt.

Hallo zusammen,
diese Annahme ist interessant, da die "NW-Regel" für Schummerungen fast ausnahmslos gilt. Allerdings kam die Schummerung meines Wissens erst Anfang des 20. Jahrhundert auf (vorher verwendete man Schraffen). Die Beleuchtung von links oben/vorne kenne ich aber schon von den Foraminiferen-Abbildungen der Challenger-Expedition (1872-1876). Da liegt es wirklich nahe, dass die Beobachter ihre Beleuchtung links vor sich aufgebaut oder sich entsprechend zu den Bullaugen ausgerichtet hatten, um mit rechts zeichnen zu können.

Beste Grüße
Thomas

JB


Bernhard Kaiser

Alle,

da habe ich doch mal wieder was Interessantes dazugelernt.

Danke
Bernhard Kaiser

beamish

#8
Zitat von: JB in August 15, 2012, 13:44:57 NACHMITTAGS
Hallo,

Da habe ich sogar noch deutlich aeltere Beispiele :)   Jan van Kessel (attr.), 1659

http://scientificillustration.tumblr.com/post/16381823255/stilllifequickheart-jan-van-kessel-insects



Da setz ich noch einen drauf: Pompeji, 1.Jh. n.Chr. (Bild aus Wikipedia verlinkt)



Grüße

Martin
Zeiss RA mit Trinotubus 0/100
No-Name China-Stereomikroskop mit Trinotubus
beide mit Canon EOS 500D

JB

... perfekt. Was noch aelteres finde ich auch nicht!

Und da zeigt sich vor allem eines: die links-oben Regel ist rein kuenstlerischer Natur und wurde 1800 Jahre spaeter auch fuer die Photographie uebernommen (und im wahrsten Sinne antiquiert). Wuerde man diese Regel z.B. auf Stacks anwenden, wann laegen z.B. bei Spinnenportraits die meisten Detals im Schatten - man stelle sich etwa dieses Photo  http://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=13332.0 mit links-oben Beleuchtung vor (statt diffuser allseitiger Beleuchtung); es waere eine schlechtere Darstellung, finde ich.

Beste Gruesse,

Jon

Jürgen H.



Lieber Jon,

das glaube ich nicht. Eindeutig keine Konvention ist die Regel: Licht von oben. Unser Gehirn braucht den Schattenwurf unten und nicht oben um die in der Abbildung fehlende dritte Dimension als optische Täuschung! zutreffend hinzuzufügen. Was da passiert, lässt sich an diesem Anschaungsgegenstand leicht verdeutlichen:


Der Punkt in der Mitte sieht erhaben aus, weil das Licht von oben zu kommen scheint. Bei den anderen Punkten hingegen bilden sich Hohlkörper. Die Begründung ist keine Konvention, sondern eine langjährige Übung des menschlichen Gehirns: Sonnenlicht kommt halt von oben.

Kommt das Licht dagegen im der zweidimensionalen Photo von unten, wird das als störend empfunden, weil das Gehirn erst wieder das Bild zurechtrücken muss: Es kennt ja den Gegenstand, weiß wie er aussehen muss und muss daher gegen die gewohnte Sehweise anarbeiten. Daher kommt dann m.E. der Eindruck das etwas "stört". Das kann durchaus in einer künstlerischen Absicht etwa eines Malers liegen...

Für die zusätzliche Anforderung "Licht von l i n k s " könnte ich mir eine entsprechende Übung jedenfalls vorstellen und sie ist ja auch hier schon genannt worden. In Zeiten natürlichen Lichts malt der Maler, zeichnet der Karthograph - so er Rechtshänder ist -  nur dann ohne Schattenwurf seiner Hand, wenn das Licht von links kommt. Also malt er auch entsprechend den Lichtverhältnissen am Arbeitsplatz sein Bild. Vielleicht gibt es aber auch eine neurologische Erklärung.

Schöne Grüße

Jürgen

Jürgen H.

sehr nett ist auch dieses aus dem Netz gefischte Bild:


JB

Hi,

Das mag schon sein, dass unter extremen Bedingungen solche optischen Taeuschungen moeglich sind. Wenn das mal nicht auch kulturell ueberformt ist (also eine erlernte Konvention); mein Gehirn haelt den Anblick jedenfalls ohne Schaden aus.

Allerdings wuerde ich noch immer meinen, dass solche Schlagschatten wie bei den Fussspuren oben bei komplexen Objekten Details verdecken. Hier ist eine Zusammenstellung von verschiedenen Beleuchtungsformen:
http://www.edmundoptics.com/learning-and-support/technical/learning-center/application-notes/illumination/choose-the-correct-illumination/?&pagenum=2

Bei einem Insekten-Kopf bringt eine Beleuchtung diffus/von vorn, denke ich, die Details am besten heraus, selbst wenn die Strukturen flacher erscheinen.

Beste gruesse,

Jon 

Lothar Gutjahr

Guten Abend allerseits,

und vielen Dank an Herrn Henkel für den Anstoß. Ich habe mal  die leider nur wenigen Fotos meiner früheren Temperabilder gesichtet und da trifft man auf "versehentlich" richtig gewählte Beleuchtungsrichtung. Ohne jemals von dieser Theorie gehört zu haben, hat man die richtige Wahl getroffen. Man könnte also schon den Verdacht fixieren, daß dafür eine Prägung vorhanden ist.
Ebenfalls kommt bei der Sichtung früherer Fotos die Besatätigung dafür. Zumindest ertappt man sich bei der Auswahl von "schönen" Bildern dabei, daß ein anders beleuchtetes Objekt nicht in die enger Wahl fällt.

Danke für diesen interessanten thread

Lothar

Jürgen H.

ZitatAllerdings wuerde ich noch immer meinen, dass solche Schlagschatten wie bei den Fussspuren oben bei komplexen Objekten Details verdecken.

Natürlich lieber Jon. Ohnehin dürfte gelten: Keine Regel ohne - begründete - Ausnahme. Die Beispiele sind ganz sicher Extremfälle, auf einem komplexen Insektenphoto würden sich Folgen "falscher" Beleuchtung von unten kaum zeigen. Worum es mir geht ist zu zeigen, wie stark im Gehirn die Erwartung, dass Licht von oben zu kommen hat, verankert ist, so stark, dass dies mitunter zu Fehlinterpretationen eines flächigen Bildes führen kann.



ZitatHier ist eine Zusammenstellung von verschiedenen Beleuchtungsformen.

Die dort gezeigten Fälle sind allerdings auch Extremfälle. Abweichungen von einer natürlichen Beleuchtung mit besonderer Begründung. Die Beleuchtungstechnik soll bestimmte Eigenschaften eines Objekts herausarbeiten. Ein natürliches Bild zu liefern ist gerade nicht Aufgabe der dort dargestellten Techniken.

Schöne Grüße

Jürgen